Ukraine-Krieg: Sexualisierte Gewalt gegen Frauen auf der Flucht #55 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Der Ukraine-Krieg löste eine Flüchtlingsbewegung aus, die weitaus größer war als die im Jahr 2015. Vor allem Frauen und Kinder sind gezwungen, sich auf den Weg in ein sicheres Land zu machen. Aber wie sicher ist eigentlich das „sichere“ Aufnahmeland?
Die aufschreckende Wirklichkeit: Frauen und Kinder waren Belästigungen, sexueller Gewalt, Zwangsprostitution oder teils sogar Menschenhandel ausgesetzt, bis entsprechende Maßnahmen ergriffen wurden. Was können Helfende tun? Wie können sie helfen? Und wie können sie auf sich selbst Acht geben? Darüber sprechen wir mit der Traumapädagogin Denise Klein.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Block 01: Einleitung und Begrüßung
Moderator: Der Krieg in der Ukraine beschäftigt die Öffentlichkeit jeden Tag aufs Neue. Anfang des Jahres wurde dadurch eine Flüchtlingsbewegung ausgelöst, die selbst die Flüchtlingswelle 2015, 2016 bei weitem übertroffen hat. In der Hauptdache waren es Frauen und Kinder, die sich auf den Weg macht, auf der Suche nach einem sicheren Aufnahmeland. Vermeintlich sicher. Denn Belästigung, sexualisierte Gewalt bis hin zu Zwangsprostitution oder Menschenhandel sind für Flüchtende bei ihrer Suche nach Schutz keine Seltenheit. Diese Menschenrechtsverletzungen, die finden zahlreich statt. Selbst bei der Ankunft gibt es Situationen, in denen vor allem Frauen Belästigung und sexualisierter Gewalt ausgesetzt sein können. Heute beschäftigen wir uns mit diesem Tabuthema. Und wollen nicht nur auf Gefahren hinweisen, denen Frauen und auch Kinder auf ihrer Flucht und nach ihrer Ankunft im scheinbar sicheren Aufnahmeland ausgesetzt sein können. Wir gehen in dieser Podcast Folge auch der Frage nach, was Helfende tun können, wenn sie von Belästigung und sexualisierter Gewalt erfahren. Und wie sie für sich selbst sorgen können. Ich bin Ralf Podszus und ich begrüße Sie zur heutigen Folge.
(Podcast-Opener)
Block 02: Interview mit Denise Klein
Moderator: Auf der Flucht. Bei der Ankunft, an Bahnhöfen. In den Unterkünften. In den sozialen Netzwerken. Auf der Suche nach einer Wohnung oder einer Arbeit. Überall lauen Situationen, in denen hilfesuchende Frauen Opfer von Belästigung, dubiosen Angeboten oder sexualisierter Gewalt werden können. Sprachbarrieren und Scham verhindern, dass solche Übergriffe frühzeitig erkannt werden. Und so bekommen Helfer und Helferinnen solche Traumatisierung oft erst spät mit. Und wissen manchmal gar nicht, wie sie damit umgehen sollen. Was ist sexualisierte Gewalt genau? Und wie kann ich als Laie helfen. Darüber spreche ich heute mit Traumapädagogin Denise Klein. Hallo, schön, dass Sie bei mir sind.
Denise Klein: Hallo Ralf Podszus.
Moderator: Können Sie sich kurz einmal vorstellen. Was genau macht eine Traumapädagogin?
Denise Klein: Ich bin Diplompädagogin, Traumazentrierte Fachberaterin und Traumapädagogin. Ich arbeite freiberuflich als Trainerin und Referentin zu den Themen Flucht, Trauma, geschlechtsspezifische Gewalt und den Folgen für die Betroffenen. Weitere Themen sind Stress und traumasensibler Umgang mit Betroffenen von Gewalt und Selbstfürsorge für die Unterstützer*innen. Ich habe zwölf Jahre in einer Beratungsstelle für Migrantinnen und geflüchtete Frauen gearbeitet. Und zurzeit arbeite ich in einer Beratungsstelle für Frauen ab 60, die früher oder aktuell Gewalt erlebt haben. Ich berate und unterstütze die Frauen also. Die von sexualisierter Gewalt, Vergewaltigung, Menschenhandel, Zwangsverheiratung, Genitalverstümmelung, häuslicher Gewalt oder anderen Formen geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind. Wichtig ist, einerseits die rechtliche Unterstützung und andererseits ein traumasensibler Umgang mit Gewalt.
