Was macht Unternehmen stark? – Gut strukturierter Arbeitsschutz und eine lebendige Präventionskultur #58 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Im Alltag von kleinen wie großen Betrieben gibt es viele Herausforderungen. Wie aber bekommt man sie in den Griff? Zentrale Elemente können hier der Arbeitsschutz und die Präventionskultur sein.
Was ein starkes Unternehmen auszeichnet und wie Führungskräfte aber auch Mitarbeitende ihren Beitrag dazu leisten können, das erfahren wir in dieser Folge.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Block 01: Einleitung und Begrüßung
Moderator: Eine Uhr funktioniert nur dann, wenn alle Zahnräder perfekt ineinandergreifen. Genauso ist das auch bei Unternehmen, egal ob klein oder groß. Wenn es auch nur an einer Stelle hakt, dann läuft der Betrieb nicht mehr rund und damit sind wir auch schon beim Thema der heutigen Folge und der Frage: Was macht Unternehmen stark? Eine Frage, mit der sich auch die BGW intensiv auseinandersetzt und passend dazu sogar eine Initiative ins Leben gerufen hat. Ich bin Ralf Podzsus und ich freue mich schon auf meine beiden heutigen Gäste. Sie werden uns aus eigener Erfahrung berichten und erklären, was für sie als Geschäftsführer oder Geschäftsführerin ein starkes Unternehmen ausmacht.
(Podcast-Opener)
Block 02: Interview mit Nicole Schliz (Resilienz- und Business Coach beim Pflegedienst Intermed) und Mirco Glaser (Inhaber einer Physiotherapiepraxis in Hilden)
Moderator: Jedes Unternehmen hat mit Herausforderungen zu kämpfen, der Fachkräftemangel, die Digitalisierung, knappe Ressourcen, um nur ein paar Beispiele zu nennen. Betriebe, die gut aufgestellt sind, können damit natürlich besser umgehen als andere Betriebe, bei denen es hier hapert. Ich freue mich jetzt auf Nicole Schliz, Resilienz und Business-Coachin, Botschafterin der positiven Psychologie sowie Geschäftsführerin beim Pflegedienst Intermed. Und Mirko Glaser, Inhaber einer Physiotherapiepraxis in Hilden. Hallo zusammen.
Mirco Glaser: Hallo.
Nicole Schliz: Ja, hallo.
Moderator: Frau Schliz, Botschafterin der positiven Psychologie. Das ist ja ein wunderbarer Titel. Was steckt dahinter?
Nicole Schliz: Ja, das ist natürlich eine gute Frage und ich glaube, das wissen viele auch tatsächlich nicht. Die positive Psychologie befasst sich eigentlich damit, was uns Menschen wachsen lässt. Ja, was uns hilft, unser Potenzial zu entfalten, wohingegen ja so diese klinische Psychologie, die wir ja aus den Anfängen vielleicht von Freud kennen, sich sehr, sehr stark mit den Defiziten des Menschen und seiner Psyche beschäftigt hat. Ja, und wenn wir jetzt schauen, wo steht der Mensch und was braucht der Mensch, um in dieses Wachstum, um dieses potenzialentfaltende zu kommen?
Genau da setzt die positive Psychologie an. Und natürlich auch zu schauen, was kann ich gut? Wo sind meine Stärken? Weniger eben Defizite auszugleichen, auch die Forschung des Glücks befindet sich darin und die Zufriedenheitsforschung, also im Grunde alles das, was ein gelingendes Leben ausmacht und nach dem streben wir ja alle schlussendlich.
Moderator: Und auch mein anderer Gesprächspartner Mirco, der strahlt sehr viel positive Energie aus. Insofern freue ich mich auf die Podcast-Folge mit uns zusammen. Wir haben im Vorgespräch schon geklärt, wir werden uns duzen, dann bleiben wir auch dabei, Nicole und Mirco, noch mal hallo.
Mirco Glaser: Hallo.
Nicole Schliz: Ja, hallo noch mal. Ich freue mich, hier sein zu dürfen.
