Widerstandskräfte entdecken mit Resilienz – Übungen für Alltag und Berufsleben #61 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
In jedem von uns stecken Widerstandskräfte, die dabei helfen, mit Stress-Situationen umzugehen. Wie lassen sie sich erkennen und anwenden? Und wie baut man die Kräfte aus?
In dieser Folge ist Resilienztrainerin Doris Venzke zu Gast. Sie gibt Tipps zur Stärkung der eigenen Resilienz und zeigt Übungen, die im Alltag und im Berufsleben hilfreich sind. Wie sich unser Moderator Ralf Podszus bei einer der Übungen schlägt, das erfahren wir in dieser Folge.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Block 01: Begrüßung und Einleitung
Moderator: Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, ich möchte mit Ihnen zu Beginn dieser Folge eine kleine Übung machen. Beantworten Sie bitte die folgenden Aussagen mit „eher ja“ oder „eher nein“. Und los geht’s: Ich nehme meine Gefühle wahr. Eher ja? Eher nein? In Krisenzeiten bewahre ich Ruhe und lasse mich von meinen Emotionen nicht wegschwemmen. Ich lasse mich nicht von täglichen Problemen auffressen. Und: Ich kann belastende Stimmungen gut ausbalancieren – eher ja, eher nein?
Das waren Aussagen über die emotionale Balance. Das, was sie mit „eher ja“ beantwortet haben, das zeigt Ressourcen und Widerstandskräfte, die sie bereits haben. Und das, was von Ihnen mit „eher nein“ beantwortet wurde, das sind Widerstandskräfte, die noch ausgebaut werden können. Der Schlüsselbegriff hierfür ist Resilienz.
Und genau darum soll es in der heutigen Podcast-Folge gehen. Die Übung, die ich gerade mit Ihnen gemacht habe, ist Teil eines Seminars von Doris Venske, und die ist heute mein Gast. Ich bin Ralf Podszus und ich freue mich auf diese Podcast-Folge.
(Podcast-Opener)
Block 02: Interview mit Doris Venzke
Moderator: Manchmal sind es kleine Situationen, die einen runterziehen: man verpasst die U-Bahn, hat das Mittagessen zu Hause vergessen oder die Ampel schaltet einfach nicht auf Grün – n dieses verdammte Ding. Aber auch eine Trennung, Jobverlust oder die Versorgung eines kranken Familienmitglieds – die können ganz schön fordernd sein. Was dabei helfen kann? Resilienz. Diplom-Sportökonomin und Resilienz-Trainerin Doris Venzke, die ist heute bei mir und die hat wertvolle Tipps, wie wir unsere Resilienz stärken können. Hallo, ich grüße Sie.
Doris Venzke: Ja, grüße Sie, Herr Podszus.
Moderator: Frau Venzke, beim Thema Resilienz gibt es dieses schöne Bild eines Stehaufmännchens. Erklären Sie das doch bitte mal anhand von Resilienz.
Doris Venzke: Ja, so wie Sie ja schon gesagt haben: Resilienz ist die psychische Widerstandsfähigkeit und heißt letztendlich, die Widerstandsfähigkeit gegenüber äußeren Einflüssen. Und dieses Stehaufmännchen-Bild ist dadurch entstanden, dass die Resilienz – der Begriff – ja entlehnt ist aus der Werkstoffkunde. Die Psychologen haben sich dort bedient. Und Resilienz bezeichnet letztendlich die Widerstandsfähigkeit von Stoffen gegenüber von äußeren Einflüssen. Ein gutes Beispiel ist da immer die Bambuspflanze.
Wenn Sie an einen Bambus denken und wenn es dann irgendwann mal wieder Schnee gibt, dann hat man das vielleicht auch schon mal gesehen, dass dieser Schnee den Bambus wirklich am Boden zerdrückt. Und sobald der Schnee wieder weg ist, richtet er sich wieder auf. Als ob nichts gewesen wäre. Und das ist auch so diese Idee des Stehaufmännchens. Bedeutet letztendlich: wenn wir Stress haben, wenn wir Krisen bewältigen dürfen – müssen –, wenn wir eventuell auch dramatische Erlebnisse haben, dann ist es so, dass wir idealerweise das irgendwie hinbekommen und auch aus diesen Krisen oder diesen schwierigen Situationen wachsen oder an diesen Situationen wachsen. Wir richten uns wieder auf und es gibt ja auch dieses schöne Bild "Hinfallen, aufstehen, schütteln, Krone richten und weiter geht's".
