Neues Zuhause: Tipps für den Umzug ins Pflegeheim #107 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Umzüge können ein Neuanfang bedeuten oder aber sie bedeuten Abschied nehmen. Vor allem der Umzug ins Pflegeheim ist für pflegebedürftige Menschen, ihre Angehörigen und Pflegende oft mit vielen Emotionen und Herausforderungen verbunden.
In dieser Folge schauen wir uns diese genauer an und beleuchten dabei alle drei Seiten. Was können Pflegende tun, um den Einzug ins Heim für die Betroffenen so angenehm wie möglich zu machen und gleichzeitig ihre eigene Gesundheit schützen? Und wie genau können Angehörige dabei unterstützen? Moderator Ralf Podszus spricht dazu mit Ulrike Kempchen vom BIVA-Pflegeschutzbund und BGW-Beraterin Julia Ludwig-Hartmann.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Moderator:
Es ist ein sonniger Morgen, der Tag des Umzugs ins Pflegeheim für Familie Sanders ist gekommen. Hannelore Sanders, 82 Jahre alt, packt letzte Kleidungsstücke in ihren Koffer, während ihre Tochter Sabine versucht, optimistisch zu bleiben.
Sabine Sanders:
Mama, ich weiß, dass es jetzt schwer ist, aber es wird dir dort gut gehen. Ganz bestimmt. Sie haben da ganz tolles Pflegepersonal. Da wirst du dich sicher ganz schnell wie zu Hause fühlen.
Hannelore Sanders:
Ja, ich weiß Sabine, aber es ist einfach so schwer, dieses Haus zu verlassen. Hier stecken so viele Erinnerungen drinnen.
Moderator:
Stellt euch vor, ihr müsst plötzlich euer vertrautes Zuhause verlassen. Die Geräusche, die Gerüche, die Erinnerungen. Alles, was ihr über Jahre hinweg aufgebaut habt, bleibt zurück. Für viele ältere Menschen wird aus dieser Vorstellung Realität, der Umzug ins Pflegeheim.
Das ist ein großer Schritt, der mit sehr vielen Emotionen verbunden ist. Für sie selbst, jedoch auch für ihre Angehörigen. Heute spreche ich mit Expert*innen zu genau diesem Thema. Wir besprechen nicht nur die Sicht der Betroffenen, vor allem geht es um die Pflegenden. Ich bin Ralf Podszus schön, dass ihr wieder dabei seid.
Jingle:
Herzschlag! Für ein gesundes Berufsleben, der BGW Podcast.
Moderator:
Bei mir ist Ulrike Kempchen. Sie ist die Leiterin der Rechtsabteilung beim Pflegeschutzbund. Schön, dass du dabei bist.
Ulrike Kempchen:
Hallo, schön, dass ich da sein kann.
Moderator:
Erklär mir bitte kurz, was der Pflegeschutzbund macht.
Ulrike Kempchen:
Der Pflegeschutzbund ist eine Interessenvertretung für pflegebetroffene Menschen. Pflegebetroffene Menschen deshalb, weil sich an uns nicht nur Pflegebedürftige selbst wenden, sondern zum Beispiel auch deren An- und Zugehörige, die auch irgendwo von der Pflege betroffen sind, weil sie zum Beispiel organisieren und vertreten. Diese Menschen haben viele Fragen und Probleme, und dabei beraten wir sie.
Wir vertreten auch deren Interessen in der Politik Gegründet wurden wir tatsächlich vor 50 Jahren von pflegebedürftigen Bewohnerinnen einer Einrichtung, die irgendwie das Gefühl hatten, sie haben ihre Rechte an der Haustür abgegeben. Sie haben sich dann zusammengetan und einen Verein gegründet, und den führen wir seit 50 Jahren fort.
Moderator:
Es klingt wie eine richtige Revolution mit Meuterei im Altersheim.
Ulrike Kempchen:
Es war 1974. Das waren schon noch andere Zeiten. Da ist man wirklich in so eine Institution eingezogen und man hat die Menschen damals auch noch als Insassen bezeichnet. Einrichtungen hießen ja Anstalten. Ein bisschen Revolution war das tatsächlich.
