Gesunde Beschäftigte durch verbesserte Krankenhaus-Architektur: Wie die richtige Bauweise zu mehr Gesundheit führen kann #75 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Es gibt viele Tipps gegen Stress. Neu dazu kommt: Architektur! Moment mal – was? Das schaut sich unser Moderator Ralf Podszus mal genauer an.
Er spricht mit dem Architekten Prof. Dr. Tom Guthknecht und erfährt, wie eine bessere Architektur des Gebäudes den Arbeitsablauf unterstützt, das Stresslevel der Beschäftigten senkt und die Gesundheit der Beschäftigten fördert. Was muss beim Brandschutz beachtet werden und was darf in einem neuen Krankenhaus nicht fehlen?
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Moderator: Architektur ist im Idealfall immer direkte Auseinandersetzung mit dem Menschen, das ist ein Zitat von dem Architekten Richard Meier. Ja, ihr seid übrigens nicht aus Versehen bei einem Architektur-Podcast gelandet, hier ist schon der BGW Podcast. In dieser Folge dreht sich alles um Architektur. Wir schauen uns heute Krankenhäuser und Kliniken genauer an. Ihre Bauweise beeinflusst nämlich, wie gut die Arbeit abläuft und hängt deshalb auch mit der Gesundheit der Beschäftigten und der Versorgung der Patientinnen und Patienten zusammen. Dabei ist die Lösung des Ganzen so einfach: Die Architektinnen und Architekten müssen sich beim Planen und Bauen mit Krankenhäusern auskennen. Sie sollten wissen, wie die Abläufe vor Ort sind, ja, und wie baut man also ein Krankenhaus so, dass die Beschäftigten dort angenehm arbeiten können und Kranke optimal gepflegt werden? Das hört ihr jetzt ich bin Ralf Podszus, hallo.
Podcast-Intro
Moderator: Folgendes Szenario: Eine Pflegefachkraft, ich nenne sie jetzt mal Hanna, soll den frisch operierten Patienten Lukas zum ersten Mal vom Liegen aufsetzen und ihn dann auf die Toilette führen. Da Hannah aktuell alleine ist und sie Lukas unmöglich ohne Hilfe heben kann, benötigt sie Hilfsmittel wie zum Beispiel Krücken. Die Krücken wiederum sind jedoch nicht schnell griffbereit auf der Station, weshalb sie auf eine andere Station muss und sich dort welche leiht. Warum das so ist? Weil das Krankenhaus aus baulichen Gründen keine Kapazität hat, die Krücken auf ihrer Station aufzubewahren.
Das ist ein Routine-Nerv und davon gibt es zahlreiche weitere im Krankenhaus. Wer entscheidet dort über bauliche Lösungen und wie vermeiden wir so ein Stresslevel, wie ihn Hannah zum Beispiel hatte? Darüber spreche ich jetzt mit Professor Tom Guthknecht, er arbeitet seit vielen Jahren als Architekt und plant Gebäude für das Gesundheitswesen. Hallo Tom, liebe Grüße nach Murten in die Schweiz.
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Hallo Ralf, danke für die Einladung.
Moderator: Sehr gerne. Geographisch bist du in der Nähe von Bern, richtig?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Ja.
Moderator: Ja, was können jetzt Beschäftigte machen, wenn auf der eigenen Station kein Platz für Hilfsmittel ist. Stichwort Krücken.
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Ja, überlegen wir mal, was ist denn das für eine Krücke, worum geht es da bei Pflegekräften? Das, was du jetzt Krücke genannt hast, das sind, was wir in der Ergonomieplanung Transfermittel nennen. Mit diesen hydraulischen Transfermitteln können wir Patienten alleine bewegen und nicht zu zweit oder zu dritt, wie das heute nötig wäre. Aber dafür muss der Bau stimmen, dafür muss genügend Platz sein, vor allen Dingen auch im Patientenbad, und das ist heute in über 90 % der Fälle nicht der Fall.
