Ärzte und Ärztinnen am Limit: Belastungssituation in Krankenhäusern und Kliniken #66 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Wenn wir uns nicht gut fühlen, gehen wir zu einem Arzt oder einer Ärztin. Aber was, wenn es die Ärztinnen und Ärzte sind, denen es nicht so gut geht?
Die psychische und physische Belastung im Arbeitsalltag ist enorm. Woran das liegt und was man dagegen tun kann, das schauen wir uns in dieser Folge genauer an. Moderator Ralf Podszus spricht mit Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper und Dr. Peter Koch und erfährt dabei, was Ärztinnen und Ärzte am meisten stresst, wie die Führungskräfte bei depressiven Anzeichen helfen können und was sich Berufsanfängerinnen und -anfänger für ihren Arbeitsalltag wünschen.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Moderator: Ihr habt eine 40-Stunden-Woche, arbeitet im Akkord und dann melden sich plötzlich viele eurer Kolleginnen und Kollegen krank. Ja, nun müsst ihr on top die Ausfälle ausbügeln und das für längere Zeit und schon dauert euer Job 50 Stunden pro Woche. Löst der Gedanke daran bei euch jetzt Stress aus? Viele von euch in der Pflege kennen das. Aktuell sieht der Alltag von Ärztinnen und Ärzten genauso aus. Die hohe Arbeitsbelastung ist nur ein Grund dafür, dass sie psychisch stark gefordert werden. Deshalb widmen wir ihnen auch zwei Podcast Folgen und schauen uns an, was da los ist. Ich bin Ralf Podszus und heute rede ich mit meinen Gästen darüber, warum immer mehr Assistenzärztinnen und -ärzte depressive Symptome zeigen, was die Gesundheit junger Berufsanfängerinnen und -anfänger gefährdet und welche Lösung es dafür gibt.
(Opener)
Moderator: Es fehlt mehr und mehr an Personal. Neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu finden, das gestaltet sich ziemlich schwierig. Operationen müssen verschoben werden oder werden sogar abgesagt. Und als wäre das nicht schon genug, droht vielen Kliniken und Krankenhäusern auch noch die Insolvenz. Kein Wunder, dass die Psyche von Ärztinnen und Ärzten leidet und darüber rede ich jetzt mit Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper. Sie ist Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Medical School Hamburg und hat zu unserem Thema eine Umfrage gemacht. Hallo Sylvie.
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Hallo Ralf, vielen Dank für die Einladung.
Moderator: Sehr gerne. Sylvie, was stresst Klinikärztinnen und -ärzte am meisten?
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Also, wie du schon meintest, ein großes Problem ist das fehlende Personal. Dadurch steigt die Arbeitslast, es entsteht Zeitdruck und das erzeugt Stress. Wenn dieser Zeitdruck über einen längeren Zeitraum besteht und es keine Erholungsmöglichkeiten gibt, dann besteht die Gefahr, dass man krank wird. Eine hohe Arbeitsintensität ist typisch für den Klinikalltag. Das zeigt sich auch an den Arbeitsstunden. Ärztinnen und Ärzte in Kliniken leisten im Durchschnitt etwa elf Überstunden in der Woche. Ja, das ist das Ergebnis einer Umfrage, die du angesprochen hattest, die wir in Zusammenarbeit mit der BGW und dem Marburger Bund Berlin/Brandenburg gemacht haben.
Moderator: Es sind also 51 Stunden. Nochmal eine Stunde mehr als meine vorhin 50 erwähnten.
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Genau, und das ist der Durchschnitt, also deswegen gibt es da auch noch deutlich höhere Überstunden, die geleistet werden und an der Umfrage hatten sich über 2.000 Ärztinnen und Ärzte beteiligt. Und das war noch vor der Belastung durch die Corona Pandemie.
In der Umfrage berichteten über 70 Prozent, dass sie täglich unter Zeitdruck stehen und Entscheidungen auch unter Zeitdruck treffen müssen, was ja auch gerade im Klinikalltag verheerende Folgen haben kann.
Und über zwei Drittel der Befragten gaben an, dass sie ihre Arbeitszeit ausdehnen, und zwar in die Freizeit hinein und auf ausgleichende Freizeitaktivitäten verzichten. Das geht natürlich zulasten der Erholung.
Und ein weiteres Phänomen, das wir gefunden haben, ist der sogenannte Präsentismus. Das bedeutet, dass die Ärztinnen und Ärzte krank zur Arbeit kommen. Also sie arbeiten, obwohl sie krank sind und die Motivation ist häufig, dass man aufgrund der knappen Personaldecke die Kolleginnen und Kollegen nicht im Stich lassen möchte.