Moderator: Was brauchen Unternehmen, um auch großen Herausforderungen standhalten zu können? Was macht Unternehmen stark?
Nicole Schliz: Ja, also ich würde da von meiner Seite aus wirklich gleich sagen wollen, das ist eine ganz, ganz große Portion innere Widerstandsfähigkeit. Heute kennen wir das Ganze auch unter dem Begriff der Resilienz, das ist ja ganz stark bekannt geworden durch die Corona-Krise eben auch. Und ich glaube auch, dass wir ganz, ganz starke Flexibilität brauchen in den Unternehmen, eine Form von Kreativität, die Fähigkeit sich auf Veränderungen einzulassen. Und ich glaube, dass das eben sehr, sehr wichtige Voraussetzungen sind, die die Unternehmen stark machen.
Mirco Glaser: Ja, die Nicole hat gerade schon die Corona-Krise erwähnt. Und ich denke, gerade auch in dieser Zeit hat man sehen können, welche Unternehmen gut aufgestellt sind und welche nicht. Ich denke, dass eine gute Organisationsstruktur und vor allem flache Hierarchien hilfreich sind, um da in einem guten Austausch zwischen Beschäftigten und Unternehmerinnen und Unternehmern zu sein, denn man muss reaktionsfähig sein, schnell reagieren können und anpassungsfähig sein.
Moderator: Welche Rolle spielen dabei die Mitarbeitenden?
Mirco Glaser: Also eine ganz große Rolle, ich denke, die größte Rolle eigentlich überhaupt, denn wir brauchen Beschäftigte, die sich dem Unternehmen verbunden fühlen, die gerne zur Arbeit kommen, die ihre Tätigkeiten gerne ausführen. Die sind auch bereit, auch mal größere Herausforderungen anzunehmen.
Moderator: Wie sieht es mit den Führungskräften aus?
Nicole Schliz: Also die Führungskräfte, die sehe ich hier wirklich als Leuchtturm und vielleicht auch so als verlässlichen Anker für die Mitarbeiter. Ja, weil es ist ja so, dass sich die Mitarbeiter an den Führungskräften orientieren. Das ist wie Kinder sich an ihren Eltern orientieren, so auch als Wegbereiter. Und ich bin auch echt überzeugt davon, dass Teams sich sehr, sehr authentische Führungskräfte wünschen, verlässliche Führungskräfte, die natürlich ihre Führungstools oder Strategien haben, die aber auch sehr, sehr menschlich agieren und im Grunde auch fehlbar sind.
Und ich kann das aus meiner eigenen Führungserfahrung sagen, es geht nicht darum, ich führe, du folgst. Also wenn man den Begriff Führung mal hernimmt, das ist für mich ein ganz, ganz sperriges Wort eigentlich, sondern es geht darum, gemeinsam Herausforderungen zu meistern und sich in diesen herausfordernden Zeiten eben auch regelmäßig positives oder überhaupt Feedback zu geben, wo steht eigentlich jeder einzelne gerade, um dann auch wieder aneinander wachsen zu können und sich gemeinsam ausrichten zu können. Auch zu schauen, was brauchen wir gerade, um gut durch eine Krise durchzugehen?
Und wenn das sowohl, ich glaube im Zusammenspiel durch die Mitarbeiter hin zu den Führungskräften und zurück in eine gute Resonanz kommt, dann entsteht bei beiden auch eine Form von Leichtigkeit und auch Spaß, trotz manchmal herausfordernden Zeiten. Ja, und dann fühlt sich auch Führung leichter an, weil ich glaube, Führung muss sich nicht schwer anfühlen, das darf durchaus angenehm sein.
Moderator: Wie wichtig die Themen Gesundheit und Sicherheit für Unternehmen sind, darüber berichten wir ja oft hier im Podcast, hören Sie gerne mal in den vergangenen Folgen rein. Was können Führungskräfte tun, um ihren Mitarbeitenden ein sicheres und gesundes Arbeitsumfeld zu bieten?
