
Führung zwischen Gefühl und Verantwortung: Wenn es kein Richtig gibt BGW magazin 3/2025
Wer Verantwortung trägt, kennt die Situation: Mal wieder muss eine Entscheidung getroffen werden, bei der es sich nicht allen recht machen lässt. Zwischen fachlichen Anforderungen, wirtschaftlichem Druck, Fachkräftemangel, Teamführung und den eigenen Ansprüchen entsteht ein innerer Spagat – das Führungsdilemma.
Eine Mitarbeiterin braucht dringend Unterstützung, gleichzeitig stehen wichtige Termine an. Ein Patient wartet schon länger auf die Behandlung, doch heute sind mehrere Beschäftigte ausgefallen. Ein Konflikt im Team eskaliert, während eine neue gesetzliche Vorgabe schnell umgesetzt werden muss ... Viele Führungskräfte erleben diesen Alltag als zermürbend. Sie strengen sich immer mehr an, um solche Situationen aufzulösen. Zugleich fühlen sie sich ausgeliefert – und fragen sich: Mache ich das richtig?
Das Dilemma erkennen
Die Wahrheit ist: Oft gibt es kein klares Richtig oder Falsch. Beide Aufgaben oder Anliegen sind gleich wichtig, lassen sich aber nicht gleichzeitig umsetzen. Trotzdem ist eine Entscheidung zu treffen. Wenn Führungskräfte merken, dass ihre Gedanken kreisen und die Widersprüche scheinbar keinen Ausweg zulassen, handelt es sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um eine Dilemmasituation.
Der erste Schritt zur Entlastung ist, das Dilemma überhaupt zu erkennen. Es ist kein persönliches Versagen, wenn man sich überfordert fühlt – sondern es handelt sich um eine strukturelle Herausforderung. Wer das anerkennt, kann sich selbst mit mehr Verständnis begegnen und reflektiert handeln. Gefragt ist eine bewusste Entscheidung – in Kenntnis der Widersprüche und des "Preises": Ich entscheide mich für diese Handlungsalternative, weil mir die Unterstützung der Mitarbeiterin an dieser Stelle wichtiger ist als der Termin. Auch, wenn ich dann den Ärger durch die Terminverschiebung auf mich nehmen muss.
Die Fähigkeit, mit (...) Zwickmühlen umzugehen, nennt man Dilemmakompetenz. (...) Diese Kompetenz reduziert in Dilemmasituationen die psychische Belastung.

Kajsa Johansson ist Diplom-Pädagogin und systemische Therapeutin. Sie leitet seit über zehn Jahren den Arbeitskreis "Führung und Gesundheit" bei der BGW. Sie sagt: Im Dilemma geht es darum, trotz der Unlösbarkeit handlungsfähig zu bleiben. Dabei hilft es oft, auf die eigenen Gefühle und Werte zu vertrauen. Spielen Sie gedanklich die Alternativen durch: Welche Auswirkungen hat das jeweils? Dann können Sie beginnen, für einen dieser Fälle Verantwortung zu übernehmen: Was ist mir als Führungskraft gerade wichtiger? Welchen Preis nehme ich lieber in Kauf und warum?
Die Preisfrage für Führungskräfte: Für welche Entscheidung kann ich am ehesten Verantwortung übernehmen? Lösung reflektieren!
Statt:
- Emotionsausbruch
- Rückzug in Zynismus
- das Unmögliche versuchen
- Entscheidung vermeiden
Besser:
- explizit entscheiden
- Emotionen nutzen
- Unlösbarkeit kommunizieren
- solidarisieren – Team ins Boot holen
Die Fähigkeit, mit derartigen Zwickmühlen umzugehen, nennt man Dilemmakompetenz. Sie bedeutet vor allem, Entscheidungen bewusst zu treffen, ohne eine "gerechte" oder "gute" Lösungsoption zu haben. Die Folgen meines Handelns kalkuliere ich ein und kann sie vor mir und anderen klar vertreten. Diese Kompetenz reduziert in Dilemmasituationen die psychische Belastung. Sie hilft Führungskräften beispielsweise auch, besser mit Gegenwind umzugehen.
Wichtig ist zudem, die Situation anderen Beteiligten gegenüber transparent zu machen. Kajsa Johansson empfiehlt: Eignen Sie sich Kommunikationsstrategien an, damit Sie Ihre Entscheidung klar vertreten können.
Tipps zum Umgang mit dem "Führungsdilemma"
Sich Unterstützung holen
Selbst wenn es sich gelegentlich so anfühlt: Führungskräfte sind nicht auf sich allein gestellt. Holen Sie sich Unterstützung. Tauschen Sie sich beispielsweise mit anderen Führungskräften oder vertrauten Kolleginnen und Kollegen aus
, rät Johansson. Supervision, kollegiale Beratung, Coaching – all das hilft ebenfalls, in scheinbar unlösbaren Situationen Klarheit zu finden.
Auch das Unternehmen ist gefragt: Eine offene Fehlerkultur, realistische Ziele und Rückhalt von oben schaffen Räume für "gesundes Führen". Ein Kernelement dabei: dass Führungskräfte nicht dauerhaft in der Zwickmühle stecken und sich selbst aufreiben. Wie sie zwar nicht zu "der richtigen", aber zu einer stimmigen Entscheidung kommen, vermitteln beispielsweise Führungskräftetrainings – auch die BGW bietet hierzu ein halbtägiges Online-Seminar an. Fest steht jedenfalls: Gar keine Entscheidung zu treffen, ist in der Regel keine Lösung.
Hintergründe und Tipps zum Führungsdilemma bietet eine Folge des BGW-Podcasts – unter anderem mit Kajsa Johansson.
Von: Anja Hanssen