Moderator: Mhh, das schlechte Gewissen?
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Ja, genau, das ist natürlich verständlich und das kann kurzfristig auch helfen, aber es besteht natürlich die Gefahr, dass man andere ansteckt. Das können die Kolleginnen und Kollegen oder eben auch Patienten sein. Es besteht die Gefahr, dass man Fehler macht, weil man einfach nicht 100 Prozent fit ist. Und es besteht die Gefahr, dass man ja langfristig ausfällt, weil sich Erkrankungen chronifizieren und das ist natürlich dann noch schwerwiegender.
Moderator: Du hast auch eben erzählt, das sind Durchschnittswerte, das heißt, man kann auch mal so ne 60/65/70-Stunden-Woche haben, einfach nur mal diese Zahlen verdauen.
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Genau, und wir haben auch die Untersuchung nochmal ausgewertet nach verschiedenen Klinikarten. Und gerade in Unikliniken, da war der Durchschnittswert noch deutlich höher, was die Überstunden betrifft.
Moderator: Da sind die Wege auch gerne mal länger, wenn man einfach für mehrere Abteilungen zuständig ist. Das heißt, in dieser Zeit ist man auch sehr viel am Hetzen und am Rennen.
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Genau, also deswegen dieser zeitliche Faktor, dieser Zeitdruck ne, das ist ein ganz, ganz zentraler Belastungsfaktor. Aber daneben gibt es auch noch eine Reihe von anderen Belastungsfaktoren.
Zum Beispiel, wenn die Ärztinnen und Ärzte Entscheidungen unter Unsicherheit treffen müssen. Also das heißt, dass sie Entscheidungen treffen müssen, ohne dass ihnen dafür ausreichende Informationen zur Verfügung stehen. Und alarmierend war in der Befragung, dass etwa ein Drittel der Befragten angaben, dass sie solche unsicheren Entscheidungen mehrmals pro Woche oder sogar täglich treffen müssen.
Und ein Belastungsfaktor, der den Ärztinnen und Ärzten ganz besonders zu schaffen macht, ist, dass sie die Versorgung von Patientinnen und Patienten häufig nicht so durchführen können, wie sie es für sinnvoll halten und damit auch ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden können. In der Befragung gab sogar über die Hälfte der Befragten an, dies täglich zu erleben. Das erzeugt natürlich Frust ja, und dieser Frust geht mit schlechter psychischer Gesundheit einher.
Und einen letzten Stressfaktor – darauf möchte ich noch aufmerksam machen – und zwar ist das eine Belastung, die von Patientinnen und Patienten und auch deren Angehörigen ausgeht. Und zwar, wenn diese überzogene Ansprüche haben, ja zu hohe Erwartung oder auch Vorwürfe machen oder auch Gewalt androhen oder diese Gewalt auch tatsächlich ausüben. Das erleben fast 40 Prozent der Befragten beinahe täglich.
Moderator: Also 40 Prozent haben ein Problem mit Patienten und Patientinnen und da ist auch Gewalt dabei, was immer mehr zunimmt? Ja, das ist ja nicht so erfreulich, was da alles bei rauskommt.
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Genau, da kann es sich um verbale Gewalt handeln, also Androhen oder auch Beschimpfungen. Es kann körperliche Gewalt sein oder auch sexualisierte Gewalt. Das kommt auch vor.
Moderator: Also ich fasse das nochmal zusammen, es gibt eine viel zu hohe Arbeitsleistung, die man bringen muss. Die ist ziemlich stressig, dann fehlen sehr viele Kolleginnen und Kollegen. Man selbst ist vielleicht sogar krank bei der Arbeit und hat es dann auch noch mit pöbelnden Patientinnen und Patienten zu tun, die immer mehr werden. Und einige hauen auch mal drauf. Ja, warum geht man dann noch zur Arbeit?
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Das ist ja so mit der Arbeit, wir haben ja so diese zwei Seiten der Medaille. Wir haben auf der einen Seite die Belastungsfaktoren, diese Stressoren, auf der anderen Seite haben wir die Ressourcen. Und gerade in diesen Ressourcen, also bestimmte Schutzfaktoren auch oder Dinge, die einem auch Spaß machen bei der Arbeit, da liegt auch ein großes Potenzial, um dagegen zu steuern. Und hier kann man eben auch ansetzen.
