Vier Personen bei Besprechung

Arbeits- und Gesundheitssituation in der Jugendhilfe Tipps für Maßnahmenableitungen sowie best practice aus Interviews

Die aufgeführten Maßnahmen betreffen sowohl die ambulante als auch stationäre Jugendhilfe. Sie beziehen sich vor allem auf folgende Gefährdungen und/oder Stressoren:

 

  • Emotionale Anforderungen (überfordert, an der Grenze der Belastbarkeit arbeiten)
  • Qualitative Anforderungen (komplizierte Fälle, zu viel Verantwortung, schwierige Rahmenbedingungen, fehlende Qualifikation)
  • Rollenkonflikte (widersprüchliche Anforderungen, unnötige Aufgaben, unvereinbare Anforderungen, Handeln gegen eigene Überzeugung)
  • Präsentismus (krank zur Arbeit gehen; besonders im stationären Bereich sollte auf diesem Merkmal ein Fokus liegen)

Wichtig: TOP-Prinzip beachten (d. h. technische, organisatorische und personenbezogenen Maßnahmen)

Technische Maßnahmen:

  • Fluchtmöglichkeiten und Rückzugsräume bereitstellen
  • Für ausreichende Beleuchtung sorgen
  • Sicherheitsglasscheiben nutzen
  • Vermeidung gefährlicher Gegenstände in den Räumlichkeiten
  • Einsatz von Personen-Notsignal-Geräten bei gefährlichen Alleinarbeitsplätzen

Organisatorische Maßnahmen:

  • Organisation von Team- und Fallsupervision mit einer externen Supervisorin/einem externen Supervisor (Vertrag schließen, terminieren, zeitliche Ressourcen bereitstellen). Ein Fokus könnte sein: „Was brauche ich, um gut mit den herausfordernden Situationen umzugehen?“
  • Organisation und Implementierung von kollegialer Beratung. Bspw. Einsatz der Methode des reflecting team: Zwei Mal in der Woche kommt für die Dauer von ca. einer Stunde ein sogenanntes Subteam zur kollegialen Beratung zusammen, um neue Impulse für ihre Arbeit zu erhalten: hier
  • Organisation von Deeskalationstrainings für Beschäftigte zum systematischen Umgang mit Gewalt und Aggressionen
  • Organisation von Weiterqualifizierungen für Beschäftigte zur Kompetenzerweiterung im Umgang mit komplizierten Fällen/Fragestellungen bspw. Arbeiten im Tandem
  • Prüfung der Betreuungsschlüssel bzw. -zuordnung: Welche Fallauswahl? Heterogene Zusammenstellung entsprechend der Herausforderungen durch die Klienten
  • Bereitstellung von Notfallplänen in den Einrichtungen für besonders belastende Situationen (z.B. Todesfälle, Suizidversuche, Gewalt)
  • Ausarbeitung und Implementierung von Vertretungsregelungen im Krankheitsfall, z. B. Springerpool. Anderes Beispiel: Im ambulanten Bereich bekommen die Beschäftigten "eigene Fälle" (Klientinnen und Klienten). Diese Arbeitsweise ermöglicht es, dass bei einer Erkrankung einer Kollegin/eines Kollegen die Aufgaben nicht sofort von einem anderen Teammitglied übernommen werden müssen, sondern bei Rückkehr aus der Krankheit kann derjenige wieder an „seinen Fällen“ weiterarbeiten. Bei längerer Krankheit greift eine Vertretungsregelung.
  • Organisation regelmäßiger Teambesprechungen sowie Unterstützung durch die Führungskraft (Hausleitung) bei belastenden Erfahrungen
  • Organisation von Optimierungsworkshops und teambildenden Maßnahmen (z.B. Vorbereitung, Auftragsklärung, Beispiele für Rollenkonflikte, moralischer Stress, Klärung von Kompetenzen und Zuständigkeiten, Ausarbeitung von Vertretungsregelungen im Krankheitsfall)
  • Förderung des Teamzusammenhalts und der sozialen Unterstützung: Organisation von Teamtagen (z. B. Escape-Room), Weihnachtsfeiern, Teamfortbildungen
  • Organisation von aktiven Mittagspausen (bspw. Yoga-Kurse) mit dem Ziel, auch diejenigen Beschäftigten zu erreichen, denen es schwerfällt, von der Arbeit abzuschalten
  • Umsetzung der Idee eines Gesundheitskontos: Alle Beschäftigten bekommen eine Stunde pro Monat gutgeschrieben, um etwas Gutes für sich zu tun
  • Gesundheit als Wert im Unternehmen verankern
  • Analog zum Tarifvertrag zur Entlastung in Krankenhäusern auch eine Regelung für Beschäftigte in sozialen Berufen anstreben bspw. über Verbandsarbeit für die Soziale Arbeit erreichen: Werden die Personalschlüssel mehrfach unterschritten, erfolgt im Gegenzug automatisch eine Entlastung mit zusätzlichen freien Tagen, die auch ausgezahlt werden können: Eckpunkte für eine Vereinbarung zur Entlastung des Personals
  • Gewaltschutzkonzept
  • Strategietag Psyche

