Leben ohne Wenn und Aber: Drei starke Stimmen über Inklusion, Alltag und Sport #128 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Moderator Ralf Podszus spricht auf dem BGW forum mit drei inspirierenden Menschen, die auf sehr unterschiedliche Weise für mehr Teilhabe stehen. Ninia LaGrande – Moderatorin, Autorin und Podcasterin – erzählt von ihrer Arbeit, ihrer Leidenschaft für American Football und erklärt, warum das Wort „normal“ für sie abgeschafft gehört.
Außerdem geben uns Lars Pickardt vom Deutschen Rollstuhl-Sportverband und Para- Sportler Bastian Keller Einblicke in die vielfältige Welt des Rollstuhlsports. Eine inspirierende Perspektive auf das Leben, Arbeiten und den Sport mit Behinderung.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Moderator:
Wie gelingt guter Arbeitsschutz in der Behindertenhilfe? Welche Unterstützung brauchen Fach- und Führungskräfte? Und wie lassen sich Werkstattbeschäftigte mit einbeziehen? Um diese Fragen ging es beim diesjährigen BGW forum „Sicher und gesund in der Behindertenhilfe“ in Hamburg. Ein kompletter Tag stand außerdem im Zeichen der Digitalisierung mit Impulsen zu Assistenzsystemen, KI und der Frage, wie Technik im Alltag entlasten kann. Ich war für euch vor Ort und hab zum Beispiel mit Ninia LaGrande gesprochen. Ninia hat das Forum drei Tage lang moderiert. Und auf Instagram schreibt sie über sich: „Ich bin kleinwüchsig, aber ich bin trotzdem nett. Meistens.“ Das klingt schon mal interessant. Humorvoll ist sie auf jeden Fall. Mit ihr hab ich über ihre Begeisterung für American Football und über die Frage „Was bedeutet eigentlich normal?“ gesprochen. Und das haben wir direkt als Live-Podcast besprochen – vor den hunderten Teilnehmern und Teilnehmerinnen des BGW forums „Sicher und gesund in der Behindertenhilfe“ hier in Hamburg. Wir haben hier auch ein Podcaststudio aufgebaut, sieht auch richtig schön aus, Palme ist auch dabei. Das war auf jeden Fall sehr schön.
Ich habe auch jede Menge über den Rollstuhlsport gelernt, im Gespräch mit Lars Pickardt vom Deutschen Rollstuhlsportverband. Mit am Start war auch Parasport-Trainer Bastian Keller. Ob jetzt Boccia, Eishockey, Rugby oder Wasserski – es gibt für jeden und für jede eine passende Sportart. Auch wenn es eine Einschränkung gibt – und wie man verschiedene Hürden überwinden kann und auch mit den Kosten klarkommen kann, das hört ihr in dieser Podcast-Folge. Den Live-Podcast und die weiteren Gespräche, die hört ihr jetzt.
Jingle:
Herzschlag! Für ein gesundes Berufsleben – der BGW-Podcast.
Moderator:
Bevor ich gleich anfange mit dem Live-Podcast, gehe ich noch mal hier ins Publikum.
Es ist so schön, wie hier alle sitzen. Ich muss mich mal kurz durchmogeln. Hallo, hallo.
Ich sehe hier sehr viele interessante Gesichter und auch sehr viele interessierte Gesichter. Mich würde mal interessieren, was war bisher euer Highlight hier beim BGW forum in Hamburg? Hier gibt es ja viele interessante Vorträge, über einhundert Workshops, eine politische Diskussionsrunde zur Inklusion im Sport und dazu die Verleihung des BGW-Gesundheitspreises an Einrichtungen, die sich in besonderer Weise für ihre Mitarbeitenden einsetzen. Ja, und dann die Bewegungsangebote, inklusives Klettern, eine Fachausstellung sowie eine Abendveranstaltung mit Gelegenheit zum Netzwerken. Ja, und dann diesen Live-Podcast hier – also was war bisher euer Highlight? Und auf was freut ihr euch noch so? Hallo, wer bist du denn?
Elisabeth:
Hi, ich bin Elisabeth.
Moderator:
Wo kommst du her?
Elisabeth:
Ich komm aus Hamburg.
Moderator:
Da war der Weg nicht ganz so weit. Was war bisher dein Highlight hier?
Elisabeth:
Am besten fand ich tatsächlich die Vorträge zum Thema KI von Sanjay Sauli – heißt er, glaube ich. Hat mich mega begeistert und inspiriert und Lust auf mehr gemacht.
Moderator:
Was für Tipps hat er so gegeben?
Elisabeth:
Man kann alle möglichen Arbeitsschritte automatisieren. Das fand ich richtig faszinierend. Und ja, einfach dieses neue Generieren – das fand ich toll. Besonders beeindruckt hat mich der eigene Avatar von ihm, den man quasi abonnieren kann, aber den man mit so viel Wissen füttern kann. Da ich auch gern mal was vergesse, könnte ich mir einen Avatar von mir selbst auch vorstellen, der keine Erinnerung vergisst. Vielleicht die eine oder andere coole Idee noch mal hervorbringt, die ich vor drei Jahren auch mal vergessen habe.
Moderator:
Da wünsche ich dir ganz viel Spaß beim eigenen Avatar Formen.
Elisabeth:
Dankeschön.
Moderator:
Ich gehe noch mal weiter durchs Publikum. Hallo, grüße dich. Wer bist du?
Bärbel:
Ich bin die Bärbel.
Moderator:
Hallo Bärbel, woher kommst du?
Bärbel:
Ich komm aus Nürnberg.
Moderator:
Dann war der Weg ein bisschen weiter, aber du bist gut hierhergekommen.
Bärbel:
Natürlich, schon am Sonntag.
Moderator:
Was für Highlights hast du bisher hier beim BGW forum so erlebt?
Bärbel:
Am schönsten fand ich heute Morgen die Begrüßung und die Vorstellung vom Turm.
Moderator:
Der Kletterturm, der in der ganz großen Halle eingeweiht wurde. Kannst du mal erklären, wie das so passiert ist?
Bärbel:
Also, sie haben eine behinderte junge Dame – wo man gar nicht erst gesehen hat, dass sie behindert ist … Ich hab mir noch überlegt: Was macht die da? Ist hochgeklettert, aber dann hat man gesehen, dass sie tatsächlich nur einen Arm hat, also eine Hand. Und das fand ich schon bemerkenswert, wie die da hochgeklettert ist.
Moderator:
Und das ging wahrscheinlich ratzfatz, oder?
Bärbel:
Mehr oder weniger. Sie hatte schon Hilfe, aber es war gut.
Moderator:
Und diese ganzen Ballons, die hier so rumfliegen, die hatten auch was mit dem Turm zu tun.
Bärbel:
Richtig, der wurde enthüllt und in dem Moment – nein, genau, dann ist die hochgeklettert und dann musste die oben auf einen roten Knopf drücken. Und dann sind die Ballons oben alle rausgeflogen. Also auch sehr spektakulär.
Moderator:
Ja, ist tatsächlich ein schönes Highlight, ja.
Bärbel:
War toll.
Moderator:
Viel Freude weiterhin.
Bärbel:
Ebenfalls, danke.
Moderator:
Herzlich willkommen hier zum Live-Podcast in Hamburg.
„Sicher und gesund in der Behindertenhilfe“ – das ist das Motto von dem diesjährigen BGW forum. Da befinden wir uns alle hier. Drei Tage lang gibt es hier viele Veranstaltungen, Panels und ganz viel Wissen, was man live erleben kann, mitnehmen kann. Und ich bin Ralf Podszus, freue mich, dass wir uns heute nicht nur hören, sondern auch mal sehen. Wir haben schon fast einhundertdreißig Podcast-Folgen von „Herzschlag“ gemacht. Wahnsinnig viel. Seit fünf Jahren gibt es diesen Podcast.
Sehr, sehr schön, dass wir jetzt auch mal direkte Berührungen hier haben. Und es gibt in dieser Podcast-Reihe immer mal wieder die Rubrik „Inspirierende Persönlichkeiten“.
Und da habe ich schon mit interessanten Menschen gesprochen.