Moderator: Erzähl doch mal, welche Lösung gibt es für all diese Probleme?
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Ja, eine Hauptursache für die Belastung ist natürlich die Tatsache, dass wir zu wenig Personal und dadurch natürlich zu wenig Zeit für die Bewältigung der ganzen Aufgaben haben. Das ist ein Riesenproblem, und da ist es auch dringend erforderlich, auf politischer Ebene aktiv zu werden. Das ist ganz klar. Das schon mal ganz klar vorweg. Es gibt aber auch eine ganze Reihe von Möglichkeiten für Kliniken, wie sie die Arbeitssituation verbessern können.
Ja, wie gesagt, zum Glück gibt es nicht nur Belastungen, sondern eben auch Arbeitsbedingungen, die wir als Ressourcen bezeichnen. Ressourcen sind Arbeitsmerkmale, die sich positiv auf die psychische Gesundheit auswirken. Die können dabei helfen, Belastungen zu bewältigen und auch gerade, wenn Belastungen besonders hoch sind, stellen Ressourcen wichtige Schutzfaktoren dar, da sie negative Auswirkungen von Belastungen abmildern können.
Eine wichtige Ressource, die sich in unserer Umfrage gezeigt hat, ist die Möglichkeit, sich fachlich weiterzubilden. Regelmäßige Fortbildungen können dabei helfen, die Unsicherheit, die erlebt wird – das haben wir ja gesehen in der Studie auch – zu reduzieren.
Es gibt noch eine weitere Ressource bei der Arbeit, die ganz zentral ist, und zwar ist das die sogenannte soziale Unterstützung. Die soziale Unterstützung meint, wie sehr man sich bei Problemen bei der Arbeit auf seine Kolleginnen und Kollegen verlassen kann und diese einen auch aktiv unterstützen, damit man es leichter hat. Und einen ganz besonderen Stellenwert, eine ganz wichtige Ressource ist das Führungsverhalten. Und zwar ist gesundheitsförderlich, wenn sich die Beziehung zur Führungskraft durch Vertrauen, Respekt und Loyalität auszeichnet. Ja, das ist auch in der Forschung häufig untersucht worden. Und positiv für die Gesundheit ist auch, wenn die Führungskraft den Ärztinnen und Ärzten konkrete Hilfestellungen gibt, wenn sie Schwierigkeiten haben, und auch ein offenes Ohr für Probleme bei der Arbeit haben.
Und das gleiche gilt auch für das Einräumen von Beteiligungsmöglichkeiten durch die Führungskraft. Also, wenn die Ärztinnen und Ärzte die Möglichkeit erhalten, die Arbeitsorganisation mitzugestalten, also vielleicht auch mitzuentscheiden, wer welche Aufgabe übernimmt oder wer welche Patienten betreut, wer welche Dienste hat. Hier gibt es vielfältige Möglichkeiten, sich einzubringen und auch bei Veränderungsprozessen, also das mitgestalten zu können und auch eigene Ideen einzubringen.
Bei der Gesundheitsförderung geht es eigentlich immer um zwei Sachen, also es geht auf der einen Seite darum, Belastung zu reduzieren und auf der anderen Seite darum, die Ressourcen zu fördern. Unsere Befragung hat gezeigt, dass die Belastung recht hoch ausgeprägt ist bei den Klinikärzten und Klinikärztinnen und die Ressourcen hingegen eher gering bis mittel ausgeprägt sind. Und hier gibt es eben deutliches Verbesserungspotenzial. Gerade wenn man die Belastung jetzt nicht unmittelbar beeinflussen kann, wenn es jetzt um die Personalknappheit geht, die natürlich langfristig verbessert werden muss, dann kann man wenigstens an den Ressourcen ansetzen, ja, und diese stärken.
Insbesondere bei dem Thema Führung ist noch sehr viel Luft nach oben. Wir wissen aus der Forschung, dass Führung ein wichtiger Hebel ist für die Gesundheitsförderung, da das Führungsverhalten sehr deutliche Zusammenhänge mit der psychischen Gesundheit der Beschäftigten zeigt. Und wir wissen auch, dass Führungskräfte ihren Einfluss auf die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden unterschätzen. Deshalb spielt die Vermittlung auch von Strategien zur Reduktion von Belastungen auf der einen Seite und insbesondere auch zur Förderung von Ressourcen auf der anderen Seite eine wichtige Rolle. Ja, Führungskräfte sollten insbesondere darin qualifiziert werden, die Ressourcen ihrer Mitarbeitenden zu fördern.