Moderator:
Ja, ich kenne das auch noch damals vom Zivildienst. Ich habe die letzte Runde mitgemacht und da gab es dann Einige, die sind extra mit verdunkelten Scheiben durch die Gegend gefahren. Das hieß auch immer die Insassen und bloß nicht zeigen, verstecken ja.
Ulrike Kempchen:
Da hat sich ja zum Glück einiges geändert.
Moderator:
Worauf sollte ich als Angehörige achten, damit ich das passende Pflegeheim finde? Welche Punkte sind hier wichtig? Es gibt ja zahlreiche Angebote.
Ulrike Kempchen:
Das stimmt. Man sollte vorher vielleicht auch mal mit der pflegebedürftigen Person sprechen, was sie eigentlich möchte. Viele möchten zum Beispiel in Ihrem Quartier bleiben, wo sie seit vielen Jahren leben. Viele möchten gerne in der Nähe der Familie sein. Vielleicht ist auch jemand gläubig und möchte in ein konzessionsgebundene Einrichtung, weil er da einfach auch Angebote bekommt, die ihm gefallen. Vielleicht haben sie auch tatsächlich Bekannte, die da schon leben oder man kennt das Heim, weil man vielleicht beim Sommerfest mal da war oder Menschen besucht hat.
Das sind also alles so verschiedene Kriterien, wobei man auch mal ganz ehrlich sein muss, so groß ist das Angebot in manchen Regionen nicht. Da haben wir lange Wartelisten und da kann man froh sein wenn man einen Heimplatz bekommt. Wenn man aber wirklich die Auswahl hat und es gibt sogar die Möglichkeit sich das Heim anzuschauen, dann sollte man das auch irgendwie tun. Viele Dinge spürt man nur, wenn man in dem Haus drinnen ist und auch mal die Menschen anschaut und mit ihnen spricht, als wenn man von außen guckt.
Moderator:
Wenn man sich jetzt etwas aussuchen könnte, dann würde ich jetzt auch sagen, wenn ich an mich denke, 140 Quadratmeter mit Balkon und es muss auf jeden Fall eine Kuba-Bar vor Ort sein und gutes Internet ist ganz wichtig.
Ulrike Kempchen:
Wenn man das bezahlen kann, gibt es das bestimmt.
Moderator:
Das ist nämlich genau das Ding. Der Anspruch, der beißt sich dann sehr mit der finanziellen Realität und hier muss man teilweise ja richtig zurückstecken, weil ein normales kleines Zimmer ohne irgendetwas kostet schon für viele einfach zu viel.
Ulrike Kempchen:
Genauso ist das. Wir haben mittlerweile in den letzten Jahren erhebliche Anstiege bei den Kosten. Das liegt natürlich einmal an den Personalkosten, denn das Personal was 24/7 vorgehalten wird und bezahlt werden muss, soll ja auch anständig bezahlt werden. Dann wurde 2022 das Tariftreuegesetz eingeführt und das hat natürlich dazu geführt, dass die Personalkosten sehr gestiegen sind.
In manchen Ländern ist auch einfach das Bauen teuer. Wenn man sich das zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen anschaut, da hat man Investitionskosten von bis zu 800 Euro, das ist die eigentliche Kaltmiete und da summiert sich natürlich einiges. Das heißt, man muss natürlich auch auf den Geldbeutel achten. Was kann ich mir leisten? Ist es eine schicke, hochpreisige Seniorenresidenz, oder ist es eher das in Anführungsstrichen normale Pflegeheim um die Ecke?
Moderator:
Darauf läuft es wahrscheinlich in den meisten Fällen einfach hinaus. Wahrscheinlich ist immer wieder Zeit für eine Revolution im Altersheim, zusammen mit denjenigen, die da angestellt sind, damit sich vielleicht politisch mal etwas ändert.
Ulrike Kempchen:
Das wäre unser großer Wunsch. Das es tatsächlich eine echte Pflegereform gäbe, und zwar so, dass die ganze Finanzierung neu gedacht wird. Im Augenblick haben wir ganz viel Flickwerk. Es gibt immer mal wieder gesetzliche Regelungen, die zum Beispiel eben jetzt gerade für das Personal mehr Gehalt gebracht hat.