Moderator: Wir sollten alle ein bisschen mehr Bambus sein. Es gibt die sieben Säulen der Resilienz. Was hat es damit auf sich?
Doris Venzke: Ja, die sieben Säulen... also diese sieben Säulen sind entstanden aus Forschungsergebnissen von Emmy Werner, die eine Entwicklungs-Psychologin ist. Und sie hat in den 70er-Jahren Ergebnisse einer Längsschnittstudie veröffentlicht, wo sie mit Kindern geforscht hat, die letztendlich sehr viele Risikofaktoren hatten in ihrem Leben. Sei es schon bei der Geburt, sei schon aufgrund der sozialen Umgebungsvoraussetzungen, in denen sie aufgewachsen sind. Das ist nämlich auf den hawaiianischen Inseln gewesen.
Moderator: Meine Vorstellung von hawaiianischen Inseln ist eigentlich, da ist Resilienz pur angesagt, ja, wenn man da schon lebt.
Doris Venzke: Eigentlich schon, eigentlich schon, haben Sie natürlich recht.
Moderator: Und dann bricht der Vulkan aus.
Doris Venzke: Ja, das denken wir, aber gleichzeitig sind dort leider sehr ärmliche Verhältnisse und auch ganz, ganz viele große Risikofaktoren, sei es durch Drogenmissbrauch und Kriminalität und Sonstiges. Die Kinder, die damals dort angeschaut wurden, das Faszinierende war, dass ein Drittel sich sehr positiv in den Jahrzehnten entwickelt hat, und das war das, was sich die Forschungsgruppe angeschaut hat. Die haben dann festgestellt, dass es letztendlich sieben Faktoren waren – oder sieben Fähigkeiten – die diesen Menschen dann letztendlich eigen waren. Und diese sieben sind einmal eine optimistische Lebenshaltung, also ein optimistischer Blick in die Welt; es ist das Thema Akzeptanz; das Thema Lösungsorientierung; die Fähigkeit Verantwortung zu übernehmen und raus aus der Opferrolle zu gehen, Beziehungen zu gestalten und Zukunft zu planen. Und wenn man sich das mal anschaut, was verbirgt sich so dahinter?
Gerade beim Thema Akzeptanz haben wir häufig den Punkt, dass wir über Dinge hadern und an Dingen hadern und festhalten, die wir gar nicht verändern können. Und das bindet wahnsinnig viel Energie und Kraft und blockiert uns auch in einer Lösungssuche und auch in einer Lösungsfindung. Ich habe das ganz oft erlebt, gerade eben auch bei Pflegekräften in Pflege-Teams, die hauptsächlich oder ganz oft über Sachen jammern, die schon lange Zeit zurückliegen.
Und vor allem auch, sich an Dingen aufreiben, die sie nicht verändern können. Und das bindet ganz, ganz viel Kraft und hier wäre eine ganz, ganz wichtige Fähigkeit zu sagen: Hey, wir sind im Jetzt und das, was gestern passiert ist, oder das, was dort entschieden wurde, können wir nicht verändern. Wir können im Jetzt schauen, wie wir das Beste draus machen und wie wir unsere Zukunft am besten gestalten, also aktiv zu werden in der Handlung.
Erst wenn ich eben akzeptiere, kann ich auch in Lösungssuche gehen, weil dann wären auch meine Rezeptoren im Kopf erst wieder frei, kreativ zu werden, Lösungen zu suchen und eben zu gestalten. Also eher so diese handlungsleitenden Fragen: „Was geht?“. Auch so die Fragestellung „Wieso nicht?“. Statt zu sagen: „Ja, aber“. Also diese Kritiker und diese äußerst kritischen Stimmen, die oft vordergründig sind, vor allem auch bei Menschen, die vielleicht eher ein bisschen gerne das Negative sehen, da rauszukommen und zu sagen: „Okay, was kann ich denn aktiv tun?“
Und da wären wir auch schon wieder bei der Säule ‚Selbstverantwortung übernehmen‘, also Mut zu haben, aktiv Entscheidungen zu treffen und auch zu machen – mit dem Bewusstsein, eventuell auch mit den Konsequenzen leben zu müssen und dass die Konsequenzen vielleicht auch nicht immer ganz freudig sind, sondern eben auch mal unangenehm sein können und das dann eben auch auszuhalten und zu schauen, ob es vielleicht, wenn die Zeit voranschreitet, vielleicht genau die richtige Entscheidung war.