Also zum Beispiel durch die Weitergabe ausreichender Informationen. Durch die Klärung von Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten. Auch durch das Einräumen von Handlungsspielräumen und Möglichkeiten zur Mitwirkung und Mitgestaltung. Durch Rückmeldungen zu den Arbeitsergebnissen, also indem sie Feedback geben. Und insgesamt auch durch einen wertschätzenden Umgang. Ja, das ist ganz wichtig, dass eben Führungskräfte auch die Arbeitsbedingungen ihrer Beschäftigten positiv mitgestalten können. Und außerdem ist natürlich auch wichtig, dass Führungskräfte ihren Mitarbeitenden mit Rat und Tat zur Seite stehen, gerade wenn Unsicherheiten auftreten oder es Probleme auch im Kontakt mit Patientinnen und Patienten gibt.
Also wie du siehst, die Einflussmöglichkeiten sind hier sehr vielfältig und hier gibt es sehr viele Möglichkeiten. Was mir noch ganz wichtig ist zu erwähnen, ist aber, dass Führungskräfte, die ja schon verantwortlich sind, für sehr viele Dinge – also für die Gesundheit der Patientinnen und Patienten –, dass sie hier nicht allein gelassen werden und dass sie auch Unterstützung erhalten, damit sie nämlich dann nicht auch noch on top zusätzlich die Verantwortung für die Gesundheit ihrer Mitarbeitenden tragen. Sondern dass sie eben auch Unterstützung durch die Klinik erhalten. Ja, also es geht darum, dass man auch strukturelle Voraussetzungen dafür schafft, dass sie auch in dieser Art und Weise führen können, also dass gesundheitsförderliche Führung auch einen Wert hat in der Klinik. Qualifizierung ist hier ganz wichtig, ja, erstmal das Wissen zu haben, was kann ich überhaupt beeinflussen? Was ist wichtig für die Gesundheit der Beschäftigten? Und auch begleitende Prozesse wie zum Beispiel Coaching. Und was im Moment auch sehr im Kommen ist, ist das Thema E-Health. Also Apps, die vielleicht da auch unterstützend wirken.
Also ganz wichtig: alle sind beteiligt, wenn es um das Thema Gesundheitsförderung geht. Aber Führungskräfte sind natürlich wichtige Multiplikatoren, weil sie so dicht an ihren Mitarbeitenden dran sind. Aber die Klinik muss natürlich ein systematisches betriebliches Gesundheitsmanagement auch haben, damit die Führungskräfte auch unterstützt werden.
Moderator: Bei den Lösungen für diese Probleme hast du eingangs erzählt, dass natürlich auch Weiterbildungen helfen, weil man da eben den Blick fürs Neue bekommt und auch wirkliche Tipps noch an die Hand kriegt. Aber jetzt stell ich mir vor: hier lieber Ärztin, du hast ja gerade mal eine 62-Stunden-Woche wieder abgerissen, am Wochenende machst du bitte jetzt noch den Weiterbildungskurs, damit es besser wird mit dir. Das ist natürlich auch ein bisschen schwer zu vermitteln dann vielleicht.
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Genau, deswegen sind Kliniken hier eben auch gefragt, auch strukturelle Maßnahmen umzusetzen, um zu unterstützen. Und dass sie eben den Freiraum schaffen, damit die Klinikärztinnen und -ärzte sich ja auch weiterentwickeln können. Es ist nicht nur das Thema Personalentwicklung, sondern auch Arbeitsgestaltung. Also die Frage, wie kann ich auch für die Führungskräfte die Bedingungen so schaffen, dass sie auch Gesundheitsförderlich führen können?
Man kann sich auch vorstellen, dass man auch in der Personalauswahl stärker auf das Thema gesundheitsförderliche Führung schaut und das vielleicht auch verknüpft mit dem Thema leistungsgerechte Vergütung. Also, dass es hier auch ein Anreiz gibt, da gesundheitsförderlich zu führen. Und auch gerade für Kliniken kann das einen positiven Nebeneffekt haben. Nämlich wenn sie dem Thema gesundheitsförderliche Führung einen hohen Stellenwert beimessen und das auch nach außen kommunizieren, kann das auch die Attraktivität als Arbeitgeber erhöhen und das ist im Moment ja gerade sehr wichtig. Gerade bei diesem starken Personalmangel, den wir haben. Denn Menschen möchten ja dort arbeiten, wo sie gut behandelt werden. Das ist ja ein Grundbedürfnis.