Ich erinnere mich an Verena Bentele, zwölfmalige Paralympics-Siegerin, oder an Tristan Horx, Zukunftsforscher mit sehr interessanten Visionen für unser Land – oder auch an Kilian Lanig. Er ist eine männliche Hebamme. Auch interessant, was so Männer in diesem Bereich erleben. Und sehr viele gibt es da tatsächlich gar nicht.
Und heute führt durch das ganze Programm hier beim BGW forum Ninia LaGrande.
Sie ist da hinten auf der Bühne den ganzen Tag für euch im Einsatz. Und deswegen freue ich mich, dass sie jetzt auch als „Inspirierende Persönlichkeit“ ein paar Minuten Zeit gefunden hat, mal zu uns hier auf die Podcast-Bühne zu mir zu kommen. Und mit ihr möchte ich heute auf jeden Fall mal sprechen und einiges über sie erfahren. Sie ist Autorin, Podcasterin, Poetry-Slammerin, sie ist Schauspielerin, Bloggerin, total begeisterte Sportlerin, sie mag American Football, sie reist gerne, liebt Kultur. Und dann verstehe ich gar nicht, wenn man schon so viel macht und liebt, dass man dann noch Zeit hat, sich mit Inbrunst, mit Herzblut und mit sehr viel Kraft für Feminismus und für Inklusion einzusetzen. Ich freue mich, dass sie Zeit gefunden hat, hier im BGW-Podcast dabei zu sein. Vielleicht wirst du mit einem tosenden Applaus begrüßt: Ninia LaGrande ist hier. Hallo, herzlich willkommen!
Ninia LaGrande:
Hallo, danke für diese netten Worte. Heißt es, ich bin die erste Live-Folge, die ihr macht in den 130 Folgen?
Moderator:
Wir haben tatsächlich schon mal einen Live-Podcast gehabt. Also Premiere nicht, aber du bist zum ersten Mal in diesem Podcast. Das ist ja auch schon mal schön.
Ninia LaGrande:
Ja, das reicht.
Moderator:
Klasse, dass du da bist. Was hat dir am meisten gefallen? Du stehst den ganzen Tag auf der Bühne und hast interessante Panels und Diskussionsrunden anmoderiert.
Ninia LaGrande:
Heute Morgen haben wir diese BGW-Kletterinitiative eröffnet, eingeweiht quasi, mit einem großen Kletterturm im Konferenzsaal. Der wurde dann enthüllt und Leute sind live hochgeklettert und es hat mich schon sehr beeindruckt – vor allen Dingen mit meiner Höhenangst. Ich habe mich noch nicht überwunden, da hochzuklettern. Das fand ich sehr schön. Und ich komme jetzt gerade aus einer politischen Diskussionsrunde, wo es um Inklusion durch Sport ging, und das war auch sehr interessant, da verschiedene Perspektiven aus der Politik, aus dem Sport, aber auch aus den Werkstatträten zu hören. Es geht ja auch noch weiter die nächsten anderthalb Tage.
Moderator:
Ich habe American Football erwähnt – für diesen Sport glühst du förmlich.
Ich hab vor Jahren mal – das ist schon hundert Jahre her – mal die Wild Huskies in Hamburg moderiert. Das ist auch so ein Footballverein. So zwei Jahre hab ich das gemacht. Ich kann mich an nichts mehr erinnern. Football finde ich einen wahnsinnig komplizierten Sport. Da wird kaum der Ball bewegt. Man steht immer so rum oder so. Also ich hab wirklich wieder alles vergessen. Und während die Huskies – die heißen mittlerweile Hamburg Huskies, die haben sich umbenannt – gar nicht in den Sphären sind von deinem Lieblingsverein, weil du liebst so mehr den FC Bayern München im Football… Was ist das genau für ein Verein?
Ninia LaGrande:
Das sind die Kansas City Chiefs. Die spielen in der NFL, also in der amerikanischen Liga, und haben sehr oft in den letzten Jahren den Super Bowl, also das große Finale, gewonnen. Letztes Mal leider nicht, da haben sie gegen den Lieblingsverein meines Sohnes verloren – zurecht auch. Aber ja, das ist mein Verein: die Kansas City Chiefs.
Moderator:
Dann magst du gerne reisen. Wo bist du schon überall gewesen? Und was hast du aus diesen Ländern so mitgenommen? Und dann ja schon ein bisschen in Richtung Inklusion schielen auch bei diesem Thema – was hast du da mitgenommen?
Ninia LaGrande:
Ja, also … ich bin ja von Herzen Camperin. Das heißt, wir sind viel im europäischen Raum unterwegs mit dem Camper und gucken uns da die Länder an. Also eines meiner absoluten Highlights in den letzten Jahren war Slowenien, weil – ich glaube – das ist von der Natur und Kultur ein total unterschätztes Land. Immer noch was Schönes, weil man trifft nicht so viele andere Touristen, aber es lohnt sich auf jeden Fall, da hinzufahren.
Wenn wir aber auf den Inklusionsaspekt gucken, dann muss ich sagen, hat mich sehr beeindruckt meine Reise sowohl nach Kanada – da habe ich so eine Rundreise gemacht durch British Columbia und Alberta – und auch eine Reise nach New York, weil ich da immer das Gefühl hatte, vor allen Dingen mit dem Vergleich dann frisch wieder hier zu sein, dass es da niemanden interessiert hat, wie ich aussehe. Also für die, die jetzt nicht hier live sitzen, sondern uns nur zuhören: Ich bin kleinwüchsig. Und das hat in den Ländern, in den USA und in Kanada, in persönlichen Begegnungen und auch überall anders nie eine Rolle gespielt. Ich kann eine Situation herausgreifen: Ich war mit meiner Mutter in New York und uns kam eine junge Dame entgegen und die guckte mich dann schon so fröhlich an. Und meine Mutter sagte schon: „Jetzt nicht wieder das“, weil wir das natürlich kennen, dass ich dann irgendwie direkt auf irgendwas angesprochen werde. Und sie sagte dann einfach nur: „Hey, I like your glasses.“ Also: „Ich mag deine Brille“, und ist dann weitergegangen.
Moderator:
Die mag ich auch, finde ich auch.
Ninia LaGrande:
Und dann sagte meine Mutter: „Das würde in Deutschland nie passieren.“ Also erstens, dass – wenn ich angesprochen werde…
Moderator:
So „Ich mag deine Brille, aber warum bist du so klein?“
Ninia LaGrande:
Ja, so ungefähr. Aber „Ich mag deine Brille“ wäre dann wahrscheinlich auch schon nicht mehr dabei.
Moderator:
1,40 m groß bist du – du hast es eben angesprochen – und es gibt so Situationen …
Ninia LaGrande:
Es sind offiziell 1,38 m, aber es steht 1,40 m überall, damit ich mit den Achterbahnen fahren kann.
Moderator:
Ich bin offiziell auch nur 1,73 m groß und in meinem Perso steht, glaube ich, 1,75 m.
Ninia LaGrande:
Ja siehst du, so schummelt man sich.
Moderator:
So hat man das irgendwie hingekriegt damals – aber ich glaub, heute geht das auch gar nicht mehr.
Genau – und du hast das eben erwähnt: In Deutschland sieht das ein bisschen anders aus. Dir streicheln auch Männer irgendwie ungefragt über den Kopf. Also das ist ja nicht nur jetzt in Bezug auf deine Größe unangenehm. Das ist ja auch schon knallharter Sexismus eigentlich.
Ninia LaGrande:
Ja, genau, das ist ganz spannend. Ich hab das letztens erzählt bei einem Vortrag beim Kleinwuchsforum. Und da waren die Reaktionen ganz anders, als wenn ich die Geschichte sonst erzähle, wenn Leute vor mir sitzen, die selber nicht kleinwüchsig sind. Also: Es passiert mir in regelmäßigen Abständen – auf Festivals, Konzerten und so –, vor allem in so einem Rahmen, dass Männer – es sind nur Männer – an mir vorbeigehen oder neben mir stehen und mir so liebevoll den Kopf tätscheln und dann weitergehen.
Moderator:
Also auch noch nicht mal was sagen?
