Heiße Zeiten: Hitzewellen im Sommer - Hitzeschutz für Beschäftigte im Gesundheitsdienst #95 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Flutkatastrophen, Sturmtiefs und enorme Hitzewellen - der Klimawandel ist nicht zu ignorieren. Vor allem die steigenden Hitzebelastungen haben großen Einfluss auf unsere Gesundheit, privat aber auch im Arbeitsalltag. Auch Beschäftigte im Gesundheitsdienst stehen vor großen Herausforderungen in Bezug auf die Hitze
Einerseits durch die körperlichen Anstrengungen, überhitzte Innenräume und wenig luftdurchlässige Arbeits- bzw. Schutzkleidung und andererseits durch ein erhöhtes Patientinnen- und Patientenaufkommen. Welche Regelungen und Tipps gibt es im Umgang mit der Hitzebelastung am Arbeitsplatz? Antworten darauf bekommen wir von Dr. Julia Schoierer und Dr. Stefan Rakete von der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Nachrichtensprecher 1
Der Deutsche Wetterdienst warnt in vielen Regionen Deutschlands vor extremer Hitze.
Nachrichtensprecher 2
Schon am frühen Vormittag wird eine geführte Temperatur von 38 Grad erwartet.
Nachrichtensprecher 3
In den Jahren 2018 bis 2020 starben mehr als 19.000 Menschen in Deutschland aufgrund von Hitze.
Nachrichtensprecher 4
Der Sommer 2022 war der heißeste seit 70 Jahren.
Nachrichtensprecher 5
Das Gesundheitswesen ist nicht auf die Hitzewelle vorbereitet.
Moderator
Der Klimawandel ist allgegenwärtig und damit auch die steigenden Hitzebelastungen, die großen Einfluss auf unsere Gesundheit haben. In der Schule, da habe ich mich immer gefreut, wenn die Durchsage kam. Hitzefrei !!! Allerdings kann man im beruflichen Kontext nicht einfach so zu Hause bleiben, weil es so heiß ist. Umso wichtiger ist der Schutz vor der Hitze im Arbeitsalltag auch für das Gesundheitswesen stellen die Hitzewellen ein enormes Problem dar. Welche Regelungen und Tipps gibt es im Umgang mit der Hitzebelastung am Arbeitsplatz dazu spreche ich heute mit 2 Expertinnen und Experten auf dem Gebiet. Ich bin Ralf Podszus, schön, dass ihr dabei seid.
Jingle
Herzschlag für ein gesundes Berufsleben der BGW Podcast
Moderator
Bei mir sind Medizinpädagogin Dr. Julia Scheurer und Wissenschaftler Dr. Stefan Rakete. Hallo ihr beiden.
Dr. Stefan Rakete
Hallo.
Dr. Julia Scheurer
Ja, Hallo.
Moderator
Was ihr genau macht und welchen Background ihr habt, das hören wir jetzt kurz und kompakt.
Erzähler
Dr. Julia Scheurer hat an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der LMU in München im Schwerpunkt Medizinpädagogik promoviert. Seit einigen Jahren ist sie als Arbeitsgruppenleitung am Institut für Arbeits-, Sozial und Umweltmedizin des Klinikums München tätig. Nebenbei arbeitet sie außerdem in Bremen bei Ecolo, eine Agentur für Ökologie und Kommunikation. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt dabei auf den gesundheitlichen Auswirkungen des Klimawandels.
Dr. Stefan Rakete ist seit 6 Jahren Arbeitsgruppenleiter im Institut für Arbeit, Sozial und Umweltmedizin in München. Der Klimawandel und die Auswirkungen auf Pflegekräfte beschäftigt den Wissenschaftler schon lange, gemeinsam mit der BGW hat er an einem Projekt zum Thema thermische Belastungen von Pflegekräften mitgewirkt und einen ersten Abschlussbericht dazu veröffentlicht.
Moderator
Ich halte fest, ihr beide forschte dem Thema gesundheitliche Auswirkungen des Klimawandels und das schon ziemlich lange und seit auch im Austausch mit den Pflegekräften selbst. Beschäftigte im Gesundheitsdienst, die stehen vor einigen Herausforderungen. Wir haben ja schon über viele dieser Herausforderungen bei Herzschlag gesprochen, dass die Hitze eine davon ist. Das hatte ich jetzt persönlich noch gar nicht so auf dem Schirm, ehrlicherweise. Um uns alle auf den aktuellen Stand zu bringen, wie ist denn der Istzustand beim Thema Hitzeschutz in der Gesundheitsbranche?