Nicole Schliz: Also ich würde sagen, an erster Stelle steht hier ganz klar, dass die Führungskraft sich erstmal um sich selber kümmert. Ja, dass sie bei sich ankommt wie man so schön sagt, dass sie auch selber annimmt erstmal und nicht in dieses ständig professionelle-, was macht eine professionelle Führungskraft aus? Sondern einfach mal zu sagen: Hey, ich bin hier auch Mensch, um dann mir auch zu erlauben, in eine positive, in eine physische und psychische Ausgewogenheit zu kommen und in eine gute Mitte.
Ja, und erst dann, wenn mir das als Führungskraft gelingt, dann bin ich authentisch und dann kann ich das auch an meine Mitarbeiter weitergeben. Ja, und auch, dass sich die Führungskräfte für die Mitarbeiter interessieren, wirkliches Interesse dran haben, auch merken, wenn jemand Hilfe braucht oder Unterstützung, in welcher Form auch immer. Das heißt ja nicht, dass ich als Führungskraft die Probleme meines Mitarbeiters lösen muss, das kann ich gar nicht. Ja, aber ich kann zumindest einen Raum dafür bieten, dass der Mitarbeiter hier Unterstützung erfährt. Ich glaube, das ist ganz, ganz wichtig.
Moderator: Wie wirkt sich eine gute Arbeitsschutzorganisation auf die unterschiedlichen Bereiche im Unternehmen aus, zum Beispiel auf das Betriebsklima, die Fehlerkultur im Unternehmen oder auch die Kommunikation?
Mirco Glaser: Ja, also der Arbeits- und Gesundheitsschutz wird immer als Führungsaufgabe beschrieben, aber tatsächlich halte ich es für das Beste, wenn der Arbeitsschutz von allen ausgearbeitet wird und dafür müssen halt auch in Betrieben Freiräume geschaffen werden. Also der Arbeits- und Gesundheitsschutz sollte, denke ich, immer auch auf der Tagesordnung stehen bei Teambesprechungen, weil nur so können alle Wünsche, auch die der Beschäftigten im Unternehmen, auch berücksichtigt werden. Denn ist es ja häufig so, dass die Führungsebene der Unternehmer, die Unternehmerin ja gar nicht in allen Bereichen des Unternehmens tätig sein kann und da sind die Unternehmerinnen und Unternehmer halt auch angewiesen, dass sie Rückmeldungen aus allen Betriebsbereichen bekommen. Der Arbeits- und Gesundheitsschutz wird auch viel mehr getragen und akzeptiert, wenn er auch gemeinsam erarbeitet worden ist.
Nicole Schliz: Ja, also ich würde das sehr gerne noch mal ergänzen wollen, was Mirco gerade gesagt hat. Ich glaube es geht auch darum, dass dann, wenn es genauso passiert, wie Mirco es skizziert, dass da nicht funktionierende Teams da sind, sondern dass wir lebendige Teams haben, dass die Teams sich als Teil des Arbeitsschutzes sehen. Ja, wir können als Führende nicht irgendwas darüberstülpen und sagen: Jetzt macht mal! Ja, sondern die Mitarbeiter müssen auch überzeugt davon sein, dass das Verhalten ihrerseits zu einem guten Arbeitsschutz beiträgt. Und wenn man auch noch mal so aufgreift die Fehlerkultur, die du ja auch angesprochen hast.
Ich glaube, dass es ganz notwendig ist, dass die Fehler, die ja gemacht werden, wir sind ja Mensch und das ist auch gut so, dass die dafür hergenommen werden zu schauen, wie kam es denn dazu? Ja, und vielleicht auch zu gucken, was braucht es denn an neuem Verhalten, wie können wir uns neu ausrichten, um vielleicht diesen gemachten Fehler künftig tatsächlich zu vermeiden? Und das wiederrum geht aber nur, wenn wir eine Kultur und eine Arbeitsschutzorganisation haben, die auch vertrauensvoll miteinander umgeht, wenn wir das auch tun dürfen.
