Führen Bewegung und Sport zu mehr Teilhabe und Vielfalt?
Sport sollte noch stärker als Mittel zur Teilhabe genutzt werden. Dafür wirbt der Sport- und Rehabilitationswissenschaftler Dr. Volker Anneken. Was konkret zu tun ist.
Dr. Volker Anneken ist Geschäftsführer des Forschungsinstituts für Inklusion durch Bewegung und Sport (FIBS) in Frechen. Das 2008 gegründete Institut ist an die Deutsche Sporthochschule angegliedert und befindet sich in Trägerschaft der Gold-Kraemer-Stiftung, der Sporthochschule Köln und der Lebenshilfe Nordrhein-Westfalen.
Anneken führt das Forschungsinstitut für Inklusion durch Bewegung und Sport in Frechen. Dort untersuchen er und sein Forschungsteam unter anderem Freizeitkultur und Mobilität in verschiedenen Umgebungen für Kinder, Jugendliche oder Erwachsene. Das kann die Förderschule oder auch der Arbeitsweg sein.
Immer geht es darum, Ideen für mehr Teilhabe , für noch mehr Mitbestimmung und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderungen zu entwickeln.
Herr Dr. Anneken, warum sind Sport und Bewegung so wichtig für die Inklusion von Menschen mit Behinderungen?
Zunächst betrifft das die Person selbst. Bewegung stärkt immer die individuellen Fähigkeiten. Das Schöne daran ist, jeder bemerkt die positiven Effekte relativ schnell an sich und geht infolgedessen meist auch alles andere viel positiver an. Gleichzeitig wird soziales Miteinander erlebt, und soziale Verankerung kann so besser gelingen.
Sport ist darüber hinaus ein „Mittel der Inklusion“. Er sorgt zum Beispiel für Begegnungen von Menschen mit und ohne Behinderungen und kann dadurch auch zu einer positiven Haltung gegenüber behinderten Menschen führen.
Welche Rolle spielen Sportverbände, Clubs und Vereine? Und was können sie aktiv zur Inklusion beitragen?
Auf der lokalen Ebene funktioniert vieles schon recht gut. Menschen mit Behinderungen können natürlich in vielen Vereinen und Clubs einfach kommen und mitmachen. Trainer und Trainerinnen sind oft dazu bereit sie auch ohne große Vorerfahrung zu trainieren. Diese ist auch gar nicht nötig. Zunächst kommt es darauf an, ein guter Trainer sein, ob es nun um Teilnehmerinnen und Teilnehmer mit oder ohne Behinderung geht.
Wenn auch die Vorstandsebene im Verein diese selbstverständliche Teilhabe mitträgt, ist der Rahmen für eine gelungene Teilhabe am Sportverein schon gegeben. Aber all das könnte natürlich noch viel stärker und schneller entwickelt und gefördert werden. Der Deutsche Olympische Sportbund und viele seiner Mitgliedsverbände sind hier bereits auf einem guten und intensiven Weg. Sie sind in regem Austausch, und Best Practice Beispiele machen Schule.
Alles was eine Person mit Beeinträchtigungen an Sport machen möchte, lässt sich auch realisieren. Diese Erkenntnis setzt sich immer mehr durch. Oder hätten Sie gedacht, dass Blinde Tennis spielen?
Auf dem BGW forum 2017 zum Gesundheitsschutz in der Behindertenhilfe wird es gleich mehrere Kletterworkshops geben. Was spricht gerade für diese Sportart?
Warum sollte man nicht auch die Möglichkeiten des Kletterns nutzen, um Menschen mit Behinderungen weiter in die Gesellschaft einzubinden? Klettern ist ein Sport, der Raum schafft für eine Begegnung auf Augenhöhe. Beide Partner wollen nach oben und der eine muss den anderen richtig sichern. Das Erreichen des gemeinsamen Ziels ist dann ein Prozess, bei dem es darauf ankommt erst mal zu lernen und zu unterstützen.
Es geht darum herauszufinden, wie man den gemeinsamen Weg zusammen gestalten kann – individuell, je nach Fähigkeit. Das gegenseitige Sichern schafft Vertrauen und bedeutet gleichermaßen Verantwortung zu übernehmen. Augenhöhe und Vertrauen sind dabei ganz wichtige Aspekte auf dem Weg zur Inklusion. Außerdem ist Klettern ein Sport, der den gesamten Körper fit hält!
Welche Rolle spielt der Präventionsgedanke beim Behindertensport?
Der positive Einfluss, den Bewegung und Sport auf den Körper und auf kognitive Prozesse haben, zeigt sich natürlich auch und gerade bei Menschen mit Beeinträchtigungen. Wichtig ist mir dabei, dass dieser präventive Ansatz noch viel mehr in den Blick genommen wird!
Einer Ihrer Schwerpunkte am FIBS ist das Thema Mobilität. Worum geht es da?