Hoffentlich kommt es an, das kann ich gar nicht genau überprüfen. Es gibt dann wieder mal ein paar mehr Zuschüsse für die Betroffenen. Tatsächlich wäre eine echte Reform sinnvoll, weil das System finanziell an der Wand steht. Einmal finanziell und natürlich fachkräftetechnisch.
Moderator:
Nachher schauen wir uns auch noch einmal mit meinem nächsten Gast die Seite der Pflegenden an und welche Herausforderungen auf sie zukommen. Das habe ich ja versprochen. Gerade im Bezug auf neue Bewohnerinnen und Bewohner. Nur ist es vollkommen klar, dass gerade auch für die Angehörigen die Umstellung überfordernd sein kann, wenn eben ein lieber Mensch ins Pflegeheim ziehen muss. Wie unterstützt ihr jetzt alle Angehörigen?
Ulrike Kempchen:
Tatsächlich ist es so, man hat eigentlich die Erwartung, dass die Versorgung im Pflegeheim genauso ist, wie man sich das wünscht, wie man das Zuhause selber machen würde. Das heißt, da ist schon ein gewisser Anspruch da, dass die Lieben, möglichst perfekt, individuell, selbstbestimmt, liebevoll versorgt werden.
Dem steht irgendwo die Realität gegenüber, dass wir viele Bewohnerinnen und Bewohner haben mit unterschiedlichen Bedürfnissen und tatsächlich dazu auch hohe Anforderungen eben an das Personal. Natürlich, wo Menschen arbeiten, passieren Fehler. Es werden vielleicht auch einmal Bedarfe übersehen und die Pflege ist, das muss man ganz ehrlich sagen, im Augenblick draußen auch einfach nicht perfekt. Dann kommen natürlich Konflikte hoch oder auch Probleme, oder man stellt Mängel fest.
Hier beraten wir tatsächlich mal dahingehend, wo sind eigentlich die Rechte der Betroffenen, wie kann man diese umsetzen? Wir begleiten auch zu Gesprächen und versuchen, Konsens zu finden, denn am Ende der Fahnenstange steht ein pflegebedürftiger Mensch, und der muss gut versorgt werden. Wir wissen natürlich, welche Rechte die Betroffenen haben. Wir helfen auch bei der Umsetzung, aber Recht haben und Recht kriegen sind zwei Paar Schuhe. Man muss gucken, was in dem System möglich ist. Da begleiten wir eben von der Problemstellung bis zur Lösung.
Moderator:
Und wie unterstützt ihr Pflegende?
Ulrike Kempchen:
Pflegende selber sind erstmal nicht unsere ersten Ansprechpartner. In dem Augenblick, wo wir aber tatsächlich auch jetzt bei Konflikten zum Beispiel helfen, eine Lösung zu finden und auch ins Gespräch mit den Einrichtungen gehen, da ist natürlich irgendwo auch am Ende eine Hilfe für die Pflegenden dabei. Sie wollen sich ja auch in der Situation der Versorgung wohlfühlen.
Moderator:
Wie können Angehörige auch Pflegende unterstützen? Man möchte ja auch mit einem guten Gefühl wieder rausgehen, wenn man weiß, die mag ich, denen traue ich das voll zu und den möchte ich jetzt hier auch meine Wertschätzung rüberbringen.
Ulrike Kempchen:
Ganz oft entstehen Konflikte dadurch, dass die Leute nicht miteinander reden, dass die Kommunikation gestört ist. Natürlich hat man als Angehöriger hohe Erwartungen, wenn man sieht, dass am Ende des Monats unter der Rechnung 4000 Euro stehen. Aber so ein bisschen Verständnis aufbringen, wie eigentlich die Pflege läuft und aufeinander zugehen ist sehr hilfreich.
Gerade heute haben wir zum Beispiel eine Veranstaltung, die nennt sich Bifa-Dialog für unsere Mitglieder. Da sprechen wir einmal über Kommunikation und wie man respektvoll und wertschätzend miteinander kommunizieren kann. Wenn man das schafft, auch als Angehöriger, dann ist das oft sehr hilfreich. Dann wird man in der Regel auch ein zumindest neutrales bis gutes Verhältnis mit den Pflegekräften aufbauen können. Dann ist schon vielen geholfen.