Dr. Stefan Rakete
Du hast es ja gerade gesagt, also viele Faktoren führen dazu, dass sich Pflegekräfte nicht wertgeschätzt fühlen und bei der Arbeitsbelastung ausgesetzt sind, die Bezahlung, Arbeitszeiten und auch die Arbeitsbedingungen und mit dem Klimawandel kommt jetzt ein weiterer relevanter Faktor dazu und da wird Julia ein bisschen was zu erzählen, dass das Thema Hitzeschutz in der Gesundheitsbranche noch nicht so angekommen ist.
Dr. Julia Scheurer
Ja, auf alle Fälle haben wir da noch Nachholbedarf, also die Hitzekompetenz generell zu steigern. Aber wir sehen auch, dass da sehr viel in Bewegung ist und die Gesundheitsbranche sich da auf einem guten Weg befindet.
Moderator
Stefan, wie gerade schon erwähnt, hast du eine Studie zu dem Thema gemacht. Was war euer Ziel dabei und ja, wie seid ihr das Ganze angegangen?
Dr. Stefan Rakete
Genau also die Voraussetzung dieser Studie war eine andere Studie von einem gemeinsamen Kollegen. Und der hat eine Umfrage bei Pflegekräften durchgeführt zum Thema Hitzebelastung und Hitzeschutz und dabei kam eben heraus, dass das Thema Hitze ein großes Problem ist und dass Schutzmaßnahmen noch nicht genügend etabliert sind. Wir wollten das ganze jetzt mal von der experimentellen Seite angehen und haben das Ganze in einer Klimakammer untersucht, das heißt, wir konnten dort die Bedingungen simulieren, die in einer Pflegestation vorherrschen können.
Moderator
Wie muss ich mir diese Klimakammer genau vorstellen?
Dr. Stefan Rakete
Die Klimakammer ist ein circa 4 -5 Meter großer Raum, also ich sag mal so ne übliche Wohnzimmergröße. Dort haben wir ein Laufband gehabt, ein Bett mit einer Puppe, die sozusagen den Patienten simuliert hat, einen Schreibtisch und verschiedene Gegenstände die möglichst nah an eine Pflegeeinrichtung kommen sollen. Also in dieser Klimakammer haben wir Probanden verschiedene Tätigkeiten durchführen lassen, die auch Pflegekräfte durchführen, zum Beispiel das Mobilisieren von Patienten, waschen von Patienten, das Gehen zwischen Patientenbetten und das bei verschiedenen Bedingungen, einerseits bei 22 Grad, was wir als ich sag mal normale Zimmertemperatur wahrnehmen und auf der anderen Seite bei 27 Grad also schon deutlich erhöhte Temperatur und dann das Ganze mit und ohne Schutzkleidung um einfach noch diesen Einfluss zu untersuchen.
Moderator
Sommer kann ja auch mal heißer werden, dann kannst du auch mal 35 Grad sein.
Dr. Stefan Rakete
Ja, die Temperaturen können außen schon durchaus höher sein, aber die Frage ist natürlich, was innen erreicht wird und da sind Temperaturen zum Glück noch nicht so häufig über 30 Grad, aber wir müssen uns sozusagen auf eine bestimmte Temperatur festlegen und wir haben uns für 27 Grad entschieden, aber natürlich kann es auch durchaus heißer werden.
Moderator
Ich war schon im Kinderkrankenhaus bei über 30 Grad im Raum, es wird dann schon, ich sag mal: spannend.
Dr. Stefan Rakete
Wir haben uns verschiedene Outcomes angeschaut, einerseits physiologische Parameter zum Beispiel die Körper und Hauttemperatur und auf der anderen Seite subjektive Parameter wie das Wohlbefinden und Stress zum Beispiel. Parallel zu den versuchen der Klimakammer haben wir das ganze natürlich auch unter realen Bedingungen betrachtet um einfach den Vergleich zu haben also experimentelle Bedingungen oder artifizielle Bedingungen sind immer schön und gut aber man möchte das ganze natürlich auch im realen Leben beleuchten.