Moderator: Was mache ich dann aber, wenn ich aktiv nichts daran ändern kann, weil das halt äußere Umstände bestimmen. Zum Beispiel seit Jahren marodierende Schulen, keine Digitalisierung, die möglich ist oder auch politische Entscheidungen, die mich einfach echt annerven. Was geht dann? Weil, das habe ich ja nicht selbst in der Hand.
Doris Venzke: Genau, da sind wir genau bei diesem Punkt: Was kann ich selber beeinflussen und was nicht? Und dann die Entscheidung zu treffen, wenn ich Dinge habe, die ich nicht selber beeinflussen kann, zu schauen: Was brauch ich oder was kann ich tun, damit ich damit besser umgehen kann? Also mit diesem, was ich nicht verändern kann, sondern dass ich eben schauen kann: Was kann ich tun oder was würde mir noch helfen, um mit dieser Entscheidung mit diesen unangenehmen Rahmenbedingungen dennoch klarzukommen? Und das haben wir ja oft im betrieblichen Kontext auch.
Oft ist es so, da werden Entscheidungen getroffen, die gefallen mir nicht, weil die vielleicht auch meinen eigenen Interessen entgegenlaufen und nicht so sind, wie ich möchte. Oder mir vielleicht auch mehr Informationen fehlen, warum die Entscheidungen so getroffen wurden und dann auch eher zu denken, statt sich jetzt tagelang und monatelang darüber aufzuregen, welche schlechte Entscheidung da gefällt wurde und mich dadurch zu blockieren, eher hinzugehen und zu sagen „Ja, das ist jetzt blöd und das gefällt mir nicht und ich finde es nicht gut – ich hätte es gern anders. Ich kann's nicht ändern, ich kann jetzt nur gucken, wie mache ich jetzt das Beste draus?“.
Und das ist auch das, was Führungskräfte tun können mit ihren Mitarbeitenden, weil die Situationen haben wir ja öfters. Also eher die Energie ins Tun zu lenken: Was machen wir, wie können wir das für uns am besten gestalten, dass wir keinen Schaden nehmen?
Moderator: Inwiefern hängen Resilienz und Achtsamkeit zusammen?
Doris Venzke: Ja, also ich finde, Achtsamkeit ist die Basis von Resilienz, weil Achtsamkeit ja letztendlich bedeutet: eine bewusste Aufmerksamkeitslenkung auf das, was im Moment ist. Und um meine Handlungsmöglichkeiten und meine Handlungsfähigkeiten auch ausschöpfen zu können, ist es wichtig, dass ich im Kontakt mit mir selbst bin und dass ich ins Bewusstsein gehe und in eine Bewusstheit gehe. Und das finde ich, ist letztendlich ganz entscheidend auch für Resilienzfähigkeit und überhaupt für Resilienz, dass ich letztendlich aufmerksam mit mir selbst bin und mir bewusstmache, was gerade ist.
Moderator: Falls Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, noch mehr dazu erfahren möchten, dann kann ich Ihnen Folge #15 unseres Podcasts "Herzschlag" empfehlen. Dort haben wir über Resilienz, Selbstfürsorge und über die eigenen Akkus aufladen gesprochen. Hier ein kleiner Auszug aus der Folge:
Moderator: Jetzt haben wir schon viel über den guten Umgang mit uns selbst gehört - in der Theorie. Eins steht auf jeden Fall fest: Die längste Beziehung in unserem Leben, die führen wir mit uns selbst und deshalb sollten wir bei all dem Stress und der Fürsorge für andere nie unsere eigenen Bedürfnisse aus den Augen verlieren. Natürlich ist das jetzt leichter gesagt als getan. Was können wir also tun, wenn wir das Gefühl haben, wir geraten etwas in Schieflage? Frau Benfer-Breisacher?
Almut Benfer-Breisacher: Wenn ich fühle, dass ich in Schieflage geraten bin, sollte ich mich mal zuerst darüber freuen, dass ich überhaupt in der Lage bin, dieses Gefühl zu fühlen. Ich sollte es dann zulassen und in jedem Fall ernst nehmen. Da der Begriff Achtsamkeit im üblichen Sprachgebrauch verstärkt Einzug genommen hat, könnte man an dieser Stelle auch von einem achtsamen Umgang mit sich selbst sprechen.