Mirco Glaser: Ja, ich erlebe das auch ganz häufig in der Praxis, dass Unternehmerinnen und Unternehmen sich zu sehr auch an Gesetzen, Normen und Regeln orientieren und zu sehr darauf orientiert sind und den Menschen eigentlich mit seinen Bedürfnissen und Wünschen zu wenig im Mittelpunkt sehen, denn was bringt es mir, wenn ich gewisse Normen einhalte, aber die Beschäftigten sich einfach nicht wohlfühlen am Arbeitsplatz und darüber natürlich auch krank werden können?
Moderator: Wir sind in Deutschland ja in so einer typischen Normenkultur von damals geprägt und da muss man sich einfach mal ein bisschen locker machen für die neue Zeit, die auch neue Herausforderungen und auch neue Bedürfnisse mit sich bringt.
Nicole Schliz: Ja, ich finde das ist ein gutes Wort, ja, sich locker machen. Und genau darum geht es, es muss machbar sein, es muss lebendig sein, jeder einzelne im Unternehmen muss Bock draufhaben, wirklich hier auch einen Raum zu bieten, ja, wo man sich wohlfühlen kann. Wir verbringen ja sehr viel Zeit unseres Tages an unserem Arbeitsplatz und ich finde, dann ist es auch ein Anspruch, den wir alle versuchen dürfen gerecht werden zu dürfen, dass es uns gut geht am Arbeitsplatz. Jeder einzelne trägt auch wieder dazu bei.
Mirco Glaser: Es hat sich ja in unserer Gesellschaft einiges verändert in den letzten Jahren. Es ist ja so, dass man überall hört, Work-Life-Balance und der Anspruch an den Arbeitsplatz ist ein ganz anderer geworden, den Beschäftigte heute haben. Daher liegt da auch eine Chance bei vielen Unternehmerinnen und Unternehmern, die das im Blick haben und den Beschäftigten das auch in diesem Fachkräftemangel, den wir ja in allen Branchen haben, das auch bieten können dann.
Moderator: Wenn man als Chef immer noch von oben runter dirigiert und mit strenger Hand seine Mitarbeiter führt, dann klappt es wahrscheinlich nicht mehr so gut in Bälde. Mirco, du bist nicht nur Inhaber einer Physiotherapiepraxis, sondern gleichzeitig auch Fachkraft für Arbeitssicherheit. Und dabei bekommst du auch Einblicke in andere Betriebe. Welchen Stellenwert haben dort Arbeits- und Gesundheitsschutz?
Mirco Glaser: Leider einen viel zu geringen. Ich erlebe das immer wieder, dass es nicht mal eine Gefährdungsbeurteilung in Unternehmen gibt und dabei ist die Gefährdungsbeurteilung gesetzlich gefordert nach dem Arbeitsschutzgesetz und die Gefährdungsbeurteilung ist Grundlage allem im Arbeitsschutz, daraus lässt sich ganz viel ableiten, daraus werden Betriebsanweisungen entwickelt, Unterweisungen entwickelt und wenn es keine Gefährdungsbeurteilung gibt dann ist es schon sehr mau.
Moderator: Du kommst also in so einen Betrieb und dann guckst du erstmal, na, wie lange ist hier denn noch der Feuerlöscher gültig? Oh, vier Jahre abgelaufen, na, dann weiß ich ja schon, wo ich hier bin. Wenn Sie, liebe Hörerinnen und Hörer, mehr zum Thema Arbeitsschutz erfahren wollen, ja, dann hören Sie gerne noch mal in die Folge 46 rein. Arbeitsschutz organisieren, alles gut geregelt? Hier erklären wir, warum Arbeitsschutz Führungsaufgabe ist und was es mit dem BGW-Orgacheck auf sich hat.
(Musik)
Moderator: Vorbeugen ist wichtig und darum reden wir jetzt darüber. Was hat es mit der Präventionskultur auf sich und warum ist das für Unternehmen so entscheidend?