Moderator: Das heißt, Sie sind häufig mit dem Thema Gewalt gegen Frauen konfrontiert. Welche Personengruppen sind davon am häufigsten betroffen?
Denise Klein: Ich habe lange Frauen unterstützt, die migriert sind oder geflüchtet sind. Und diese Situation der Flucht bedeutet für die Frauen eine besondere Vulnerabilität. Also sie sind besonders verletzbar. Weil sie die Sprache noch nicht kennen. Weil sie die Zugänge zu den Beratungsstellen nicht wissen. Weil sie wenig informiert sind über ihre Rechte und Möglichkeiten, die sie haben. Frauen auf der Flucht sind häufig schon im Herkunftsland von Gewalt betroffen gewesen. Von geschlechtsspezifischer Gewalt.
Aber auch das Ankommen in Deutschland ein Kontinuum von Gewalt ausgesetzt zu sein. Sex wird zum Beispiel als Währung verlangt für die Weiterreise. Für die Unterkunft. Für die Arbeit. Für die Unterstützung in Bezug auf Behördengänge. Gerade finde ich es wichtig, dass wir nicht nur den Blick auf die Frauen mit ukrainischer Staatsangehörigkeit richten. Die Gefahr sexualisierter Gewalt auf der Flucht oder auch im Aufnahmeland zu erleben ist noch weitaus höher für Frauen, die vor dem Krieg in der Ukraine geflüchtet sind und keine ukrainische Staatsangehörigkeit haben. Sie waren zum Beispiel als Studentinnen oder Arbeitskräfte in der Ukraine. Diese Frauen haben hier in Deutschland eine sehr unsichere Bleibeperspektive.
Vielleicht fragen Sie sich, warum sie deshalb gefährdeter sind. Je eingeschränkter die Flucht und Migrationsmöglichkeiten sind und je unsicherer die Bleibeperspektive hier im Aufnahmeland ist, desto höher ist die Gefahr in Ausbeutungsverhältnisse hineinzugeraten, in denen Belästigung, Übergriffe und Gewalt stattfinden. Es gab viele Berichte in der Presse über die Gefahren für Frauen an Bahnhöfen, bei der Suche nach einer Unterkunft oder Arbeit. Besonders in der Anfangszeit wurden viele stattliche Aufgaben, wie zum Beispiel die Unterbringung von Geflüchteten, von Ehrenamtlichen übernommen. Und ist toll zu sehen, wie engagiert die Zivilgesellschaft seit 2015 und 16 und auch in der jetzigen Situation ist. Es birgt aber auch verschiedene Gefahren. Dadurch entsteht eine besondere Vulnerabilität. Und diese Situation wurde und wird von Einzeltätern als auch von organisierter Kriminalität, zum Beispiel im Bereich Menschenhandel, ausgenutzt.
Aber auch in staatlichen Unterbringungseinrichtungen, in großen Massen- und Gemeinschaftsunterkünften sind die Bedingungen häufig gewaltbegünstigend. Mangelnde Privatsphäre, nicht abschließbare Zimmer und Sanitärräume. Fehlende Gewaltschutzkonzepte oder Beschwerdesysteme. Es erreichen uns immer wieder Berichte von Frauen, die dort auch sexualisierte Gewalt und Vergewaltigung erleben. Das heißt, die Gefahr der Übergriffe und der sexualisierten Gewalt im Fluchtprozess zu erleben ist sehr hoch.
Moderator: Wenn Sie das jetzt berichten mit Umkleideräumen in Unterkünften. Man ist ja permanent dann dieser Gefahr ausgesetzt. Das hört sich danach an, dass es den ganzen Tag einfach nur darum geht, sexualisierte Gewalt zu verhindern. Ist das tatsächlich so krass?
Denise Klein: Wenn Sie sich vorstellen, dass Sie auch vorher schon vielleicht Gewalt erlebt haben, in sehr unsicheren Situationen waren und ständig in so einem Anspannungsgefühl sind. Und dann in einer Gemeinschaftsunterkunft mit sehr vielen Bewohnern und Bewohnerinnen, die Sie nicht kennen, mit denen Sie die Sprache nicht teilen. Können Sie sich vorstellen, dass Sie sich ständig zum Schutz Ihrer Kinder und sich selbst unter so einer Anspannung und unter so einer Angst leiden. Und diese Angst und Anspannung finde ich bekommen wir ganz häufig auch in den Beratungssituation zu spüren. Das heißt, diese Unterkünfte zum Beispiel sind kein sicherer Ort für die Betroffenen.
