Umgang mit Demenz: Tipps für Pflegekräfte und Angehörige – Teil 2 #64 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Fast zwei Millionen Menschen in Deutschland leiden an einer Demenzerkrankung – eine Volkskrankheit, die für Angehörige und Pflegekräfte sehr belastend sein kann.
In dieser Folge wollen wir Erfahrungen und Tipps im Umgang mit Demenzerkrankten weitergeben. Dazu sprechen wir mit der Pflegedienstleitung Ellen Rublé und Angelika Hermenau von der BGW. Sie hat ihre Abschlussarbeit über den Umgang mit demenziell erkrankten Personen in Pflegeheimen geschrieben.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Moderator: In Deutschland sind ungefähr 1,8 Millionen Menschen an einer Demenz erkrankt. Jährlich kommen etwa 440.000 Neuerkrankungen dazu. Das ist eine ganz schön erschreckende Zahl und zeigt, wie wichtig dieses Thema ist. Genau darum geht es heute. Wir wollen die Demenz aus Sicht der Pflegefachkräfte kennenlernen, denn in der stationären Altenpflege findet der Kontakt mit Demenzerkrankten Patientinnen und Patienten jeden Tag statt. Der Umgang mit dieser Krankheit stellt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflegeeinrichtung eine große Herausforderung dar. Und wenn diese auch noch im privaten Umfeld demenzerkrankte Personen pflegen, dann kommt es für die Pflegekräfte zur Doppelbelastung. Das war Thema in der letzten Podcast Folge „Demenz: Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“.
(Rückblick)
Sabine Lohr: Bewusste Pausen einbauen zwischen der Arbeit und der Pflege zu Hause, aber auch sich selbst gut im Auge haben. Sich selbst gut beobachten. Selbstfürsorge ist angesagt, auch Austausch mit anderen. Dann versuchen, die Pflege nicht alleine zu stemmen, sondern wirklich ein Netzwerk aufzubauen innerhalb der Familie.
(Rückblick Ende)
Moderator: Hören Sie gern in die Vorgängerfolge #63 Demenz: Vereinbarkeit von Beruf und Pflege rein (oder lesen Sie das Transkript #63), dort gibt es viele Tipps, wie Sie mit der Doppelbelastung umgehen können. Was sind die größten Herausforderungen im Umgang mit Demenzerkrankten und welche Möglichkeiten der Unterstützung gibt es? Darüber reden wir heute. Ich bin Ralf Podszus. Schön, dass Sie dabei sind.
(Podcast Opener)
Moderator: Angelika Hermenau ist Aufsichtsperson bei der BGW und hat ihre Abschlussarbeit über den Umgang mit dementiell erkrankten Personen im Pflegeheim geschrieben. Und davon berichtet sie uns jetzt.
Angelika Hermenau: Ich denke, die meisten hatten schon Berührungspunkte mit dem Thema Demenz und viele Menschen erleben den Umgang ja auch als eine besondere Herausforderung. Da hab ich mich gefragt, woran liegt das eigentlich und was macht das so herausfordernd? Ich wollte gerne in meiner Prüfungsarbeit beschreiben, wie das Ganze in einem professionellen Umfeld aussieht. Also mit welchen Belastungen haben denn die Fachkräfte in der stationären Altenpflege zu tun und welche Möglichkeiten gibt es auch, da präventiv vorzugehen.
Ich habe Interviews mit Experten aus verschiedenen Einrichtungen geführt. Das war sehr spannend, weil die sich alle sehr mit dem Thema beschäftigt haben, und hab sie befragt nach ihren Erfahrungen, die sie in ihrer Einrichtung gesammelt haben. Was ich so nicht erwartet habe, ist, dass die Erkrankung Demenz immer noch tabuisiert ist und auch vom Umfeld lange Zeit verdrängt oder verleugnet wird. Es gab in allen Einrichtungen einen sehr hohen Anteil an Bewohner:innen mit der Diagnose, der lag so etwa bei 70 bis 90 Prozent.
Und es gab eine große Einigkeit bei den Fachkräften, dass die psychische Belastung, die zentrale und größte Gefährdung ist. Mich hat vor allem beeindruckt folgende zwei Aspekte: Das eine, wie wichtig es ist, über die Erkrankung gut informiert zu sein. Da ist mir der Satz in Erinnerung geblieben „Das Wissen um die Erkrankung ist das A und O“. Und zum anderen auch, welche Bedeutung die Kommunikation einnimmt.
Also man muss sich vorstellen, dementiell erkrankte Personen nehmen die Welt anders wahr und sie leben in ihrer eigenen Wirklichkeit. Und da ist es eben notwendig, auch eine andere Sprache zu finden, wie wir es vielleicht gewohnt sind. Das haben einige Einrichtungen auch erkannt und bieten Kommunikationstrainings an, um ihre Mitarbeiterinnen zu sensibilisieren. Was da hilfreich sein kann, ist beispielsweise das Konzept der Validation, wo es darum geht, eine wertschätzende Haltung einzunehmen, die einfühlsam ist und auch akzeptierend.
Und ein ganz wichtiger Aspekt ist auch die individuelle Biographiearbeit. Das heißt, es geht darum, sich auch noch mal anzuschauen, welche beruflichen Erfahrungen oder welche Vorgeschichte bringt jemand mit, um einfach mehr Verständnis füreinander zu entwickeln und Verständnis für bestimmte Gewohnheiten oder Vorlieben. Zu guter Letzt ist noch eine geregelte Tagesstruktur wichtig, denn eine Unsicherheit in den Abläufen kann auch zu Überforderung führen, sodass die Sicherheit in den Abläufen ein ganz wichtiges Element in der Prävention darstellt.
Moderator: Vielen Dank Angelika Hermenau.
In ihrem Beruf begegnen Pflegefachkräfte der Demenz jeden Tag. Sie bekommen die Krankheitsverläufe also hautnah mit. Wie sie es schaffen, damit umzugehen, das wird uns nun Ellen Rublé erzählen. Sie ist Leiterin eines Pflegeheims in Düsseldorf, das Frau Hermenau für ihre Abschlussarbeit besucht und interviewt hat. Hallo Frau Rublé. Schön, dass Sie mit dabei sind.