Moderator
Ich sag es immer wieder, Kommunikation ist der Schlüssel. Einfach miteinander reden. Natürlich, gerade wenn es eine bisschen schwierige Situation gibt. Schon heute gibt es zu wenige Pflegebeschäftigte. Wie sind die Prognosen für die Zukunft? Superdüster wahrscheinlich, oder? Muss ich jetzt meine Angehörigen schon vorwarnen, dass es mal ihre Aufgabe sein wird, mich später zu pflegen. Wo gibt es dann Unterstützung?
Ulrike Kempchen:
Tatsächlich kann das passieren ehrlich gesagt, wenn man sich mal so ein bisschen die politischen Überlegungen anschaut. Früher hatten wir immer den Satz: „Ambulant vor Stationär.“ Weil vermeintlich ambulante Versorgung billiger war als stationäre. Heute sagt die Politik das ganz groß, weil sie genau wissen ohne Angehörige und Ehrenamtler wird es nicht laufen in der Zukunft. Wir haben einfach zu wenig Fachkräfte. So bereiten sich natürlich zum Beispiel gerade auch Kommunen darauf vor, ehrenamtliche Strukturen zu schaffen.
Die Politik denkt darüber nach, wie man auch Angehörigen das Leben leichter machen kann, denn ein pflegender Angehöriger zu sein, ist ein richtig harter Job. Man muss auch noch für sich selber sorgen. Um da Anreize zu schaffen, vielleicht auch tatsächlich finanzieller Art, aber auch Entlastung, daran arbeitet die Politik, weil sie einfach nicht wissen, was sie sonst machen können. Natürlich versuchen sie auch irgendwie Pflegekräfte und Fachkräfte anzuwerben und auszubilden. Wir müssen nur die Demografie angucken und dann wissen wir, das wird nicht klappen. Wir brauchen Angehörige.
Moderator:
Das sieht also erstmal nicht so rosig aus. Vielen Dank Ulrike für die ganzen Infos.
Ulrike Kempchen:
Sehr gerne.
Moderator:
Jetzt haben wir schon die Seite der Pflegebedürftigen und Angehörigen beleuchtet, aber auch für die pflegenden kann der Umzug ins Pflegeheim zur Herausforderung werden. Wie sie neuen Bewohnerinnen und Bewohnern den Start ins Pflegeheim so angenehm wie möglich machen und sich selbst schützen können, darüber spreche ich jetzt mit BGW Beraterin Julia Ludwig-Hartmann. Ich grüße dich, Hallo.
Julia Ludwig-Hartmann:
Hallo, ich grüße dich auch lieber Ralf. Ich freue mich sehr.
Moderator:
Ich mich auch. Ich starte gleich einmal mit meiner ersten Frage Julia. Was sollten Pflegende vor dem Einzug von neuen Bewohnerinnen und Bewohnern beachten? Da gibt es jetzt nicht den Tag, an dem Alle kommen, wie so eine Einschulung. Das ist ja immer im Fluss, mitten im Arbeitsalltag.
Julia Ludwig-Hartmann:
Ich könnte die Frage ganz kurz beantworten. Was sollten Pflegende vor dem Einzug beachten? Sich selbst auch. Aber ich denke, du hast Anspruch auf eine etwas ausführlichere Frage.
Moderator:
Ich hab immer Anspruch, sie will nicht weiter, ja.
Julia Ludwig-Hartmann:
Worum geht es dem Team? Das Pflegeteam überlegt vor dem Einzug. Was können wir tun als Team, damit der Bewohner, die Bewohnerin, sich hier wohlfühlt. Man schaut, welche Pflegerisiken hat dieser Mensch und was können und was müssen wir für die Gesundheit tun. Ich plädiere eben dafür, genau diese Fragestellung auch einmal in die eigene Richtung zu wenden.