Ninia LaGrande:
Nein, auch nichts sagen. Und wenn ich das erzähle, dann passiert das, was hier auch im Publikum passiert ist: Die Leute schütteln verständnislos den Kopf. Und bei der Community der kleinwüchsigen Menschen war das so: „Ah ja, kenne ich“ – also vor allen Dingen die Frauen. Und ich habe mich dann auch mit einem kleinwüchsigen Mann unterhalten – der wäre übrigens auch ein toller Gast – der Leo, ist Arzt an der Charité.
Moderator:
Komm gerne vorbei, Leo, wenn du willst.
Ninia LaGrande:
Mit dem habe ich mich unterhalten, und der meinte: Da kommen beide Aspekte zusammen – also sowohl Behindertenfeindlichkeit als wahrscheinlich auch Sexismus. Aber es ist wirklich etwas, das mir wirklich oft und regelmäßig passiert. Ich kann nicht sagen, dass das Einzelfälle sind.
Moderator:
Was sagst du jetzt Menschen, die sich richtig verhalten möchten? Da geht es ja schon los bei der Formulierung. Wie thematisiere ich das jetzt richtig? Wie darf ich das ausdrücken? „Kleinwüchsig“, sagst du – das ist völlig in Ordnung. Das ist der offizielle Begriff. Es gibt jetzt auch welche, die sind total verunsichert, verängstigt und wissen gar nicht, was sie ausdrücken sollen. Wie kann man den Menschen helfen, dass da der …?
Ninia LaGrande:
Ich muss sagen: Wenn man verunsichert ist, gibt es inzwischen viele Quellen, an die man sich wenden kann und die man fragen kann.
Wir haben gestern diesen tollen Impuls zu KI gehört von dem Sanjay Sauli. Da würde ich einfach sagen: Dann frag doch mal eine KI, weil die holt sich dann die Infos aus dem Netz – was kann man sagen, was sollte man eher nicht sagen? Es gibt die Seite leitmedien.de, wo es eben auch eine Formulierungstabelle gibt – und sonst einfach fragen.
Also ich habe auch schon mit meiner Mutter darüber diskutiert, ob der Begriff „Liliputaner“ jetzt in Ordnung ist oder nicht. Sie fand ihn in Ordnung, weil sie so aufgewachsen ist. Ich fand ihn nicht in Ordnung. Der ist auch nicht in Ordnung.
Genau, aber sie ist eben ein bisschen älter und kannte das nicht anders.
Und ich glaube, es ist grundsätzlich – der Anspruch ist nicht, dass ich mich von vornherein in Anführungszeichen „richtig“ verhalte, sondern zuzuhören, wenn dann jemand sagt – wenn ich dann sagen würde: „Weiß ich nicht, also ‚Liliputaner‘ – streich das mal besser aus deinem … Du könntest stattdessen das und das sagen.“
Und dann kommt es auf die Reaktion an. Also wenn ich dann sage – und das erlebe ich ja genauso, ich bin ja auch nicht befreit von diskriminierender Sprache oder so – und wenn dann eine Person zu mir sagt: „Finde ich nicht so geil“, wenn man dann sagt: „Ich hör dir zu, ich respektiere das, ich mache das so“, anstatt sich sofort angegriffen zu fühlen – das ist der wichtigere Schritt, als zu denken: Ich muss von Anfang an alles richtig machen.
Moderator:
Dieses Jahr ist sogar das Wort „Zwerg“ wieder in den Medien gewesen. Lamine Yamal, spanischer Fußballstar, der hat eine Party gemacht. Er ist 18 Jahre geworden. Wir kennen ihn – vor zwei Jahren Fußball-Europameisterschaft in Deutschland – der kleine Junge, jetzt ist er mittlerweile auch erwachsen. Bei dieser Party, da hat er unter anderem auch Kleinwüchsige engagiert. Zum Spaß, das waren halt so Darstellerinnen und Darsteller. Das ist dann irgendwie dann doch fotografiert worden, obwohl es ein Fotoverbot gab, ist in Social Media gekommen, war in den Medien – da war’s ein Riesenskandal. Gerade in Spanien, da gibt es ein sehr hartes Inklusionsgesetz, was vor allem Kleinwüchsige schützt. Anders als in Deutschland sind die da schon viel weiter. Da gibt es wirklich auch Strafen. Es wird auch strafrechtlich immer noch ermittelt wegen dieser Party. Im Zuge des Ganzen haben ja auch Medien drüber berichtet. Und einige, habe ich dann gelesen, haben alle ohne Probleme auch das Wort „Zwerg“ in den Mund genommen. Es hieß dann: „Yamal hat Zwerge engagiert – zur Schaustellung.“ Anders war es ja nicht. Das ist doch bei dir garantiert auch aufgeploppt. Wie denkst du darüber?
Ninia LaGrande:
Ich glaube, das ist eine vielschichtige Geschichte. Natürlich ist das nicht in Ordnung, zu sagen: Ich engagiere Menschen, die in irgendeiner Form eine Rolle spielen, anders aussehen als andere. Es ist ein bisschen „Menschenzoo“ – 19. Jahrhundert – mäßig.
Moderator:
Früher wurden Zwerge wurden geworfen und so.
Ninia LaGrande:
Genau. Vor nicht gar allzu langer Zeit – ich möchte sagen, das ist vielleicht so zehn, zwölf Jahre her – gab es einen Partyveranstalter in Deutschland, der im Großraum Diskotheken die Reihe gemacht hat „Jagt den Zwerg“ oder „Jagt den Kleinwüchsigen“, hieß es, glaube ich. Und dann ist ein kleinwüchsiger Darsteller durch die Diskothek gelaufen. Und wenn man ihn gefangen hat und in einen Käfig gesperrt hat – das ist kein Witz, kann man noch nachlesen – dann hat man einen Flachbildfernseher gewonnen.
Es ist eine Partyreihe gewesen – also es ploppt immer mal wieder auf.
Auf der anderen Seite finde ich es auch wichtig – und manche Medien haben das gemacht –, mit den Leuten zu sprechen, die als Darsteller gebucht werden und da hinfahren. Also das auch zu übergehen, ist natürlich nicht gut. Die haben bei dem, was ich gelesen habe, gesagt: „Na ja, wir waren da ganz normale Gäste.“ Das würde ich jetzt so nicht unterschreiben, weil sie wurden ja dafür bezahlt, dahin zu gehen. Sie wären unter anderen Umständen wahrscheinlich nicht eingeladen worden. Aber: „Wir haben uns da wohl und in Ordnung gefühlt.“ Das muss man ihnen dann glauben, wenn das so ist.
Trotzdem ist ja die Frage: Warum überhaupt müssen die ihr Geld mit solchen Dingen verdienen? Also: Was läuft da schief? Und inwieweit ist es in Ordnung, das – auch als ich meine Agentur oder Darsteller – zu unterstützen, sich für sowas buchen zu lassen?
Und das ist wirklich eine Diskussion, die nicht einfach ist und die auch in der Community von kleinwüchsigen Menschen nicht einfach ist. Es gab ein Musikfestival auch vor ein paar Jahren, und auf diesem Musikfestival gab es eine Bar – eine spezielle Bar – die „Mini-Bar“. Da wurden nur Kurze ausgeschenkt, und an dieser Mini-Bar haben kleinwüchsige Darsteller als Barkeeper gearbeitet. Und auch die lassen sich ja buchen und unterstützen das – und finden das an sich in Ordnung, damit Geld zu verdienen. Aber die Leute, die an diese Bar kommen – finden die es in Ordnung, dass an einer Mini-Bar von Kleinwüchsigen ihnen Kurze ausgeschenkt werden? Und vielleicht nicht jeder, aber viele davon gehen dann los und sagen dann zu mir: „Schenk mir mal einen Kurzen ein“, oder so. Also, diese Folgen – das ist halt eine gesellschaftliche Diskussion, die so einfach nicht zu führen ist.
Moderator:
Und das ist interessant, dass du das sagst, weil der Sprecher von den gebuchten Kleinwüchsigen bei Yamal, der hat sich dann aufgeregt und hat gesagt: „Seitdem es diese härteren Gesetze in Spanien gibt, werden wir kaum noch gebucht. Dabei verdienen wir damit unser Geld und wir verdienen jetzt dadurch weniger Geld.“
Aber es ist halt eine Crux, weil sie verdienen ja damit Geld, dass andere sich darüber lustig machen können.