Moderator: Ich glaube auch das Schlimmste, was einem passieren kann, ist, wenn man das eigene Heim, die eigene Wohnung, das Haus verliert. Und dann ja auf einmal sich nicht zurückziehen kann in seinen sicheren Bereich. Wenn dieser sichere Bereich einfach permanent fehlt, dann nimmt die Anspannung zu. Und ich glaube auch, manchen Menschen ist nicht ganz klar, wo Belästigung und Übergriffe anfangen. Klären wir das doch einfach mal jetzt. Was ist überhaupt Belästigung und sexualisierte Gewalt?
Denise Klein: Also, sexualisierte Gewalt umfasst verschiedenen Formen von Gewalt. Die mittels sexueller Handlung zum Ausdruck gebracht werden. Die Erscheinungsformen sexualisierter Gewalt reichen von anzüglichen, aufdringlichen Blicken, unerwünschten Kommentaren und Berührungen, schmutzigen Witzen, sexistischen Bemerkungen bis hin zu Vergewaltigung und sexuellem Missbrauch. Bei sexualisierter Gewalt geht es nicht um Lust und Sexualität. Sondern um Macht und Kontrolle. Wenn es um die Unterstützung von Geflüchteten geht, ist es wichtig, dass wir das enorme Macht- und Abhängigkeitsverhältnis mit in den Blick nehmen. Und eine hohe Sensibilität für Grenzen der anderen Person entwickeln.
Die helfende Person bietet vielleicht eine Wohnung an. Und die geflüchtete Frau befürchtet, wenn sie nicht freundlich, höflich, hilfsbereit ist, mit ihrem Kind am nächsten Tag auf der Straße zu stehen. Oder die helfende Person unterstützt bei Behördengängen, spricht die Sprache, kann übersetzen. Und hat somit die Macht über die Geschichte der Frau. In diesem Abhängigkeitsverhältnis können sehr schnell Grenzverletzungen stattfinden. Die geflüchtete Frau, die abhängig ist vom Wohlwollen der Unterstützer oder Unterstützerinnen, willigt vielleicht in Handlungen ein, zu denen sie ohne Abhängigkeitsverhältnis klar Nein sagen würde.
Zwischen ehrenamtlichen Unterstützer*innen und Geflüchteten gibt es also ein strukturelles Machtgefälle, welches ohne Gewaltschutzstrukturen ausgenutzt werden kann und zu grenzüberschreitendem Verhalten bis hin zu gewalttätigen Übergriffen und sexualisierter Gewalt führen kann. Die Helfenden haben also eine große Verantwortung, sich mit dieser Abhängigkeit auseinanderzusetzen und verantwortungsvoll damit umzugehen. Und die Geflüchteten brauchen von Anfang an Stärkung, übergriffige Situationen benennen zu dürfen. Sie brauchen Kontaktadressen einer Frauenberatungsstelle in der Umgebung, des bundesweiten Hilfetelefons Gewalt gegen Frauen. Hilfreich kann auch sein, wenn der Wohlfahrtsverband, der die ehrenamtliche Unterstützung begleitet, von Anfang an eine Beschwerdestelle beziehungsweise Kontaktpersonen für die Beschwerden angibt. Die Beziehung zwischen Helfenden und Hilfesuchenden ist ein schwieriges Konstrukt. Deshalb ist es so wichtig, dass genau das auch reflektiert wird.
Moderator: Jetzt betrifft die sexualisierte Gewalt vor allem Frauen und Kinder. Gibt es auch Männer, die davon betroffen sind?
Denise Klein: Genau! Sexualisierte Gewalt betrifft hauptsächlich Frauen und Mädchen, aber auch Kinder, LGBTIQ-Personen oder Männer. Die Logik ist immer die gleiche.
Moderator: Es geht halt einfach um Macht ausüben, unterdrücken und da kann es jeden treffen.
Denise Klein: Genau. Es geht um patriarchale Strukturen. Und patriarchale Strukturen werden auch gerade in Kriegen, die geprägt sind von militarisierter Männlichkeit, als Kriegswaffe auch eingesetzt. Dabei geht es darum den Feind zu demütigen, herabzusetzen, zu entmännlichen.