Nicole Schliz: Also ich würde in meinen eigenen Worten sagen wollen, dass die Präventionskultur, du hast es ja gerade gesagt, vorbeugende Kultur, dass es ein Teil der Unternehmenskultur ist, vielleicht eine Säule der Unternehmenskultur. Und für mich geht es hierbei darum, ganz stark zu schauen, welchen Stellenwert hat eigentlich Gesundheit in dem jeweiligen Unternehmen? Ja, stellt das einen eigenen Wert dar? Und im besten Fall ist es so und dann ist es eben eine ganz, ganz tragende Säule. Und ich würde auch sagen, dass die Gesunderhaltung aller Akteure in einem Unternehmen, genauso die Gesunderhaltung der Führungskräfte wie der Mitarbeiter, von höchster Wichtigkeit ist. Die letzten drei Jahre haben uns das so stark gezeigt, dort, wo Menschen wirklich auch psychisch gesund sind, die sind stabil.
Wenn ich an meine Anfangszeit denke, da kannte man nur die Rückenthemen, also man kannte nur das Physische. Inzwischen müssen wir den Blick da drauf schauen, was braucht eine Organisation, damit sie eben auf diesen psychisch-physischen gesunden Niveau ankommen kann? Und ich würde auch sagen, wenn so eine Organisation genau das hat, also wenn sie präventiv nicht nur denkt, sondern auch präventiv handelt, das ist wie so eine-, man könnte schon sagen, das ist wie so ein Schutzmembran, die das Unternehmen umgibt und dadurch eben auch besser in die Interaktion mit der Umwelt treten kann, also auch sprich mit den Einflüssen, die so von außen auf sie einprasseln.
Ich kann mich ja nicht im Kokon einhüllen und sagen, da kommt nichts auf uns zu. Sondern das ist das Leben nicht, das Leben zeigt uns eben immer was anderes. Und deswegen glaube ich auch, wenn ich als oberste Leitung, also jetzt gesprochen auch in meiner eigenen Rolle als Führungskraft, wenn ich mich ganz echt für Prävention stark mache und wirklich davon überzeugt bin, dass das der Schlüssel ist, dass ein Unternehmen auch wirtschaftlich gut dasteht, also das entsteht ja da draus, dann bin ich auch bereit, regelmäßig auf dieses Unternehmenskonto einzuzahlen. Ja, und auch die Mitarbeiter sind dann bereit, auf ihr eigenes Konto einzuzahlen und auch mehr Rücklagen zu bilden. Und schlussendlich ist es dann wie bei so einem Sparbuch, dass wenn es eng wird, dann habe ich eben halt was auf der hohen Kante. Ja, dann kann ich davon zehren und kann davon Wert schöpfen. Und dann wird es halt selten ganz, ganz eng, dann werde ich immer Ressourcen haben, die ich abgreifen kann. Das ist das, was ich tatsächlich unter Präventionskultur verstehe.
Moderator: Das Gesundheitssparbuch, das hört sich gut an. Und du knüpfst ja auch genau da an, wo Mirco auch seine Ausführungen hatte, wenn er dann in verschiedenen Unternehmen mal so vorbeischaut, das Psychische, das ist eben sehr wichtig. Und da möchtest du auch noch bestimmt weitererzählen, Mirco?
Mirco Glaser: Ja, Nicole hat das ganz richtig gesagt, also die Präventionskultur, die beschreibt einfach, wie wichtig Arbeits- und Gesundheitsschutz einem Unternehmen ist. Ich kann vielleicht mal eines aus unserem eigenen Betrieb erzählen, ich habe immer so das Bild gehabt von der Anmeldung, von der Rezeption, wo alles zusammenläuft. Also das Zentrum der Praxis sozusagen. Und gerade dieses Denken ist mir eigentlich-, oder unserer Praxis zum Verhängnis geworden, weil einfach dort zu viel Aufgaben zu erfüllen waren. Also es kamen die Anrufe von Patientinnen und Patienten, es standen Patientinnen und Patienten vor einem, mit denen man Termine vereinbaren sollte. Zudem kam noch Therapeutinnen und Therapeuten aus dem Hinterhalt, die auch noch was gefragt haben und es mussten noch Rezepte bearbeitet werden.