Ellen Rublé: Ja, hallo Herr Podszus, vielen Dank für die Einladung.
Moderator: Was verändert sich für die Pflegekräfte, wenn ein Bewohner oder eine Bewohnerin im Pflegeheim erkrankt?
Ellen Rublé: Ja, es verändert sich zunehmend viel, allerdings ist die Demenz ein schleichender Prozess, der sich eigentlich in vier Prozessstufen gliedert. Man muss also als Fachkraft jeden Tag neu abschätzen, ob halt der Bewohner dem folgen kann, was ich von ihm möchte und in welchem Stadium er ist, weil er kann sich halt einfach auch zunehmend verschlechtern. Das heißt, wenn er anfangs im ersten Stadium ist, dann vergisst er halt etwas, verlegt etwas. Aber das wird eigentlich gar nicht als so schlimm empfunden. Weil Sie verlegen was, ich verlege was, aber das Schlimme ist, dass der dementiell Erkrankte Hilfe braucht, um verlegte Dinge wiederzufinden.
Im zweiten Stadium beginnt er dann schon, die Zeiten zu vermischen. Er merkt, dass er zeitweise in einer anderen Realität lebt, so dass er dem, was ich als Pflegekraft ihm sage, kann er zum Teil gar nicht mehr umsetzen, weil er halt einfach im Moment nicht im Jetzt lebt. Man sagt in der Demenzpflege auch, da spricht man von Fotoalben.
Das Leben ist sozusagen in Fotoalben aufgeteilt, vom Kleinkindalter bis hoch zum Hier und Heute und rückwirkend verliert der dementiell Erkrankte halt seine Fotoalben. Zuerst verliert er das Fotoalbum von heute, das heißt, er kann sich an die letzten Stunden, vielleicht letzten Tage, nicht erinnern und dann geht das immer weiter, bis er halt wirklich in die zweite Phase eintritt, wo er dann einfach auch zunehmend seine Angehörigen nicht mehr erkennt, weil er in einer anderen Zeit wohnt, ja, lebt, wirklich lebt. Er empfindet sich zum Beispiel als junge Frau, also Sie haben dann vor sich stehen eine 80-, 85-jährige, 90-jährige Witwe, die unter Umständen auch schon Kinder begraben hat und die empfindet sich aber dann als ganz junge Ehefrau und Mutter und – meistens am Abend – dann möchte sie nach Hause, dann möchte sie zu ihren Kindern, weil die kommen vom Spielen. Der Mann kommt von der Arbeit, sie muss Essen, kochen. Und das ist ihre Realität.
Hier kann man halt einfach über die Gesprächstechnik der Validation sich auf die Dame einstellen, ihr Pflichtbewusstsein hervorheben und dadurch versuchen, sie abzulenken und zum Beispiel anzuregen, dass sie das Abendbrot oder Tee kocht für den Wohnbereich. Das klappt meistens sehr gut, weil Dementielle auf Validation recht gut reagieren. Dieses Syndrom nennt man auch „Sundowner Syndrom“, weil es meistens am Nachmittag auftritt. Dazu kommt, dass der Bewohner in der dritten Phase vor allen Dingen, er hat keine Wortkonzepte mehr, wenn Sie ihm sagen: „Bitte trinken Sie doch die Tasse leer“, dann kann er mit dem Begriff der Tasse nichts mehr verbinden.
Bei uns Gesunden ist es so, wenn sie den Begriff der Tasse hören, wissen Sie sofort das ist ein Gegenstand – meistens einer aus Porzellan, Keramik – mit einem Henkel und eigentlich gedacht für heiße Getränke. Und wir haben direkt ein Bild vor Augen. Und dieses Bild findet der dementiell Erkrankt nicht mehr. Zeigt man ihm dann die Tasse und sagt in Verbindung mit dem Bild der Tasse, was er vor Augen hat: „Bitte trinken Sie doch aus“, dann kann er dieser Aufforderung auch folgen. Ansonsten würde er die Tasse nicht finden und er würde auch nicht trinken. Das gleiche gilt für die Schrift. Er kann die Wortkonzepte nicht mehr bilden und damit auch nicht mehr verstehen.
All dies führt einfach auch zu Ängsten, weil der Betroffene trotz allem merkt, dass etwas nicht stimmt, dass etwas anders ist, als es irgendwann einfach mal war und dadurch wird er halt einfach auch unruhig, zum Teil auch aggressiv. Die einfachste Form mit dieser Aggressivität umzugehen, ist, erstmal die Validation und ganz entscheidend ist, dass, wenn er unruhig wird, dass man den Dementen einen WC-Gang anbietet.
Weil oft steht da das Gefühl für Harn- oder Stuhldrang hinter, was er einfach nicht mehr äußern kann. Er kann halt diese Bedürfnisse nicht mehr erkennen, nicht mehr äußern. Hier helfen wirklich regelmäßige Toilettengänge, um diese Aggressivität zu mildern und auch um die Selbstständigkeit dieser dementiell veränderten Personen zu erhalten. Weil gerade Stuhlgang und Harnabgang sind mit sehr viel Scham behaftet. Und wenn man dann bemüht ist, die Selbstständigkeit zu erhalten, beruhigt es den Bewohner und die Aggressivität nimmt ab.
Ein zweiter Faktor ist auch, um Aggressivität zu lindern, ist ganz einfach eine permanente Wiederholung des Tagesablaufes. Also jeder Tag sollte gleich ablaufen, sodass es nicht zur Reizüberflutung kommt. So ist es auch nicht sinnvoll, dass dementiell Veränderte an vielen Gruppenangeboten oder großen Gruppenangeboten teilnehmen. Es sollten immer ausgewählte kleine Gruppen sein, weil der dementiell Veränderte einfach sehr schnell überfordert ist. Eine Karnevalssitzung oder eine Karnevalsfeier, wie wir sie gerade erlebt haben, überfordert den Demenziellen schon im Anfangsstadium, ja.