Moderator: Immer häufiger zeigen vor allem Assistenzärztinnen und-ärzte depressive Symptome. Woran liegt das und welche Rolle spielen die Patientinnen und Patienten dabei?
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: In unserer Studie zeigte sich ein sehr auffälliges Ergebnis, und zwar bezogen auf die Gruppe der Assistenzärztinnen und -ärzte. Denn diese Gruppe wies im Vergleich zu den Fach- und Oberärzten in fast allen Bereichen die höchsten Belastungen auf und die geringsten Ressourcen. Das ist natürlich eine ganz ungünstige Konstellation, und da ist es dann auch nicht überraschend, dass wir bei den Assistenzärztinnen und -ärzten schlechtere psychische Gesundheitswerte wie beispielsweise ein höheres Burnout oder stärkere depressive Symptome auch finden.
Ein sehr zentrales Arbeitsmerkmal von Klinikärzten und -ärztinnen ist der enge Patientenkontakt, worüber wir gesprochen hatten. Und das gilt natürlich insbesondere für die Assistenzärztinnen und -ärzte, da sie auf der unteren Hierarchieebene arbeiten und hier auch am häufigsten Kontakt haben zu Patientinnen und auch deren Angehörige und gerade mit dieser Belastung - also überzogene Ansprüche, Vorwürfe oder auch Gewalt oder der Androhung von Gewalt - konfrontiert werden. Und diese Belastungen, die weisen eben auch ganz deutliche Zusammenhänge auf mit depressiven Symptomen.
Moderator: Die Führungskraft ist in dem Fall sehr wichtig für die Assistenzärztinnen und Assistenzärzte. Warum?
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Genau, die Bedeutung des Führungsverhaltens als Ressource spielt vor allem bei den Assistenzärztinnen und -ärzten eine große Rolle. Wir konnten in unserer Studie zeigen, dass der Zusammenhang zwischen diesen Belastungen durch die Patientinnen und Patienten und den depressiven Symptomen abgemildert werden kann, wenn die Führungskraft die Assistenzärztinnen und -ärzte unterstützt. Also wenn sie ein offenes Ohr hat für Probleme, auch aktiv unterstützt, wenn Probleme auftreten.
Das bedeutet, dass das unangemessene Verhalten von Patientinnen und Patienten weniger stark mit Depressivität einhergeht, wenn die Assistenzärztinnen und-ärzte gleichzeitig eine hohe soziale Unterstützung durch ihre Führungskraft erleben. Also hier gibt es eben auch Möglichkeiten, diesen negativen Einfluss abzupuffern. Und gerade, weil die Belastung ausgehend von den Patienten bei den Assistenzärztinnen und -ärzten am höchsten ausgeprägt ist, im Vergleich auch zu den anderen Gruppen, erscheint auch das Ansetzen am Führungsverhalten ganz besonders vielversprechend, um eben dazu beizutragen, dass Assistenzärztinnen und -ärzte langfristig gesund bleiben. Also ein wichtiger Hebel - neben anderen natürlich-, aber ein ganz zentraler Punkt, den wir gefunden haben.
Moderator: Sehr interessant. Professor Dr. Vincent-Höper wird übrigens beim BGW forum einen Vortrag über ihre Studie halten und das Ganze findet vom 4. bis 6. September im Grand Elysee Hotel in Hamburg statt. Sylvie, ich danke dir für unser Gespräch heute.
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper: Ich danke dir, es hat mir Spaß gemacht.
(Sound)
Moderator: Die BGW hat gemeinsam mit der Uni Hamburg einen Fragebogen entwickelt und er gehört zur Gefährdungsbeurteilung der BGW, um Klinikärztinnen und -ärzte noch besser im Arbeitsalltag zu unterstützen.
(Infokasten)
Mit nur 30 Fragen können Kliniken herausfinden, was Ärztinnen und Ärzte in ihrem Arbeitsalltag am meisten stresst und wo sich Ressourcen befinden. Ressourcen können dabei als Puffer für Stressoren dienen. Die BGW stellt eine kostenlose Broschüre rund um die Klinikärztinnen- und -ärztebefragungen zur Verfügung. Es gibt 15 Fragen zu Stressoren und 15 Fragen zu Ressourcen, zum Beispiel Handlungsspielräume und Entwicklungsmöglichkeiten. Die Umfrage ist anonym und dauert nur 5 bis 10 Minuten. Alle Antworten werden in einer Software ausgewertet. Kliniken erhalten so Ansatzpunkte, wo und wie die Arbeitsbedingungen zu verbessern sind. Außerdem kann die Befragung und die Weiterarbeit mit dieser gleich in die Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung einfließen. Die BGW unterstützt die Umfrage gerne mit einem Projektberater bzw. einer Projektberaterin.