Moderator
Jetzt bin ich natürlich gespannt, auf was für ein Ergebnis ihr gekommen seid. Auswirkungen von Klimawandel, körperlicher Belastung und Arbeitsschutzkleidung auf die thermische Beanspruchung von Pflegekräften, so heißt denn schließlich auch der Abschlussbericht von dir.
Dr. Stefan Rakete
Akute gesundheitliche Effekte konnten wir zum Glück erst mal nicht feststellen. Man muss aber auch dazu sagen, dass wir das nur an wenigen Tagen untersucht haben, das heißt, wenn die Belastung über einen längeren Zeitraum anhält beziehungsweise wie du schon gesagt, dass die Temperaturen auch höher sind als das, was wir untersucht haben, kann es dort möglicherweise zu gesundheitlichen Gefährdungen kommen. Was wir allerdings gesehen haben, sind, dass sowohl die Erhöhung der Temperatur als auch das Tragen von Schutzkleidung zu einer Erhöhung der Körper und Hauttemperatur führt. Bei der Körpertemperatur sehen wir einen Anstieg von 0,5 Grad. Das klingt jetzt erstmal nicht viel, kann aber schon zu vor allem subjektiv wahrgenommenen Effekten führen Das konnten wir dann auch tatsächlich in der Auswertung der Fragebogen feststellen, dass vor allem die Hitze als auch das Tragen der Schutzkleidung zu einer Verschlechterung des persönlichen Befindens geführt hat. Auffällig war vor allem, dass die Frustration bei höheren Temperaturen zugenommen hat und vor dem Hintergrund, dass die Pflege ohnehin schon oft am Limit ist, kommt mit der Hitze eine zusätzliche Belastung ins Spiel, die wir nicht ignorieren sollten.
Moderator
Julia, Wo liegen jetzt die größten Gefährdungen und Herausforderungen für die Pflege in Bezug auf die Hitzewellen?
Dr. Julia Scheurer
Ja also zu den Belastungen durch die Arbeitskleidung hat ja Stefan schon einiges erzählt aber im Pflegeberuf haben wir natürlich ganz verschiedene Belastungen, zum Beispiel eben auch die Schwere der Arbeit denn die Versorgung der zu Pflegenden kann körperlicher sehr anstrengend sein dann ist die Arbeit oftmals durchgetaktet, Pausen können kaum flexibel gemacht werden und natürlich auch der Schichtdienst lässt keine flexiblen Arbeitszeiten zu die an die Außentemperaturen dann angepasst werden müssten. Das heißt aber auch, dass die zu Pflegenden natürlich während der Hitzewellen mehr Unterstützung brauchen und gleichzeitig die Pflegekräfte bei der Hitze stark belastet sind und die Einrichtungen, mit denen wir zusammengearbeitet haben oder immer noch zusammenarbeiten, die Berichten, während der Hitzewellen einen höheren Krankenstand und es deckt sich auch mit unserem Studienergebnissen und auch mit den Ergebnissen, die Stefan gerade vorgestellt hat. Wir haben eine Vielzahl an Beschwerden, die von den Pflegekräften angegeben werden, während Hitzewellen. Das fängt bei Kopfschmerzen angeht, über Übelkeit bis hin zur Nervosität und Gereiztheit. Und diese Aspekte vor dem Hintergrund einer sowieso schon angespannten Personalsituation in der Pflege, das sind natürlich enorme Belastungen. Und eigentlich kann man verkürzt sagen, eine Klimakrise trifft auf die Pflegekrise.
Moderator
Wir haben es ja auch eben schon von Stefan gehört und hat dann auch noch spezielle Schutzkleidung an. Das macht es nicht besser, wenn es sowieso schon sehr warm oder heiß ist. Was gibt es jetzt für einen Unterschied zwischen der Schutzkleidung und der Arbeitskleidung und welche gesetzlichen Vorschriften gibt es bisher dazu?