Was brauchen wir, um im Miteinander mit dem Bewohner, mit der Bewohnerin uns wohl zu fühlen? Welche Risiken ergeben sich für uns aus der Pflege und was brauchen wir für unsere Gesundheit? Das ist so die Kernfrage. Es finden ja im Vorfeld immer Gespräche statt. Da gilt, genau zuzuhören und herauszufinden, welche Themen bringt der neue Bewohner, die neue Bewohnerin mit, die vielleicht in besonderer Art und Weise auf die Gesundheit, auf die Sicherheit der Pflegekräfte einen Einfluss haben.
Ein Beispiel: Eine Chilenin meldet sich an. Wäre es da nicht eine gute Idee, dass jemand aus dem Pflegeteam für eine Teamsitzung eine, ich sage mal Länderkunde vorbereitet? Was ist das Traditionsessen? Wie ist die Religion? Wie ist die Landschaft? Gibt es da Berge? Gibt es da ein Meer? Wie begrüßt man sich? Das wäre doch hilfreich, einfach zu wissen, um da in ein gutes Miteinander zu kommen. Man kann auch dadurch ein Stück weit Konflikte vermeiden, die sich vielleicht ergeben könnten. Denn je unterschiedlicher die Kulturen sind, im Gegensatz zu unseren deutschen Prägungen, umso eher können sich auch Konflikte ergeben und die kann man vermeiden.
Warum nicht gemeinsam mit den Angehörigen, mit der Bewohnerin einmal das herausfinden. Vielleicht auch mal eine Schulung zur Interkulturalität. Es ist ja so, auch das Pflegeteam ist interkulturell, insofern haben wir hier wieder eine Win-Win-Situation. Ein anderes Beispiel: Ein Bewohner meldet sich an der bewegungseingeschränkt ist und braucht jetzt vielleicht Hilfe zum Beispiel um aus dem Bett zu gelangen. Das ist ja eine Tätigkeit, die nicht nur anstrengend für Pflegekräfte ist, sondern auch am Ende möglicherweise gesundheitsgefährdend.
Da darf es nicht dem Ungefähren überlassen werden, wie jetzt genau wir diesem Bewohner in seiner Mobilität fördern. Es macht ja gar keinen Sinn, die Mobilität des einen zu fördern und die eigene Mobilität dabei aufs Spiel zu setzen. Deswegen gilt es da ganz genau hinzugucken und sich darauf vorzubereiten. Also brauchen wir Hilfsmittel. Haben wir die Hilfsmittel, können wir damit umgehen.
Oftmals lese ich in Leitbildern: „Der Mensch steht im Mittelpunkt“. Das bedeutet für mich auch die Pflegeperson ist ein Mensch. Für mich bedeutet der Mensch im Mittelpunkt eine ganz konsequente Bewohnerorientierung gleichrangig zu der Mitarbeiterorientierung. Du kannst das Balance nennen. Nenne es Balance. Das wäre mir wichtig.
Moderator:
Da haben wir es auch wieder. Kommunikation ist alles. Im Vorfeld einfach schon mal mit allen sprechen. Den Angehörigen und der zu pflegenden Person. Schon weiß man worauf man sich einlässt. Die Krankenakte ist also das Eine und das direkte Gespräch das Nächste. Wie bereiten sich jetzt Pflegeeinrichtungen auf neue Bewohnerinnen und Bewohner insgesamt vor? Gibt es da so eine Checkliste?
Julia Ludwig-Hartmann:
Da gibt es eine Checkliste. Wie du aber sagst, hauptsächlich ist es jetzt erstmal das Gespräch. Natürlich habe ich eine Checkliste, aber für mich ist ganz wichtig, dass man sich schon mal vorbereitet. Dass man seine eigene Hektik, ich hab Hektik im Pflegealltag, die muss ich erst mal aus mir herausnehmen. Ich muss eine störungsfreie Atmosphäre schaffen, um in dieses Gespräch zu gehen.
Hier kann jetzt ganz viel abgesprochen werden und es muss hier auch um Offenheit geworben werden. Das Geklärte und Vertrauen hilft auch den Beteiligten für einen guten Start. Der erste Eindruck ist ausschlaggebend für das weitere Miteinander. Dann kann auch das Aneinander gewöhnen schön werden und Störfaktoren, Konfliktpotenziale, die geradezu anfangen, können reduziert werden.