(Infokasten Ende)
Moderator: Dr. Peter Koch vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf hat sich genauer mit dem Arbeitsleben junger Ärztinnen und Ärzte und Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner beschäftigt. Er hat dabei herausgefunden, was ihre Gesundheit besonders gefährdet. Peter ist jetzt mein nächster Gast. Schön, dass du dabei bist und liebe Grüße ins UKE.
Dr. Peter Koch: Ja, hallo Ralf. Danke für die Einladung, ich freue mich heute hier dabei zu sein.
Moderator: Warum hast du dich dazu entschieden, die Gesundheit von Berufsanfängerinnen und
-anfängern zu untersuchen?
Dr. Peter Koch: Ja, das ist eigentlich weniger eine persönliche Entscheidung, sag ich mal, und das hängt schlicht und ergreifend mit meiner Aufgabe in der Forschungseinrichtung zusammen, wo ich arbeite. Das ist das CVcare am UKE, aber ich muss sagen, ich habe auch Kontakt zu diesen jungen Menschen, also die in dem Bereich arbeiten. Ich bin nämlich auch mal vor 30 Jahren als Zivildienstleistender da gewesen und habe dann sogar noch einmal die Krankenpflegeausbildung gemacht. Also ich kenne mich da so ein bisschen aus mit dem Setting, aber die Entscheidung kommt letztendlich von meiner Aufgabe im CVcare. Da kann ich ja mal ganz kurz was dazu erzähle: Das CVcare ist eine Stiftungsprofessur von der BGW und diese wird unterhalten, beziehungsweise geleitet, von meinem Chef Professor Dr. Albert Nienhaus.
Und ja, die Aufgaben sag ich mal von Unfallversicherern, wie die BGW auch einer ist, sind vielfältig. Also es geht einmal um die Entschädigung von Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten, um die Prävention von diesen, aber eben auch um die Forschung zur arbeitsweltbezogenen Prävention und Rehabilitation. Und das ist im Grunde genommen das, was wir im CVcare machen. Sozusagen eine externe Forschungsabteilung der BGW und wir haben halt bestimmte Themen, die im Fokus stehen. Da sind zum Beispiel Infektionsrisiken. Das war jetzt während der Corona Pandemie natürlich auch ein sehr wichtiges Thema, mit dem wir uns auseinandergesetzt haben. Dann natürlich psychosoziale Belastungen sind ein großes Thema, das auch über die Jahre natürlich zugenommen hat, ganz einfach durch die Arbeitsverdichtung, die immer höher geworden ist in den Krankenhäusern. Und beispielsweise auch die muskuloskelettalen Beschwerden. Das ist auch ein Thema, mit dem wir uns beschäftigen.
Aber genauso wie wir uns halt mit Themen beschäftigen, haben wir halt auch bestimmte Gruppen, die bei uns im Fokus stehen und das sind zum Beispiel junge Beschäftigte. Es sind zum Beispiel aber auch Beschäftigte mit Migrationshintergrund. Das ist natürlich jetzt vor dem Hintergrund zu sehen, dass Deutschland zunehmend immer mehr Pflegekräfte aus dem Ausland akquiriert. Deswegen nimmt natürlich diese Gruppe zu. Weiterhin beschäftigen wir uns zum Beispiel auch mit dem Thema Gender.
Warum beschäftigen wir uns jetzt eigentlich mit jungen Angestellten in der Gesundheitsversorgung? Ich denke, der Gedanke ist ziemlich klar. Also die jungen Beschäftigten stehen natürlich für die zukünftige Patientenversorgung und mittlerweile weiß ja jeder, dass Prävention effizienter ist als Kuration. Also es macht mehr Sinn oder es ist effizienter, Krankheiten vorzubeugen als eben Krankheiten zu behandeln. Und deswegen ist es halt notwendig, sich schon früh mit dieser Beschäftigtengruppe zu beschäftigen und eben auch stetig Informationen zu sammeln zu den Arbeitsbedingungen, aber auch zu dem Gesundheitszustand.