Dr. Stefan Rakete
Die übliche Arbeitskleidung in der Pflege ist normalerweise ein Kasack, also T-Shirt und eine Hose. Das kennt vielleicht jeder diese blaue Kleidung. Bei bestimmten Situationen, das haben wir ja während der Corona Pandemie zu Genüge gesehen, ist zusätzliche Schutzkleidung vorgeschrieben, also bei infektiösen Patienten, und diese Schutzkleidung kann aus Schutzkittel, Handschuhen eine FFP 2 Maske und einem Gesichtsschild bestehen. Jetzt kann man sich das vorstellen, das ist natürlich noch ne zusätzliche thermische Belastung, weil dort einfach die Luftzirkulation behindert ist. Also wie wenn man im Sommer noch mal einen Pullover drüberzieht. Da gibt es auch wenig Spielraum beim Arbeitsschutz, das ist Vorschrift. Also man kann das nicht so einfach lockern, und deshalb müssen wir in solchen Situationen nach Lösungen suchen, wie wir trotz des Tragens von Schutzkleidung eine angenehme Arbeitsbedingung schaffen können.
Dr. Julia Scheurer
Ja genau, und dann gibt es eben auch diese Arbeitsstättenregelung, die sogenannte ASR 3.5. Mit diesem sperrigen Begriff.
Moderator
Das hört sich so herrlich Deutsch an wieder. Das ist der Wahnsinn, ja. Da freut sich jeder Beamte, jede Beamtin, das ist natürlich klar.
Dr. Julia Scheurer
Deswegen wollte ich das jetzt auch gerade noch mal so betonen. Und also in dieser ASR 3.5 werden Maßnahmen für die Innenraumtemperaturen beschrieben, aber erst ab einer Innenraumtemperatur ab 35 Grad muss wirklich der Arbeitsplatz auch geschlossen werden und davor gilt es eben Verhaltensanpassungen und Maßnahmen umzusetzen und vor allen Dingen auch zu empfehlen, wie zum Beispiel Getränke bereitzustellen oder auch den Schichtdienst anzupassen, die Pausen anzupassen. Aber da sieht man eben schon, das ist gar nicht so leicht umsetzbar in der Pflege und wenn wir uns die Beschwerden anschauen, die die Pflegekräfte hier angegeben haben, dann sehen wir auch, dass diese Arbeitsstättenregelung im Pflegebereich eben nicht ausreichen, sonst hätten wir ja nicht diese Vielzahl an Beschwerden und generell müssen wir eben gucken, wie wir die Hitzekompetenz erhöhen bei den Pflegekräften, aber eben auch bei den Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern.
Moderator
Wir haben auch eben von Stefan ja gehört, da ging das jetzt gar nicht bei dem Test bis 35 Grad, sondern da waren es ja schon 27 Grad und da wurde schon geklagt, dass ist natürlich schon ne Belastung ist ja und klar ne Pflegeeinrichtung im Krankenhaus, das kannst du jetzt ja eben mal nicht dicht machen abschließend und sagen so geht alle auf die Wiese, sondern dann muss es ja weitergehen irgendwie. Wir kennen das ja auch vom Zug, da fahren ja auch gerne mal Klimaanlagen aus und dann fährst du jetzt von München nach Kiel und bist lange mit dem Zug und dann: sorry Klimaanlage geht nicht, aber ich hab dir jetzt ein 0,5 Wasser, schönes Leben. Das wird einen nicht befreien von Belastungen, die man dann da ertragen muss. Was macht man denn den da jetzt, weil wenn jetzt schon diese sperrige Paragraph das regelt, das geht ja gerade wieder in der Pflege und im Krankenhaus nicht, da muss der Betrieb weiterlaufen.
Dr. Stefan Rakete
Stichwort Klimaanlage ist ein gutes Thema, weil man muss sagen, das ist jetzt kein deutsches Problem, aber wenn man in andere Länder schaut, da sind Innenräume fast durchgängig mit Klimaanlagen ausgestattet und in deutschen Einrichtungen, also in Krankenhäusern, ist das nicht immer der Fall. Und gerade in diesen speziellen Räumen kann es eben zu Problemen kommen an heißen Tagen. Ich hab mal auf einem Workshop jemanden aus Kanada getroffen, da ist die Situation auch n bisschen anderer, da sind die meisten Krankenhäuser deutlich jünger, weil einfach dieses Land noch nicht so alt ist. Und dort sind eben flächendeckend mit Klimaanlagen ausgestattet und die Person konnte gar nicht verstehen, dass wir so ne Studie überhaupt durchführen müssen, also die thermische Belastung von Pflegekrämpfen zu untersuchen, weil die es einfach nicht kennen. Also es fängt dann eigentlich schon bei der Planung von deutschen Krankenhäusern an, auch die Verschattungsmöglichkeiten sind häufig nicht so, wie sie sein sollten, die müssten eigentlich außen an den Fenstern angebracht sein, sind aber zum Teil nur Gardinen oder eben Rollos und dann ist die Hitze schon drin. Also das sind aber größere Punkte, die man nicht so einfach angehen kann. Letztendlich hängt es sehr stark von der jeweiligen Situation im Betrieb ab, welche Maßnahmen man wirklich ergriffen werden können oder ob zum Beispiel auch eine Lockerung der Kleidungsregel überhaupt zulässig ist. Und deshalb sind die von Julia angesprochenen Regelungen in der ASR 3.5 eben nicht so ohne weiteres auf die Pflege anwendbar.
