Im Pflegeberuf älter werden: Das geht durchaus. Beschäftigte profitieren auch von ihrer Erfahrung und können gute Tipps an Einrichtungen oder Neulinge im Beruf geben. Mehr als ein Drittel der Pflegefachkräfte dürfte über 50 Jahre alt sein. In Zeiten des demografischen Wandels und Fachkräftemangels haben ihre Empfehlungen besonderes Gewicht.
Mit dem Älterwerden im Pflegeberuf beschäftigt sich die BGW seit vielen Jahren. Zuletzt fanden im Forschungsprojekt "Ein Leben lang in der Pflege" Interviews und Gruppendiskussionen mit Pflegefach- und Hilfskräften der Altersgruppe 50 plus statt. Pflegepädagogin und Pflegewissenschaftlerin Michaela Sorber berichtet: Wir haben 61 Personen zu ihren Erfahrungen befragt. Vor allem wollten wir wissen, was förderlich ist für ein langes und gesundes Berufsleben. Mittlerweile liegt ein umfassender Forschungsbericht vor.
Die Ergebnisse bestätigen vieles, was in anderen Studien aufgezeigt wurde. Die Aussagen der Pflegenden rücken aber auch zusätzliche Aspekte in den Fokus. Michaela Sorber erläutert: Die Arbeit im Team spielt offenbar eine sehr große Rolle. Außerdem überraschte uns der Stellenwert, den die Berufseinmündungsphase einnimmt. Es ist deshalb wichtig, das gesamte Berufsleben in den Blick zu nehmen – angefangen bei der Motivation, in der Pflege zu arbeiten, bis hin zur Gestaltung der eigenen beruflichen Entwicklung.
Michaela Sorber
Pflegepädagogin und Pflegewissenschaftlerin, BGW
Björn Teigelake
Referent für Gesundheitspädagogik, BGW
Das Besondere der BGW-Studie war, dass es um Ressourcen ging und weniger um Belastungen, die zu reduzieren sind. Björn Teigelake ist Referent für Gesundheitspädagogik bei der BGW und hat wie seine Kollegin einen Hintergrund in der praktischen Pflege. Er fasst die Fragestellung zusammen: Wie haben ältere Pflegende es geschafft, trotz der aktuellen Rahmenbedingungen so weit zu kommen? Was sind die positiven, gesundheitserhaltenden Aspekte, die dazu beitragen, dass Menschen gern in diesem Bereich arbeiten?
Trotzdem berichteten viele zunächst von den Herausforderungen, die ihre Arbeit prägen, wie Arbeitsverdichtung und Zeitdruck, bei gleichzeitiger Zunahme pflegefremder Tätigkeiten und hohen Erwartungen von Patientinnen und Patienten sowie Angehörigen. Allgemein wurde die – angesichts des Personalmangels – immer kurzfristigere Dienstplanung beklagt.
Das Älterwerden erleben die Pflegenden vielschichtig. Zum einen nimmt die körperliche und geistige Belastungsfähigkeit ab. Zum anderen ist das Alter aber auch eine Art „mentale Ressource“: Die im Berufsleben gemeisterten Herausforderungen helfen, veränderte Arbeitssituationen zu bewältigen. Kompetent zu sein, Berufserfahrung zu haben und sich damit auch ein Standing im Team und in der Einrichtung erworben zu haben, sind positive Erfahrungen, sagt Michaela Sorber.
Insgesamt neun Themenbereiche haben sie und Björn Teigelake herausgearbeitet, die den Grundstock für ein langes und gesundes Berufsleben legen können.
Baustein 1 (von 9): Über gute Rahmenbedingungen verfügen
Pflegekräfte wünschen sich vor allem gute Arbeitsbedingungen.