Und derzeit ist es halt so, dass wir einen Pflegenotstand in Deutschland haben - also es gibt hier Einschätzungen von über 200 Pflegekräften, die fehlen. Das ist eine Schätzung vom Institut der deutschen Wirtschaft und man kann auch beobachten, dass zunehmend auch immer mehr Beschäftigte in Teilzeit gehen. Das liegt natürlich auf der einen Seite daran, dass viele Frauen sozusagen in dem Job arbeiten und natürlich auch ihre familiären Aufgaben haben. Aber ich denke, es liegt auch daran, dass die Arbeitsbedingungen auch immer schwieriger werden. Ja, von daher der Beschäftigte sich selber im Grunde genommen entlastet dadurch, dass er eben seine Stunden reduziert.
Dann natürlich ein anderer wichtiger Punkt ist die Überalterung der Gesellschaft. Nicht nur die Patienten werden älter, auch die Gesundheitsversorger werden älter und von daher kann man eben auch erwarten, dass im Bereich der Patientenversorgung die Arbeitsverdichtung eben über die Zeit noch höher werden wird. Das ist natürlich ein ganz wichtiger Punkt. Und was auch oft vergessen wird eigentlich neben diesen äußeren Arbeitsbedingungen, ist nämlich die Tatsache, dass junge Menschen oder ich sag mal Berufseinsteiger oder Auszubildende, die befinden sich eigentlich auch in einer vulnerablen Lebensphase dadurch, dass sie eben plötzlich eine andere Aufgabe übernehmen. Also sie übernehmen Verantwortung, sie übernehmen neue soziale Rollen und nabeln sich vielleicht auch vom Elternhaus ab. Das heißt, für diese jungen Menschen kann man eben auch eine hohe physische und psychische Anforderung auf der Arbeit beobachten und es ist auch eben so, dass Studien zeigen, dass diese jungen Beschäftigten auch ein riskantes Gesundheitsverhalten aufzeigen können, was dann zum Beispiel in mangelnder Bewegung mündet oder einer schlechten Ernährung oder Alkoholkonsum.
Ja, und vor diesem Hintergrund ist es das Ziel oder die Aufgabe von Unfallkassen oder Unfallversicherern eben, die Arbeitsbedingungen so zu optimieren, dass möglichst wenig Unfälle und Gesundheitsbelastungen existieren. Dass eben die Beschäftigten oder die jungen Beschäftigten auch in Zukunft gerne weiter zur Arbeit gehen und ihren Beruf nicht aufgeben. Es gibt Schätzungen zu der durchschnittlichen Verweildauer in der Krankenpflege, die liegt ungefähr bei 14 Jahren und bei der Altenpflege ist es noch weniger, das sind 8,4 Jahre. Ja, und wenn man sich vorstellt, dass die zukünftigen Beschäftigten also mindestens bis 67 arbeiten werden, ist das natürlich wirklich ein ziemlich kurzer Berufsabschnitt.
Moderator: Welche Lösungen wünschen sich die jungen Ärzte, Ärztinnen und Pflegefachkräfte? Ja, und wie einfach lassen die sich umsetzen? Kann man die einfach umsetzen?
Dr. Peter Koch: Ja, das ist eine sehr gute Frage. Also da muss man natürlich eine Menge Informationen zu sammeln und dazu, zu dieser Frage, haben wir eben eine Befragung durchgeführt. Wir haben nämlich junge Ärzt:innen und Beschäftigte in der Pflege befragt, und zwar sind wir so vorgegangen, dass - wir hatten also Kontakte zu Fachgesellschaften und Berufsverbänden von diesen beiden Berufsgruppen und hatten halt die Möglichkeit, über die Mitgliederdatenbanken eine Befragung durchzuführen. Und da haben wir also alle Beschäftigten eingeschlossen, die 35, also bis 35, Jahre alt sind und maximal sechs Jahre Berufserfahrung haben und dann über 1.000 Personen haben da teilgenommen im Durchschnittsalter von 30 Jahren.
Also die Hauptfragestellung war: Welchen Einfluss haben bestimmte Belastungsfaktoren auf die Gesundheit und die erbrachte Patientenversorgung? Aber wir haben eben auch gefragt, welche Verbesserungsbedarfe wünschen sich eigentlich diese jungen Angestellten? Und zwar haben wir aus den verschiedenen Bereichen gefragt. Das ist aus der Arbeitszeit, Familie und Beruf, Zusammenarbeit, Belohnung und so weiter. Und ja, da haben wir ganz interessante Ergebnisse bekommen. Also bei den Ärzten ist es so, dass wirklich der Schuh, der am dollsten drückt, wo die sich am meisten Verbesserungsbedarf wünschen, ist der Dokumentationsaufwand. Also sie wünschen sich eine Verringerung natürlich des Dokumentationsaufwandes. Dann die persönliche strukturierte Weiterbildungsmöglichkeit - hier gibt es auch noch ganz viel Luft nach oben. Die Verringerung der Arbeitsverdichtung - sie wünschen sich einen gesetzlich festgelegten Personalschlüssel. Und eben auch weniger Einfluss der Ökonomie auf fachliche Entscheidungen.