Moderator: Ja, man könnte ja auch sagen, meine Güte, die zwei Krücken, die kriegt man noch irgendwo hingestellt, aber es gibt halt ein paar mehr Patientinnen und Patienten und schon eben auch ein Krückenproblem, wenn für alles, was benötigt wird … Inwiefern beeinflusst die Architektur jetzt die Gesundheit der Beschäftigten noch?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Die Gesundheit der Beschäftigten hängt vor allen Dingen auch von ihrem Arbeitsstress ab und der Arbeitsstress wird durch die Vielzahl der Aufgaben bestimmt, die teilweise auch – ganz ehrlich – unnötig sind. Es sind vermeidbare zusätzliche Aufgaben zu bewältigen. Die Pflegekräfte sind vielfach eigentlich mehr Möbelpacker mit Zusatzausbildung in Pflege, denn sie müssen Tische wegräumen, Stühle wegräumen, bevor das zweite Bett aus dem Zweibettzimmer überhaupt herausgefahren werden kann.
Moderator: Stress reduzieren mithilfe von Krankenhausarchitektur, das ist unser Thema heute und ich persönlich wäre nicht darauf gekommen, dass mit der richtigen Architektur schon Stress vermieden wird. Sehr spannend. Mit welchen Maßnahmen kann der Betrieb da unterstützt werden und nutzen viele diese Möglichkeiten überhaupt?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: An der Stelle müssen wir natürlich sagen, dass Architektur einfach sehr viel bescheidener sein muss. Architektur wird niemals eine gute medizinische Leistung garantieren können, aber sie kann im Weg stehen und wenn sie im Weg steht, dann behindert sie das Arbeiten, löst Stress aus, löst unnötige Tätigkeiten aus, macht ergonomisches Arbeiten unmöglich und gefährdet somit auch die Mitarbeiter.
Moderator: Hast du ein paar Beispiele, warum die Potenziale oft ungenutzt bleiben?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Das ist ein weites Feld und es fängt damit an, dass wir keine Ausbildung haben für Krankenhausplaner. Anderes Beispiel: Hier bei uns in der Schweiz, wenn du Wanderführer werden willst, dann brauchst du eine lange Ausbildung, die dich mehrere 10.000 Franken kostet. Du machst Prüfungen in Biologie, Geologie, Geschichte, Geographie. Der Krankenhausplaner braucht überhaupt keine Ausbildung und Klassifikation. Das ist natürlich ein Problem und wenn wir so weitermachen, dann kommen wir nie zu guten Lösungen. Wir müssen also den Prozess, wir müssen die Planung besser aufstellen, solide aufstellen und mit Mehrfachwissen anreichern.
Moderator: Ja, die Krücken, die müssen schon mitgedacht werden, wenn man eben so ein Krankenhausgebäude auf dem Papier entwirft, und das kann man dann eben auch nur, wenn man das Wissen da hat. Es gibt keine Ausbildung, das hast du eben schon erwähnt. Du bist einer der letzten Architekten mit Wissen, wie es in so einer Klinik abläuft. Woher hast du dieses Wissen und warum gibt es nur noch dich?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Das ist natürlich ein ganz liebes Kompliment und das wäre jetzt vermessen, wenn ich mich da nur als der Einzige bezeichnen würde. Ich komme ursprünglich aus der Pflege und das ist vielleicht ein bisschen ungewöhnlich. Das haben vielleicht manche Kollegen nicht, dass sie das mitbringen. Ich kenne allerdings ein Büro in Deutschland, die schicken ihre Mitarbeiter bei Beginn eines Projektes in das Krankenhaus und die müssen zwei Wochen volontieren, damit sie das mal kennenlernen, was es heißt, mit der vollen Bettpfanne gegen eine Tür, die einen automatischen Türöffner hat zu scheppern und dann fliegt einem das Ganze um die Ohren. Nur wenn man das fühlt und erlebt, kann man es auch wirklich planen und deswegen brauchen wir sehr viel mehr Praxis für die Planer. Sie müssen vie lmehr die Prozesse der Medizin und der Pflegenden kennen.