Moderator: Manchmal sind bestimmte Resilienzfähigkeiten bereits Teil der Persönlichkeit und können deshalb direkt genutzt werden. Das konnten wir auch zu Beginn dieser Podcast-Folge bei der Einstiegsübung selbst erleben. Woran lassen sich diese Fähigkeiten erkennen, Doris Venzke?
Doris Venzke: Ja, ganz einfach: Also, wenn wir mal an diese Fähigkeit Optimismus denken, da kann jeder für sich selbst mal überlegen: Wie geht es mir denn, wenn ich eine Situation erlebe? Wenn ich etwas sehe, wenn ich etwas höre, sehe ich eher das Negative oder sehe ich die positive Seite? So ganz klassisch sind ja immer auch so Dinge wie: Wenn ich ein Glas sehe, das halb gefüllt ist – ist das für mich eher halb leer, oder ist es für mich halb voll? Und da sieht man schon so kleine Tendenzen. Oder auch, wenn ich in einer neuen Umgebung bin: Auf was richtet sich da mein Fokus?
Auf das, was vielleicht jetzt nicht optimal ist und nicht so schön? Oder auf die schönen Dinge, die da sind? Also immer wieder so dieses: Schau ich eher auf die Schattenseiten oder auf die Lichtseiten? Und bin ich auch eher so ein Mensch, der Schwarz oder Weiß sieht, oder gibt es für mich auch bunt? Und das wären so Hinweisgeber. Oder bei Beziehungen auch, es ist ja auch eine der Fähigkeiten, Beziehungen zu gestalten. Und nutze ich auch Beziehungen für gemeinsames gegenseitiges Unterstützen? Heißt letztendlich: Bin ich in der Lage, Hilfe anzunehmen? Gegebenenfalls auch mal Hilfe bewusst einzufordern? Bitte ich auch darum, oder fällt mir das besonders schwer, weil ich der Meinung bin, dass ich das alles allein bewältigen muss? Und da wären wir auch schon bei so einem Hinweisgeber: Wie oft benutze ich denn überhaupt dieses Wörtlein „ich muss“?
Also für mich ist es immer so, wenn es mir bewusst ist, also wenn ich in einer Verfassung bin, dass ich wirklich aufmerksam mit mir sein kann, also auch achtsam mit mir bin und ich merke in meinem Sprachgebrauch, dass ich ein „muss“ verwende, dann stell ich mir oft die Frage: Muss ich? Muss ich wirklich oder darf ich das tun? Kann ich das tun, was ja sehr wertvoll ist und das als Hinweisgeber zu nutzen, um mir selber so ein bisschen mehr auf die Spur zu kommen: Woher kommt es denn, dass ich gegebenenfalls in meinem Sprachgebrauch dieses muss benutze?
Fühle ich mich da wirklich fremdbestimmt? Weil muss ist ja immer so ein Zwang und auch häufig ein Indikator für Fremdbestimmung. Und wenn ich mir diese Fragen selbst stelle, dann ist das für mich immer sehr hilfreich, weil ich dann die Chance habe, wieder etwas über mich selbst zu erfahren, über mich selber zu lernen und eine bewusste Entscheidung zu treffen.
Muss ich? Wenn ich selbst das bejahe und sage: „Ja ok, das ist etwas, was ich muss“, dann noch die Entscheidung zu treffen: Ist dieses Müssen eine Konsequenz einer Entscheidung, die ich irgendwann mal getroffen habe? Um das vielleicht besser zu verstehen im Sinne von: Wenn ich jetzt sage, ich muss jetzt zum Arbeiten gehen und merke allerdings: Oh, ich habe heute irgendwie so gar keine Lust und deswegen kommt so dieses ... Oder ich bin besonders erschöpft, oder ich bin vielleicht auch ein bisschen angeschlagen, dann kann es durchaus sein, dass es mal so kommt als ein Muss.
Jetzt muss ich dahin gehen. Und mir dann bewusst zu machen: Ja klar, es ist ein Muss und vielleicht wird mir aber auch deutlich, dass dieses Muss heute auch daherkommt, weil da vielleicht noch eine ungeklärte Konfliktsituation ist, weshalb ich irgendwie gar keine Lust habe, dahinzugehen.
Und erst, wenn mir das bewusst wieder wird, dann kann ich auch aktiv handeln, weil dann wird mir wahrscheinlich auch klar: Okay, das ist der Grund, dass ich jetzt keine Lust mehr habe, dahinzugehen. Also muss ich das klären, damit ich wieder Spaß an meiner Arbeit habe.
