Sexuelle Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz – ein Problem im Gesundheits- und Sozialwesen? Ergebnisse der Befragung zum Erleben von sexueller Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz
Beschäftigte im Pflege- und Betreuungskontext sind gefährdet, sexuelle Belästigung ausgehend von Klientinnen und Klienten, Bewohnerinnen und Bewohnern oder Patienten und Patientinnen bei ihrer Arbeit zu erleiden (Schablon et al., 2012, 2018).
Aber welche Art sexueller Belästigung/Gewalt erleiden die Beschäftigten? Handelt es sich um nonverbale Belästigung, wie dem Zeigen anzüglicher Bilder oder Gesten, um verbale Äußerungen oder körperliche sexuelle Übergriffe? Wie stark ist sexuelle Belästigung/Gewalt gegen Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen verbreitet?
Bislang gab es keine wissenschaftliche Studie, welche unterschiedliche Arten sexueller Belästigung/Gewalt misst und speziell auf das Gesundheits- und Sozialwesen ausgerichtet ist. Dies erklärt auch die Unklarheit darüber, wie stark Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen von sexueller Belästigung/Gewalt bei der Arbeit betroffen sind.
Vor diesem Hintergrund wurde im Rahmen einer Kooperation mit einer Wissenschaftlerin der Universität Hamburg und der BGW ein Fragebogen zur Messung verschiedener Arten sexueller Belästigung/Gewalt gegen Beschäftigte im Gesundheits- und Sozialwesen entwickelt, erprobt und validiert:
Mit diesem Instrument wurden Beschäftigten aus Krankenhäusern, Rehabilitationskliniken, Einrichtungen der stationären und ambulanten Pflege sowie Werkstätten und Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderung befragt. An der Befragung nahmen 901 Beschäftigte aus 61 Einrichtungen teil. Die Fragestellungen und Ergebnisse der Studie lauten:
Wie häufig kommt sexuelle Belästigung/Gewalt vor?
Welcher Art sind die Übergriffe: nonverbal, verbal oder körperlich?
Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass alle Arten von sexueller Belästigung und Gewalt in den untersuchten Branchen vorkommen. Die Häufigkeit von nonverbaler, verbaler und körperlicher sexueller Belästigung und Gewalt bei der Arbeit war abhängig von der Branche. Neben der körperlichen sexuellen Belästigung und Gewalt sollte unbedingt auch nonverbale und verbale sexuelle Belästigung und Gewalt durch Klientinnen und Klienten, Bewohnerinnen und Bewohnern oder Patienten und Patientinnen in den Betrieben berücksichtigt werden.
Gibt es Zusammenhänge zwischen dem Erleben von sexueller Belästigung/Gewalt und dem Gesundheitszustand?
Ja, es zeigten sich in allen Branchen und für alle drei Formen der sexuellen Belästigung und Gewalt Zusammenhänge mit Befindensbeeinträchtigungen. Je häufiger die Betroffenen nonverbale, verbale bzw. körperliche sexuelle Belästigung und Gewalt bei der Arbeit erlebten, desto höhere Werte zeigten sie in psychischen Befindensbeeinträchtigungen (z.B. Depressivität und psychosomatische Beschwerden).
Welche Angebote existieren in den Einrichtungen und welche Hilfsangebote wünschen sich Beschäftigte?
Unternehmen sollten präventiv aus sexuelle Belästigung und Gewaltereignisse vorbereitet sein und entsprechende Vor- und Nachsorgekonzepte vorhalten.Studien zu allgemeiner Gewalt am Arbeitsplatz konnten zeigen, dass Beschäftigte sich weniger stark belastet fühlen, wenn der Betrieb Gewaltmanagementkonzepte etabliert hat (Schablon, 2018). Die Befragung zur sexuellen Belästigung und Gewalt am Arbeitsplatz ergab, dass rund einem Drittel der Befragten in der Pflegebranche, in der Behindertenhilfe sowie in psychiatrischen Krankenhäusern keine Maßnahmen bekannt waren. In den Allgemeinkrankenhäusern einschließlich der Rehakliniken waren der Hälfte der Beschäftigten keine Maßnahmen bekannt. In rund einem Drittel der Einrichtungen, wurde sich bereits mit dem Thema sexuelle Belästigung und Gewalt befasst und Maßnahmen getroffen. Beispielsweise verfügen diese Einrichtungen über die Existenz von Leitlinien zum Umgang mit sexueller Gewalt am Arbeitsplatz, Fallbesprechungen, Supervision oder Deeskalationstraining. Deutlich unterrepräsentiert ist das Aufgreifen von sexueller Belästigung und Gewalt in Unterweisungen als Maßnahme der Prävention sexueller Belästigung und Gewalt. Das Unterstützungsangebot der probatorischen Sitzungen (psychotherapeutische Sitzungen bei einem /einer TraumaspezialistIn) der BGW als Instrument der Nachsorge war weitgehend unbekannt. Informationen zu probatorischen Sitzungen finden Sie hier.
Nicht alle Gewaltvorfälle sind vermeidbar. Doch die Folgen lassen sich begrenzen, wenn im Ernstfall alle wissen, was zu tun ist. Die direkte Unterstützung nach einem Ereignis durch Kollegen und Kolleginnen, Vorgesetzte sowie Freunde und Familie hatte in allen Branchen einen hohen Stellenwert.
Die detaillierten Ergebnisse wurden branchenspezifisch in drei Berichten aufbereitet. Nachfolgend können Sie unsere Berichte für die Branche Krankenhäuser, ambulante und stationäre Pflege sowie Einrichtungen für Menschen mit Behinderung abrufen. Die wissenschaftliche Publikation dazu finden Sie in den Studienergebnissen im Anhang.