Moderator: Das ist das eine. Warum gelingt trotzdem die Umsetzung nicht, warum müssen sich Beschäftigte Tag für Tag mit – du hast es vorhin schon erwähnt – vor allem mit Hebe- und Wegräumarbeiten auseinandersetzen?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Ich glaube, dass die Krankenhausprojekte einfach in der falschen Reihenfolge entwickelt werden. Wir müssen von innen nach außen denken und wir dürfen nicht mehr sagen, dass wir den Prozess, ja diese Sache mit dem Betrieb, das werden wir dann schon irgendwann klären. Sondern wir müssen den Betrieb am Anfang denken. Wir müssen die Prozesse zunächst verstehen und um diese Prozesse schlussendlich eine Architektur bauen.
Moderator: Ich habe letztens persönlich sogar erlebt, ich musste ins Krankenhaus und auch für die Menschen, die dort eben dann behandelt werden, ist es nicht immer so einfach. Da musst du mal hochgehen, runtergehen, diese Treppe nehmen, mit dem Fahrstuhl fahren, dann ist E0 irgendwie doch nicht der Bereich, wo du rausgehst, sondern das ist der Keller und du musst auf E1 fahren, das ist dann die untere Ebene, obwohl eigentlich ja erster Stock und so weiter.
Also, du merkst einfach, es gibt ganz viele Knoten und das ist natürlich auch für Patientinnen und Patienten sehr kompliziert. Aber für die, die den ganzen Tag da arbeiten, die haben dann irgendwann so ihre Abkürzungen durch den ganzen Dschungel der Gänge gefunden und arbeiten damit. Aber es muss ja im Vorfeld schon richtig gebaut werden und es ist Architektur, wenn man das halt am Anfang nicht gleich richtig baut, dann ist es unpraktisch. Hast du da so ein paar Beispiele, was man da halt am Anfang schon mal ja richtig machen kann?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Da gibt es ganz einfache Dinge und das, was du beschreibst, das nenne ich immer die vertikale Verwirrung. Das heißt, wir haben, du hast es eben genannt, wir haben dann Erdgeschoss, wir haben erstes Obergeschoss, wir haben Untergeschosse und Untergeschosse sind dann auch psychologisch belastet, da will niemand hin, da will niemand arbeiten. Das mache ich schon seit 20 Jahren nicht mehr. Für mich gilt Ebenen in Zahlen, die Eingangsebene ist 00 und dann darüber 01, 02, 03 und die Ebenen unterhalb von 00 sind 99, 98, 97 etc. Auf die Weise nehmen wir die psychologische Komponente des Untergeschosses heraus.
Wir müssen auch nicht vermischen zwischen Zahlen und Buchstaben und wir können einfach rechnen und Bezüge herstellen. Außerdem ist es wichtig, weil wir an den Gebäuden, die zum Beispiel am Hang liegen und unterschiedliche Gebäude sind, immer noch eine klare Kennung brauchen, auf welcher Ebene, auf welcher Nummer wir hineinkommen, das ist dann einfacher zu machen. Und diese logischen Schritte brauchen wir am Anfang. Genau die gleichen Probleme erleben wir in der Frage der Rasterausbildung, der grundsätzlichen Entscheidungen, die wir treffen für ein Gebäude. Die haben enorme Wirkungskraft, und wenn wir das später versuchen zu korrigieren und zu verändern, klappt das nicht mehr.
Moderator: Es hilft ungemein, wenn man nach E32-3 auf einmal nicht E32-5 vorfindet und man fragt sich, wo ist denn dieser Gebäudetrakt abgeblieben? Das stimmt das, was du gerade erklärt hast, finde ich nachvollziehbar. Vom 4. bis 6. September findet das BGW forum „Sicher und gesund im Krankenhaus“ statt, vor Ort und auch online. Das könnt ihr euch gerne mal anschauen, in den Show Notes dieser Podcast Folge findet ihr auch einen direkten Link dorthin. So Tom, jetzt kannst du dich kreativ austoben, du darfst jetzt ein neues Krankenhaus bauen. In diesem Podcast ne, wie würdest du das bauen, damit es für die Mitarbeitenden vor Ort angenehm und praktisch ist. Und Deine Ausführungen, die werden dann auch im BGW forum Workshop dann noch weiter vertieft.