Moderator: Wenn die Geflüchteten zum Beispiel zu uns nach Deutschland kommen, dann wissen wir auch gar nicht: was haben die schon erlebt? Was für Gräueltaten gab es schon in ihrem Herkunftsland. Und darum sollte man natürlich besonders vorsichtig sein. Frau Klein, Sie sind ausgebildet auf dem Gebiet. Und wissen auch ganz genau, wie Sie Betroffenen von sexuellen Übergriffen helfen können. Dank der großen Hilfsbereitschaft werden jedoch auch Laien immer wieder mit diesen sensiblen Themen konfrontiert. Was ist für Helfende wichtig im Umgang mit Frauen, die sexualisierte Gewalt erfahren haben?
Denise Klein: Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt sind deshalb so schwer zu verkraften, weil sowohl die körperliche als auch die psychische Integrität einer Frau, eines Mädchens, einer Betroffenen beträchtlichen Schaden nimmt. Zudem ist sexualisierte Gewalt immer noch hochstigmatisiert und tabuisiert. Auch beim Fachpersonal. Überlebenden wird weiterhin oft die Schuld gegeben. Häufig schweigen die Frauen über das, was sie erlebt haben. Es ist nicht einfach, über sexualisierte Gewalt zu sprechen und sich damit auseinanderzusetzen. Die Schilderung eines sexuellen Übergriffs kann Gespräche zum Erliegen bringen, sie verursacht Betroffenheit oder peinliches Schweigen, da sie an einer Vielzahl von Ängsten rührt.
Tatsächlich benötigen Menschen, die Gewalt erlebt haben, das Gefühl der Dazugehörigkeit, der Sicherheit, des Vertrauens und tragfähiger Beziehung. Wir können uns kurz zusammen anschauen, welche Reaktionen und Verhaltensweisen des sozialen Umfeldes für die Betroffenen hilfreich sein können. Und was vermieden werden sollte. Neben sie auf jeden Fall die Frau und das Erzählte ernst. Zeigen Sie durch Ihre Haltung, dass Sie ihr glauben. Die Aufgabe von Ehrenamtlichen ist nicht die kriminalistische Aufklärung. Ihre Aufgabe ist es, für die Betroffenen da zu sein, sie zu unterstützen, bei dem, was sie gerade braucht. Versuchen Sie Sicherheit zu vermitteln. Sicherheit bedeutet, dass Sie das Erzählte ernst nehmen. Und dass Sie aber gleichzeitig nicht ohne die Zustimmung der Betroffenen irgendwelche Maßnahmen einleiten.
Vermeiden sollten Sie, nach Details zu fragen. Führen Sie kein Verhör. Drängen Sie die Betroffenen nicht. Und gestehen Sie der Person Ihre Gefühle zu. Wahrscheinlich ist die Person selbst immer wieder überwältigt und überflutet von Angst, von Wut, von Traurigkeit, von Schuldgefühlen, Schamgefühlen. Selbstekel. Versuchen Sie, die Schilderung der Gewalterfahrung als Zuhörer*in auszuhalten. Und setzen Sie sich dabei nicht selbst unter Druck. Es geht nicht drum, etwas besonders Kluges zu sagen, noch Worte zu finden, die alles wieder gut machen können. Sondern viel mehr einfach zuzuhören. Und geben Sie sich nicht möglichen eigenen Gefühlen und Reaktionen hin. Vergeltungswünsche, Wut, Hass. Auch ein überbeschützendes Verhalten ist nicht hilfreich. Aber vermitteln Sie Kontakte zu den örtlichen Frauenberatungsstellen. Zu den Fachberatungsstellen für Betroffene von Menschenhandel. Oder dem bundesweiten Hilfetelefon. Dort wird die betroffene Frau muttersprachlich und anonym beraten. Sie kann erst einmal über ihre Möglichkeiten und Rechte beraten werden. Und wird nicht gedrängt, einen bestimmten Weg zu gehen.
Es ist für die Betroffenen sexualisierter Gewalt wichtig, ein Gefühl von Kontrolle und Selbstbestimmung zurückzugewinnen. Unterstützen Sie sie also dabei, Situationen selbst zu bestimmen und handhaben zu können. Entscheidungen über die nächsten Schritte sollten bei der betroffenen Frau bleiben. Sonst kommt es erneut zu einem Kontrollverlust. Und auch ehrenamtliche Unterstützerinnen können sich Hilfe holen. Auch sie können sich in den örtlichen Frauenberatungsstellen oder beim Hilfetelefon auch anonym beraten lassen.
