Hilfe bei chronischem Schmerz BGW magazin 4/2025
Dr. Mike Christian Zellnig, Chefarzt für Schmerzmedizin am BG Klinikum Duisburg, sagt in einer aktuellen Folge des BGW-Podcasts: Schmerzmedizin ist auch Ursachensuche.
Was dabei wichtig ist und wie die BGW Versicherten hilft.
Was ist Schmerz?
Dr. Mike Christian Zellnig: Eine häufige Definition lautet: Schmerz ist das, was ein Patient als Schmerz beschreibt. Es gibt auch eine offizielle Definition von der Internationalen Schmerzgesellschaft: ‚Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit tatsächlichem oder drohendem Gewebeschaden verknüpft ist oder mit Begriffen eines solchen beschrieben wird.‘ Ein wichtiger Punkt ist dabei: Schmerzen werden immer körperlich und emotional empfunden.
Was ist chronischer Schmerz?
Zellnig: Heute heißt es: Chronische Schmerzen hat man, wenn sie über die erwartete Heilungszeit hinaus bestehen und darüber hinaus ihren Warncharakter verloren haben. Man findet Statistiken, wonach 20 bis 30 Prozent der deutschen Bevölkerung chronische Schmerzen haben, weil sie Schmerzen über drei Monate hinaus haben. Wenn man aber gemäß Definition schaut, wer tatsächlich behandlungsbedürftig ist wegen dieser Schmerzen und wer auch psychisch darunter leidet, dann ist das ein viel, viel kleinerer Anteil.
Ein wichtiger Punkt ist dabei: Schmerzen werden immer körperlich und emotional empfunden.
Wie wirkt sich der Schmerz aus?
Zellnig: Man kann schnell in einen Teufelskreis geraten: körperliche Einschränkung, depressive Stimmung, soziale Isolation, wirtschaftliche Unsicherheit. Dabei wäre der Ausgangspunkt beispielsweise eine Sprunggelenksverletzung, wegen der man in der akuten Phase auf dem Sofa sitzen geblieben ist, nicht mehr rausgegangen ist. Mit etwas Bewegung, mit Training, wäre das Gelenk aber vielleicht gar nicht mehr so schlecht. Aber wenn man einmal im Sumpf steckt, wird’s richtig schwer. Genau dort setzt moderne Schmerztherapie an. Sie berücksichtigt all diese Aspekte – körperlich, psychisch, sozial – und führt Schritt für Schritt wieder in die Aktivität. Und nicht nur über Medikamente.
Wenn nach Arbeitsunfällen oder bei Berufskrankheiten Schmerzen bleiben, hilft die BGW ihren Versicherten im Rahmen des Reha-Managements weiter. Je nach Standort kommen zum Beispiel die Schmerzsprechstunde oder ein Schmerzseminar zum Einsatz, um die nächsten Schritte auszuloten. Mehr darüber erzählen BGW-Ansprechpersonen und eine Versicherte.
Was ist das BGW-Schmerzseminar?
Samara Reiß, Reha-Managerin in der BGW-Bezirksverwaltung Karlsruhe: Das Seminar findet bei uns an zwei Tagen statt. Am ersten Tag gibt es zwei Vorträge: von der Psychologin und von einem Facharzt. Am zweiten Tag folgen Zirkelgespräche mit dem Facharzt, mit der Psychologin, mit einem Physiotherapeuten und mit jemandem von uns aus dem Reha-Management. Nach einem Austausch dieser Fachleute untereinander erhält die versicherte Person Empfehlungen für das weitere Heilverfahren. Eine Zeit nach dem Seminar fragen wir nach: Wie wurden die Maßnahmen umgesetzt? Wo kann die BGW gegebenenfalls noch unterstützen?
Wie hilft das Schmerzseminar?
Isabel Scherle hat am Seminar teilgenommen: Ich habe nach einem Fahrradsturz mit einer Handgelenksverletzung und zwei OPs ein komplexes regionales Schmerzsyndrom entwickelt. Das Seminar war das erste Mal, dass ich mich theoretisch mit dem Thema chronische Schmerzen befasst habe. Das war für mich hilfreich. Wir waren eine relativ kleine Gruppe von fünf Betroffenen, und dadurch hat sich ein schöner, geschützter Rahmen für den persönlichen Austausch ergeben. Es hat mir geholfen, auch mal mit anderen darüber zu sprechen, was sie für Strategien und Tipps haben. Gut war auch die individuelle Beratung am zweiten Tag. Ich bin mit mehr Hoffnung aus dem Seminar rausgegangen, weil ich so einen Zettel in der Hand hatte, auf dem neue Ansätze und Ideen standen, die ich ausprobieren konnte.
Was ist die Schmerzsprechstunde?
Claudia Pruß, Reha-Managerin in der BGW-Bezirksverwaltung Berlin: Die Sprechstunde ist auf zweieinhalb Stunden pro Teilnehmer, Teilnehmerin angelegt. Es handelt sich um ein Gespräch mit einem Schmerztherapeuten für eine Stunde, dann eine psychotherapeutische Gesprächsrunde für eine Stunde, jeweils einzeln. Danach werten wir das Ganze aus. Es gibt keinen fachlichen Vortrag, sondern wir setzen direkt bei den Beschwerden an, die die Versicherten vortragen. Alles ist individuell, das wird von den Versicherten sehr begrüßt, weil man sich Zeit nimmt und sie sich aufgehoben fühlen. Sie können besprechen, was sie sonst tatsächlich nie so ausführlich sagen können. Und sie werden dann entsprechend ausführlich beraten.
Wie geht es nach der Sprechstunde weiter?
Pruß: Wir hatten zum Beispiel kürzlich eine sehr schmerzgeplagte Dame eingeladen. Wir konnten ihr mit dem Schmerztherapeuten, der auch Chefarzt im Unfallkrankenhaus ist, sozusagen aus der Schmerzsprechstunde heraus eine stationäre Schmerz-Reha-Maßnahme vermitteln, die drei Tage später angefangen hat. Das heißt, wir sind sehr schnell, intervenieren sofort, wenn es nötig ist. Das ist ein ganz großer Vorteil für die Versicherten.
An wen wenden sich betroffene BGW-Versicherte?
Reiß: Zuerst muss eine anerkannte Berufskrankheit vorliegen oder der Arbeitsunfall muss bestätigt sein. Die Versicherten haben dann eine Ansprechperson in der Sachbearbeitung, an die sie sich wenden können. Oder an den Reha-Manager, die Reha-Managerin, falls diese schon involviert sind. Wir haben aber auch im Blick, wenn das Thema Schmerz in Unterlagen oder im Gespräch auftaucht, und prüfen, ob zum Beispiel ein Schmerzseminar infrage kommt. Es gibt auch Checks in Form von Fragebögen, die rausgeschickt werden können, um das Ganze einzuschätzen.