Mobilität ist der Schlüssel zur Teilhabe ! Hierzu forschen wir seit Jahren und nehmen verschiedene Zielgruppen in den Blick. Aktuell beschäftigt sich ein großes Projekt mit der Mobilität von Menschen mit geistiger Behinderung in betreuten Wohnformen. Untersucht wird unter anderem, wie sich bewegungsbezogene Angebote auf den sozialen Aktionsradius auswirken.
Auch die Mobilität im Rollstuhl lässt sich oft noch steigern. Wie funktioniert das?
Es gibt dazu seit zehn Jahren Forschung, die von der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung ( DGUV ) gefördert wird. Dabei geht es immer auch um die Frage, wie wirkt sich eine gute Rollstuhlmobilität auf die Teilhabe im Alltag oder auf die Lebensqualität aus, zum Beispiel bei Menschen mit Querschnittslähmung?
Eines unserer aktuellen Projekte mit der DGUV Forschungsförderung und dem Deutschen Rollstuhl Sportverband ( DRS ) befasst sich mit der Implementierung und Evaluation von standardisierten Mobilitätstrainingskursen für Menschen, die im Alltag überwiegend auf den Rollstuhl angewiesen sind. Durch Übungen lernen sie, ihren Aktionsradius zu erweitern.
Die Kurse unter Einbindung von Peers werden ergänzt durch web- und peerbasierte Trainings- und Übungsinhalte, die selbstständig durchgeführt werden können. Deren Effektivität werden wir untersuchen.
Sie haben auch mit der BGW bereits einige Projekte gemeinsam realisiert.
Kompetent mobil
ist so ein gemeinsames, sehr anwendungsorientiertes Projekt unter Beteiligung verschiedener Partner gewesen, das wir wissenschaftlich begleitet haben. Gefördert und unterstützt wurde es vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales und der BGW . Im Mittelpunkt stand die Frage: „Wie können Menschen mit Behinderungen befähigt werden im Alltag und im Berufsleben mobiler zu werden?
Gleichzeitig sollten pädagogische Instrumente zur Förderung der Mobilitätskompetenz von schwerbehinderten Menschen im Setting Werkstatt und Berufsförderungswerk entwickelt werden. Die Lerneinheiten orientierten sich an ganz konkreten Situationen wie „Weg zur Arbeit“ oder „Bewegung am Arbeitsplatz“. Auf Basis der Theorie werden dann Schulungssysteme und modulare Ausbildungssysteme entwickelt, beispielsweise für den Berufseinstieg in den ersten Arbeitsmarkt.
Wie funktioniert gemeinsamer Sport von Menschen mit und ohne Behinderungen? Worauf kommt es an?
Zuerst einmal auf ein passendes Angebot, das gut erreichbar und zugänglich ist. Dann auf einen guten Übungsleiter oder Trainer. Schließlich, und das ist ganz wichtig, auf den positiven Willen aller Beteiligten. Wir brauchen eine „Willkommenskultur“ im Sport, noch mehr inklusive Trainerinnen und Trainer und Angebote für einzelne Personen und für Gruppen.
Gerade erst haben wir das Projekt „Inklusiv aktiv – gemeinsam im Sport“ abgeschlossen, bei dem es sich um Erfolgsfaktoren für inklusiven Sport in Schulen und Vereinen handelt. Die Studienergebnisse zeigen, wie Kinder und Jugendliche mit Behinderungen zum Sport und inklusiven Sport stehen und welche Sportmöglichkeiten sie sich konkret für ihre Freizeit wünschen. Erstmalig kommen in der Studie Kinder und Jugendliche mit Behinderungen mit ihren individuellen Ideen und Bedürfnissen zu Wort.
Förderschulen, allgemeine Schulen und Partner wie beispielsweise Sportvereine sollen sich stärker vernetzen und neue inklusive Angebote zu Bewegung, Spiel und Sport schaffen. Das wollen die Kinder. Und sie wollen eigentlich die gleichen Sportarten machen, wie alle anderen Kinder auch.
Was würden Sie sich von Sportverbänden und von der Politik wünschen, damit die Inklusion noch stärker gefördert wird?
Noch mehr Informationsfluss durch noch bessere Vernetzung der Organisationen im Sport, der Selbsthilfe und der Eingliederungshilfe. Es sollte gewährleistet sein, dass alle, die Infos brauchen, diese auch ohne großen Aufwand bekommen.
Außerdem sollten die Wünsche der Sportlerinnen und Sportler noch viel stärker im Vordergrund stehen. Etliche Sportarten lassen sich deren Bedürfnissen entsprechend anpassen. Die Anbindung an die Vereine ist aktiv zu fördern und Menschen mit Behinderungen sollten noch viel öfter und maßgeblicher in Entscheidungsprozesse in der Vereinslandschaft im Sinne einer echten Partizipation einbezogen werden.
Als verlässliche Ansprechpersonen, Ideengeberinnen und Organisatoren könnten sogenannte Sportlotsinnen wertvolle Hilfestellungen leisten. Und für die Menschen, für die Teilhabe am Sport nur durch eine Assistenz möglich ist, muss diese auch problemlos zugänglich sein.