Moderator: Ich darf jetzt die nächste Frage stellen – und das ist auch sehr wichtig – denn andere Fähigkeiten wiederum können noch weiter ausgebaut werden oder sogar neu entdeckt werden. Wie lassen sich diese Potenziale jetzt ausmachen?
Doris Venzke: Ja, ich finde, diese Potenziale lassen sich zum Beispiel auch mit einem anderen Indikator gut ausmachen, nämlich immer dann, wenn ich mich ärgere. Wir ärgern uns ja doch relativ oft - also, wenn ich mich selber mal so betrachte. Und dann ist so die Frage ...
Moderator: Wenn man ehrlich ist, schon irgendwie, ne. Also, das kann schon sein, man geht nur das Treppenhaus runter und man verlässt die Haustür und da kann schon der nächste Ärger drohen manchmal.
Doris Venzke: Man macht die Haustür auf und dann erwartet einen schon der nächste Ärger gegebenenfalls – ja, genau. Oder so, wie Sie ja auch am Anfang die Beispiele gebracht hatten, ne, im Auto oder ich habe irgendwas liegen lassen.
Moderator: Und man lernt ganz neue Ausdrücke, wenn man mit mir Auto fährt. Auf jeden Fall, ja.
Doris Venzke: Und ich finde – ja, das sind immer so die Indikatoren, um zu sagen: Ok, was triggert mich denn da jetzt gerade? Also, wieso ärgere ich mich? Weil Ärger ja letztendlich immer ein Ausdruck ist von unerfüllten Bedürfnissen. Also da ist etwas, was mir an sich wichtig ist, nicht erfüllt, nicht bedient. Oder jemand arbeitet gezielt gegen etwas, was mir sehr wichtig ist. Und da fangen wir dann an, sozusagen dagegen zu rebellieren. Und ich finde das ganz, ganz hilfreich, mir dann die Frage zu stellen und auf die Suche zu gehen – und das sind genau diese Potenziale: Zu schauen, was hat jetzt diesen Ärger verursacht und wieso ärgert mich das?
Es gibt auch im Stress-Management diesen schönen Satz: „Wer oder was mich ärgert, entscheide ich.“ Und das finde ich ganz, ganz hilfreich, weil jeder Ärger kostet mich immer sehr viel Energie. Und unsere Energie ist auch begrenzt, die uns zur Verfügung steht. Und es wird dauernd irgendwie Energie verbraucht und – wie vorher beschrieben in dem anderen Podcast – Energie-Akkus wieder aufzufüllen, müssen wir dauernd machen. Auffüllen. Es wird wieder Energie verbraucht und es kommt Energie dazu. Und genau da sehen wir diese Potenziale: Immer dann, wenn ich merke, da raubt mir etwas richtig Energie. Da gibt es Entwicklungspotential.
Moderator: Wie man halt auch mit Nahrungsaufnahme seinen Hunger letztendlich stillt, so muss man das auch eben mit der Psyche und mit dem Geist regelmäßig machen. Lassen Sie uns mal darüber sprechen, wie so ein Resilienztraining in der Praxis aussehen könnte. Also beispielsweise Streit mit einer wichtigen Person oder eine hohe Belastung durch eine hohe Anforderung im Job – das sind oft Stresssituationen. Beschreiben Sie bitte die Symptome von Stress.
Doris Venzke: Die Symptome von Stress kennen wir, glaube ich, alle. Wir haben im Prinzip vier Ebenen, wo wir Stress merken können. Das ist einmal natürlich unsere körperliche Ebene. Wenn ich jetzt mal dran denke, ich habe mich über irgendwas geärgert. Ich hatte einen Streit, da kann man oft so körperlich ... manche merken, dass ihre Atmung sich wahnsinnig beschleunigt. Manche bekommen den roten Kopf oder schwitzige Hände und ich merke, dass mein ganzer Hals-Nacken-Bereich angespannt ist.
Dann ist es manchmal auch begleitet mit sozusagen typischen Gedanken oder, ja, in meiner kognitiven Ebene, dass ich mir dann denke „Oh nee, nicht schon wieder“ oder „Immer ich, warum passiert mir das immer?“ Das sind so diese Gedankenschleifen, die es dann gerne auch gibt, woran man das erkennen kann. Häufig ist das Ganze dann auch begleitet mit typischen Gefühlen wie Ohnmacht, Trauer, also auch Traurigkeit, ja, manchmal bin ich auch einfach sauer und dann sind so klassische Symptome auch in meinem Verhalten zu beobachten. Also manche Menschen werden dann besonders laut in ihrer Sprache, manche werden allerdings auch sehr leise, manche werden eher aggressiv, manche ziehen sich zurück. Also das ist ganz unterschiedlich.