Pflegende sollten sich oder sind sich auch darüber bewusst, was es für sie selber bedeutet, wenn ein neuer Bewohner mit völlig ausgelatschten Schuhen mit einer völlig veralteten Brille antritt. Das bedeutet Unsicherheit beim Gehen, auch in der fremden Umgebung. Selbst mit Hilfsmitteln ist hier eine Unsicherheit da. Das heißt eigentlich ist ein Sturz vorprogrammiert. Zu viel sitzen, zu viel liegen, Bettlägerigkeit, das geht alles am Ende zu Lasten. Auch der Pflegekräfte. Wenn man sich das verdeutlicht und verdeutlicht, das auch den Angehörigen. Stattet diesen Menschen bitte mit gutem neuem Schuhwerk und mit einer aktuellen Brille aufs. Das ist nun mal so ein kleines Beispiel an der Stelle.
Moderator:
Es ist aber super wichtig. Man kann damit ganz viel verhindern. Günther, alte Latschen weg! Dann klappt das die nächsten Wochen und Monate besser mit dem Gehen. Gerade ältere Menschen sind ja sehr viel sturzgefährdet. Das sollte man auf jeden Fall mal genauer beachten. Den Menschen von oben bis unten screenen. Was kann ich hier in Anführungsstrichen Verbessern.
Julia Ludwig-Hartmann:
Was kann man verbessern? Ich glaube, verbesserungswürdig ist ganz oft das Miteinander zwischen Angehörigen und den Pflegekräften. Angehörige befinden sich oft in einer Ausnahmesituation. Nicht immer. Ein schlechtes Gewissen spielt eine Rolle. Die Situation hat sich zugespitzt zum Ende. Es ist einfach alles nicht mehr zu schaffen. Die Aufnahme muss klappen. Das heißt man steht ein bisschen unter Druck.
Da ist auch jedes Verständnis dafür da, dass vielleicht nicht alles offen kommuniziert wird. Nur es wird ja auch nach der Biografie gefragt und wenn ich ein ehrliches, ein professionelles Interesse an dem Lebensweg, an der Lebensleistung des Menschen habe, dann werbe ich auch dafür, dass dieses mein Interesse mit einer entsprechenden Ehrlichkeit auch belohnt wird.
Wenn es dann in den ersten Tagen schon dazu kommt, dass die Bewohnerin vielleicht ja kratzt oder mir eben das Getränk, was ich angereicht habe, entgegenspuckt. Dann auf Anfrage bei den Angehörigen, die mir sagen: „So kennen wir die Mutter ja gar nicht“. Dann war das nicht hilfreich. Ja, es wäre vielleicht schon gut gewesen zu wissen, dass die Mutter Wasser ohne Kohlensäure schlichtweg verabscheut.
Moderator:
Nicht unwichtig, ja.
Julia Ludwig-Hartmann:
Dieses was nervt einen Menschen? Was macht ihn unruhig? Was führt vielleicht auch zu einer Abwehrreaktion, also zu herausforderndem Verhalten? Das sind ganz sensible Themen und die empathisch, strukturiert, abzufragen, von mir aus auch mit der Checkliste, damit das nicht vergessen geht, das ist, glaube ich ganz wichtig.
Es muss ein gegenseitiges, offenes Gespräch geführt werden. Ehrlichkeit. Auf beiden Seiten. Auch eben vor dem Hintergrund, dass Angehörige manchmal die Sorge haben, wenn ich das sage, dann wollen die vielleicht die Mutter nicht aufnehmen.
Moderator:
Mich könnte man mit schwarzen Tee fuchsig machen. Ich weiß jetzt nicht, ob ich ihn ausspucken würde, aber ich weiß auch nicht, wie ich mit 86 Jahren dann später drauf bin.
Julia Ludwig-Hartmann:
Ja, siehst du.
Moderator:
Wie schützen Arbeitgebende ihre Mitarbeitenden bei all den Herausforderungen?