Moderator
Trotzdem muss da ja was passieren. Man kann ja auch nicht sagen, oh sorry, du arbeitest leider in einem alten Krankenhaus, da gab es noch lange keine Klimaanlage, ich kenne tatsächlich jetzt subjektiv auch nur Krankenhäuser, wo es einfach nie Klimaanlagen gibt, da muss man ja was ändern, weil wir wissen ja mittlerweile, es wird immer heißer, also es gibt ja auch durchaus schon Schaubilder und Hochrechnungen von Klimazonen in Deutschland wissen wir zum Beispiel so Freiburg, Mannheim, Frankfurt. Da wird es in den nächsten 10 Jahren automatisch unaufhaltsam, ziemlich kuschelig warm und jetzt müsste man ja mal langsam anfangen, da auch baulich etwas zu verändern, denn wir haben jetzt schon über 30 Grad teilweise in Krankenhäusern, es kann noch knackiger werden.
Dr. Julia Scheurer
Genau also auf alle Fälle mussten wir baulich was verändern, das ist ganz klar, aber das sind nicht die Maßnahmen, die uns für diesen Sommer 2024 helfen, das sind die langfristigen Maßnahmen, die unbedingt notwendig ist, sowohl bei Neubauten als auch im Bestand, die Innenraumtemperaturen zu verringern, das ist ganz klar. Aber wir müssen eben auch gucken, was können wir jetzt für diesen Sommer 2024 machen, und das sind unterschiedliche Aspekte, man spricht hier oft von diesem TOP Prinzip, also wir müssen technische Maßnahmen, organisatorische Maßnahmen, aber auch eben pflegerische oder persönliche Maßnahmen umsetzen, um die Hitzebelastung zu verringern, und ganz wichtig ist, und das sehen wir auch immer wieder in den Gesprächen, die wir mit den Risikogruppen oder auch mit den Mitarbeitenden führen, dass die Mitarbeitenden mitgestalten möchten. Die möchten nicht von außen was aufgedrückt bekommen. Das habt ihr jetzt zu machen, oder? Das sind jetzt die Maßnahme, da habt ihr euch dran zu halten, sondern die möchten eben mitgestalten, das sind ganz ganz wichtige Aspekte, das heißt, zusammen mit den Mitarbeitern im jeweiligen Betrieb die Belastungsquellen auch zu identifizieren und dann eben in partizipativen, im Beteiligungsprozess zu sagen: OK, das sind unsere Belastungsquellen und was können wir dann eben auch als Schutzmaßnahme gemeinsam entwickeln und auch umsetzen, weil einfach jeder Betrieb sehr, sehr individuell ist. Je nachdem in welcher wie er liegt, wie die Bausubstanz ist, wie sich die Innenräume aufheizen, was für Außenanlagen auch bestehen. Also das ist eine sehr individuelle Geschichte und deswegen muss man da auch sehr individuell rangehen und eben alle mit ins Boot tun und kein Add-on mit dazu packen, da gibt es auch tatsächlich ganz lustige, kreative und zielführende Ideen aus den Einrichtungen, die wir gerade jetzt immer mehr kennenlernen.
Moderator
Dann Berichte doch bitte einmal von denen, weil ich kann mir auch gerade nicht so wirklich vorstellen, was man machen kann, außer ein Ventilator irgendwo hinstellen oder gleich 30.