Moderator: Überfordert mich generell tatsächlich auch, muss ich sagen, das ist glaube ich auch eine kulturelle Geschichte, auf jeden Fall. Jetzt haben Sie auch gesagt diese Veränderungen, die sind für den Betroffenen, für die Betroffene auch sehr schwer nachzuvollziehen. Man versteht einfach vieles nicht mehr. Das ist natürlich dann auch, wenn man das dann feststellt, wahrscheinlich mit sehr viel Traurigkeit verbunden. Also hier muss man wahrscheinlich auch die tröstende Hand die ganze Zeit halten.
Ellen Rublé: Das ist unterschiedlich. Eigentlich erleben wir es mehr in Form von Nervosität, Unsicherheit – nicht Traurigkeit, das ist ganz selten. Weil die Dementen sind nicht traurig, wenn sie vor allen Dingen im Stadium zwei, drei sind. Die sind nicht traurig. Ganz am Anfang in der Stufe eins, da kann es schon mal zu Traurigkeit kommen, weil die da wirklich ganz konkret merken, dass sie Fähigkeiten verlieren. Am Ende der zweiten Phase, Beginn der dritten Phase äußert sich das mehr wirklich durch Nervosität, Unsicherheit hin zur Aggressivität. Je nachdem, wie man mit den Dementen umgeht.
Und hier ist es auch wichtig, dass man bei einem Dementen, dass man dem die Zeit lässt, Aufgaben oder Anregungen umzusetzen, die mehrfach wiederholt und vor allen Dingen immer wieder den Augenkontakt hält zu dem dementiell Veränderten. Er kann es aus Eigeneregie nicht mehr. Er kann auch aus Eigenregie nicht mehr aus dem vielfältigen Angebot seines Kleiderschrankes seine Kleidung auswählen. Er braucht halt ein reduziertes Angebot, von da ist die rote Blue oder die blaue Bluse und dann kann er sich entscheiden. Man darf also nicht vier, fünf Sachen halt einfach eben zur Entscheidung vorlegen, ja.
Moderator: Jetzt wissen wir, was mit den Menschen passiert und dass sie auch in einer anderen Welt zu Hause sind. Dementsprechend wissen auch dann die Pflegekräfte, wie sie damit umgehen müssen. Also nicht sagen „Trink bitte was“, sondern eben sie haben das Beispiel mit der Tasse erwähnt, eben das genauer erklären. Man muss hier also seine Hausaufgaben machen, wie man eben jetzt mit Demenzerkrankten umgeht, dass sie halt einfach nicht mehr in unserem Jetzt da sind. Da ergeben sich also einige neue Spielregeln dann daraus. Welche spezifischen und vor allem für die Demenz typischen Belastungen ergeben sich denn daraus?
Ellen Rublé: Für die Pflegekräfte ist es halt immer wieder dieses Abholen des Bewohners in dem Zeitraum, in dem er lebt. Diese Empathie, die die Pflegekraft jeden Tag für jeden einzelnen Bewohner aufbringen muss, um ihn individuell betreuen zu können und seine Tagesform einzuschätzen, das ist die größte Herausforderung. Die zweite Herausforderung ist, die Pflegekraft muss wirklich darauf achten, dass sie den Betroffenen nicht den Zeitdruck spüren lässt, unter denen sie selbst steht und dass sie halt vor allen Dingen die Dinge je nach Tagesform des Betroffenen anwendet und ihm halt einfach auch nicht so viel Auswahl lässt. Wirklich nur so Ja-Nein-Fragen stellt oder irgendwie Suggestivfragen stellt?
Moderator: Wie kann ich auf mich aufpassen, um meine innere Stärke und Kraft zu erhalten?
Ellen Rublé: Als Pflegekraft muss ich halt wirklich auf mich selbst achten. Ich muss ein gutes Wertegefühl in mir selbst haben, eine gute Distanz auch aufbauen, Nähe-Distanz-Schwelle aufbauen können, empathisch sein für den betroffenen Bewohner und vor allen Dingen, um Aggressivität zu verhindern, Ruhe ausstrahlen. Dementiell veränderte mögen keine Hektik, keine Turbulenzen. Darauf reagieren sie mit Unruhe bis hin zur Aggressivität. Das kommt aber auch auf das Stadium der Demenz an und auch auf die Art der Demenz.
Da ist zum Beispiel die Frontaltemporäre Demenz, früher wurde das Morbus Pick genannt. Betroffen ist hier der Frontallappen, wo unsere Gefühle sitzen, wo so ein bisschen unsere Erziehung noch hinterlegt ist. Wenn das halt betroffen ist, dann neigen die Menschen auch dazu, enthemmt zu sein und nicht nur verbal enthemmt zu sein, sondern auch tätlich zu werden und darauf muss auch eine Pflegekraft sich einstellen. Also wie gesagt, das ist die Tagesform, es ist die Art der Demenz und es ist die Ruhe auszustrahlen - das sind die Dinge, die mich vor einer Aggressivität schützen können.
Moderator: Das Thema Aggression und Gewalt gegen Pflegekräfte das haben wir auch schon in Folge zwei unseres Podcast behandelt. Hören Sie gerne noch mal rein. Die BGW engagiert sich dafür, solchen Vorfällen vorzubeugen. Welche Präventionsmaßnahmen werden Ihnen hier zum Beispiel mit an die Hand gegeben?
Ellen Rublé: Von der Ausbildung her werden uns keine Präventionsmaßnahmen mit an die Hand gegeben. Die Präventionsmaßnahmen, die halt ergriffen werden, basieren oft auf Erfahrung. Weil halt die Spezialisierung auf besonders gestalterische Fachkräfte sehr gering ist. Es ist eine teure Ausbildung, eine langwierige Ausbildung und wir haben in der Pflege halt wenig Hilfsmittel, um uns vor Aggressionen zu schützen. Die Größte ist halt wirklich die Empathie und die Erfahrung, dass man halt einfach sich auf das Gegenüber einstellen kann.