Und entsprechend dieser Symptome merke ich dann schon: Okay, also wenn ich wieder in meinem Bewusstsein bin – und da sind wir wieder in der persönlichen Achtsamkeit – wenn ich in den Kontakt mit mir komme, dann brauch ich erstmal so ein Stück weit Durchatmen, zu mir kommen, um dann wieder in der Lage zu sein, auf meine Handlungsoption zurückzugreifen. Das ist so das Schlüsselwort.
Moderator: Welche Resilienzübungen würden Sie für das Streitbeispiel mit der Partnerin oder dem Partner empfehlen? Ja, und wie lassen sich diese Übungen im Alltag umsetzen?
Doris Venzke: Ja, also in der Erregung selbst, das ist auf alle Fälle schon mal wichtig, kann ich im Moment für die Klärung nicht viel tun. Da bin ich gut beraten, wenn ich in der Lage bin, die Situation so weit zu beenden, dass ich sage, ok, dass sie nicht noch weiter eskaliert, sondern dass ich sage ok, ich glaube, ich brauche jetzt mal einen Moment Abstand und ich würde mich freuen, wenn wir das dann einfach nachher nochmal in Ruhe ansprechen können oder klären können. Weil das erste ist erstmal zu gucken, wie komm ich wieder in meine Kraft. In Kontakt mit mir selbst.
Da hat jeder für sich ganz unterschiedliche Formen, wie das für ihn am besten gelingt. Der eine schafft es schon, indem er ganz bewusst dreimal tief und ganz nachhaltig ein- und ausatmet. Jemand anderes sagt: „Och, ich brauch dann erstmal frische Luft, ich geh dann erstmal eine Runde um den Block, kombiniert mit Bewegung.“ Ein anderer sagt wieder: „Oh ja, da brauch ich erst mal eine Runde joggen oder irgendeine andere Form von Sport.“ Andere wiederum sagen: „Ach, ich brauche jetzt erstmal mein Lieblingslied und das möglichst laut, das entspannt mich, das holt mich runter, das bringt mich wieder mit mir in den Kontakt.“
Jemand anderes sagt vielleicht: „Okay, ich setz mich in die Ecke und lese am besten was und dann komme ich auch wieder zur Ruhe und dann kann ich reflektieren, dann kann ich noch mal analysieren, was war jetzt eigentlich in dem Gespräch wirklich los? Was war auch mein Anteil daran?“ Und auch die Fähigkeit, was auch eine Resilienzübung ist, wirklich zu schauen, in den Perspektivenwechsel zu gehen, zu schauen, was könnten denn die Bedürfnisse oder auch das Anliegen meines Gegenübers gewesen sein? Um wieder in eine Kooperationsbereitschaft für ein Gespräch mit dem anderen zu gehen und danach wieder aufeinander zuzugehen. Und zu schauen: Wie können wir zukünftig solche Situationen möglichst vermeiden?
Moderator: Aber das kann ja auch wieder Gefahren bergen. Ich bin zum Beispiel so ein Typ, der möchte das dann direkt klären Ja, und wenn das nicht geht, weil die andere Person ist jetzt in diesen Resilienzverfahren drinnen und muss erstmal abschalten, erstmal sich selbst finden für sich da sein, ein Buch lesen, um den Block laufen – in der Zeit würde ich das aber gerne klären, so nach dem Motto: „Jetzt warte mal kurz zwei Stunden und dann habe ich mich gefunden, dann kann ich darüber reden und dann können wir das klären“, würde mich total fuchsig machen. Was macht man denn dann? Denn die Menschen sind ja nun mal so unterschiedlich?
Doris Venzke: Ja, da sind wir wieder genau bei dem Punkt: Ihr Bedürfnis nach sofortiger Klärung kann in dem Moment nicht erfüllt werden und das ist natürlich für Sie dann wieder ein großer Stress. Und in dem Moment wäre genau der Punkt: Wie regulieren Sie selbst dann Ihren Stress? Und da ist eben dann auch der Punkt, was da ganz, ganz hilfreich ist, weil das ist ja dann für Sie ein Energiefresser, das ist etwas, was ein großer Verbraucher ist, was ihnen Energie raubt und da dann mal hinzugucken und zu sagen: „Okay, solche Situationen gibt es immer wieder und da ist es mal ganz hilfreich, sich generell Gedanken darüber zu machen, was sind denn die Dinge, die mir selber guttun?“ Also Dinge, die mir Kraft und Energie geben, also in diesem Akkubegriff, den wir vorher auch schon mal hatten. Was füllt denn meinen Akku auf?
