Eine Frau schaut direkt in die Kamera. Hinter ihr stehen weitere Menschen, die ebenfalls nach vorn schauen. Alle tragen Masken.

Auf dem Weg zum "starken Unternehmen" BGW magazin - 4/2022

Im Alltag von kleinen wie großen Betrieben gibt es viele Herausforderungen. Wie bekommt man sie in den Griff? Ein Tipp der BGW lautet: den Arbeitsschutz als Chance nutzen. Gerade kleine Unternehmen können vom systematischen Vorgehen profitieren – und so etwas für die Beschäftigten tun.

Wer sich in Betrieben umhört, stößt immer wieder auf ähn­liche Themen: knappe Ressourcen, fehlende Fachkräfte, eine Vielzahl von Anforderungen, die zu erfüllen sind. Doch es zeigt sich auch, was gut aufgestellte Unternehmen ausmacht: Sie setzen bei den Menschen im Betrieb an, sprechen über Führung, Zusammenarbeit, Sicherheit und Gesund­heit – und beziehen alle Beteiligten ein. Was oft als "gute Präventionskultur" bezeichnet wird, bleibt jedoch für manche, die noch ganz am Anfang stehen, wenig greifbar.

Logo: Starke Unternehmen mit Schriftzug "Für starke Unternehmen gesund und sicher mit der BGW" und grünem Herz

Mit einer Initiative "Für starke Unternehmen" will die BGW zeigen, dass das nicht so bleiben muss. Der Hebel zum Erfolg kann der Arbeitsschutz sein. Wird er systematisch organisiert, erfüllen Betriebe nicht nur gesetzliche Anforderungen, sondern können auch attraktive Arbeitsbedingungen schaffen. Das kommt den Beschäftigten zugute und trägt zum nachhaltigen Unternehmenserfolg bei.

Unterstützung von Anfang an

Den Weg zum "starken Unternehmen" begleitet die BGW mit verschiedenen Angeboten je nach Ausgangslage im Betrieb. Wer sich erstmal einen Überblick verschaffen will, startet zum Beispiel mit dem BGW Orga-Check und stellt per Selbsttest fest, ob zentrale Anforderungen an den Arbeitsschutz erfüllt sind. Der Vorteil: Die Betriebe gewinnen zum einen mehr Rechtssicherheit und zum anderen erhalten sie konkrete Hinweise auf Handlungsbedarf. Auch für die nächsten Schritte gibt es auf Wunsch Unterstützungsangebote der BGW – und sogar Fördermöglichkeiten.

Tipp: In Folge 46 des BGW-Podcasts geht es um die systematische Organisation des Arbeitsschutzes – und die Chancen, die sich daraus für Betriebe ergeben.


Interview: Wie wird man zum "starken Unternehmen"? 

Fünf Menschen, die die Herausforderungen aus eigener Erfahrung kennen, geben Antworten.

Personen Interview "starke Unternehmen"

  • Porträt: Mirko Glaser

    Mirco Glaser

    Inhaber einer Physiotherapiepraxis, Hilden
  • Porträt: Nadine Reussel-Distler

    Nadine Reussel-Distler

    Referentin Gesundheit, pulsnetz
  • Porträt: Claudia Hesse

    Claudia Hesse

    Fachkraft für Arbeitssicherheit, Haus-Krankenpflege
  • Porträt: Kathrin Zellner

    Kathrin Zellner

    Friseurmeisterin, Hairstyling Bayerwald
  • Porträt: Nicole Schliz

    Nicole Schliz

    Resilienz- & Business Coach, Intermed

Was macht ein "starkes Unternehmen" aus?

Mirco Glaser, Inhaber einer Physiotherapiepraxis, Hilden: Neben guten Umsatzerlösen zeichnet sich für mich ein starkes Unternehmen durch Beschäftigte aus, die sich mit ihrem Unternehmen identifizieren können, die Mitspracherecht haben und Wünsche äußern können. 

Nadine Reussel-Distler, Referentin Gesundheit, pulsnetz: Dass in einem Unternehmen eine gesunde Führung vorhanden ist – und zwar auf allen Ebenen im Sinne einer menschenzentrierten Führung. Dabei sollte ein Interesse am Menschen bestehen und nicht nur an der Arbeitskraft.

Wie entwickelt man sich zu einem "starken Unternehmen"?

Claudia Hesse, Fachkraft für Arbeitssicherheit, Haus-Krankenpflege: Ich denke mal, als Allererstes ist es immer eine Grundsatzentscheidung der Unternehmensführung. Will ich etwas verändern? Das ist die Gretchenfrage. Dann müssen die Veränderungsprozesse sensibel begleitet werden. Es müssen Ressourcen zur Verfügung gestellt werden: Zeit, Wissen, Geld, Material und es braucht natürlich Leute, die mit Herz dabei sind und die Fäden in der Hand halten.

Kathrin Zellner, Friseurmeisterin, Hairstyling-Bayerwald: Ein regelmäßiger und echter Austausch ist wichtig. Dass man auch Probleme ansprechen kann und sich sagt, wo der Schuh drückt. Und dass auch mal diskutiert werden kann. Je besser der Austausch, desto besser geht es allen. Welche Hürden gilt es zu überwinden?

Nicole Schliz, Resilienz- & Business Coach, Intermed: Ein Argument ist häufig der Zeitfaktor. Am Anfang ist es sicherlich so: Wenn ich etwas Neues beginne, muss ich mehr Zeit investieren. Aber das kann ich nach zehn Jahren dieser Reise wirklich sagen: Wenn ich in einem Unternehmen Gesundheitsmanagement etabliere, sind viele Hürden einfach nicht mehr da. Das spart unter dem Strich wieder Zeit, weil die Prozesse leichter gehen, weil das Zwischenmenschliche leichter funktioniert – das sind ja viele Stolpersteine.