Moderator: Sie haben es eben angesprochen. Die Sprache ist natürlich auch sehr entscheidend. Mit den Sprachbarrieren wird einiges komplizierter. Wenn ich jetzt jemandem helfen möchte, aber die Sprache ist eine Barriere. Welche Fehler kann ich hier vermeiden? Wie kann man zielführend der Betroffenen helfen? Haben Sie hier ein paar Tipps, dass es auch keine Missverständnisse gibt.
Denise Klein: Ich glaube, die akzeptierende Haltung und das Ernstnehmen dessen, was ich mitbekomme. Das signalisiere ich noch viel mehr über meinen Körper als über die Sprache. Und von daher ist es wichtig, auch da so eine Sensibilität für zu entwickeln. Ich kann einer betroffenen Frau vermitteln, ich stehe an ihrer Seite. Auch ohne, dass ich die Sprache spreche. Aber natürlich ist es wichtig bei diesen Themen, auch wirklich gut ausgebildete Dolmetscher*innen, Sprachmittler*innen mit hinzuziehen. Oder wie gesagt auch diese Hilfestellen, Beratungsstellen, die die Möglichkeiten haben Sprachmittlerinnen mit dazu zu nehmen.
Moderator: Also kein Alleingang auf jeden Fall. Es ist immer besser, professionelle Hilfe dazu zu holen. Der Umgang mit diesem Thema, der sollte jetzt auch nicht unterschätzt werden. Das geht auch an die eigene Substanz. Wir haben gehört, was man am besten alles beachten soll. Das war ganz viel. Wie haben Sie gelernt damit umzugehen und welche Tipps haben Sie für Helfende auf sich selbst zu achten dabei?
Denise Klein: Maria Zemp, eine Kollegin und Traumatherapeutin sagte einmal, dass die Arbeit mit traumatisierten Menschen erschöpft, ist angemessen. Es sind nicht die Menschen, die uns erschöpfen, es ist die Konfrontation mit den gewaltsamen Ereignissen, die Sie überlebt haben. Oder die Fortsetzung von Ungerechtigkeit und Hilflosigkeit, die Helfende tatsächlich häufiger an die Grenzen ihrer Erschöpfung bringen kann. Deshalb ist es so wichtig, dass Helferinnen auf sich selbst achten. Und ein Konzept der Selbstführsorge für sich entwickeln. Um die eigene Gesundheit zu erhalten und die Freude am Leben, die Sinnhaftigkeit der Arbeit immer wieder neu stärken können.
Wenn ich Schulungen mit Hauptamtlichen oder Ehrenamtlichen in der Geflüchteten Arbeit mache, fällt mir immer wieder auf, dass es wichtig ist, sich der eigenen Motivation bewusst zu sein. Warum mache ich diese Arbeit und was wünsche ich mir davon? Manche stoßen auf eigenen Fluchtgeschichten. Oder erlebte Situationen von Hilflosigkeit und Ohnmacht. Oder auch Diskriminierung. Eigene unaufgearbeitete Erlebnisse kann die Helfenden besonders verletzbar machen. Zudem ist es sowohl für die Person, die unterstützt wird, als auch für die helfende Person wichtig, den Rahmen der Unterstützung festzulegen und zu kommunizieren. Was kann ich anbieten. Wo kann ich helfen. Wie viel Zeit habe ich. Und, ich erwarte keine Gegenleistung. Das gibt Halt und Sicherheit für beide Seiten. Und wenn ich mit Gewaltgeschichten konfrontiert bin, es kann sein, dass ich eine Gewaltgeschichte erzählt bekomme. Oder auch weil ich den Stress, die Anspannung, die Angst im Körper der anderen Person spüre. Dann ist es wichtig, sich nach dem Kontakt bewusst zu machen, dass nicht ich diese Geschichte erlebt habe. Das klingt banal, ist aber enorm wichtig.