Es gibt auch wenig Weiterbildungen zu Validation. Es ist wirklich oft sehr schwierig, einen Trainer zu finden für Validation und es ist auch wirklich schwierig, wenn man Fortbildungen anbietet, weil sie müssen ja auch dann flächendeckend angeboten werden. Die Refinanzierung über die Kassen ist eigentlich kaum möglich und es ist wirklich schwierig. Also das Pro ist wirklich die Pflegekraft als Mensch muss sehr empathisch sein und halt einfach auch auf Erfahrungen zurückgreifen können.
Moderator: Wo sehen Sie bei den Präventionsmaßnahmen Verbesserungspotenzial?
Ellen Rublé: Verbesserungspotenzial ist eindeutig in der Ausbildun, dass in der Ausbildung hier schon mehr Einfluss genommen wird auf das Verhalten, auf Gesprächstaktiken wie zum Beispiel Validation oder überhaupt die gewaltfreie Kommunikation. Dass das halt einfach besser eingeübt wird. Es sollte halt einfach auch besser refinanziert werden, die Weiterbildung zur Gerontopsychiatrischen Fachkraft und vor allen Dingen in den Heimen die Refinanzierung von Weiterbildungen im laufenden Prozess. Das heißt, dass ich das jetzt so aufbauen kann, dass auch die Versorgung der Bewohner gesichert ist, während Mitarbeiter geschult werden.
Moderator: Hier muss man also auch selbst aktiv sein, damit man sich immer besser auskennt in dem Bereich. Wie können Arbeitskolleginnen und -kollegen sich denn gegenseitig unterstützen?
Ellen Rublé: Das machen sie eigentlich jeden Tag, indem sie zum Beispiel, wenn ich als Pflegefachkraft, man ist ja nicht jeden Tag gleich gut drauf nenne ich das mal, dass man den Kollegen sagt: „Hör mal, also heute kann ich die Bewohnerin Frau Müller nicht pflegen, die hat immer so ein herausforderndes Verhalten, das ertrage ich heute nicht“. Dann geht der Kollege und pflegt die entsprechende Frau Müller und wir machen es halt einfach auch täglich in der Übergabe. Besprechen miteinander, lösungsorientiert, wie man mit Mitbewohnern umgehen kann und bei besonders schweren Fällen gibt es auch wirklich das konkrete Fallgespräch zum Verhalten des Bewohners, wo wirklich an gemeinsamen Lösungen gearbeitet wird, weil auch hier die Routine und dass alle das Gleiche machen, ist für den dementiell Erkrankten extrem wichtig, damit er sich halt einfach sicher fühlt und damit es nicht zur Aggressivität kommt.
Das zweite ist die Biografie zu kennen. Für uns ist es ganz wichtig, die Biografie zu kennen, weil im Moment sind halt einfach auch noch viele Frauen, die die Kriegszeit noch erlebt haben und die einfach auch schwere Repressalien in der Kriegszeit erlebt haben durch Männer und hier kommt es auch zu Aggressivität in der Verweigerung der Pflege. Wenn ich das denn weiß, dass da eventuell was sein könnte - weil diese Armen haben das ja nie gesagt, die haben das ja immer verschwiegen - aber wenn man einen Anhaltspunkt hat, dass hier eventuell etwas vorgefallen sein könnte in der Kriegszeit oder eben in der Biografie, dann kann ich mich als Pflegekraft darauf einstellen.
Genauso gut ist es auch wichtig, dass ich die Pflegehandlung nicht zwingend durchführe, sondern zum Beispiel auch mal unterbreche und sage: „Ok, ich komme in fünf Minuten noch mal wieder“ oder „Ich komme in zehn Minuten noch mal wieder“. Und das auch drei- oder viermal, bis der Bewohner halt einfach zulässt, dass er gepflegt werden kann. Das ist natürlich auch ein schwieriges Aushalten, wenn der Bewohner sehr stark mit Fäkalien verschmutzt ist, aber es zeigt sich immer wieder, dass man mit Ruhe sehr viel Aggressivität gerade bei dementiell Veränderten verhindern kann.
Moderator: Frau Rublé, zum Abschluss noch: Welche schönen Seiten nehmen Sie aus Ihrem Arbeitsalltag mit Demenzerkrankten mit?
Ellen Rublé: Das Schöne an der Arbeit mit Demenzerkrankten ist die Ehrlichkeit der dementiell Erkrankten. Dementiell Erkrankte sind immer offen, sind immer ehrlich, sie geben Ihnen sofort ein Feedback zu Ihrer Arbeit, zu Ihrem Verhalten und das schätze ich persönlich sehr an dementiell Erkrankten und es ist auch schön zu erleben, wie man dementiell Erkrankte halt einfach auch noch begleiten kann und dadurch ist es halt einfach schön, dass die Selbstbestimmung des Betroffenen halt länger erhalten bleibt.
Moderator: Ich kann auch privat hinzufügen, weil ich auch tatsächlich in meinem Leben schon mit demenzerkrankten Menschen zu tun hatte: die Augen. Die Augen verraten bis zuletzt immer noch irgendwie das Befinden und auch die Persönlichkeit, wenn auch schon nicht mehr viel vom Kopf her da ist, man sieht anhand der Augen die Unsicherheit oder auch die Freude und die Freude vor allem dann sehr unterstrichen. Das ist wirklich sehr schön zu sehen, wenn man diese Fröhlichkeit spürt einfach, weil einen schon ja begeisternde Augen anstrahlen.
Ellen Rublé: Ja, da stimme ich Ihnen zu und das Erstaunliche ist auch, selbst wenn der Bewohner schon weit in seiner Biografie zurückgegangen ist. Trotz allem gibt er mir das Zeichen, dass er mich als Person erkennt, wenn ich ihn jeden Tag pflege und wenn er mit meiner Pflege zufrieden ist.
Moderator: Frau Rublé, vielen Dank für dieses Gespräch.
Ellen Rublé: Ja gerne. Vielen Dank für die Einladung nochmals.
Moderator: Der Umgang mit Demenzerkrankten kann für Angehörige und Pflegekräfte zu einer großen Belastung werden. Wir haben heute gehört, was hier besonders wichtig ist, Prävention und Hilfe annehmen. Alle Infos zum Podcast und zu allen bereits veröffentlichten Folgen finden Sie wie gewohnt unter bgw-online.de/podcast. Ja, und natürlich überall dort, wo es Podcasts gibt. Tschüss und bis zum nächsten Mal.