Und ich habe es erlebt, dass die Anmeldekräfte ständig überlastet waren, das auch eine Fluktuation eingetreten ist an Anmeldekräften bei uns in der Praxis, dass das Betriebsklima auch darunter gelitten hat unter dieser stressigen Atmosphäre und wir haben lange überlegt, letztendlich haben wir fast ein Jahr gebraucht um den Schlüssel zu finden, um daraus zu kommen und wir haben das Ganze entzerrt, zum Beispiel, dass Anrufe nur noch im Back-Office ankommen, dass die Geräuschkulisse einfach eine ganz andere wird an der Anmeldung, dass ganz viel aus dem Hinterhalt gearbeitet wird. Aber dafür musste natürlich auch neues Personal eingestellt werden, dafür musste auch neues Equipment angeschafft werden, es musste investiert werden.
Und das sehe ich auch ganz häufig in Unternehmen, dass man nicht bereit ist, zu investieren in den Arbeits- und Gesundheitsschutz, dass man zu sehr die Umsatzerlöse im Blick hat, dass man eher zahlenorientiert ist, was natürlich auch wichtig ist für einen wirtschaftlichen Erfolg eines Unternehmens. Aber ich halte es für auch wichtig oder einen nachhaltigen und langfristigen Erfolg wird man nur dann erzielen können, wenn man zufriedene und glückliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hat.
Moderator: In die Gesundheit zu investieren, das hört sich auf jeden Fall wichtig und richtig an und sonst ist es ja auch kurz gedacht, wenn dann ständig Mitarbeitende ausfallen, weil einfach alles zu viel ist. Und das stimmt, wenn man in so eine Arztpraxis oder Pflegeeinrichtung oder so geht, dann sieht man ja immer was da los ist am Tresen und mitunter ist dann auch die Laune der Mitarbeitenden nicht so gut und man bekommt das dann als derjenige, diejenige, die dann davorsteht, volle Pulle so ab. Hilft niemandem insgesamt weiter. Was zeichnet denn eine gute Präventionskultur aus?
Nicole Schliz: Also erstmal muss sie wirklich mit Leben gefüllt werden und auch mit Aktionen. Ja, ich erlebe immer wieder auch in meiner anderen Funktion als Trainerin oder als Coach, da sind ganz viele gute Ideen da und die Unternehmen erkennen auch, dass es gut wäre, sie würden da reininvestieren, aber manchmal habe ich das Gefühl, die planen ein Leben lang die Reise und treten die Reise aber nie an. Ja, also einfach ins Tun kommen, machen. Auch Mitarbeiter erfahren lassen, dass es ihnen selber zugutekommt, wenn sie in die Präventionskultur mit reinspringen, weil dann hat es auch Nachhaltigkeitscharakter.
Und wenn ich etwas spüren kann, etwas erfahre, dann weiß ich halt auch, für was es gut ist. Ja, und da sind natürlich auch ganz klassische Tools von absoluter Wirksamkeit. Ja, dass ich sage, okay, ich mache Workshops zu unterschiedlichen Themen, die gerade irgendwo brennen oder wo wir auch feststellen, da ist es notwendig, dass wir zusammenkommen. Ein Austausch, ja, Beziehungsarbeit, dass wir nicht über allem stehen. Da natürlich ein offener Austausch, ja, schon Watzlawick sagte, wir können nicht nicht kommunizieren, aber wir können sehr wohl schauen: Wie kommunizieren wir?
Moderator: Da zieht sie den alten Watzlawick noch raus, den Kommunikationstheoretiker, um den kommt man nicht herum, der hat vor vielen Jahrzehnten einfach viel, viel Wahres gesagt. Nicole, du bist ja selbst mit Intermed für deine Unternehmens- und Führungskultur ausgezeichnet worden. Wie sieht es bei dir denn mit der ausgezeichneten Präventionskultur aus?