Und man kann schon so ein bisschen erahnen, dass das nicht so einfach ist zu lösen, weil es geht ja letztendlich auch um die Rahmenbedingungen eigentlich, wo die Beschäftigten sich darin befinden. Und das ist nicht so einfach zu bewerkstelligen, vor allen Dingen nicht so schnell.
Ich sage jetzt nochmal kurz, wie das bei den Pflegenden waren, was die sich gewünscht haben. Also Punkt 1: Leistungsgerechte Bezahlung. Ich denke, das ist auch schon sehr bekannt. Dann eben auch einen gesetzlich festgelegten Personalschlüssel. Die Verringerung der Arbeitsverdichtung und eben auch die Verringerung des Dokumentationsaufwandes und die Verbindlichkeit von Absprachen.
Also man kann schon sehen, hier gibt es eine große Schnittmenge in den Wünschen von diesen beiden Berufsgruppen. Das ist ja auch logisch, weil die sich ja auch im selben Arbeitskontext befinden. Aber wie gesagt, das ist natürlich jetzt nicht so einfach zu lösen, diese Rahmenbedingungen zu ändern.
Aber beispielsweise gibt es jetzt, was den Dokumentationsaufwand betrifft, gibt es ja jetzt auch viele Diskussionen über die elektronische Patientenakte, die ja bereits 2021 eingeführt worden ist. Allerdings ist das System so, dass diese extra vom Versicherten beantragt werden muss, und viele wissen das einfach gar nicht und deswegen kann dieser Nutzen sozusagen von dieser Digitalisierung von Krankheitsdaten gar nicht so richtig angewandt werden. Aber jetzt gibt es einen Gesetzesvorschlag von Herrn Lauterbach, dass diese elektronische Patientenakte für alle gesetzlich Versicherten ausgestellt werden soll und derjenige, der das eben nicht möchte, der muss da eben aktiv ablehnen. Also in diesem Punkt ist da schon was auf dem Weg. Und sonst kann man natürlich sprachbasierte und automatisierte Dokumentationsassistenzsysteme nutzen, um den Dokumentationsaufwand ein bisschen besser zu machen oder geringer zu machen, sag ich mal. Und natürlich gibt es auch die Möglichkeit, an Schulungen und Weiterbildungen teilzunehmen, dass die Beschäftigten lernen, hier ein bisschen effektiver und effizienter zu dokumentieren.
Moderator: Wer noch mehr Infos dazu haben möchte, ja für den oder für die habe ich einen Tipp: Peter ist ebenfalls im September beim BGW forum dabei - ich habe es vorhin schon erwähnt - und hält dort einen Vortrag. Kannst du ganz kurze Schlagwörter in den Raum werfen, worauf sich deine Gäste freuen können?
Dr. Peter Koch: Ja, das kann ich gerne machen. Also ich werde bisschen was erzählen über berufliche Gratifikationskrisen, die bei beiden Berufsgruppen sehr ausgeprägt sind. Dann gibt es auch den Hinweis, dass die Beschäftigten durch körperliche Aggressionen von Patienten ein erhöhtes Burnout-Risiko haben. Und wir konnten auch beobachten, dass einige Beschäftigte auch aufgrund von Arbeitsstress Medikamente einnehmen.
Moderator: Danke Dr. Peter Koch vom Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf.
Dr. Peter Koch: Ja, sehr gerne, das hat mich gefreut. Danke Ralf.
Moderator: In den Shows dieser Podcast Folge findet ihr weitere Links zum Thema. Ja, einfach mal reinklicken. Und noch mehr Infos und alle Podcast Folgen, die gibt es auch auf der Website der BGW: www.bgw-online/podcast. Wir hören uns in der nächsten Folge wieder. Bis zum nächsten Mal.
(Outro: Herzschlag für ein gesundes Berufsleben – der BGW Podcast)
Interviewgäste
Prof. Dr. Sylvie Vincent-Höper
Professorin für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Medical School Hamburg
Dr. Peter Koch
Gesundheitswissenschaftler
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