(Outro: Herzschlag für ein gesundes Berufsleben. Der BGW Podcast)
Moderator: In Deutschland sind ungefähr 1,8 Millionen Menschen an einer Demenz erkrankt. Jährlich kommen etwa 440.000 Neuerkrankungen dazu. Das ist eine ganz schön erschreckende Zahl und zeigt, wie wichtig dieses Thema ist. Genau darum geht es heute. Wir wollen die Demenz aus Sicht der Pflegefachkräfte kennenlernen, denn in der stationären Altenpflege findet der Kontakt mit Demenzerkrankten Patientinnen und Patienten jeden Tag statt. Der Umgang mit dieser Krankheit stellt für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Pflegeeinrichtung eine große Herausforderung dar. Und wenn diese auch noch im privaten Umfeld demenzerkrankte Personen pflegen, dann kommt es für die Pflegekräfte zur Doppelbelastung. Das war Thema in der letzten Podcast Folge „Demenz: Vereinbarkeit von Beruf und Pflege“.
(Rückblick)
Sabine Lohr: Bewusste Pausen einbauen zwischen der Arbeit und der Pflege zu Hause, aber auch sich selbst gut im Auge haben. Sich selbst gut beobachten. Selbstfürsorge ist angesagt, auch Austausch mit anderen. Dann versuchen, die Pflege nicht alleine zu stemmen, sondern wirklich ein Netzwerk aufzubauen innerhalb der Familie.
(Rückblick Ende)
Moderator: Hören Sie gern in die Vorgängerfolge #63 rein (oder lesen Sie das Transkript), dort gibt es viele Tipps, wie Sie mit der Doppelbelastung umgehen können. Was sind die größten Herausforderungen im Umgang mit Demenzerkrankten und welche Möglichkeiten der Unterstützung gibt es? Darüber reden wir heute. Ich bin Ralf Podszus. Schön, dass Sie dabei sind.
(Podcast Opener)
Moderator: Angelika Hermenau ist Aufsichtsperson bei der BGW und hat ihre Abschlussarbeit über den Umgang mit dementiell erkrankten Personen im Pflegeheim geschrieben. Und davon berichtet sie uns jetzt.
Angelika Hermenau: Ich denke, die meisten hatten schon Berührungspunkte mit dem Thema Demenz und viele Menschen erleben den Umgang ja auch als eine besondere Herausforderung. Da hab ich mich gefragt, woran liegt das eigentlich und was macht das so herausfordernd? Ich wollte gerne in meiner Prüfungsarbeit beschreiben, wie das Ganze in einem professionellen Umfeld aussieht. Also mit welchen Belastungen haben denn die Fachkräfte in der stationären Altenpflege zu tun und welche Möglichkeiten gibt es auch, da präventiv vorzugehen.
Ich habe Interviews mit Experten aus verschiedenen Einrichtungen geführt. Das war sehr spannend, weil die sich alle sehr mit dem Thema beschäftigt haben, und hab sie befragt nach ihren Erfahrungen, die sie in ihrer Einrichtung gesammelt haben. Was ich so nicht erwartet habe, ist, dass die Erkrankung Demenz immer noch tabuisiert ist und auch vom Umfeld lange Zeit verdrängt oder verleugnet wird. Es gab in allen Einrichtungen einen sehr hohen Anteil an Bewohner:innen mit der Diagnose, der lag so etwa bei 70 bis 90 Prozent.
Und es gab eine große Einigkeit bei den Fachkräften, dass die psychische Belastung, die zentrale und größte Gefährdung ist. Mich hat vor allem beeindruckt folgende zwei Aspekte: Das eine, wie wichtig es ist, über die Erkrankung gut informiert zu sein. Da ist mir der Satz in Erinnerung geblieben „Das Wissen um die Erkrankung ist das A und O“. Und zum anderen auch, welche Bedeutung die Kommunikation einnimmt.
Also man muss sich vorstellen, dementiell erkrankte Personen nehmen die Welt anders wahr und sie leben in ihrer eigenen Wirklichkeit. Und da ist es eben notwendig, auch eine andere Sprache zu finden, wie wir es vielleicht gewohnt sind. Das haben einige Einrichtungen auch erkannt und bieten Kommunikationstrainings an, um ihre Mitarbeiterinnen zu sensibilisieren. Was da hilfreich sein kann, ist beispielsweise das Konzept der Validation, wo es darum geht, eine wertschätzende Haltung einzunehmen, die einfühlsam ist und auch akzeptierend.
Und ein ganz wichtiger Aspekt ist auch die individuelle Biographiearbeit. Das heißt, es geht darum, sich auch noch mal anzuschauen, welche beruflichen Erfahrungen oder welche Vorgeschichte bringt jemand mit, um einfach mehr Verständnis füreinander zu entwickeln und Verständnis für bestimmte Gewohnheiten oder Vorlieben. Zu guter Letzt ist noch eine geregelte Tagesstruktur wichtig, denn eine Unsicherheit in den Abläufen kann auch zu Überforderung führen, sodass die Sicherheit in den Abläufen ein ganz wichtiges Element in der Prävention darstellt.
Moderator: Vielen Dank Angelika Hermenau.
In ihrem Beruf begegnen Pflegefachkräfte der Demenz jeden Tag. Sie bekommen die Krankheitsverläufe also hautnah mit. Wie sie es schaffen, damit umzugehen, das wird uns nun Ellen Rublé erzählen. Sie ist Leiterin eines Pflegeheims in Düsseldorf, das Frau Hermenau für ihre Abschlussarbeit besucht und interviewt hat. Hallo Frau Rublé. Schön, dass Sie mit dabei sind.
Ellen Rublé: Ja, hallo Herr Podszus, vielen Dank für die Einladung.
Moderator: Was verändert sich für die Pflegekräfte, wenn ein Bewohner oder eine Bewohnerin im Pflegeheim erkrankt?