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Ja, da werde ich immer gefragt, sprich doch nicht immer von diesen ganzen negativen Dingen. Sag doch mal, was wäre denn ein wirklich gutes Krankenhaus und da gibt es einen wirklich großen Leitstern, ein Krankenhaus, das wunderbar funktioniert hat. Das ist das Ospedale Maggiore di Milano, das Antonio Filarete 1476 gebaut hat und das 500 Jahre als Krankenhaus perfekt funktioniert hat.
Wie geht das? Das geht mit 4 Regeln, wenn man diese Regeln befolgt, dann hat man ein gutes Krankenhaus. Regel 1: wenige Geschosse. Regel 2: sehr hohe Geschosshöhen, nichts unter 4 Meter 40. Regel 3: Angemessene Gebäudetraktive, damit man alle Abteilungen unterbringt, also zum Beispiel 3 Felder, 8 Meter 40. Und Regel 4: große Lichthöfe. Genau dieses Prinzip haben wir schon im Jahr 2000 dann wiederbelebt für das große Spital in Kortrijk und jetzt wird es von Renzo Piano in seinem großen Projekt in Saint-Ouen in Paris wiederholt. Das ist eine direkte Kopie vom Ospedale Maggiore di Milano – wunderbar, dass das so aufgenommen wird.
Aber es kommt noch ein Punkt dazu, der ist ganz wichtig ist: Wir müssen unsere Krankenhäuser in gewisser Weise von der Technik befreien, natürlich brauchen wir sie. Aber wir müssen die Leitungen so führen, dass die Geschosse frei sind, so wie wir das im Industriebau machen. Wenn man sich das neue Automobilwerk von Tesla anschaut, in Grünheide, machen die das genauso. Sie haben vor dem Hintergrund des großen Beispiels von Louis Kahn 1954 alle Medien und Erschließungen in außen liegenden Türmen geführt. Wenn wir das machen, können wir ein Spital wieder verändern. Wir können ein Krankenhaus anpassen. Aber wenn die Leitungen einmal drin sind und vertikal geführt werden, dann können wir ein Bettenhaus nicht mehr zu einem Untersuchungs- oder Behandlungstrakt machen.
Moderator: Das ist eigentlich total logisch und man kann sich nur an den Kopf fassen und fragen, warum wird das nicht einfach gemacht?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Es hängt vielleicht daran, dass das Wissen in Krankenhausplanungsbereich nicht mehr gepflegt wird und das schon seit über 20 Jahren. Das letzte große Standardwerk, „Grundlagen der Krankenhausplanung“, Franz Labbriger, 1979 ist vergriffen und seitdem gibt es keine Standardwerke. Es gibt einige Bücher, die sich mit Projekten beschäftigen, aber nicht in der grundsätzlichen Form, wie das damals der Fall war. Und wir brauchen dringend Unterstützung von der Politik, von der Gesellschaft, dass wir nicht mehr diesen Milliardenmarkt amateurhaft bedienen, ohne rechtliche Grundlagen zu haben, das ist sehr beunruhigend.
Moderator: Du hast vorhin bei den Punkten wie ein gutes gebautes Krankenhaus sein soll, auch erwähnt, dass die Decken Höhen über 4 Meter sein sollen. Warum muss das so hoch sein?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Da gab es einen Paradigmenwechsel. 1935 das Hôpital Beaujon in Paris, das war das erste Tower-on-Podium-Krankenhaus, das gebaut wurde mit hohem Geschoss, Höhen für die unteren Geschosse, Untersuchungen, Behandlung und die darüber liegende Geschosse, das war der Bettenturm, die hatten niedrige Geschosshöhen. Das konnte man damals machen, aber heute stehen wir vor der Situation, dass wir unbedingt Bettenflächen umwandeln müssen, das wird noch weiter zunehmen, in Untersuchungen und Behandlungen. Wenn uns dort die Deckenhöhe für Lüftung und Technik später fehlt, können wir das nicht machen. Deshalb ist es kein Luxus, in allen Geschossen mindestens 4 Meter 40 Geschosshöhe vorzusehen.