Julia Ludwig-Hartmann:
Erstmal durch Struktur und auch durch Befähigung, um es mal so zusammenzufassen. Du hattest auch schon angedeutet eine Checkliste. Eine Systematik ist schon gut. Wenn es um die Gesundheit und die Sicherheit der Pflegenden geht, dann haben wir ja das Instrument der Gefährdungsbeurteilung und die liegt in den Bereichen der Pflege vor. Diese Gefährdungsbeurteilung gibt mir Hinweise, auch Faktoren die ich abfragen sollte bei der oder für die Pflege des individuell neu aufzunehmenden Bewohners.
Ich bin ja immer eine Vertreterin davon zu sagen: „Leute, nehmt eure bestehenden Strukturen und Prozesse und pflegt da den Gedanken der Sicherheit, der Gesundheit mit ein“ und da habe ich ja in der Altenhilfe eine strukturierte Informationssammlung. Dieses und ich habe eine Pflegeplanung und da hinein bringe ich den Gedanken der Sicherheit und Gesundheit in Verbindung mit dem Expertenstandard. Der Arbeitgeber gibt ja Strukturen und Prozesse zur Umsetzung. Der strukturierten Informationssammlung in Verbindung mit dem Expertenstandard vor.
Jetzt gebe ich ein Beispiel. Es wird ja im Rahmen des Expertenstandards Förderung und Erhaltung der Mobilität genau ermittelt, bei welchen Aktivitäten muss dieser pflegebedürftige Mensch jetzt unterstützt werden. Zum Beispiel kann er sich nicht selber aus eigener Kraft zum Kopfende bewegen im Bett, oder er muss Hilfe haben, um sich aufzusetzen, im Bett oder aus dem Bett in den Rollstuhl. Das sind alles Tätigkeiten, da sprechen wir von sogenannten sicher gefährdenden Tätigkeiten. Sicher gefährdende Tätigkeit heißt, dass mit hoher Sicherheit hier eine Erkrankung des Rücken, des Muskel-Skelett-Systems zu erwarten ist, wenn Pflegekräfte konventionell arbeiten. Konventionell heißt, sie achten nicht auf ergonomische Arbeitsweise. Sie nehmen nicht die Hilfsmittel, die erforderlich sind. Sozusagen nach dem Ich-habe-keine-Zeit-Hauruckverfahren.
Die BGW hat in Forschungen festgestellt, was dazu führt oder wie man arbeiten muss und mit welchen Hilfsmitteln man arbeiten muss bei diesen sogenannten sicher gefährdenden Tätigkeiten, damit sie eben meine Gesundheit nicht schädigen. Da heißt es optimierte Arbeitsweise. Optimierte Arbeitsweise heißt, ich achte auf die Ressourcen des Bewohners. Ich nutze sie gezielt. Ich achte auf Ergonomie, auf rückengerechte Arbeitsweise und ich nutze, kleine Hilfsmittel, zum Beispiel Gleitmatte, Anti-Rutsch-Matte oder ich gebe der Bewohnerin ein Bettzügel an die Hand. Man kann sie sich vielleicht sogar ganz ohne Hilfe im Bett zum Kopfende nach oben bewegen.
Manchmal reichen auch kleine Hilfsmittel nicht aus, um die Druckbelastung auf die Lendenwirbelsäule ausreichend zu reduzieren. Dann brauche ich wiederum technische Hilfsmittel. Wenn ich das in der strukturierten Informationssammlung so schon erfasse und dann mit einer Checkliste arbeite, und zwar das sind die Tätigkeiten, das sind die Hilfsmittel, dann ist das ganz einfach, will ich mal sagen. Es stellt Verbindlichkeit her und noch schöner, die BGW hat sogar eine Vorlage dafür.
Moderator:
Davon bin ich fast ausgegangen.
Julia Ludwig-Hartmann:
Dann geht es ja weiter. Dann habe ich das also festgelegt und dann geht das in die Pflegeplanung. So und nicht anders. Verbindlich. Das heißt, der Bewohner weiß, egal wer zur Tür reinkommt, genauso werde ich jetzt angefasst. Ich habe keine Angst mehr, fallen gelassen zu werden und ich fühle mich in dem Lifter sicher. Damit fühlt sich der Bewohner gestärkt und das wiederum entlastet die Pflegekräfte.