Nicole Schliz: Ja, ich glaube, wir haben genau das gemacht, was ich gerade gesagt habe. Wir haben das ja intuitiv gemacht, also unser Unternehmen gibt es jetzt seit fast 30 Jahren und ich bin sehr jung zur Führungskraft geworden und wusste damals überhaupt gar nicht, wie das geht und ich wusste überhaupt nicht, was meine Mitarbeiter von mir wollen. Ich wusste tatsächlich nur, ich muss hier schauen, dass es uns allen gut geht und habe mich dann wirklich auf die Reise gemacht und bin reingesprungen und habe damals auch tatsächlich auf meiner Suche die Resilienz entdeckt und das war für mich so ein Schlüssel. Das war für mich echt ein Schlüssel zu sehen, wenn wir es alle schaffen, gemeinsam in der Organisation uns so zu trainieren, uns so auszubilden und so viel Wissen verschaffen, was kann ich als Einzelner dafür tun, dass ich stark werde oder auch stark bleibe? Dann löst sich ganz viel anderes von selber.
Ja, und wir-, ich habe nicht Handbücher abgearbeitet und habe mir nicht irgendwelche Vorlagen genommen und gesagt „genauso muss es funktionieren“, sondern ich bin immer der Individualität und der Bedürfnisse unseres Unternehmens nachgegangen. Und da war natürlich ganz viel Versuch und Irrtum auch dabei, ganz klar, aber durch diesen Mut, wirklich auch diesen Irrtum zu erfahren, habe ich eben auch wieder diese positive Erfahrung gemacht zu sagen: Okay, es ist eben genau der Weg in diese Richtung. Und das hat mich immer wieder da drin bestärkt. Und was wir heute tun für uns, ist sind Workshops, was ich vorhin schon gesagt habe, für uns sind diese transparenten, ja, offen gelebten Beziehungen und Kommunikationsstränge sind für uns einfach klar. Ja, dass ist-, jeder lebt ist und jeder weiß auch, dass, wenn ich so agiere im Unternehmen, das dann-, ja, wie sagt man bei uns im Schwäbischen-, dass dann ein Schuh draus wird.
Und das glaube ich vielleicht auch so ein bisschen auch diese Story, die ich da sehr gerne erzähle, also wirklich Unternehmen zu sagen: Geht einfach mal los und schaut mal, macht mal so eine Analyse und guckt mal, wo stehen wir eigentlich gerade? Die meisten Unternehmen haben auch schon ganz viel, sie brauchen nur einen Plan, sie brauchen da nur irgendwie eine Ausrichtung, wo es noch mehr davon sein darf.
Moderator: Sie sagen, die Unternehmen, die haben bereits viel, sie müssen manchmal nur Klarheit reinbringen und einfach mal machen. Genau dazu hat sich die BGW viele Gedanken gemacht eben mit dem BGW-Orgacheck, wie bereits schon erwähnt, eine Online-Selbsteinschätzung für die Arbeitssicherheit und für den Gesundheitsschutz. Und damit lässt sich dann leicht erkennen, was noch zu tun ist und wie man die nächsten Schritte organisiert. So kommt man dann leicht in die Umsetzung. Woran denkt ihr beide, scheitert es in der Regel bei Unternehmen, was sind da die größten Hürden? Wir haben ja schon gehört, nicht das investieren in den Gesundheitsschutz zum Beispiel, Geld ausgeben für die Gesundheit.
Mirco Glaser: Ja, vor allem scheitert es häufig auch einfach an der Zeit. Also ich erlebe es immer wieder, dass Unternehmerinnen und Unternehmer zu stark in das Tagesgeschäft des Betriebes involviert sind. Ich sage immer so: Wer zu stark im Tagesalltag involviert ist, hat zu wenig Zeit zum Führen. Das kann man nicht mal so nebenbei machen, man braucht Zeit für Mitarbeitergespräche, man braucht Zeit, Dinge zu organisieren, Dinge auf den Weg zu bringen, das macht man nicht einfach so nebenbei.