Moderator: Das Arbeiten im Krankenhaus sollte also durch einen besseren Bau erleichtert werden. Eigentlich, jetzt gibt es doch einen großen ökonomischen Druck, die Arbeitsabläufe sollen effizienter werden und dadurch wird der Stress am Arbeitsplatz oft noch größer. Kann Krankenhausarchitektur einen Beitrag dazu leisten, um den Stress bei den Mitarbeitenden im Krankenhaus zu reduzieren?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Auf jeden Fall, denn wenn wir uns anschauen, Stress, was steht eigentlich dahinter? Dahinter stehen Ängste, nicht nur Patienten haben Ängste, auch Mitarbeiter haben Ängste, Versagensängste, Ängste wegen Zeitdruck et cetera. Was sind eigentlich Ängste? Das ist ein Hormoncocktail. Das sind Corticoide, das ist Adrenalin und so weiter. Das ist nicht heilungsfördernd, es macht die Mitarbeiter krank und es ist genauso bei den Patienten. Wie können wir das lösen? Ich rede da von einer Peace of Mind Architektur. Das heißt, wir müssen alle Dinge, die der Mitarbeiter braucht, direkt um seinen Arbeitsplatz platzieren und nicht dem Mitarbeiter zusätzlich, zum Beispiel, Wege für logistische Aufgaben aufbürden, die eigentlich gar nicht in seiner Arbeitsbeschreibung stehen. Das führt nachher zu dieser Ineffizienz. Das führt nachher dazu, dass wir einfach die Pflegekräfte und die Zeit gar nicht mehr bezahlen können.
Moderator: Das heißt ja auch, dass man umdenken muss, wie so ein Krankenhaus nachher strukturiert ist in den verschiedenen Abteilungen, oder?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Ja, ich möchte gar nicht mehr von der Abteilung sprechen. Ich denke, dass das Abteilungsdenken – wir haben eine Chirurgie, wir haben eine innere Medizin, wir haben eine Gynäkologie – das ist in meinen Augen vorbei. Warum? Wir haben den multimorbiden Patienten. Die Frau Meier bekommt eine neue Hüfte, sie hat aber einen grauen Star, sie hat ein Herzproblem, sie ist diabetisch 2 krank und sie ist ein bisschen dement. Heißt, wir brauchen Räume, in denen die medizinischen Fachgebiete sich ständig begegnen. Ein Austausch. Denn wir brauchen eine Differenzialdiagnostik über die Fachgebiete hinweg und daraufhin müssen wir diese kleinen Königreiche der Abteilungen komplett aufheben. Ein Ambulatorium muss hinter den Behandlungsräumen eine Begegnungsstätte für Ärzte und medizinisches Personal haben, damit hier die multimorbiden Patienten in ganz vielen Facetten ihrer Bedürfnisse betreut werden können.
Moderator: Man sieht ja auch ganz oft in Krankenhäusern die Beschäftigten immer irre lange Gänge, die ganze Zeit immer nur gehen. Also das sind ja schon Marathonläuferinnen und -läufer, weil sie einfach immer ganz viele Strecken gehen müssen. Werden diese Möglichkeiten zur Stressreduktion mithilfe von Krankenhausarchitektur genutzt?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Ja, das ist ein wenig traurig eigentlich, leider nein. Warum? Weil auf dem Wege zur Realisierung des Projektes die Prozessbetrachtung erstens sehr spät kommt und dann meistens unter dem Aspekt der Einsparungen reduziert wird. Was nicht beachtet wird dabei: Baukosten sind statisch, die treten einmal auf. Betriebskosten sind dynamisch, die kommen jedes Jahr. Innerhalb von zweieinhalb Jahren verbraucht ein neues Krankenhaus mehr an Betriebskosten als jemals für den Neubau ausgegeben haben. Mit anderen Worten: Wir müssen uns darauf konzentrieren, die Betriebskosten zu senken und nicht die Baukosten. Gedacht wird aber leider immer andersrum und deswegen kommt es nicht dazu, dass die Möglichkeiten für eine bessere Krankenhausarchitektur ausgeschöpft werden.
Moderator: Der Klassiker ist sicher: Ach, das ist ein super Raum, schade, im Sommer ist er 40 Grad heiß, hätten wir doch mal eine Lüftung noch besser einbauen müssen.