Dr. Julia Scheurer
Also tatsächlich, das mit den Ventilatoren, das klingt jetzt lustig, aber das ist wirklich eine Maßnahme, die sehr gut angenommen wird, weil man die einfach sehr individuell gestalten kann. Ich kann den weg drehen, hin drehen, hochschalten. Wie auch immer. Aber es gibt natürlich auch unterschiedliche Maßnahmen, also ich habe mit einer Einrichtung hier in München, die wirklich mitten im Stadtzentrum liegt und insofern auch in so einer sogenannten Wärmeinsel, also der Wärme sehr ausgesetzt ist. Und die haben zum Beispiel ehrenamtliche mit ins Boot geholt, mit in die Einrichtung geholt, die dann eben mit den Heimbewohnerinnen und Bewohnern rausgehen, hier kleine mini Planschbecken aufgestellt haben und so, dass dort eben die Pflegebedürftigen auch ihre Füße reinstellen können und im Schatten sitzen können und auch beim Trinken unterstützt werden, die Trinkmotivation erhöhen. Also das sind so Aspekte die dann zum Beispiel über Ehrenamtliche abgedeckt werden, die die Pflegekräfte in ihrem Pflegealltag überhaupt gar nicht mehr schaffen umzusetzen. Dann gibt es auch sogenannte Hitze Challenges. Das ist jetzt ein neuer Aspekt, der letztes Jahr schon so ein bisschen aufgegriffen wurde, der dieses Jahr noch mal mehr stattfinden wird, in Rücksprache eben auch mit den Rückmeldungen der Mitarbeitenden. Also hier wird einfach in so einem Challenge Charakter eben die Hitzekompetenz erhöht und das sind so Maßnahmen, die ich sehr zielführend finde und auch gut angenommen werden.
Moderator
Kannst du die Challenge noch mal ein bisschen erklären? Ich stelle mir gerade vor, was macht man da, wer kann sich die meisten Eiswürfel kurz den Rücken runter gleiten lassen oder was ist das?
Dr. Julia Scheurer
Also das ist mit Sicherheit eine hervorragende Idee, aber da geht es auch mehr um die Erweiterung des Wissens also was weiß ich alles über die Gefahren von Hitze, wie kann ich Hitzeerkrankungen auch entdecken, woher weiß ich, welche Patienten besonders belastet sind und wie kann ich mich selber schützen und wie kann ich auch auf meine Kolleginnen und Kollegen achten und welche Maßnahmen muss ich ergreifen. Und das wird dann in so einem spielerischen Charakter eben auch umgesetzt und dargestellt und kann man sich auch gerne genauer anschauen und sich hier Inspirationen holen.
Moderator
Das finde ich auch voll interessant. Da muss man auf jeden Fall auch im Team drüber reden und Tipps und Tricks umsetzen, das ist ganz klasse und man kann ja sagen 14:30 Uhr, es gibt immer Wassereis, weil jetzt wird es langsam heiß, aber trotzdem gibt es da noch eigentlich nicht wirklich ne Lösung, weil jetzt challenged man sich so rum, aber es bleibt trotzdem heiß und man hat eigentlich immer noch nicht was Konkretes dagegen getan und ich habe auch eben wieder gehört, da kommen sehr viele Ehrenamtliche, die dann da wieder helfen. Das kann ja auch nicht immer die Lösung sein, weil ständig müssen Ehrenamtliche oder die Familien noch was zusätzlich Schultern und meistern, weil es letztendlich politisch wieder nicht richtig funktioniert oder baulich einfach nicht möglich ist.
Dr. Stefan Rakete
Das ist richtig, da müssen wir uns auf was anderes einfallen lassen und vor allem, wenn technische oder eine organisatorische Maßnahmen auch nicht möglich sind, dann muss es eben um persönliche Schutzmaßnahmen gehen und da planen wir am Institut für Arbeitsmedizin des LMU Klinikums München auch eine Studie, indem wir Interventionsmaßnahmen testen wollen und was wir uns vorstellen können und was auch in der wissenschaftlichen Diskussion bereits angekommen sind, ist das Verwenden von Kühlwesten. Diese Kühlwesten können getragen werden, um die Körpertemperatur zu reduzieren. Das ist jetzt auch keine Dauerlösung, also wir wollen jetzt auch nicht, dass Pflegekräfte dauerhaft Kühlwesten tragen, aber zumindest zu bestimmten Zeiten, wo die Temperaturen eben sehr hoch sind, sogenannte spitzen Zeiten und das abzupuffern.