Was trägt dazu bei, dass Pflegende die Rahmenbedingungen positiv wahrnehmen? Eine Aussage lautete: Also ich finde, uns geht es hier gut. Wir haben einen zuverlässigen Dienstgeber. Wir kriegen ein regelmäßiges Einkommen. Wenn wir Not haben, dann können wir mit jemandem reden, sei es mit der Stationsleitung oder mit der Bereichsleitung oder halt mit der Pflegedienstleitung. Neben den genannten Punkten haben genügend Personal und ausreichend Zeit für die Versorgung der zu Pflegenden einen hohen Stellenwert für die Befragten. Eine Rolle spielen zudem organisatorische Aspekte: gute Strukturen, das Angebot an Fort- und Weiterbildungen sowie Mitgestaltungsmöglichkeiten in einem multiprofessionellen Team. Darüber hinaus fühlen sich Pflegende dort wohl, wo die räumlichen Bedingungen und die Ausstattung
Baustein 2 (von 9): Das Alter und die Erfahrungen nutzen können
Sicherheit, Ruhe und Gelassenheit helfen, richtige Prioritäten zu setzen und Stress zu vermeiden.
Mit der Berufs- und Lebenserfahrung kommen Fähigkeiten, von denen ältere Beschäftigte profitieren: Sie können leichter notwendige Prioritäten setzen und für andere, aber auch sich selbst sorgen. Sie können Entwicklungen über die akute Situation hinaus betrachten. Das gibt Sicherheit und erlaubt es ihnen, mit Ruhe und Gelassenheit die anstehenden Arbeiten und Herausforderungen anzugehen.
Baustein 3 (von 9): Berufsmotivation – Wege in den Beruf
Plege: Beruf mit Zukunft – abwechslungsreich, sinnstiftend, interessant.
Interessanterweise haben viele Pflegende auf die Frage danach, wie ein langes Berufsleben und das Älterwerden in der Pflege gelingen können, oft begonnen zu erzählen, wie und warum sie ursprünglich einmal den Beruf ergriffen haben, berichten Michaela Sorber und Björn Teigelake. Daraus werde deutlich, dass eine gute Auseinandersetzung mit dem Beruf der Pflege eine wichtige Voraussetzung und Ressource ist.
Eins ist sicher: Langweilig wird es nicht in der Pflege.
Ihren Beruf beschreiben die älteren Beschäftigten als sehr vielfältig und abwechslungsreich. Sie heben unter anderem die interessanten Arbeitsbereiche und den Austausch mit vielen verschiedenen Menschen hervor – ebenso wie das körperliche und geistige „In-Bewegung-Bleiben“: Du musst unheimlich viel mitdenken. Und das hält dich hier oben ganz schön in Bewegung und das finde ich total cool.
Baustein 5 (von 9): Sich (weiter)entwickeln können
Pflegekräfte möchten sich beruflich weiterentwickeln – entsprechende Angebote sind wichtig.
Für einen langen Berufsverbleib erscheint es wesentlich, die vorhandenen Entwicklungsmöglichkeiten zu nutzen und neue, für sich passende Arbeitsbereiche zu entdecken. Eine wichtige Ressource, um lange im Pflegeberuf tätig sein zu können, ist die Bereitschaft zur Veränderung. Es gilt, sich immer wieder zu hinterfragen, zu qualifizieren und zu spezialisieren.
Eine positive Grundeinstellung – auch Herausforderungen gegenüber – ist ein wichtiger Faktor für Gesundheit.
Auch persönliche Voraussetzungen tragen dazu bei, dass Pflegende den Anforderungen im Pflegeberuf auf lange Sicht positiv begegnen können. Hier wurde vieles benannt: beispielsweise die Offenheit Neuem gegenüber, eine positive Grundeinstellung und Idealismus, Unterstützung auch im privaten Umfeld sowie die Fähigkeit, strukturiert und organisiert zu arbeiten. Neben Empathie müsse man aber auch Grenzen aufzeigen können, sich nicht für alles verantwortlich sehen, gaben die Befragten an.
Baustein 7 (von 9): Wertschätzung und Anerkennung erfahren
Gelebte Wertschätzung: ein entscheidender Faktor für die Gewinnung und Bindung von Pflegepersonal
Ein in den Interviews zentrales Thema waren Wertschätzung und Anerkennung für die geleistete Arbeit. Dabei geht es zum einen um Feedback durch Arbeitgebende und Vorgesetzte sowie eine offene Kommunikation: Ist es möglich, bei Bedarf kurzfristig über Belastungen zu sprechen? Werden die Ziele der Einrichtung und die Wünsche der Mitarbeitenden thematisiert? Zum anderen ist Pflegenden eine Anerkennung ihrer fachlichen Expertise auch über Berufsgruppen hinweg und in der öffentlichen Wahrnehmung wichtig.