Ellen Rublé: Ja, es verändert sich zunehmend viel, allerdings ist die Demenz ein schleichender Prozess, der sich eigentlich in vier Prozessstufen gliedert. Man muss also als Fachkraft jeden Tag neu abschätzen, ob halt der Bewohner dem folgen kann, was ich von ihm möchte und in welchem Stadium er ist, weil er kann sich halt einfach auch zunehmend verschlechtern. Das heißt, wenn er anfangs im ersten Stadium ist, dann vergisst er halt etwas, verlegt etwas. Aber das wird eigentlich gar nicht als so schlimm empfunden. Weil Sie verlegen was, ich verlege was, aber das Schlimme ist, dass der dementiell Erkrankte Hilfe braucht, um verlegte Dinge wiederzufinden.
Im zweiten Stadium beginnt er dann schon, die Zeiten zu vermischen. Er merkt, dass er zeitweise in einer anderen Realität lebt, so dass er dem, was ich als Pflegekraft ihm sage, kann er zum Teil gar nicht mehr umsetzen, weil er halt einfach im Moment nicht im Jetzt lebt. Man sagt in der Demenzpflege auch, da spricht man von Fotoalben.
Das Leben ist sozusagen in Fotoalben aufgeteilt, vom Kleinkindalter bis hoch zum Hier und Heute und rückwirkend verliert der dementiell Erkrankte halt seine Fotoalben. Zuerst verliert er das Fotoalbum von heute, das heißt, er kann sich an die letzten Stunden, vielleicht letzten Tage, nicht erinnern und dann geht das immer weiter, bis er halt wirklich in die zweite Phase eintritt, wo er dann einfach auch zunehmend seine Angehörigen nicht mehr erkennt, weil er in einer anderen Zeit wohnt, ja, lebt, wirklich lebt. Er empfindet sich zum Beispiel als junge Frau, also Sie haben dann vor sich stehen eine 80-, 85-jährige, 90-jährige Witwe, die unter Umständen auch schon Kinder begraben hat und die empfindet sich aber dann als ganz junge Ehefrau und Mutter und – meistens am Abend – dann möchte sie nach Hause, dann möchte sie zu ihren Kindern, weil die kommen vom Spielen. Der Mann kommt von der Arbeit, sie muss Essen, kochen. Und das ist ihre Realität.
Hier kann man halt einfach über die Gesprächstechnik der Validation sich auf die Dame einstellen, ihr Pflichtbewusstsein hervorheben und dadurch versuchen, sie abzulenken und zum Beispiel anzuregen, dass sie das Abendbrot oder Tee kocht für den Wohnbereich. Das klappt meistens sehr gut, weil Dementielle auf Validation recht gut reagieren. Dieses Syndrom nennt man auch „Sundowner Syndrom“, weil es meistens am Nachmittag auftritt. Dazu kommt, dass der Bewohner in der dritten Phase vor allen Dingen, er hat keine Wortkonzepte mehr, wenn Sie ihm sagen: „Bitte trinken Sie doch die Tasse leer“, dann kann er mit dem Begriff der Tasse nichts mehr verbinden.
Bei uns Gesunden ist es so, wenn sie den Begriff der Tasse hören, wissen Sie sofort das ist ein Gegenstand – meistens einer aus Porzellan, Keramik – mit einem Henkel und eigentlich gedacht für heiße Getränke. Und wir haben direkt ein Bild vor Augen. Und dieses Bild findet der dementiell Erkrankt nicht mehr. Zeigt man ihm dann die Tasse und sagt in Verbindung mit dem Bild der Tasse, was er vor Augen hat: „Bitte trinken Sie doch aus“, dann kann er dieser Aufforderung auch folgen. Ansonsten würde er die Tasse nicht finden und er würde auch nicht trinken. Das gleiche gilt für die Schrift. Er kann die Wortkonzepte nicht mehr bilden und damit auch nicht mehr verstehen.
All dies führt einfach auch zu Ängsten, weil der Betroffene trotz allem merkt, dass etwas nicht stimmt, dass etwas anders ist, als es irgendwann einfach mal war und dadurch wird er halt einfach auch unruhig, zum Teil auch aggressiv. Die einfachste Form mit dieser Aggressivität umzugehen, ist, erstmal die Validation und ganz entscheidend ist, dass, wenn er unruhig wird, dass man den Dementen einen WC-Gang anbietet.
Weil oft steht da das Gefühl für Harn- oder Stuhldrang hinter, was er einfach nicht mehr äußern kann. Er kann halt diese Bedürfnisse nicht mehr erkennen, nicht mehr äußern. Hier helfen wirklich regelmäßige Toilettengänge, um diese Aggressivität zu mildern und auch um die Selbstständigkeit dieser dementiell veränderten Personen zu erhalten. Weil gerade Stuhlgang und Harnabgang sind mit sehr viel Scham behaftet. Und wenn man dann bemüht ist, die Selbstständigkeit zu erhalten, beruhigt es den Bewohner und die Aggressivität nimmt ab.
Ein zweiter Faktor ist auch, um Aggressivität zu lindern, ist ganz einfach eine permanente Wiederholung des Tagesablaufes. Also jeder Tag sollte gleich ablaufen, sodass es nicht zur Reizüberflutung kommt. So ist es auch nicht sinnvoll, dass dementiell Veränderte an vielen Gruppenangeboten oder großen Gruppenangeboten teilnehmen. Es sollten immer ausgewählte kleine Gruppen sein, weil der dementiell Veränderte einfach sehr schnell überfordert ist. Eine Karnevalssitzung oder eine Karnevalsfeier, wie wir sie gerade erlebt haben, überfordert den Demenziellen schon im Anfangsstadium, ja.
Moderator: Überfordert mich generell tatsächlich auch, muss ich sagen, das ist glaube ich auch eine kulturelle Geschichte, auf jeden Fall. Jetzt haben Sie auch gesagt diese Veränderungen, die sind für den Betroffenen, für die Betroffene auch sehr schwer nachzuvollziehen. Man versteht einfach vieles nicht mehr. Das ist natürlich dann auch, wenn man das dann feststellt, wahrscheinlich mit sehr viel Traurigkeit verbunden. Also hier muss man wahrscheinlich auch die tröstende Hand die ganze Zeit halten.