Mirco Glaser: Ich bin in Doppelfunktion unterwegs als Fachkraft für Arbeitssicherheit und lerne auch andere Betriebe kennen. Das Herzstück im Arbeitsschutz ist die Gefährdungsbeurteilung. Viele haben überhaupt keine Kenntnis darüber, was im Arbeits- und Gesundheitsschutz gefordert ist. Wie erstelle ich eine Gefährdungsbeurteilung oder muss es die überhaupt geben? Was sind Unterweisungen, was sind Betriebsanweisungen? So etwas aufzubereiten, kostet Zeit, definitiv. Wie geht ein 'starkes Unternehmen' vor?

Nicole Schliz: Strategie hört sich immer so an, als gäbe es da eine Blaupause und wenn ich die übernehme, wie im Qualitätshandbuch, habe ich die 'eierlegende Wollmilchsau'. Genau so funktioniert es eben nicht. Im Vordergrund steht: Ich will das wirklich. Und wenn ich es nicht wirklich will, dann ist es von vornherein zum Scheitern verurteilt. Es muss eine Überzeugung da sein – und diese Überzeugung führt zu einer neuen Weltanschauung und eben auch dazu, dass ich ein Unternehmen anders führe.

Claudia Hesse: Das A und O ist, dass das Führungsteam hundertprozentig hinter dem steht, was es tut. Und es ist wichtig, dass es Entscheidungen im Team sind, das ist bei uns immer so. Wir wollen weg vom 'Inselwissen' und von 'Einzelgänger-Entscheidungen'. Wir versuchen, die Mitarbeitenden genauso wie das Leitungsteam zu fördern – nicht nur fachlich, sondern auch in der Persönlichkeitsentwicklung. Dazu bieten wir verschiedene Schulungen an, um diesen neuen Weg zu 'New Work' gut beschreiten zu können. 'New Work' bedeutet ja im Sinne einer guten Arbeitskultur, dass man versucht, die Arbeit so zu gestalten, dass sie den Menschen Spaß macht. Dass sie gern das tun, was sie tun. Dass man guckt, was ihre besonderen Fähigkeiten sind, und sie entsprechend in der Firma einsetzen kann. 'New Work' bedeutet auch, die Selbstorganisation der Mitarbeitenden zu fördern. Wissen auf allen Schultern zu verteilen, sodass, wenn jemand ausfällt, das Wissen für alle zur Verfügung steht.

Sind starke Unternehmen, die Wert auf Arbeitsschutz legen, besser für Herausforderungen wie die Corona-Pandemie oder Fachkräftemangel gewappnet?

Nicole Schliz: Ja, das ist sozusagen der Schutzschild, die Prophylaxe schlechthin. Die nächste Krise kommt ja bestimmt. Es hat sich auch in der Pandemie gezeigt, welche Unternehmen eingeknickt sind und welche trotz widriger Umstände orientiert waren, lernwillig waren und Chancen ergriffen haben. Es ist schon gut, wenn man vorher auf dieses Konto eingezahlt hat, damit man nachher, wenn die Ressourcen sich verschieben oder verknappen, tatsächlich gut durchkommt.

Kathrin Zellner: Ja, ein Unternehmen, das offen ist und auf diese Themen Wert gelegt hat, konnte auch mit der Corona-Krise besser umgehen, weil eben schon gewisse Strukturen vorhanden waren. Die haben sich definitiv leichter getan. Andere, die zum Beispiel vorher auf Hygiene nicht so viel Wert gelegt haben, hatten deutlich größere Schwierigkeiten, sich darauf einzustellen. Ich glaube, das hat man auch als Kundin und Kunde gemerkt, wer das gut umgesetzt hat und wer nicht. Das unterscheidet den normalen Friseur vom guten Friseur. Es war eben 'das kleine Quäntchen mehr'.

Welche Vorteile bringt es darüber hinaus, ein "starkes Unternehmen" zu sein?

Nadine Reussel-Distler: In der Sozialwirtschaft gibt es mehr Stabilität, auch im Hinblick auf die Mitarbeitenden. Die Fluktuation ist geringer und starke, gesunde Unternehmen sind natürlich attraktiver bei der Mitarbeitergewinnung. Mitarbeiterbindung bringt damit auch wirtschaftliche Stabilität, denn in der Sozialwirtschaft ist Personal auch ein Kostenfaktor. Manche Ausfälle lassen sich nicht verhindern. Aber als gesundes, starkes Unternehmen hat man Strategien, um diesen Schwierigkeiten zu begegnen. Zum Beispiel ein Eingliederungsmanagement, bei dem ich schon frühzeitig Kontakt zum erkrankten Mitarbeiter suche und man gemeinschaftlich klärt, wie man den Wiedereinstieg planen kann. Was geht, was nicht, wo sind Grenzen? Das hat für mich etwas mit wertschätzender Kommunikation zu tun.

Claudia Hesse: Wir haben da so ein Bild: Wir wollen kein träger Tanker sein, sondern ein Schnellboot, das seine Richtung ändern und schnell agieren kann. Das heißt, der immer rasanter werdenden Arbeitswelt zu begegnen und Organisation und Führung so zu gestalten, dass man komplexen Anforderungen standhält und trotzdem dabei Sicherheit bieten kann – und Spaß hat.

(Das Interview führte Alexandra Rickert.)

Von: Anja Hanssen und Maria Aigner