Personenbezogene Maßnahmen:

  • Regelmäßige Teilnahme an Angeboten, wie z.B. Team- und Fallsupervision, kollegiale Beratung, reflection team. Teilnahme an Supervision ggf. verpflichtend einführen. Idee: Teilnahme an Fortbildung mit Nachweis am Monatsende, die verknüpft ist bspw. mit einer Prämie
  • Regelmäßige Teilnahme an Teambesprechungen, Thematisierung von herausfordernden Klientinnen und Klienten/Situationen im Team und/oder mit Vorgesetzten
  • Teilnahme an Optimierungsworkshops und teambildenden Maßnahmen, mögliche Themenschwerpunkte:
    • Identifikation von widersprüchlichen und unvereinbaren Anforderungen: „Was würde ich gerne bei der Arbeit anders machen?“ „Wovon bin ich überzeugt?“
    • Arbeitsabläufe verbessern: Übermaß an Dokumentationspflichten abbauen, geeignete Software etablieren, Hilfestellung zur Moderation von Qualitätszirkeln: hier
    • Reduktion des Zeitdrucks: Alltagshelfer und helferinnen einstellen
    • Teilnahme an Deeskalationstraining für die Sensibilisierung bei schwierigen Situationen und deren Neutralisation sowie kollegiale Erstbetreuung für Multiplikatorinnen und Multiplikatoren (Personen, die mit den Themen Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit zu tun haben), um Kolleginnen und Kollegen sofort nach einer Extremsituationen unterstützen zu können.
  • Weiterführende Informationen: Wie verhalte ich mich sicher in Gewaltsituationen?
  • Teilnahme an einem Seminar bzw. einer Inhouse-Schulung zum Thema "Umgang mit Verantwortung und Abgrenzung" mit dem Ziel, die eigene Abgrenzungsfähigkeit zu stärken
  • Teilnahme an Weiterbildungsangeboten der BGW zur Stärkung der personalen Ressourcen, z. B. BGW-Seminare.

Maßnahmen für Führungskräfte

  • Grundsätzlich: Führungsleitlinien der jeweiligen Einrichtungen bieten Hilfestellung
  • Führungskräfte können die Beschäftigtengesundheit als regelmäßigen TOP in Teamsitzungen aufnehmen
  • Führungskräfte können ein positives Organisationsklima mitgestalten, z.B. durch die Transparenz von Zielen, rechtzeitige Information zu Veränderungen und Erläuterung von Hintergründen, transparente Kommunikation
  • Führungskräfte sollten auf ihre Gesundheit und Selbstfürsorge achten. Damit ermutigen sie die Beschäftigten auch durch ihr eigenes Verhalten dazu, sich z.B. im Krankheitsfall abzumelden
  • Coaching für Führungskräfte (Regionalleitung, Hausleitung), damit sie ihren multiplen Führungsanforderungen nachkommen können; speziell: Krisen-Coaching für herausfordernde Führungssituationen – per Video oder Telefon
  • Teilnahme an BGW-Fortbildungen, bspw. Gesundheitsfördernde Führung – Möglichkeiten und Grenzen. Führungskräfte-Workshopreihe: Sich selbst und andere gesund führen – wie gelingt das?
  • Wertschätzung durch die Geschäftsführung vermitteln: Events, wie z.B. ein gemeinsames Frühstück zu Jahresbeginn, Geschenke zum Jubiläum, Geburtstage (Nachrichten/Anrufe)

Sollten spezifische Krisensituationen auftreten, bspw. ein Brandereignis, ein Amoklauf, ein Gewaltereignis, Überlastungssituationen mit gesundheitlichen Auswirkungen, dann steht Ihnen das Angebot "BGW Strategietag – Lernen aus Krisen" zur Verfügung.

Dr. Maren Kersten

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Organisationsberatung

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