Ninia LaGrande:
Und da sehen wir auch, dass solche Gesetze wichtig und nötig sind. Das ist aber eben – nicht nur hilft, ein Gesetz zu beschließen, sondern man muss gleichzeitig auch in anderen Arbeitsbereichen was machen, nämlich dann zu versuchen, Leute mit Behinderungen in den ersten Arbeitsmarkt zu bekommen, wenn sie mit dem Job, den sie vorher gemacht haben – der erniedrigend ist, das muss ich so sagen, der erniedrigend ist – kein Geld mehr verdienen können.
Moderator:
Wie gehst du mit dem Thema Humor um? Du machst ja ab und zu mal Witze. Du kannst das auch, weil du bist kleinwüchsig. Und wenn jemand ein Recht dazu hat, mal einen Gag zu machen, dann natürlich du. Jetzt schauen wir mal auf mein jüngeres Ich zurück – als Radiomoderator. Damals war „Der Herr der Ringe“ neu in den Kinos in Deutschland. Da hatte ich unter anderem auch on Air den Gag gemacht: In dem Film machen auch Zwerge mit – aber die haben nur kleine Rollen. So, jetzt habe ich ja nun auch im Laufe der Jahre dazugelernt und würde diesen Witz heutzutage gar nicht mehr machen. Also – wie mit meiner Mama, die noch „Liliputaner“ in Ordnung findet – hab ich da auch eine Metamorphose gemacht und würde mich heute dafür schämen, dass ich diesen Witz damals gemacht hab. Wie unterstützt du Humor in den Medien – und was ist da so dein Ratschlag? Wie sollte man sich dazu öffnen? Was kann man, was darf man? Und wie hat sich das auch in den letzten Jahren in den Medien verändert? Was ist da so deine Sichtweise?
Ninia LaGrande:
Ja, das ist natürlich eine große Frage. Also ich glaube, grundsätzlich kann man sich – wenn man selber Witze macht, oder wenn man beruflich Witze macht – daran orientieren, dass Witze oder Satire nie nach unten treten sollten. Also natürlich kann ich selber über mein Erscheinungsbild, über mein Verhalten, über meine Beziehung – was weiß ich – Witze machen, weil damit kenne ich mich aus und ich weiß, wie weit ich gehen darf.
Ich würde aber niemals so weit gehen, über jemanden Witze zu machen – sagen wir mal, einfach als Beispiel: Rollstuhlnutzerin. Jetzt einen Witz über Rollstuhlnutzer zu machen – öffentlich –, weil ich die Erfahrung ja gar nicht habe.
Ich glaube, es kommt auch immer ein bisschen darauf an, in welchem Umfeld ich mich bewege und mit wem ich mich unterhalte. Mein Ehemann ist selber nicht kleinwüchsig, macht sehr viele Witze über Kleinwüchsige – aber halt in einem privaten Rahmen. Und immer so, dass ich es auch … also dass wir wissen: Das ist auf dem Level der Nähe, genau, was in Ordnung ist.
In den Medien hat sich sehr viel verändert, weil wir natürlich sehr viel darüber diskutieren: Was darf man noch sagen? Ich glaube, man darf alles noch sagen – man muss halt nur damit rechnen, dass eben Leute auch darauf reagieren, was gesagt wird. Das gefällt vielen nicht. Ich glaube aber insgesamt, dass Humor – egal in welchen Bereichen – ein fantastisches Mittel ist, um aktivistische Ziele voranzutreiben.
Die Leute – natürlich, und ich selber auch – schalten sofort ab, wenn jemand von vornherein mit einem erhobenen Zeigefinger kommt. Wenn ich aber auf die Bühne gehe und – zum Beispiel aus meiner Erfahrung als Slam-Poetin – war es immer so, dass die Moderatoren das Mikrofon runtergestellt haben und ich kam dann auf die Bühne und es war natürlich nicht weit genug runtergestellt. Und dann habe ich da noch dran rumgedreht und so und habe dann immer zum Publikum gesagt: „Ich muss das hier erstmal behindertengerecht einstellen.“ Es ist ein Fakt, aber die lachen natürlich. Und dann merkt man so, dass das Publikum so aufatmet und denkt: „Sie hat’s gemerkt, sie weiß es selber, okay – jetzt hier, das ist so.“
Und dann kann man natürlich mit so Witzen … Man kann Witze dazu nutzen, ernsthafte Botschaften mitzugeben. Es ist immer mein Ziel, dass Leute aus so einer Veranstaltung rausgehen – gerade wenn es mir auch erlaubt ist, Witze zu machen –, dass sie diese Witze nicht selber weitertragen, aber dass sie die Botschaft des Witzes verstehen und das vielleicht im Alltag irgendwie verändern oder anwenden.
Moderator:
Jetzt reden wir noch ganz kurz über einen von deinen Podcasts. Du hast auch noch ein paar mehr tatsächlich – aber du machst auch etwas für Inklusion. Wenn man sich die Statistik anschaut: Mehr als die Hälfte der Menschen mit Behinderung treibt keinen Sport. Glaubst du, dass Paralympische Spiele hierzulande wirklich etwas bewegen können – auch abseits der Stadien? Du redest in deinem DOSB-Podcast „Deine Ideen, deine Spiele“ ja auch genau über solche Themen.
Ninia LaGrande:
Genau, in diesem Podcast vom Deutschen Olympischen Sportbund rede ich gemeinsam mit Felix Loch, dem sehr erfolgreichen Rennrodler, über die Möglichkeit von Paralympischen und auch Olympischen Spielen in Deutschland – mit verschiedenen Gästen. Und ich bin davon überzeugt, dass Paralympische Spiele – mögen sie nun in Hamburg oder in einer anderen Stadt oder Gegend stattfinden …
Moderator:
Hamburg darf es schon wieder werden.
Ninia LaGrande:
Ich darf da keine Präferenz für haben. Wo auch immer sie stattfinden, glaube ich, dass sie eine ganz große Strahlkraft haben. Weil alleine der Fokus auf die Paralympischen Spiele voraussetzt, dass eine Stadt oder eine Region sich darauf vorbereitet, dass ganz viele Sportlerinnen und Sportler mit Behinderung in diese Gegend kommen. Das heißt: Die müssen eine vernünftige Anbindung haben. Die müssen vernünftige Assistenzen haben. Die müssen vernünftige Sportstätten haben. Die Wettbewerbe … Also da alleine mit der Barrierefreiheit reinzugehen und da schon mal Augen zu öffnen für: Wo fehlt hier noch was? Das haben wir hier bei den Special Olympics in Berlin auch gesehen. Es war eine tolle Veranstaltung – aber man hat drumherum gesehen, woran fehlt es noch, wo müssen die Bereiche noch, wo muss auch die Sensibilität für bestimmte Themen erhöht werden? Da kann man nur daraus lernen.
Und ich glaube – ob jetzt paralympischer oder olympischer Sport –, dass diese Veranstaltungen immer eine große Strahlkraft haben. Ich sehe das an meinem Sohn; der hat letztes Jahr Olympia geguckt und hat dann gesagt, er möchte jetzt mit Tischtennis anfangen, weil er da Tischtennis gesehen hat. Und dieser Verein hat auch tatsächlich einen großen Run erlebt. Und genauso sehen wir es ja auch, wenn die Basketball-Nationalmannschaft so erfolgreich ist oder die Frauenfußballmannschaft – dass da immer dieser Run auf die Vereine kommt. Und das müssen wir auch im paralympischen und im inklusiven Sport nutzen, um diesen Run eben auszunutzen. Da brauchen wir noch viel Geld und bessere Zusammenarbeit – gerade für Assistenzen und Erreichbarkeiten und so. Aber es wäre schön, wenn das funktionieren würde.
Moderator:
Dann drücken wir die Daumen, dass es auf jeden Fall den olympischen Zuschlag für Deutschland dann gibt.
Abschließend möchte ich mit dir noch einmal das Wort „normal“ durchdeklinieren, das haßt du nämlich. Was ist „normal“? Welche Abneigungen hast du gegen das Wort normal?