Nicole Schliz: Das ist total richtig was du sagst, Mirco. Und andererseits glaube ich aber auch, dass wir uns manchmal so diese Hürden selber bauen, was die Zeit anbelangt, indem wir vielleicht auch falsch priorisieren. Also wenn ich sage: Okay, Gesundheitsschutz, Präventionskultur, über all das, was wir jetzt besprochen haben, das ist mir wirklich wichtig, dann rutscht das, glaube ich, auch auf meiner Prioritätenliste weiter nach vorne. Und ich glaube, dann kann es auch gelingen.
Mirco Glaser: Da kann ich noch ergänzen, wenn ich unterwegs bin als Fachkraft für Arbeitssicherheit, in Schulungen oder auch in Arbeitsplatzbegehungen, dann ist meine Hauptaufgabe eigentlich, die Unternehmerin oder den Unternehmer davon zu überzeugen, wie lohnenswert es ist, in Arbeits- und Gesundheitsschutz zu investieren, weil wer das verstanden hat, der wird auch den Weg gehen, der wird auch die richtigen Dinge tun und sich einfach einarbeiten in das Thema.
Moderator: Habt ihr jetzt noch einen Tipp, den Unternehmen auf jeden Fall noch mitnehmen sollten?
Mirco Glaser: Ja, also ich finde, dass Unternehmerinnen und Unternehmer auch Kümmerer sein sollten, denn Beschäftigte sind unheimlich dankbar, wenn sie merken, dass sie dem Unternehmen oder der Unternehmerin, dem Unternehmer auch wichtig sind. Die spüren das, wenn da jemand ist, der sich kümmert.
Nicole Schliz: Und was ich auch noch ganz schön finde, wenn ich tatsächlich sage: Okay, ich gehe jetzt diesen Prozess los und möchte einfach hier was für mein Unternehmen tun und ich schaffe es aber nicht allein, dass ich mir hier Unterstützung hole in Form von vielleicht Kooperationspartnern, vielleicht in Form von externer Hilfe durch Trainer und Coaches. Ich glaube das ist absolut legitim und das machen ganz viele Unternehmen auch schon und irgendwann kann ich ja auch wieder alleine laufen.
Ja, das ist wie, wenn ich irgendwann das Fahrradfahren beginne und sage, jetzt brauche ich erstmal noch diese berühmten Stützrädchen und irgendwann geht es alleine. Und ein weiterer Punkt, den ich auch ganz, ganz entscheidend wichtig finde, ist, dass die Unternehmen sich nicht überfordern, ja, dass sie nicht sofort alles wollen, sondern dass sie wirklich sagen: Ich gehe jetzt mal los in kleinen Schritten und wirkungsvollen Schritten und Schritten, die jeder bereit ist eben auch zu gehen.
Moderator: Ein gut strukturierter Arbeitsplatz ist die Voraussetzung für eine lebendige Präventionskultur, wir haben es eben gehört. Zwei ganz wichtige Punkte, wenn es um starke Unternehmen geht. Für eine gute Umsetzung braucht es engagierte Führungskräfte, aber natürlich auch die Mitarbeitenden. Nicole Schliz und Mirco Glaser, vielen Dank für das Gespräch und für eure ganz persönlichen Erfahrungen, die ihr mit uns geteilt habe.
Nicole Schliz: Vielen Dank dir, es hat Spaß gemacht.
Mirco Glaser: Vielen Dank, dass ich dabei sein durfte.
Block 03: Verabschiedung
Moderator: Mehr über das Thema starke Unternehmen gibt es auf der Webseite der BGW. Einfach mal reinklicken unter www.bgw-online.de/podcast. Und dort finden Sie auch alle weiteren BGW-Podcastfolgen. Ansonsten laufen diese auch überall, wo es Podcasts gibt. Links zum Thema gibt es übrigens auch in den Shownotes dieser Podcastfolge. Wir hören uns dann in der nächsten Folge wieder. Bis dahin bleiben Sie gesund!
(Outro – Herzschlag. Für ein gesundes Berufsleben, der BGW Podcast)
Interviewgäste
Nicole Schliz
Resilienz- und Business Coach beim Pflegedienst Intermed
Mirco Glaser
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