Und wenn ich mir das überlege, ganz gezielt mal zu schauen, verschiedene Ebenen zu betrachten, und zwar einmal die körperliche Ebene zu betrachten, das heißt: Was tut in meinem Körper gut? Ist es Natur, ist es Bewegung, ist es Ruhe, ist es Nahrung, ist es Wellness? Also, das wären alles so Dinge, wo ich mir mal überlegen kann: Was sind so Sachen, die meinem Körper guttun? Genauso dann auch die nächste Ebene, wo man mal reflektieren kann und selbst für sich herausfinden kann, ist: Was tut mir denn im sozialen Bereich, auf meiner Gefühlsebene gut? Das sind so Dinge wie Umgang mit anderen. Verhältnis von Geben und Nehmen; Sachen wie auch Grenzen und da so bei Grenzen setzen, Grenzen wahren und auch gefestigte Grenzen, vielleicht auch mal wieder zu öffnen. Also, solche Dinge würden bei der Gefühlsebene, emotionalen Ebene zu betrachten sein.
Und dann gibt es noch die Verstandesebene, die mentale Ebene. Was tut mir da gut? Also, was brauchen meine grauen Zellen, damit es mir guttut und wo schöpfe ich da neue Kraft, was ernährt mich im kognitiven Bereich? Und die vierte Ebene ist noch so die Ebene: Was ist denn wirklich Balsam für meine Seele? Das sind so Dinge, welche Werte sind mir selber persönlich besonders wichtig? Mir darüber Gedanken zu machen und dann, genauso, wie ich gucke, was tut mir in diesen vier Ebenen gut, auch zu schauen: Was tut mir da nicht gut? Um letztendlich durch eine neu gewonnene Klarheit und eine neu gewonnene Bewusstheit in den Ebenen die Chance zu haben, entsprechend entgegenzuwirken und zu regulieren.
Heißt letztendlich: Wenn wir mal überlegen, wir hatten vorher dieses Beispiel, wenn ich unveränderbare Umgebungsfaktoren habe, wo ich persönlich keinen Einfluss nehmen kann, und die tun mir nicht gut, dann wären das ja für mich Energiefresser, also Dinge, die sozusagen meinen Akku leerräumen. Dann habe ich ja, wenn ich das nicht abstellen kann, habe ich eigentlich nur die Chance zu gucken: Wie kann ich meine Ressourcen auffüllen? Also was kann ich tun, damit ich sozusagen, wenn da so ein Verbraucher ist, immer wieder genug Nachschub bekomme? Das sind so diese – jetzt mal ganz plakativ gesagt – Ebenen, an denen ich ansetzen.
Moderator: Genug Feuerholz für den nächsten Streit bereitlegen auf jeden Fall – klingt eigentlich nachvollziehbar, ja.
Doris Venzke: Zum Beispiel. Oder einfach mal auch zu überlegen - wir werden immer wieder mal solche, sag ich mal, Streitereien, Konflikte haben, die nicht sofort klärbar sind. Manchmal gibt es ja auch Situationen, da merke ich zwar: Also irgendwas läuft hier jetzt verkehrt. Aber bis ich dann realisiert habe, was das wirklich genau war, ist die Chance vielleicht auch schon vergeben, das gleich zu klären. Und dann merke ich so: Puh, das frisst jetzt an mir, das nagt an mir und dann muss ich mir ja auch überlegen ok, habe ich noch eine Chance da nachzubessern oder in die Klärung zu gehen? Und wenn das eventuell auch nicht möglich ist, dann muss ich trotzdem schauen: Okay, da fehlt mir ja jetzt irgendwie Energie wie kann ich die denn jetzt auch wieder auffüllen?
Moderator: Auf jeden Fall drüber reden, das hilft meistens sehr. Gerade in den letzten drei Jahren hat sich der Berufsalltag von vielen von uns verändert. Fast täglich gibt es neue Herausforderungen im Job. Pflegefachkräfte oder auch Beschäftigte im pädagogischen Bereich werden täglich sehr stark gefordert. Wie können sie jetzt ihre Resilienz stärken?