Ninia LaGrande:
Es gibt nichts, was normal ist. Es gibt ja auch keinen einzelnen … Du bist nicht „normal“, ich bin nicht „normal“. Wir sind in irgendeiner Form alle individuell.
„Normal“ schmälert das Thema – weil es gibt eben Leute mit Behinderung und Leute ohne. Und es ist wichtig, dass wir alle gleichberechtigt überall teilhaben können.
Aber trotzdem ist „normal“ für mich so ein Ausdruck, mit dem ich absolut nichts anfangen kann, weil ich mir darunter nichts vorstellen kann. Was ist jetzt „normal“?
Was meinst du mit „normal“? Weil wir kommen alle mit einem Rucksack voller Erfahrungen irgendwo hin. Und dann ist für jeden „normal“ etwas anderes – weil er eben mit unterschiedlichen Erfahrungen und Hintergründen irgendwo hinkommt und aus dieser Erfahrung heraus etwas als „normal“ empfindet, was ich vielleicht … für mich ist was ganz anderes „normal“. Für mich ist es „normal“, ab nächsten Sonntag um 19 Uhr mit Chips und alkoholfreiem Bier wieder jede Nacht vorm Fernseher zu verbringen, um NFL-Spiele zu gucken.
Moderator:
Für dich ist das wahrscheinlich nicht „normal“.
Moderator:
Auf jeden Fall nicht. Wobei – die Chips und den Alkohol könnte ich mir noch dazu vorstellen.
Ninia LaGrande:
Den Alkohol hab ich dann nicht dabei.
Moderator:
Vielen Dank, dass wir hier so nett plaudern konnten – Live-Podcast beim BGW forum „Sicher und gesund in der Behindertenhilfe“. Spannend, was du alles teilst. Und ich hoffe, das macht auch vielen anderen Mut. Und dann freue ich mich auf noch vieles andere, was man von dir dann demnächst wieder hört – und auch noch in den nächsten Tagen hier beim BGW forum sieht. Vielen Dank für deinen Besuch – Ninia LaGrande hier.
Ninia LaGrande:
Danke.
Moderator:
Ich bin weiter mitten im Forum hier unterwegs. Sport bewegt – und das im wahrsten Sinne. Eben im Live-Podcast mit Ninia – da habe ich das Thema schon angerissen. Jetzt tauchen wir noch tiefer ein. Es geht um Rollstuhlsport, der auch hier beim BGW forum eine große Rolle spielt. Ich spreche jetzt mit Lars Pickardt vom Deutschen Rollstuhlsportverband und mit Bastian Keller – er ist Trainer im Parasport. Hallo Lars, grüß dich.
Lars Pickardt:
Moin, hallo.
Moderator:
Lars, vielleicht kannst du uns kurz erklären, was der Deutsche Rollstuhlsportverband ist und was er genau macht.
Lars Pickardt:
Naja, wir sind ein klassischer Sportverband, kümmern uns um alle Sportarten, die du im Rollstuhl machen kannst. Also von den Klassikern, die wahrscheinlich jeder kennt – Rollstuhlbasketball, Rollstuhlrugby –, aber hin bis zu Geschichten wie Boccia oder auch Stand-up-Paddling oder Segeln. Also alles, was irgendwie für Rollstuhlfahrer möglich ist – die sich nicht immer alle vorstellen können, was machbar ist, aber doch ganz viel geht. Wir haben insgesamt über dreißig Sportarten.
Moderator:
Gerade beim Stand-up-Paddling komme ich jetzt nicht unbedingt gleich sofort auf so einen Rollstuhlsport.
Lars Pickardt:
Ja, das glaube ich dir – das ist bei vielen so. Aber du hast entweder die Möglichkeit, mit dem Einzelpaddel zu fahren oder mit dem Einzelboard zu fahren. Dann hast du noch mal einen Ausleger dran, der ein bisschen stabilisiert, und möglicherweise einen Sitz.
Oder es gibt inzwischen ganz große SUPs – diese Familien-SUPs, die man vielleicht kennt. Und da gibt es inzwischen Vorrichtungen, dass du mit dem Rollstuhl auf das SUP drauffahren kannst und sozusagen festgeschnallt wirst. Und dann kannst du auch lospaddeln.
Moderator:
Ich habe zum ersten Mal so etwas gesehen – beim Kinderspielplatz. Da gab es so eine Rollstuhlschaukel. Hatte ich vorher noch nie gesehen und habe es dann leider auch bisher nicht wieder gesehen. Gibt es nicht so viele, ne?
Lars Pickardt:
Nee, gibt ganz wenige inklusive Spielplätze, was halt schade ist – weil am Ende geht es immer um Bewegung, und Kinder müssen erstmal Bewegung lernen.
Moderator:
Und das fand ich auch, weil eigentlich war’s total easy: Rollstuhl rein und man konnte schaukeln.
Lars Pickardt:
Und ich finde Schaukeln sehr wichtig, tatsächlich. Ich finde jede Form von Bewegung wichtig. Also ich glaube, Kinder – ob sie im Rollstuhl sitzen oder nicht – müssen Bewegungen lernen. Und nur weil ich einen Rollstuhl hab, hab ich ja trotzdem ein Anrecht auf Bewegung.
Moderator:
Ihr seid hier auf dem Forum mit einem eigenen Stand dabei – um genau zu sein: ein Stand gemeinsam mit der BGW zum Thema Mobilität. Und später seid ihr auch beim Hamburg-Abend. Dort können dann alle, die wollen, verschiedene inklusive Sportarten kennenlernen und auch selbst ausprobieren. Da schau ich natürlich auch auf jeden Fall nachher vorbei und mach auch mit – hört ihr dann in der nächsten Herzschlag-Folge.
Was genau erwartet uns da beim Mitmach-Sport?
Lars Pickardt:
Die Idee ist tatsächlich – weil ja hier viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus Einrichtungen sind – so ein bisschen die Idee mitzugeben, dass Sport gar nicht immer so kompliziert sein muss oder ich einen hohen Aufwand treiben muss.
Und wir wollen es möglichst niederschwellig machen. Das heißt: Jeder hat heute Abend, bevor es dann ans Buffet geht, nochmal die Chance, gewisse Dinge auszuprobieren – sei es Tischtennis, sei es Tischkicker.
Wir haben eine kleine Basketballanlage da. Wir haben zum Beispiel auch Boccia da. Und ganz viele kleine Spiele: Leitergolf, Cornhole – wenn du nicht weißt, was es ist, solltest du mal nachgoogeln. Damit man auch eine Hausaufgabe von heute mitnimmt.
Moderator:
Das finde ich gut, ja.
Lars Pickardt:
Also von daher – wirklich einfach so ganz kleine Bewegungsspiele mit wenig Aufwand. Die kann ich vielleicht mal vor oder nach der Mittagspause mit meinen Patientinnen, Patienten oder mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Einrichtungen einfach mal durchspielen. Eine Viertelstunde Bewegung am Tag und alles ist gut.
Moderator:
Du hast ja auch eben gesagt: Vor dem Buffet. Also insofern, ja – eine gute Auflockerungsübung vielleicht für dich so. Wenn man eh schon den ganzen Tag – also hier ist zwar viel Trubel auch in der Ausstellung, aber viele Leute sitzen ja doch in den Workshops –, und dann so ein bisschen Bewegung tut, glaube ich, ganz gut.
Es gibt richtig viele Sportarten, die man mit dem Rollstuhl machen kann – du hast ja schon eben einige erwähnt. Eine Übersicht dazu gibt es auch auf eurer Website.
Basketball, Eishockey, Rugby – möchte ich noch mal herausstellen –, Segeln, Tanzen, Wasserski… Also echt sehr, sehr viele Sportarten – eigentlich sogar jede, die man sich so vorstellen kann. Überrascht das viele Menschen – egal jetzt ob mit oder ohne Behinderung?
Lars Pickardt:
Ja, es überrascht – aber immer nur im ersten Moment. Also ich glaube, das ist so diese berühmte Barriere in den Köpfen und diese erste Schwelle, die du nehmen musst.