Also diese Integration des Sicherheits- und Gesundheitsgedanken, der Mitarbeiterorientierung in die bewohnerorientierten Prozesse und Strukturen da wird für mich ein Schuh daraus. Das kannst du jetzt umlegen auf das Thema herausforderndes Verhalten, auf das Thema Infektionsgeschehen. Du kannst das fortsetzen. Du kannst das, was ich jetzt beispielhaft am Thema Bewegung von Menschen ausgeführt habe, auch fortsetzen und dann mache ich nichts doppelt.
Wenn ich diese Kombination der bewohnerorientierten Prozesse und Strukturen mit den mitarbeiterorientierten Überlegungen konsequent durch dekliniere, habe ich keine Doppelarbeit und eine hohe Wirksamkeit. Das ist meine Erfahrung, die ich gemacht habe.
Moderator:
Julia, hast du eine übergeordnete Empfehlung für alles. Die Überschrift, damit es für Pflegende eben auch gesundheitlich gut in die Zukunft weitergeht.
Julia Ludwig-Hartmann:
Der Stellenwert der Pflegekräfte auf die gleiche Ebene wie den Stellenwert der Bewohnerinnen und Bewohner. Also konsequente Gleichrangigkeit der Bewohner- und Mitarbeiterorientierung. Das heißt auch, dass ich mich selbst als Pflegekraft mit meiner Gesundheit würdigen und wertschätzen soll. Das steht genauso auch im Ethikkodex des International Councils of Nurses: Die Pflegekraft wertschätzt und würdigt ihre eigene Gesundheit. Das mache ich außerhalb der beruflichen Tätigkeit und innerhalb der beruflichen Tätigkeit.
Wenn ich allerdings sehe, wie liederlich manchmal Pflegekräfte mit ihrer eigenen Gesundheit umgehen. Also irgendetwas anderes als der gute Schuh, der gute Turnschuh in der Pflege, schädigt meine Gesundheit. Irgendetwas anderes als ein täglicher Hautschutz auf meine Hände ist ein unnötiges Risiko und dennoch ist das Alltag. Ich glaube, Pflegekräfte möchten manchmal weniger Vorgaben haben und fühlen sich manchmal durch Vorgaben im Arbeitsschutz durch den Arbeitgeber gegängelt.
Wenn man sich selber mal bewusst macht, was mache ich mit mir, wenn ich mich danach nicht richte? Dieses Selbstbewusstsein. Wir sind Fachkräfte. Wir sind wer. Man braucht uns und wir haben ein Standing und dieses Standing, diese Selbstachtung, diese Selbstwertschätzung sollte dazu führen, dass ich auch während der Arbeit immer sehr auf meine Gesundheit achte und nicht andere Gründe vorschieben.
Zum Beispiel das Thema Zeit. Für alles Zeit haben, nur nicht auf meine rückengerechte so Gesundheit zu achten. Niemand darf mir unterstellen, ich wüsste nicht wovon ich rede. Ich weiß genau, was in den Wohnbereichen abgeht. Ich weiß, wovon ich rede. Aber rückenrechtes Arbeiten, kultursensibles Arbeiten heißt, nicht mehr Zeit brauchen, sondern die gemeinsame Zeit gewinnt viel mehr dadurch.
Moderator:
Julia, vielen Dank für Deine Tipps.
Julia Ludwig-Hartmann:
Ich danke dir für das Interview. Ich bin richtig froh, dass ich so ein paar wirklich mir sehr wichtige Aspekte loswerden konnte.
Moderator:
Ein sehr wichtiges Thema und ihr findet noch mehr Infos dazu in den Show-Notes dieser Podcast-Folge. Klickt bei diesem Podcast gerne auch auf Abo und schreibt, wenn ihr mögt, wie euch die Folge gefallen hat.
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Jingle:
Herzschlag! Für ein gesundes Berufsleben, der BGW Podcast.
Interviewgäste
Ulrike Kempchen
Leiterin Recht beim BIVA-Pflegeschutzbund
Julia Ludwig-Hartmann
Diplom-Pflegewirtin, Dozentin, Beraterin, Coachin, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Case Managerin, Interkulturelle Trainerin, BGW-Beraterin
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