Und beim Zuhören können sich zum Beispiel Bilder der Geschichten von anderen in uns festsetzen. Und bei uns ähnliche Symptome und Ängste hervorrufen. Bilder wird man schlechter wieder los. Wenn wir Menschen unterstützen, die Gewalt erlebt haben, ist es umso wichtiger, dass wir gut bei uns sind. Dass wir gut im Hier und Jetzt sind. Das ist wichtig für uns selbst, aber auch für diejenigen, die wir unterstützen. Denn Menschen, die Gewalt erlebt haben, brauchen Empathie, Sicherheit, Transparenz, Klarheit und Verlässlichkeit im Kontakt. Ich habe das Thema Selbstfürsorge angesprochen und es ist hilfreich für Unterstützer*innen, dass sie gut auf sich achten und für sich sorgen. Diese Selbstfürsorge kann auf verschiedenen Ebenen stattfinden oder sollte auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Das eine ist die körperliche Ebene. Wenn ich sehr angespannt bin, weil ich vielleicht von den Ängsten der Betroffenen überflutet bin. Weil ich das Leiden der Kinder in ihren Augen gesehen habe. Dann ist es wichtig, diese Anspannung wieder aus meinem Körper rauszubekommen. Durch Sport, durch Joggen, durch Spazierengehen, durch Yoga. Aber auch auf emotionaler Ebene.
Wir brauchen Austausch und eigene gute Bindung. Suchen Sie sich emotionale Auszeiten. Treffen Sie sich mit Freunden. Genießen Sie Zeit mit Ihrer Familie. Und geben Sie die schönen Aktivitäten, die Ihnen Kraft geben, nicht auf. Gleichzeitig ist es wichtig auch die Betroffenen nicht nur als Opfer zu sehen. Auch sie haben Stärken, Fähigkeiten, Ressourcen und ein Leben vor dem Trauma oder vor der Flucht. Gemeinsam schöne Zeit zu genießen, trotz der Schwere. Zwischendurch gemeinsam zu lachen und Freude zu erleben sind sehr heilsam. Und die dritte Ebene finde ich auch sehr wichtig. Auf sozialer und gesellschaftlicher Ebene. Wir sind konfrontiert mit Menschen, die aus zum Beispiel der Ukraine gerade vor Krieg geflohen sind. Und meist noch Familienangehörige, Männer, Väter im Kriegsgebiet haben. Ständig Angst um sie haben. Die Konfrontation auch mit dem Thema sexualisierte Gewalt oder die Folgen davon zu sehen und zu spüren, das verändert uns. Und unseren Blick in die Welt. Unterstützerinnen, Helfende brauchen also eine Aufmerksamkeit dafür, was sich bei ihnen verändert. Und Austausch mit anderen, damit auch die eigenen Erfahrungen gut verarbeitet werden können.
Moderator: Sie haben vorhin schon erwähnt, dass es eine Hotline gibt, wo man sich die ganze Zeit hinwenden kann und sollte. Wo können sich Betroffene direkt melden?
Denise Klein: Genau. Das bundesweite Hilfetelefon Gewalt gegen Frauen ist, wie gesagt, 24 Stunden erreichbar. Und es werden verschiedenen Sprachen gesprochen. Die Nummer ist 08000/116016. Wichtig ist auch der Koordinierungskreis gegen Menschenhandel, der KOK. Der die Adressen der Fachberatungsstellen für Menschenhandel bereithält. Die örtlichen Frauenberatungsstellen und Notrufe für Frauen. Ich habe einen Flyer gefunden, auf den ich gerne hinweisen würde. Und zwar ist der herausgegeben worden vom Bundesverband der Frauenberatungsstellen von ProAsyl, Wildwasser, dem KOK und der zentralen Informationsstelle autonomer Frauenhäuser. Dort sind wichtige Rechte und Hilfetelefonnummern auf Russisch und Ukrainisch veröffentlicht. Und ich finde, diesen Flyer sollte jede Ehrenamtliche zur Verfügung haben. Es sollte an Bahnhöfen, in Empfangsdiensten, in Wohlfahrtsorganisationen ausliegen.
Je besser die geflüchtete Frau über ihre Rechte und ihre Möglichkeiten der Hilfe informiert ist, desto gestärkter kann sie sie auch wahrnehmen und sich gegen Übergriffe, Ausbeutung und sexualisierte Gewalt zur Wehr setzen. Wenn Sie auf privatem Weg eine Unterkunft anbieten, dann tun Sie das zum Schutz der Betroffenen so transparent und respektvoll wie möglich. Die Aufgenommen sollten zu ihrer eigenen Sicherheit zum Beispiel ihre Wohnadresse frühzeitig an Bekannte weitergeben können. Wenn möglich, informieren Sie auch Behörden vor Ort über die Aufnahme und ihre Adressdaten. Die Aufgenommenen sollten erfahren, dass sie nicht zu Gegenleistung verpflichtet sind. Sie sollten ihre grundlegenden Rechte und Möglichkeiten kennen. Weise Sie die Menschen auf wichtige Informationsquellen hin.