Erfahrungsgemäß – nach den ersten zweieinhalb Minuten sind die Leute dann Feuer und Flamme und können sich ganz, ganz viel vorstellen und dann fangen ganz kreative Ideen an zu entwickeln. Ich behaupte: Gerade wenn wir über den Breitensport reden – und darum geht es ja erstmal, wie gesagt überhaupt in Bewegung kommen –, gibt es fast nichts, was du nicht in irgendeiner Form im Rollstuhl machen kannst. Du musst es halt ein Stück weit adaptieren oder kreative Ideen entwickeln. Wie gesagt – ob es nun bei so einem SUP-Board ist, dass du spezielle Mechanismen entwickelst, wie du den Rollstuhl festmachst, oder – wie jetzt hier bei der BGW-Kletterinitiative – dass du halt spezielle Sicherungsgeräte hast, abgezielt auf die jeweilige Behinderungsform.
Aber ich glaube: Mit ein bisschen Kreativität kann man ganz, ganz viel machen.
Moderator:
Wenn wir über Mobilität im Rollstuhl sprechen, dann geht es nicht nur um sportliche Leistung – es geht auch um die richtige Ausrüstung, Technik und auch Körperbeherrschung. Muss man auch ein bisschen lernen dann – natürlich.
Wie könnt ihr da als Verband unterstützen?
Lars Pickardt:
Naja, das ist unsere zweite Säule sozusagen – das Thema Mobilität im Rollstuhl, wo wir halt auch wirklich eng mit der BGW zusammenarbeiten. Und das ist letztendlich ein Dreiklang. Das Erste ist die richtige Rollstuhlversorgung – also: Ich muss einen richtig auf mich abgestimmten Rollstuhl haben. Da kann man ganz viel falsch machen.
Moderator:
Und das kann auch sehr teuer sein?
Lars Pickardt:
Das kann auch sehr teuer sein – oder das ist teilweise sehr teuer. Aber – wie gesagt – wenn du einen falschen Rollstuhl hast… Stell dir vor, du willst einen Marathon laufen. Ich weiß nicht – was hast du für eine Schuhgröße?
Moderator:
Zweiundvierzig.
Lars Pickardt:
So – wenn ich dir jetzt einen Schuh in 46 gebe und du sollst einen Marathon laufen…
Moderator:
Würde ich es genauso auch nicht mit 42 schaffen.
Lars Pickardt:
Ja, okay – aber mit 46 würdest du wahrscheinlich noch nicht mal erst überhaupt an den Start gehen. Und das ist, glaube ich, das Entscheidende. Also du musst erstmal einen passenden Rollstuhl haben, dass du dir vorstellen kannst: „Da kann ich drin Sport machen“ – oder: „Da geht überhaupt drin, Sport zu machen.“ Also diese Einstellung ist das Erste.
Das Zweite ist dann tatsächlich die Finanzierung. Deinen Alltagsrollstuhl kriegst du noch von der Kasse – oder wenn du in Anführungszeichen das Glück gehabt hast, irgendwie über eine Berufsgenossenschaft versichert gewesen zu sein oder ein BG-Fall zu sein, dann geht es vielleicht nochmal ein bisschen einfacher. Aber ein Sportgerät ist dann nochmal … So ein Basketballrollstuhl fängt bei 6.000 an und hört bei 16.000 auf – je nachdem, was du für eine Qualität haben willst. Und das finanzieren die wenigsten. Das ist dann nochmal die nächste Herausforderung – zu sagen: „Wie kriege ich meinen Sportrollstuhl finanziert?“ Da geben wir auch Tipps, Hinweise, unterstützen.
Und das Dritte ist – ich nenne es immer das „Kinderturnen im Rollstuhlsport“ –, weil du musst erstmal lernen, mit deinem Rollstuhl umzugehen. Du musst dir vorstellen: Du bist jetzt auf den Rollstuhl angewiesen – dein Arzt schreibt dir ein Rezept aus, Rollstuhl kriegst du halt auch auf Rezept. Du gehst mit diesem Rezept ins Sanitätshaus. Die geben dir einen Rollstuhl – wie gesagt: optimalerweise vernünftig auf dich eingestellt, dass der ordentlich passt. Dann geht diese Tür vom Sanitätshaus auf, du wirst rausgeschoben, Tür geht zu – dann stehst du mit deinem Rollstuhl auf dem Bürgersteig.
Du hast, glaube ich, schon mal im Rollstuhl gesessen – hast du im Vorgespräch gesagt –, aber es erklärt dir keiner, wie der Rolli funktioniert. Du musst jetzt mal den Bordstein hochkommen – zum ersten Mal. Das kann schon mal einen Tag dauern.
Moderator:
Ja.
Lars Pickardt:
So – das heißt: Du musst erstmal lernen, mit diesem Ding umzugehen. Wie komme ich in den Bus rein? Wie komme ich den Bordstein hoch? Wie kriege ich das auch vielleicht in mein Auto – oder mit meinem Auto den Rollstuhl transportiert?
Moderator:
Ich habe es – wie gesagt – auch schon getestet: nicht so einfach.
Lars Pickardt:
Und jetzt kommst du auf einmal daher: „Komm, Lars – möchtest du nicht mitmachen beim Rollstuhlbasketball?“ Und dann denken drei, vier Tage Rollstuhl: „Was will der von mir? Also ich komme noch nicht mal im Alltag zurecht – und jetzt soll ich mit dem Ding Sport machen.“ Und genau da setzen wir mit dem Projekt der BGW an – oder mit unseren Mobilitätsprojekten –, dass wir den Leuten erstmal beibringen, mit dem Rollstuhl umzugehen. Dass die erstmal lernen: Was kann dieser Rollstuhl überhaupt? Was kann ich mit dem Rollstuhl alles? Und wenn die dann im Alltag zurechtkommen und gelernt haben, perfekt mit dem Rollstuhl umzugehen, dann ist es dann nochmal viel einfacher, zum Sport zu überzeugen. Weil dann ist nochmal mehr der Glaube da, dass ich damit auch ganz andere Dinge machen kann. Weil – wie gesagt – wenn du in den Schuhen Größe 46 einen Marathon läufst und ich erzähl dir, das funktioniert, dann hältst du mich für verrückt. Und so ist es dann leider auch oft mit diesen nicht vorhandenen Schulungen im richtigen Umgang mit dem Rollstuhl – oder mit den falsch eingestellten Rollstühlen.
Moderator:
Der große Knackpunkt ist natürlich auch die Finanzierung – das Geld und so weiter. Dabei sollten ja auch alle ein Interesse daran haben, dass hier das Geld vielleicht auch locker gemacht wird von links und rechts. Denn mit mehr Bewegung gibt es mehr Gesundheit – und dann ist entsprechend auch das Leben insgesamt günstiger.
Lars Pickardt:
Ja – und das ist immer eine Präventionsgeschichte, natürlich. Also in dem Moment, wo ich sportlich unterwegs bin – und, wie gesagt, auch im Rollstuhl sportlich unterwegs bin –, arbeite ich entsprechenden Verschleißerscheinungen vor. Also die ganz klassischen Dinge, die du als Fußgänger über deine Krankenkasse – wo auch immer – finanziert bekommst, im Sinne der Prävention, gilt für den Rollstuhlfahrer genauso – und vielleicht sogar noch mal ein bisschen mehr. Also – ohne jetzt groß Geschichtsexkurs zu machen –, aber es gibt Sir Ludwig Guttmann – hat vielleicht der eine oder andere mit Sicherheit schon mal gehört. Der ist auf der einen Seite der Erfinder der Paralympischen Spiele, aber auf der anderen Seite war er ja Mediziner. Der hat erkannt: Er hat ganz viele Querschnitte – es war zur Weltkriegszeit, also deswegen hat er ein bisschen mehr zu tun gehabt, leider – aber er hat ganz viele Querschnitte, schlimme Verletzungen operiert – erfolgreich operiert. Sie sind aber trotzdem hinterher gestorben – aufgrund mangelnder Bewegung: Nierenversagen, Blasenentzündungen – also all die Klassiker, die man von Rollstuhlfahrern kennt an Erkrankungen im Nachhinein. Und er hat erkannt: Wenn ich die in Bewegung bringe und mit denen Sport mache, dann haben die auf einmal eine deutlich höhere Überlebenschance. Deswegen ist Sport halt einfach nur dringend zu empfehlen – und deswegen haben ja auch viele BG-Kliniken direkt nach dem Krieg dieses Sportangebot übernommen. Und deswegen gibt es ja auch innerhalb der BG-Kliniken – wo ja unter anderem auch die BGW Gesellschaft heißt, bei den Kliniken – diesen Gedanken von Mobilität und Unterstützung von Mobilität und Sportangeboten.