Ellen Rublé: Das ist unterschiedlich. Eigentlich erleben wir es mehr in Form von Nervosität, Unsicherheit – nicht Traurigkeit, das ist ganz selten. Weil die Dementen sind nicht traurig, wenn sie vor allen Dingen im Stadium zwei, drei sind. Die sind nicht traurig. Ganz am Anfang in der Stufe eins, da kann es schon mal zu Traurigkeit kommen, weil die da wirklich ganz konkret merken, dass sie Fähigkeiten verlieren. Am Ende der zweiten Phase, Beginn der dritten Phase äußert sich das mehr wirklich durch Nervosität, Unsicherheit hin zur Aggressivität. Je nachdem, wie man mit den Dementen umgeht.
Und hier ist es auch wichtig, dass man bei einem Dementen, dass man dem die Zeit lässt, Aufgaben oder Anregungen umzusetzen, die mehrfach wiederholt und vor allen Dingen immer wieder den Augenkontakt hält zu dem dementiell Veränderten. Er kann es aus Eigeneregie nicht mehr. Er kann auch aus Eigenregie nicht mehr aus dem vielfältigen Angebot seines Kleiderschrankes seine Kleidung auswählen. Er braucht halt ein reduziertes Angebot, von da ist die rote Blue oder die blaue Bluse und dann kann er sich entscheiden. Man darf also nicht vier, fünf Sachen halt einfach eben zur Entscheidung vorlegen, ja.
Moderator: Jetzt wissen wir, was mit den Menschen passiert und dass sie auch in einer anderen Welt zu Hause sind. Dementsprechend wissen auch dann die Pflegekräfte, wie sie damit umgehen müssen. Also nicht sagen „Trink bitte was“, sondern eben sie haben das Beispiel mit der Tasse erwähnt, eben das genauer erklären. Man muss hier also seine Hausaufgaben machen, wie man eben jetzt mit Demenzerkrankten umgeht, dass sie halt einfach nicht mehr in unserem Jetzt da sind. Da ergeben sich also einige neue Spielregeln dann daraus. Welche spezifischen und vor allem für die Demenz typischen Belastungen ergeben sich denn daraus?
Ellen Rublé: Für die Pflegekräfte ist es halt immer wieder dieses Abholen des Bewohners in dem Zeitraum, in dem er lebt. Diese Empathie, die die Pflegekraft jeden Tag für jeden einzelnen Bewohner aufbringen muss, um ihn individuell betreuen zu können und seine Tagesform einzuschätzen, das ist die größte Herausforderung. Die zweite Herausforderung ist, die Pflegekraft muss wirklich darauf achten, dass sie den Betroffenen nicht den Zeitdruck spüren lässt, unter denen sie selbst steht und dass sie halt vor allen Dingen die Dinge je nach Tagesform des Betroffenen anwendet und ihm halt einfach auch nicht so viel Auswahl lässt. Wirklich nur so Ja-Nein-Fragen stellt oder irgendwie Suggestivfragen stellt?
Moderator: Wie kann ich auf mich aufpassen, um meine innere Stärke und Kraft zu erhalten?
Ellen Rublé: Als Pflegekraft muss ich halt wirklich auf mich selbst achten. Ich muss ein gutes Wertegefühl in mir selbst haben, eine gute Distanz auch aufbauen, Nähe-Distanz-Schwelle aufbauen können, empathisch sein für den betroffenen Bewohner und vor allen Dingen, um Aggressivität zu verhindern, Ruhe ausstrahlen. Dementiell veränderte mögen keine Hektik, keine Turbulenzen. Darauf reagieren sie mit Unruhe bis hin zur Aggressivität. Das kommt aber auch auf das Stadium der Demenz an und auch auf die Art der Demenz.
Da ist zum Beispiel die Frontaltemporäre Demenz, früher wurde das Morbus Pick genannt. Betroffen ist hier der Frontallappen, wo unsere Gefühle sitzen, wo so ein bisschen unsere Erziehung noch hinterlegt ist. Wenn das halt betroffen ist, dann neigen die Menschen auch dazu, enthemmt zu sein und nicht nur verbal enthemmt zu sein, sondern auch tätlich zu werden und darauf muss auch eine Pflegekraft sich einstellen. Also wie gesagt, das ist die Tagesform, es ist die Art der Demenz und es ist die Ruhe auszustrahlen - das sind die Dinge, die mich vor einer Aggressivität schützen können.
Moderator: Das Thema Aggression und Gewalt gegen Pflegekräfte das haben wir auch schon in Folge zwei unseres Podcast behandelt. Hören Sie gerne noch mal rein. Die BGW engagiert sich dafür, solchen Vorfällen vorzubeugen. Welche Präventionsmaßnahmen werden Ihnen hier zum Beispiel mit an die Hand gegeben?
Ellen Rublé: Von der Ausbildung her werden uns keine Präventionsmaßnahmen mit an die Hand gegeben. Die Präventionsmaßnahmen, die halt ergriffen werden, basieren oft auf Erfahrung. Weil halt die Spezialisierung auf besonders gestalterische Fachkräfte sehr gering ist. Es ist eine teure Ausbildung, eine langwierige Ausbildung und wir haben in der Pflege halt wenig Hilfsmittel, um uns vor Aggressionen zu schützen. Die Größte ist halt wirklich die Empathie und die Erfahrung, dass man halt einfach sich auf das Gegenüber einstellen kann.
Es gibt auch wenig Weiterbildungen zu Validation. Es ist wirklich oft sehr schwierig, einen Trainer zu finden für Validation und es ist auch wirklich schwierig, wenn man Fortbildungen anbietet, weil sie müssen ja auch dann flächendeckend angeboten werden. Die Refinanzierung über die Kassen ist eigentlich kaum möglich und es ist wirklich schwierig. Also das Pro ist wirklich die Pflegekraft als Mensch muss sehr empathisch sein und halt einfach auch auf Erfahrungen zurückgreifen können.
Moderator: Wo sehen Sie bei den Präventionsmaßnahmen Verbesserungspotenzial?