Doris Venzke: Also auf alle Fälle durch genau finde ich diese Übung, das, was wir eigentlich gerade besprochen haben. Nämlich sich dieses bewusst zu machen: Was tut mir gut, was tut mir nicht gut? Und gerade in Teams, gerade auch in Pflege-Teams, auch das Team zu nutzen. Also es gibt eben diese beiden Ebenen: Wir können einmal individuell für uns agieren. Ich finde dieses Akkubild oder das Energiefass ein ganz zentrales. Immer wieder mal im Laufe des Tages innezuhalten und zu schauen, wo steh ich denn gerade? Wo stehe ich gerade und was brauche ich jetzt, um entweder gut weitermachen zu können oder um auf alle Fälle aufzufüllen?
Moderator: So wie halt mit dem Einkauf: Der Kühlschrank wird leerer, ich muss jetzt mal langsam nachlegen. Muss man sich das einfach auch so für seinen Geist verinnerlichen?
Doris Venzke: Genau! Und was ich da einen ganz wichtigen Aspekt finde, ist: Wirklich hinzugucken und zu sagen, im Lauf des – sag ich jetzt mal – verrückten Arbeitsalltages wird einem das oft nicht so gut gelingen. Da ist es ganz, ganz hilfreich, sich mit so Mini-Achtsamkeitsmomenten oder Momenten des Innehaltens immer mal wieder so eine kleine Auszeit zu geben. Das heißt, es kann sein, wenn ich die Treppen gehe, wenn ich mir meinen Kaffee hole, in der Pause, die ich kurz mache, dass ich ganz bewusst sage: Okay, den ersten Schluck, den nehme ich jetzt mal ganz bewusst. Oder den ersten Bissen, den ich nehme, den genieße ich jetzt mal vollumfänglich. Das dauert 15 Sekunden.
Wichtig ist eigentlich eher nicht die Dauer, sondern dieses innerliche Umschalten, diesen Fokus darauf zu richten und zu sagen: Ach, jetzt tue ich gerade was für mich und das alleine stärkt mich schon im Laufe des Tages. Und am Ende des Arbeitstages zum Beispiel hinzugehen und zu sagen: Okay, wo steh ich denn jetzt gerade? Vielleicht den Heimweg zu nutzen, auch wieder in sich zu gehen und zu gucken: Was brauche ich denn jetzt? Brauch ich jetzt soziale Kontakte, weil irgendwie war es heute den ganzen Tag so ruhig, ich hatte kaum Austausch mit anderen. Ich habe zwar die ganze Zeit gearbeitet, gemacht, getan, hatte aber wenig Austausch mit anderen. Dann wäre mir vielleicht danach, dass ich ein Gespräch möchte, dass ich mich vielleicht mit Freunden treffen möchte.
Wenn ich allerdings den ganzen Tag mit Menschen zu tun hatte und die ganze Zeit schon geredet habe, dann denke ich mir vielleicht: Oh Gott, nee, jetzt brauche ich vielleicht einfach mal ein Buch oder ich brauch jetzt einfach meine ruhige Ecke und nichts mehr hören und nichts mehr sehen. Und das ist genau das. Das kann jeder für sich individuell immer nur entscheiden und deswegen ist es so wertvoll, sich mal darüber Gedanken zu machen, was denn so die Sachen sind, die mir wirklich guttun. Und das dann auch selbstsicher zu vertreten und zu sagen: Nee, heute keine Freunde mehr. Und wenn mich jetzt meine Freundin anruft und sagt, aber babam vielleicht gar nicht erst ans Telefon zu gehen.
Moderator: Wichtige Tipps von Resilienztrainerin Doris Venzke. Ich bedanke mich bei Ihnen, vielen Dank für Ihre Ausführungen!
Doris Venzke: Gern geschehen, danke.
Block 03: Verabschiedung
Moderator: Abonnieren Sie gerne diesen Podcast, dann verpassen Sie auch keine Folge. Ich verabschiede mich jetzt und mache nochmal die Übung, die Frau Venzke mir gezeigt hat und baue so meine innere Stärke weiter auf. Bis zum nächsten Mal.
(Outro - Herzschlag. Für ein gesundes Berufsleben, der BGW Podcast)
Interviewgast
Doris Venzke
Diplom-Sport-Ökonomin und Resilienztrainerin (www.gesundheit-im-unternehmen.de)
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