Moderator:
Wie vorhin schon erwähnt: Sport bewegt – Bewegung ist immer wichtig. Bei eurer Arbeit spielen auch Kinder und Jugendliche eine große Rolle. Ihr geht zum Beispiel an Schulen – das Projekt heißt „Rollstuhlsport macht Schule“. Und dort können die Kids den Rollstuhlsport kennenlernen und auch Berührungsängste abbauen. Wie gut kommt das an – und was sind die Reaktionen der Kinder und der Lehrkräfte?
Lars Pickardt:
Also – für die Kinder ist der Rollstuhl ein Sportgerät, und das ist das Faszinierende. Die machen sich da gar nicht so viel ’n Kopf drum. Und das, was wir machen – wenn wir in die Schulen gehen, gerade vor der inklusiven Beschulung –, hast du ja oft den Vor- oder Nachteil – muss man jeweils sich die Perspektive angucken –, aber du hast halt einen Rollstuhlfahrer in der ganzen Klasse. Das heißt: „So – das ist ein Rollstuhlfahrer.“
Und die anderen haben ja meistens überhaupt keine Idee, wie das ist, mit dem Rollstuhl unterwegs zu sein. Wir hatten eben das Bordstein-Beispiel schon.
Und so ist es in der Schule auch. Und dann gehen wir halt für einen Tag in die Schule und versuchen dann über den Sport – im Sportunterricht. Sonst sitzt der Rollstuhlfahrer an der Seite, guckt zu, zählt die Punkte, weil er nicht mitspielen kann. Und auf einmal ist er derjenige, der im Rollstuhlbasketball im Rollstuhl ballert – weil er derjenige ist, der es schon kann. Und alle 25 anderen sind auf einmal die Anfänger und sehen zu, wie er da mit dem Rollstuhl Kreise um die fährt. Und das ist so ein bisschen dieses gegenseitige Sensibilisieren und Wahrnehmen.
Und du merkst auf einmal – das ist das Faszinierende an Kindern und dann Jugendlichen –, wie es „Klick“ im Kopf macht und die eine wirklich andere Wahrnehmung haben und sich auch auf einmal nochmal ganz anders um den einen Jugendlichen im Rollstuhl kümmern. Das ist im Schulumfeld so – das kriegen wir hinterher wieder gespiegelt, weil wir nicht im täglichen Betrieb sind. Aber auch wenn wir Freizeiten machen – inklusive Freizeiten –, wo du auf einmal merkst, wo Zwölf-, Dreizehn-, Vierzehnjährige eine Verantwortung für jemanden im Rollstuhl übernehmen – wo dir jeder sagt: „Ach, die Jugend von heute…“ – Nee: Das funktioniert richtig gut. Du musst es ihnen nur ordentlich zeigen. Das versuchen wir mit dem Projekt hinzukriegen.
Moderator:
Ihr hört es ja am Gewusel – wir sind immer noch mittendrin hier im BGW forum in Hamburg. Was sind so deine Highlights bisher hier gewesen, Lars?
Lars Pickardt:
Also – auf einmal war ich gerade eben frisch drin bei der Eröffnung der BGW-Kletterinitiative. Das ist natürlich faszinierend, wenn du so einen Kletterturm mitten im Konferenzsaal hast – und dann aus dem Rollstuhl jemand hochsteigt und den Kletterturm hochspringt.
Moderator:
Mit – schon gesehen – ein ziemlich hoher Konferenz… äh – Turm.
Lars Pickardt:
Wobei – wir haben ja gelernt, die Ausrede „Höhenangst“ zählt nicht – also von daher.
Ja, und ansonsten – die Ausstellungsfläche ist natürlich toll. Bei uns am Stand haben wir schon viele gute Gespräche geführt. Wir haben so eine kleine Basketballanlage da, dass man gegeneinander in 30 Sekunden auf den Korb werfen kann – wer die meisten Punkte kriegt. Sehr faszinierend – da kommt auf einmal bei jedem wieder der Wettkampfcharakter durch.
Moderator:
Spannende Geschichte. Viel Spaß und viel Freude weiterhin hier, Lars.
Lars Pickardt:
Danke – wünsche ich dir auch.
Moderator:
Bei mir ist auch Bastian Keller. Du bist Parasport-Trainer – grüße dich.
Bastian Keller:
Hallo, guten Tag.
Moderator:
Und selbst auch Sportler.
Bastian Keller:
Ich spiele selber Boccia, ich trainiere Boccia und betreue auch eine Gruppe von ca. acht bis zehn Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrern und Nicht-Rollstuhlfahrern, die paralympisches und inklusives Boccia spielen.
Moderator:
Und bei dir klebt der Bundesadler des Sports auch hier auf deinem Trikot.
Bastian Keller:
Ja, das ist meine Vergangenheit. Ich bin im Jahr 2015 zur Boccia-Nationalmannschaft gestoßen – aufgrund meines Sohnes Bastian, der Nationalspieler wurde – und bin dann dort zehn Jahre lang als Teammanager tätig gewesen für die Nationalmannschaft.
Moderator:
Den Bastian grüßen wir auch ganz lieb. Dein Sohn sitzt im Rollstuhl. Ist das auch der Grund, warum du dann in dieser Szene Trainer geworden bist?
Bastian Keller:
Genau. Bastian hatte sich diesen Sport dann nach vielen Wirrungen ausgesucht.
Er hat eine spinale Muskelatrophie – also eine progressive Muskelerkrankung. Und da gibt es nicht so viele Sportarten, die man machen kann. Aber Boccia ist ein Sammelbecken für Behinderungen jedweder Art.
Moderator:
Und was hat er sich sonst noch so für Sportarten angeschaut – mal ausprobiert?
Bastian Keller:
Es ging wenig – es ging einfach wenig. Die Muskelkraft fehlt da einfach, um zu werfen, um irgendwelche Kraft-Dinge zu machen. Und dann kam Boccia. Und das packte ihn dann – und mit ihm packte es mich dann.
Moderator:
Hättest du theoretisch jede Sportart auch machen können? Also du hast natürlich dich dann entschieden, eine für deinen Sohn zu nehmen und bist dann beim Boccia gelandet.
Bastian Keller:
Natürlich, natürlich. Es ist auch – im Prinzip, ich sage das jetzt mal ganz langsam – völlig wurscht, was man macht, welches Sportart man betreut oder unterstützt. Die Hauptsache, es gibt ein paar Ehrenamtliche, die sagen: „Ich will das einfach tun. Ich will helfen, den Sportlern oder den Rollstuhlfahrern das zu bieten, was sie denn können – und ihnen auch Visionen zu zeigen, was sie denn erreichen können – bis hin zu den Paralympics.“
Moderator:
Wir haben eben von Lars gehört: Nun ist es erstmal eine Hürde – man merkt, man muss in den Rollstuhl; damit muss man erstmal klarkommen. Und dann sollte man sich möglichst viel damit bewegen – am besten auch noch einen Sport ausüben. Wie war das bei deinem Sohn? Wann ging es los, dass er für den Sport bereit war?