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Auch an der Stelle können wir, wenn wir etwas bescheidener vorgehen, sehr viel lernen. Wir müssen überlegen, mit welchen Techniken zum Beispiel andere Kulturen in Klimazonen, die sehr viel höheren Temperaturen ausgesetzt sind, arbeiten. Diébédo Francis Kéré, der Pritzker-Preis Träger von 2022 – Pritzker-Preis für alle, die es nicht kennen – ist so eine Art Nobelpreis der Architektur. Der erste Preisträger aus Afrika zeigt uns mit seinen Gesundheitsbauten, wie man in Klimazonen mit wesentlich höheren Temperaturen mit der Situation besser umgeht. Konkret heißt das, wir dürfen es uns nicht mehr leisten, Bauten zu planen, mit denen wir nachher mit teuren technischen Mitteln unsere Planungsfehler korrigieren müssen.
Moderator: Was mich dabei ja immer so ärgert: Sämtliche Expertinnen und Experten in allen möglichen Bereichen, die sagen schon mit ihrem Fachwissen: Kuck mal, so muss das laufen. Du hast vorhin ein Buch erwähnt von 1979 und trotzdem wird immer alles ignoriert.
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Da haben wir natürlich ein Problem in den Entscheidungsabläufen für solche Projekte, und das läuft völlig anders als zum Beispiel im industriellen Bereich wenn wir einen Projektplan für einen Laborbau für die Pharmamedizin – hier kommen sehr, sehr klare Spezifikationen und sehr klare Vorstellungen zum Tragen bereits zum Beginn der Planung. Die Krankenhäuser heute sind eigentlich überfordert damit, dass sie als Eigenunternehmer, denn das sind sie mit den Fallkosten-Pauschalen, die ganze Planung und die Verantwortung dafür selber stemmen müssen und niemanden zur Seite gestellt bekommen, der sie dabei unterstützt. Für die Planung selber wird aber auch zu wenig Zeit gegeben.
Man stelle sich vor, man schickt 10 Gruppen zu 5 Leuten für 3 Monate in ein Exil und sie sollen alleine und ohne Hilfsmittel ein Krankenhaus für die nächsten 60 Jahre bauen. Das wird dann innerhalb von 3 Tagen entschieden und soll das Fundament sein für die Zukunft der Medizin. Da müssen wir uns doch fragen, ist dieses Vorgehen im Architektur-Wettbewerb für Krankenhäuser noch überhaupt zukunftsfähig?
Moderator: Sternchen unten das günstigste Angebot gewinnt.
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Das ist richtig und da sind wir natürlich auch immer wieder gefangen in dieser Preisspirale. Das günstigste Angebot gewinnt, da wird nicht darauf geachtet, dass es die Betriebskosten sind und nicht die Bau- und Planungskosten. Denn für strategische Planung bleibt überhaupt keine Zeit. Strategieplanung im Gesundheitswesen ist über die letzten Jahre noch weiter zurückgegangen, früher hatten wir so etwas wie Masterpläne und Gesamtplanungen, inzwischen ist das sehr viel enger geworden und der Druck wird so groß, dass man das eigentlich weglassen möchte und gleich zum Bau kommen möchte, aber das funktioniert nicht.
Moderator: Schauen wir uns mal die Pflege an, was können wir da jetzt machen mit der Architektur, wie kann die unterstützen?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Da muss man sich einmal die Typologie des Krankenzimmers anschauen. Das Krankenzimmer, so wie wir es heute kennen, mit dem Patientenbad am Flur und dann die zwei Betten im Zimmer. Woher kommt das, das ist Eugène Josts Montreux Palace Hotel, 1906.
Moderator: Ich wollte grad sagen.
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Und dann hat es 60 Jahre gebraucht, bis es im Krankenhaus war. Und heute bauen wir das immer noch, obwohl wir heute ganz andere Bedingungen haben und unsere Verweildauer von 20, 30 Tagen auf unter 5, unter 4 Tagen geschrumpft sind. Konkret heißt das, Wir brauchen einen Sichtbezug zwischen dem Pflegeflur und dem Patientenzimmer. Wir müssen vieles im Vorbeigehen im Sichtbezug machen, was heute schon in der Intensivmedizin in vielen Krankenhäusern passiert. Aber nicht in der Normalpflege. Interessant dabei ist, dass solche Modelle im angelsächsischen Raum funktionieren. Ich habe das in Neuseeland, in Australien, ich habe das in Hongkong machen können, aber nicht in Zentraleuropa. Erst vor ungefähr 10 Jahren haben die Holländer jetzt damit angefangen, das auch auf den Normalstationen umzusetzen, und das mit großem Erfolg.