Moderator: Auch hier wieder viele Tipps. Nun kann man auf denen von Ihnen erwähnten Flyer nicht verlinken in dieser Podcast-Folge aber wir haben auf jeden Fall in den Shownotes weiterführende Links zum heutigen Thema. Wo man dann auch ganz viel Hilfe erfahren kann. Jetzt nochmal aus Ihrer ganz persönlichen Sicht. Was wünschen Sie sich im Bezug auf diese ganzen Themen? Wie können wir alle noch mehr zusammenstehen und Menschen, die von Gewalt jeglicher Art, Menschenhandel und Prostitution betroffen sind, helfen?
Denise Klein: Auf struktureller Ebene muss viel getan werden. Sichere Fluchtwege oder sicherere Fluchtwege und sicherere Bleibeperspektiven verhindern Ausbeutung, sexualisierte Gewalt und Menschenhandel. Wenn es zu Übergriffen gekommen ist, brauchen Betroffene gut zugängliche Hilfestrukturen. Und Zugänglichkeit bedeutet, dass die Betroffenen Hilfestrukturen unabhängig von der Muttersprache, vom Aufenthaltsstatus, der sexuellen Identität und Orientierung und eventueller Hilfs- und Pflegebedürftigkeit unabhängig von finanziellen Mitteln in Anspruch nehmen können. Und wie ich bereits erwähnt habe, ist das Thema sexualisierte Gewalt immer noch hochtabuisiert. Ich wünsche mir, dass wir uns alle mehr damit auseinandersetzen. Und die Angst davor verlieren. Sexualisierte Gewalt findet auch nicht nur im Fluchtprozess statt. Wir müssen also lernen, sensibler hinzuschauen und mutig sein zu handeln, wenn wir Übergriffe, Ausbeutung oder Gewalt sehen. Und wir müssen uns selbst immer wieder reflektieren. Gerade in einem Macht- und Abhängigkeitsverhältnis wäre es gut, lieber zu oft also zu wenig zu fragen. Ob mein Gegenüber einwilligt, ob sie einverstanden ist.
Moderator: Denis Klein, ich danke Ihnen vielmals, dass Sie uns wichtige Informationen über dieses sensible Thema gegeben haben. Danke, und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit. Alles Gute.
Denise Klein: Vielen Dank.
Block 03: Verabschiedung
Moderator: Wer helfen will, der sollte helfen. Dieses Thema ignorieren ist vollkommen falsch. Aber wir haben heute gehört, dass es auch echt wichtig ist, dass man weiß, was man bedenken muss. Und was es auch mit einem selbst machen kann. Wir haben nochmal alles zusammengefasst in den Shownotes dieser Podcast-Folge. Wenn Sie selbst betroffen sind von Gewalt, dann finden Sie wichtige Anlaufstellen ebenfalls in den Shownotes dieser Podcast-Folge. Auch am Arbeitsplatz gibt es immer wieder Fälle von sexualisierter Gewalt. Und wie Sie sich davor schützen können, dass erfahren Sie in einem dreitägigem Präsenzseminar, dass die BGW veranstaltet. Und wenn Sie noch mehr zu dem Thema hören wollen, in Folge 8 haben wir auch über das Thema geredet. Belästigung und sexualisierte Gewalt am Arbeitsplatz. Die Episode können Sie sich jederzeit nachhören wie auch alle anderen Folgen von diesem Podcast. Überall wo es Podcast gibt oder auf www.bgw-online.de/podcast.
(Outro – Herzschlag. Für ein gesundes Berufsleben, der BGW Podcast)
Interviewgast
Denise Klein
Dipl. Pädagogin und Traumapädagogin, info@deniseklein.org
Ergänzende Infos
Hilfetelefon "Gewalt gegen Frauen"
08000-116 016
Bundesverband Frauenberatungsstellen und Frauennotrufe
Frauen gegen Gewalt e.V.
Flyer Schutz vor Gewalt für Frauen und Kinder
BGW
Angebote zum Thema Ukraine
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