Bastian Keller:
Der ist – bis zwölf Jahre – konnte er noch laufen. Zwar mit Unterstützung eines Rollators, aber dann ging es aufgrund der Muskelkraft nicht mehr. Also setzte er sich in den Rollstuhl. Und dann passierte mal lange, lange nichts – bestimmt acht oder neun Jahre. Weil die Schulen waren eine Herausforderung – die waren in Württemberg nicht gerade behindertenfreundlich. Das Beispiel vom Lars: Wenn da nicht Mitschüler geholfen hätten, ihn Treppen hochzutragen oder durch das Schulhaus zu bringen, er hätte sein Gymnasium nicht machen können. Das hat dann – Gott sei Dank – geklappt. Er hat sein Abitur gemacht, er hat dann angefangen zu studieren und ist letztendlich in der IT gelandet – und ist da jetzt seit 20 Jahren als IT-ler tätig – und hat dann 2015 seinen Sport gefunden. Ganz abenteuerlich – wie vieles am Rollstuhlsport abenteuerlich ist: Wir hatten Deutsche Meisterschaften im Para-Boccia bei uns im Heimatverein und sind dort eingeladen worden, als Kampfrichter tätig zu sein – also Zeiten nehmen, Bällchen… drücken – und das haben wir dann gemacht. Und dann ist er natürlich als Rollstuhlfahrer gefragt worden: „Würdest du nicht auch Boccia spielen?“ Er hat gesagt: „Viel zu unspektakulär – ja, dazusitzen und ein paar Bälle zu werfen… Das sind doch immer nur alte Männer da irgendwo am Strand, die Kugeln hin- und her …“ – Das passt für einen jungen Mann mit um die zwanzig einfach nicht. Und dann ist er doch mal ins Training – und dann hat ihn das gepackt: Taktik, Präzision, Konzentration. Und er war dann relativ schnell Deutscher Meister und anschließend dann Mitglied der Nationalmannschaft. Da bin ich dann reingerutscht und bin mitgefahren als Unterstützer – und dann irgendwo in der Nationalmannschaft gelandet als Unterstützung für das gesamte Team.
Moderator:
Und das ist auch eine schöne Vater-Sohn-Beziehung, die man mal ganz anders auslegen kann.
Bastian Keller:
Natürlich – das schweißt zusammen. Ist aber manchmal auch nicht ganz so… Wenn man so anschließend einen Wettkampf beurteilt und ihm dann sagt „so oder so“, dann gibt es schon Kontroversen. Aber man geht durch alle Höhen und alle Tiefen, die bei jedem Sportler sind – ob der jetzt im Rollstuhl sitzt oder nicht. Er muss die einfach durchmachen, um erfolgreich zu sein.
Moderator:
Man sieht ja auch ganz oft Trainer – Sohn, Tochter – bei Olympischen Spielen, Paralympischen Spielen, bei allen möglichen Sportarten. Das ist ja oft so ein Familiending.
Bastian Keller:
Ja – ohne die Eltern geht gar nichts. Der Anfang muss einfach über die Eltern passieren.
Man muss fahren – teilweise. Es ist nicht der Sportverein direkt vor der Tür, wo man sagen kann: „Da ist die Sportart, die ich machen will – und die ist auch noch ums Eck, wie der Handballverein um die Ecke“ – für den normalen Sportler. Und gerade beim Parasport wahrscheinlich auch. Und dann sind die Eltern gefragt – und da gehören engagierte Eltern dazu. Und meistens bleiben die auch dabei.
Moderator:
Wir haben von Lars vorhin auch schon gehört: Die Kosten sind da gar nicht so unwesentlich. Da muss man was umrüsten – gerade auch beim Rollstuhl. Wie war das bei euch? Und wie viele Sommerurlaube mussten dann ausfallen?
Bastian Keller:
Ja – da ist schon einiges ausgefallen. Wenn ich überlege, dass die erste Saison im internationalen Para-Boccia etwa 10.000 Euro gekostet hat – an Eigenmitteln, um allein in diesem Weltranglisten-Zirkus mitmachen zu können. Das muss man erstmal selber verdienen. Gott sei Dank hat er den Job. Aber – wie viele Rollstuhlfahrer, die in diesem Bereich sind, arbeiten – wenn sie denn überhaupt arbeiten – in einer Behindertenwerkstatt, und da ist so ein Geld nicht zu kriegen. Und dann ist es schwierig, sowas zu finanzieren und ihnen dann eine solche Karriere in der Nationalmannschaft bieten zu können. Große Aufgabe. Und da sind auch die Eltern gefragt, die dann hoffentlich die Mittel haben, um ihre Kinder zu unterstützen, dahin zu kommen.
Moderator:
Jetzt macht Bastian das schon seit über zehn Jahren. Als IT-ler hat er dann auch gemerkt: Hey, beim Boccia – das ist so alles: Das ist ein bisschen Kraft, das ist aber auch Taktik, Ausrechnen, Kalkül. Er ist da voll angekommen – und das mit deiner Hilfe, mit eurer Familienhilfe. Und das hört sich nach einem sehr schönen Familienausflug an, der schon sehr, sehr lange geht.
Bastian Keller:
Ja, absolut – absolut. Das bringt uns was, natürlich – ihn zu sehen. Wenn man ihn im Wettkampf begleitet hat und ihm dann in die Augen guckt, dann sieht man, was für ein Erfolg – und was es bedeutet, dann Erfolg zu haben. Das gibt einem selber die Befriedigung: Dann hat man alles richtig gemacht.
Moderator:
Was sagst du jetzt jemandem, der oder die denkt: „Sport im Rollstuhl – das ist nichts für mich. Und auch die Kosten – wie soll ich das stemmen?“
Bastian Keller:
Nummer eins: Er soll es probieren. In den Sportvereinen, die es gibt – es sind nicht so sehr viele –, gibt es Unterstützung. Wir stellen Rollstühle, die beim Sport eingesetzt werden. Wir stellen Spielmaterial – sprich Bälle –, die, wenn man ordentlich spielen will, nicht ganz billig sind. So ein Ballsatz kostet ab 600 bis 1.300 Euro – vernünftige Bälle. Und da unterstützen wir. Der Behindertensportverband – hier in Württemberg – als auch wir als Verein unterstützen den Sportler und sagen: „Komm, wir geben dir nicht nur das nach Hause, sondern wir unterstützen dich auch, bis du so weit bist, dir deine eigene Ausrüstung zusammenzustellen.“ Hilfestellung gibt’s überall.
Moderator:
Vielen Dank, Thomas, für deine Eindrücke. Da haben wir wieder viel rauszapfen können.
Bastian Keller:
Vielen Dank. Hab mich gefreut, dass ich die Sichtweise von uns weitergeben konnte.
Moderator:
Dankeschön.
Moderator:
Das war unsere Podcast-Folge mit Live-Podcast vom BGW forum „Sicher und gesund in der Behindertenhilfe“ hier in Hamburg. Mit dabei waren Ninia LaGrande, Lars Pickardt und Bastian Keller. Wenn euch gefallen hat, was ihr gehört habt, dann abonniert „Herzschlag“, teilt diese Folge gerne und schaut mal vorbei auf
www.bgw-online.de.Dort findet ihr dann auch weitere spannende Folgen rund um Gesundheit, Sicherheit und gelebte Inklusion im Arbeitsalltag.Bis zum nächsten Mal.
Jingle:
Herzschlag! Für ein gesundes Berufsleben – der BGW-Podcast.
Interviewgäste
Ninia LaGrandeModeratorin, Autorin, Podcasterin, Sprecherin und Schauspielerin
Lars Pickardt
Leiter Bundeszentrale Hamburg
Referent Sport & Kommunikation
Deutscher Rollstuhl-Sportverband e.V.
Bastian KellerSportler / Para Boccia
Für unseren BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben" nutzen wir den Podcast-Hosting-Dienst Podigee des Anbieters Podigee GmbH, Schlesische Straße 20, 10997 Berlin, Deutschland. Die Podcasts werden dabei von Podigee geladen oder über Podigee übertragen.
Wenn Sie unseren Podcast anhören, erfolgt eine Datenverarbeitung auf Grundlage unserer berechtigten Interessen, d.h. Interesse an einer sicheren und effizienten Bereitstellung, Analyse sowie Optimierung unseres Podcastangebotes gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f. DSGVO.
Podigee verarbeitet dann IP-Adressen und Geräteinformationen, um Podcast-Downloads/ Wiedergaben zu ermöglichen und statistische Daten, wie zum Beispiel Abrufzahlen zu ermitteln. Diese Daten werden vor der Speicherung in der Datenbank von Podigee anonymisiert oder pseudonymisiert, sofern Sie für die Bereitstellung der Podcasts nicht erforderlich sind.
Weitere Informationen und Widerspruchsmöglichkeiten finden sich in der Datenschutzerklärung von Podigee: podigee.com/de/about/privacy/.