Moderator: Und das hebelt ja auch viele Probleme weg, wenn man reingucken kann, dann müssen auch nicht diese ganzen laut piepsenden Geräte noch lauter sein, wenn die Tür zu ist und die Wand davor, man hat einfach viel bessere Sicht, stimmt da alles, ist da alles OK.
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Richtig. Dennoch wird immer argumentiert, ja, das schränkt ja die Privatsphäre des Patienten ein. Dabei sehen wir bei solchen Lösungen natürlich immer Doppelglasscheiben mit dazwischenliegenden Störern vor, die der Patient steuern kann. Aber was wir aus den Projekten in Holland sehen, ist, dass die Patienten gesehen werden wollen. Denn sie sind krank und es geht Ihnen nicht gut in dieser kurzen Zeit, die sie im Spital sind. Das sind die Entscheider, die aber sagen, ja, das ist doch Privatsphäre, das schränkt mich ein, die machen das aus dem Blickwinkel des gesunden Menschen, der natürlich nicht gestört werden will. Wir müssen uns also viel mehr in den Blickwinkel des Patienten bewegen, um zu verstehen, was ein Patient im Krankenhaus wirklich braucht.
Aber du fragtest doch vorhin, warum werden diese Potenziale eigentlich nicht genutzt, was passiert dort? Eigentlich ist eines der großen Probleme, dass die Aufgaben im Krankenhausprojekt und in der Realisierung Fragmente bleiben. Es sind Bruchstücke, die nicht miteinander richtig vernetzt werden. Es hat keinen Zweck, wenn ich eine Abteilung optimiere, aber nicht mit der anderen Abteilung optimal vernetze. Man kann dann zwar in einer Abteilung 10 Minuten effizienter Kaffee. Aber ich habe nichts gewonnen für das Spital und nichts gewonnen für die Mitarbeiter, sondern Effizienz muss ganzheitlich gedacht werden und wir müssen immer eines sehen: Natürlich sind wir im Krankenhaus nicht vorrangig für Effizienz zuständig, aber ohne Effizienz kann ich mir keine Empathie leisten.
Moderator: Jetzt kann man ja auch nicht alles auf die Architektur schieben, ne? Ist Architektur jetzt also die Lösung von sämtlichen Problemen im Krankenhaus?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Ganz bestimmt nicht. Das Beste, was wir mit Architektur erreichen können, das sagte ich vorhin ja schon, ist, dass wir nicht im Wege stehen, aber dafür müssen wir als Architekten und Planer sehr viel bescheidener werden, wir dürfen nicht meinen, dass wir den Pflegenden und Medizinern und Logistikern ihren Job erklären, sondern wir müssen viel mehr Zeit bekommen, ihnen zuzuhören und vor allen Dingen einen interdisziplinären Dialog zu führen mit den Nutzern. Es hat keinen Zweck, Nutzergespräche mit einzelnen Gruppen zu führen. Die werden natürlich vorrangig ihre eigenen Interessen vertreten, sondern man muss gemeinsam den Kompromiss finden und dafür kann der Architekt als Moderator einen guten Beitrag leisten.
Moderator: Das alles wird dann auch im Workshop im September noch weiter vertieft. Manchmal werden ja auch Gefahrstoffe verwendet, darüber haben wir auch schon in Folge 32 „Gefahrstoffe am Arbeitsplatz gesprochen“, könnt ihr gern nochmal reinhören. Worauf muss man achten, damit alles so sicher wie möglich abläuft?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Gefahrstoffe für das medizinische Personal im Krankenhaus ist ein großes Thema, vor allen Dingen dann, wenn sich Aufgaben überschneiden. Wenn hierfür nicht die richtigen Flächen vorhanden sind, wenn hierfür unter Stress gearbeitet werden muss, dann passieren Fehler, gerade zum Beispiel im Bereich der Zytostatika-Zubereitung, wie hier dann Kontaminationen von Bereichen außen stattfinden, die dann zu Konzentrationen führen, die gerade für schwangere Mitarbeiterinnen äußerst gefährlich werden können.