Ellen Rublé: Verbesserungspotenzial ist eindeutig in der Ausbildun, dass in der Ausbildung hier schon mehr Einfluss genommen wird auf das Verhalten, auf Gesprächstaktiken wie zum Beispiel Validation oder überhaupt die gewaltfreie Kommunikation. Dass das halt einfach besser eingeübt wird. Es sollte halt einfach auch besser refinanziert werden, die Weiterbildung zur Gerontopsychiatrischen Fachkraft und vor allen Dingen in den Heimen die Refinanzierung von Weiterbildungen im laufenden Prozess. Das heißt, dass ich das jetzt so aufbauen kann, dass auch die Versorgung der Bewohner gesichert ist, während Mitarbeiter geschult werden.
Moderator: Hier muss man also auch selbst aktiv sein, damit man sich immer besser auskennt in dem Bereich. Wie können Arbeitskolleginnen und -kollegen sich denn gegenseitig unterstützen?
Ellen Rublé: Das machen sie eigentlich jeden Tag, indem sie zum Beispiel, wenn ich als Pflegefachkraft, man ist ja nicht jeden Tag gleich gut drauf nenne ich das mal, dass man den Kollegen sagt: „Hör mal, also heute kann ich die Bewohnerin Frau Müller nicht pflegen, die hat immer so ein herausforderndes Verhalten, das ertrage ich heute nicht“. Dann geht der Kollege und pflegt die entsprechende Frau Müller und wir machen es halt einfach auch täglich in der Übergabe. Besprechen miteinander, lösungsorientiert, wie man mit Mitbewohnern umgehen kann und bei besonders schweren Fällen gibt es auch wirklich das konkrete Fallgespräch zum Verhalten des Bewohners, wo wirklich an gemeinsamen Lösungen gearbeitet wird, weil auch hier die Routine und dass alle das Gleiche machen, ist für den dementiell Erkrankten extrem wichtig, damit er sich halt einfach sicher fühlt und damit es nicht zur Aggressivität kommt.
Das zweite ist die Biografie zu kennen. Für uns ist es ganz wichtig, die Biografie zu kennen, weil im Moment sind halt einfach auch noch viele Frauen, die die Kriegszeit noch erlebt haben und die einfach auch schwere Repressalien in der Kriegszeit erlebt haben durch Männer und hier kommt es auch zu Aggressivität in der Verweigerung der Pflege. Wenn ich das denn weiß, dass da eventuell was sein könnte - weil diese Armen haben das ja nie gesagt, die haben das ja immer verschwiegen - aber wenn man einen Anhaltspunkt hat, dass hier eventuell etwas vorgefallen sein könnte in der Kriegszeit oder eben in der Biografie, dann kann ich mich als Pflegekraft darauf einstellen.
Genauso gut ist es auch wichtig, dass ich die Pflegehandlung nicht zwingend durchführe, sondern zum Beispiel auch mal unterbreche und sage: „Ok, ich komme in fünf Minuten noch mal wieder“ oder „Ich komme in zehn Minuten noch mal wieder“. Und das auch drei- oder viermal, bis der Bewohner halt einfach zulässt, dass er gepflegt werden kann. Das ist natürlich auch ein schwieriges Aushalten, wenn der Bewohner sehr stark mit Fäkalien verschmutzt ist, aber es zeigt sich immer wieder, dass man mit Ruhe sehr viel Aggressivität gerade bei dementiell Veränderten verhindern kann.
Moderator: Frau Rublé, zum Abschluss noch: Welche schönen Seiten nehmen Sie aus Ihrem Arbeitsalltag mit Demenzerkrankten mit?
Ellen Rublé: Das Schöne an der Arbeit mit Demenzerkrankten ist die Ehrlichkeit der dementiell Erkrankten. Dementiell Erkrankte sind immer offen, sind immer ehrlich, sie geben Ihnen sofort ein Feedback zu Ihrer Arbeit, zu Ihrem Verhalten und das schätze ich persönlich sehr an dementiell Erkrankten und es ist auch schön zu erleben, wie man dementiell Erkrankte halt einfach auch noch begleiten kann und dadurch ist es halt einfach schön, dass die Selbstbestimmung des Betroffenen halt länger erhalten bleibt.
Moderator: Ich kann auch privat hinzufügen, weil ich auch tatsächlich in meinem Leben schon mit demenzerkrankten Menschen zu tun hatte: die Augen. Die Augen verraten bis zuletzt immer noch irgendwie das Befinden und auch die Persönlichkeit, wenn auch schon nicht mehr viel vom Kopf her da ist, man sieht anhand der Augen die Unsicherheit oder auch die Freude und die Freude vor allem dann sehr unterstrichen. Das ist wirklich sehr schön zu sehen, wenn man diese Fröhlichkeit spürt einfach, weil einen schon ja begeisternde Augen anstrahlen.
Ellen Rublé: Ja, da stimme ich Ihnen zu und das Erstaunliche ist auch, selbst wenn der Bewohner schon weit in seiner Biografie zurückgegangen ist. Trotz allem gibt er mir das Zeichen, dass er mich als Person erkennt, wenn ich ihn jeden Tag pflege und wenn er mit meiner Pflege zufrieden ist.
Moderator: Frau Rublé, vielen Dank für dieses Gespräch.
Ellen Rublé: Ja gerne. Vielen Dank für die Einladung nochmals.
Moderator: Der Umgang mit Demenzerkrankten kann für Angehörige und Pflegekräfte zu einer großen Belastung werden. Wir haben heute gehört, was hier besonders wichtig ist, Prävention und Hilfe annehmen. Alle Infos zum Podcast und zu allen bereits veröffentlichten Folgen finden Sie wie gewohnt unter bgw-online.de/podcast. Ja, und natürlich überall dort, wo es Podcasts gibt. Tschüss und bis zum nächsten Mal.
(Outro: Herzschlag für ein gesundes Berufsleben. Der BGW Podcast)
Interviewgäste
Angelika Hermenau,
Aufsichtsperson BGW
Ellen Rublé
Pflegedienstleitung in Düsseldorf
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