Baustein 8 (von 9): Fürsorge erfahren und selbstfürsorglich sein
Rechtzeitig aussteigen heißt, Verantwortung für die eigene Gesundheit zu übernehmen.
Viele ältere Beschäftigte mussten erst lernen, ein Gespür für die eigene Leistungsfähigkeit zu entwickeln, Verantwortung für sich und die eigene Gesundheit zu übernehmen. Es sei beispielsweise wichtig, Erlebnisse „nicht mit nach Hause“ zu nehmen, berichteten sie. Auch der Ausgleich durch Bewegung und Sport wurde immer wieder betont. Unterstützt werden die Pflegenden durch Leitungspersonen, die bereit sind, gemeinsam nach Lösungen zu suchen – seien es angepasste Dienstpläne oder Arbeitszeitverkürzungen, seien es Fort- und Weiterbildungsangebote.
Ein gutes Team unterstützt sich gegenseitig und sorgt für gute Laune bei der Arbeit.
Ich glaube, wenn man sein Team gefunden hat und weiß, die unterstützen mich und ich kann die unterstützen, dann wird man auch alt in der Pflege. Aussagen wie diese zeigen, dass die Arbeit im Team eine wichtige Ressource für ältere Beschäftigte sein kann. Sie motiviert und sorgt für Freude bei der Arbeit. Auch die generationsübergreifende Zusammenarbeit kommt gut an: Die Jungen haben eine Lockerheit und fragen: ‚Warum macht ihr das so?‘ Wir werden hinterfragt und wir Älteren können sagen: ‚Es hat sich einiges bewährt und aus der Erfahrung heraus weiß ich, das ist schon mal ganz schlecht gelaufen.‘ Ich glaube, da kann man sich gut austauschen.
Wie sich jetzt handeln lässt
Das Forschungsprojekt hat eine Reihe von Stellschrauben aufgezeigt, mit deren Hilfe Pflegeeinrichtungen die Voraussetzungen für ein langes Berufsleben schaffen können. Michaela Sorber fasst zusammen:
Rahmenbedingungen werden als ganz, ganz wichtig erachtet. Also so etwas wie die Dienstplanung, die Ausstattung mit Personal und mit Hilfsmitteln, die Entlastung von pflegefremden Tätigkeiten sowie Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten sind zentrale Aspekte.
Michaela Sorber
Pflegepädagogin und Pflegewissenschaftlerin, BGW
Darüber hinaus sehen die Pflegenden es als wichtig an, den Teamgeist, die Zusammenarbeit und die gegenseitige Unterstützung zu fördern und Stabilität in der Teamzusammensetzung herzustellen. Pflegende müssen aber auch mehr Wertschätzung erfahren, ergänzt Björn Teigelake mit Blick auf die Studienergebnisse. Ihre Person und ihre Expertise müssen ernst genommen werden. Das bedeutet insbesondere auch, sie in Entscheidungsprozesse einzubeziehen und zu informieren.
Zwei weitere Erkenntnisse legen die Pflege-Fachleute allen Beteiligten ans Herz. Eine lautet: jetzt anfangen, sich mit dem Thema Älterwerden in der Pflege zu beschäftigen. Pauschale Antworten sollten dabei vermieden werden, stattdessen gelte es, individuelle Unterstützungsbedarfe zu ermitteln.
Zum anderen betont Michaela Sorber, dass der Grundstein für ein langes Berufsleben schon ganz am Anfang gelegt wird: Es lohnt sich, junge Einsteigerinnen und Einsteiger in den Blick zu nehmen und ihnen die positiven, sinnstiftenden Seiten des Pflegeberufs aufzuzeigen. Sie müssen allerdings auch in die Lage versetzt werden, die eigene Gesundheitskompetenz zu entwickeln. Ältere Beschäftigte können hier wertvolle Tipps geben – zum Beispiel, dass es wichtig ist, den passenden Bereich für sich zu finden. Sich weiterzubilden. Unterstützung einzufordern und offen für Neues zu bleiben. Die Einarbeitung kann dabei schon entscheidend für den weiteren Berufsverlauf sein.