Moderator: Kann die Arbeitsmedizin jetzt in diesem Zusammenhang auch positiv Einfluss nehmen?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Ich denke schon, und zwar deswegen, weil mit der Arbeitsmedizin die Möglichkeit besteht, die verschiedenen Dinge zusammenzuführen. Das Zauberwort heißt Konsistenz. Es geht nicht darum, dass wir Einzellösungen haben, die für sich vielleicht richtig sind, sondern es geht darum, dass das Zusammenspiel der einzelnen Lösungen stimmt, sonst widersprechen sie sich und wir machen teure Investitionen, die eigentlich überhaupt nichts bringen.
Moderator: Es scheint jetzt so, als würde für die Lösung der ganzen Probleme die Zeit drängen. Ja, wenn also dringend etwas getan werden muss, wo fangen wir denn jetzt als erstes mal an, was wäre jetzt hier das Beste zum Start?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Das Beste zum Start ist eigentlich das, was wir auch einem Patienten in einer Stresssituation raten würden: Erstmal Luft holen und nicht überstürzt handeln. Der Handlungszwang in einer Stresssituation ist groß, genauso bei dem Druck ein neues Krankenhaus so schnell wie möglich zu realisieren. Also holen wir tief Luft und nehmen uns zunächst einmal Zeit, die strategischen Aspekte wirklich anzuschauen und die strategischen Fragen darin zu beantworten. Dann wird auch die Planung erstens richtiger und viel schneller durchzuführen sein.
Moderator: So und jetzt denken wir nochmal zum Abschluss an Hanna, die Pflegefachkraft, die ich eingangs als Beispiel erwähnt habe. Die arbeitet jetzt in einem Krankenhaus, das vollkommen fertig gebaut ist und leider auch vollkommen verbaut ist. Die sagt sich ja super, davon habe ich ja nichts mehr. Hier wird nichts mehr neu gebaut. Wie kannst du die jetzt trösten?
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Da gibt es natürlich Möglichkeiten, weil wir vielleicht dann nicht das Ideale erreichen, aber weil wir zumindest wesentliche Verbesserungen trotzdem umsetzen können. Was heißt das konkret? Meistens ist in den Patientenbädern die Toilette nicht in gerader Linie von der Tür zugänglich und damit für die Transfermittel, für die hydraulischen Transfermittel nicht in gerader Linie zu befahren. Was wir machen können, ist zum Beispiel schwenkbare WCs einzubauen. Dann muss man nicht das ganze Patientenbad ändern und wir können trotzdem mit den ergonomischen Arbeiten mit den richtigen Hilfsmitteln beginnen. Das ist zumindest mal ein Schritt in die richtige Richtung.
Moderator: Und das hört sich sehr gut an. Das heißt, es gibt auf jeden Fall in sämtlichen Bereichen, auch wenn es schon fertig gebaut ist Hoffnung. Vielen Dank, Tom Guthknecht, für diese interessanten Einblicke in den Krankenhausbau. Wir haben heute gelernt, wie wichtig die richtige Planung eines Krankenhauses ist.
Prof. Dr. Tom Guthknecht: Dankeschön und an der Stelle von meiner Seite wirklich nur der Punkt, dass Architektur bescheiden bleiben muss, damit wir der Sache dienen und uns nicht in den Vordergrund stellen bei einem so wichtigen Thema wie der Versorgung von Menschen mit medizinischer Leistung.
Moderator: Alle weiteren Podcastfolgen, die findet ihr auf www.bgw-online.de/podcast und überall da, wo es Podcasts gibt. Übrigens freuen wir uns auch über eine Bewertung, schaut doch gerne in die Show Notes, dort gibt es weitere Infos zum BGW forum sowie zum heutigen Thema. Und damit verabschiede ich mich bis zum nächsten Mal.
Podcast-Outro
Interviewgast
Prof. Dr. Tom Guthknecht
Architekt und Geschäftsführer der Lausanne Health & Hospitality group (www.lhtwo.com)
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