Moderator
Interessante Maßnahme, auf jeden Fall ne. Jetzt kann man baulich nichts verändern erstmal, das ist ja auf jeden Fall mal wirklich ne konkrete Idee, klar nicht für immer gedacht, aber ich glaube solche Ideen auch mit dann technischer Hilfe hilft auf jeden Fall sofort.
Dr. Stefan Rakete
Genau und jetzt geht es sozusagen darum, auch geeignete Kühlwesten zu identifizieren und da ist auch die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege sehr aktiv und versucht da eben, den Pflegekräften auch Hilfsmittel an die Hand zu geben.
Moderator
Und dann freut man sich, dass es endlich 7 Ventilatoren für die Station gibt und dann sagt der Patient Opa Günther: Nee, das zieht. Nimm das Weg. Man muss weiterhin kreativ bleiben.
Dr. Stefan Rakete
Aber ich glaub da hätt ich lieber ne gut gelaunte Pflegekraft als vielleicht n bisschen Zug im Nacken.
Moderator
Haha genau.
Dr. Julia Scheurer
Also diese Kühlwesten, die du gerade erwähnt hast, Stefan, die sind mit Sicherheit ein ganz hilfreiches Mittel und ich bin total gespannt, wie auch die Pflegekräfte darauf reagieren und wie die angenommen werden und wir müssen einfach, glaube ich, ganz viele verschiedene Maßnahmen auf dem Schirm haben, sozusagen eine Art Blumenstrauß von Hitzeschutzmaßnahmen, die dann eben die jeweilige Einrichtung auch anwenden kann und das müssen wir einfach auch machen, weil die gesetzlichen Regelungen momentan eben noch nicht ausreichen, an denen wird gerade gearbeitet. Auch das BMAS ist da gerade dran, in einer Politikwerkstatt mit vielen Expertinnen und Experten daran zu arbeiten. Wie können eben bestimmte Tätigkeitenfelder besser auf die Hitze angepasst werden, und auch darauf sind wir sehr gespannt, also insofern ist da schon sehr viel Bewegung drin, und dass es soweit ist für diesen Sommer 24 müssen wir einfach eben uns aus diesem ja Blumenstrauß von Maßnahmen bedienen, die wir gerade auch genannt haben.
Moderator
Also wie du gesagt hast, das Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat da dann auch schon mal jetzt den Finger drauf, dann kann es da ja vielleicht auch dann mit größeren Schritten vorangehen.
Dr. Julia Scheurer
Ganz genau.
Moderator
Also es passiert was, wir versuchen uns da gut vorzubereiten und jeder und jede, die Ideen hat, was man denn machen kann, wenn es eben sehr, sehr heiß wird und es keine Klimaanlage gibt, dann auf jeden Fall immer der Teamleitung Bescheid geben. Die BGW, die hat einige Infos zum Thema Hitzebelastung und auch gesetzliche Regelung auf ihrer Webseite zusammengefasst. Alle Links haben wir natürlich auch wie immer für Euch in die Show Notes gepackt. Julia, Stefan, vielen Dank für eure Zeit und für eure Tipps.
Dr. Stefan Rakete
Vielen Dank für die Einladung.
Dr. Julia Scheurer
Vielen Dank für die Einladung auch von mir.
Moderator
Herzschlag für ein gesundes Berufsleben findet ihr überall dort, wo es Podcasts gibt und natürlich auch auf der Webseite der BGW www.bgw-online.de/podcast Wenn ihr mehr hören möchtet, ja dann freuen wir uns immer über Community Zuwachs. Klickt gerne mal auf Podcast Abo bei eurer Lieblingsapp, mit der ihr gerade hört und dann verpasst ihr keine Folge mehr, bis zum nächsten Mal. Nicht schwitzen!
Jingle
Herzschlag, für ein gesundes Berufsleben, der BGW Podcast
Interviewgäste
Dr. Julia Schoierer
Praktikerin in der Arbeitsgruppe, die nah an den Einrichtungen arbeitet, Medizinpädagogin - Arbeitsgruppenleitung
Ludwig-Maximilians-Universität Klinikum und Agentur ecolo in Bremen
Dr. rer. Nat. Stefan Rakete
Der Wissenschaftler gehört zur Forschungsgruppe – siehe Abschlussbericht thermische Belastung in der stationären Pflege
Arbeitsgruppenleiter
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