Personen verschiedenen Alters vor der Ilustration einer Straße mit Mittelstreifen

Führungsaufgabe Arbeitsschutz BGW magazin 3/2025

Planungssicherheit ist für Unternehmen ein hohes Gut. Was Unternehmensleitungen und Führungskräfte oft nicht vor Augen haben: Mit ihrer Rolle im betrieblichen Arbeitsschutz verfügen sie über einen wichtigen Steuerungshebel.

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Dr. Nicole Stab ist stellvertretende Leiterin der BGW-Bezirksstelle Dresden. Im Interview erklärt sie, welche Pflichten Unternehmerinnen und Unternehmer erfüllen müssen – und was das für den Betrieb bringt. Sie ist überzeugt, dass Arbeitsschutz zum Selbstläufer werden kann. Was sie spannend findet: Arbeitsschutz ist nicht nur in eigens dafür vorgesehenen Gesetzen verankert. Auch das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) legt in Paragraf 618 fest, dass Arbeitgebende zum Schutz von Leben und Gesundheit der Beschäftigten verpflichtet sind. Das macht deutlich, wie wichtig diese Fürsorgepflicht ist.

Pflichten im Arbeitsschutz

Welche Pflichten im Arbeitsschutz haben Führungskräfte?

Dr. Nicole Stab: Merken Sie sich A – O – K: A steht für Auswahlpflicht. Das heißt beispielsweise: Ist dieser Mitarbeiter, diese Mitarbeiterin geeignet und qualifiziert für diese Tätigkeit? Sind Arbeitsmittel sicher und passend? O steht für Organisationspflicht. Zum Beispiel: Wurden die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Beschäftigten getroffen? Dreh- und Angelpunkt dafür sind die Gefährdungsbeurteilung und die Unterweisung der Beschäftigten. K steht für Kontrollpflicht: Werden die Maßnahmen umgesetzt? Sind sie wirksam? Sind Arbeitsmittel funktionstüchtig und ausreichend vorhanden?

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Was bringt das dem Unternehmen?

Stab: Pflicht und Nutzen aus einer Hand beschreibt die DGUV Vorschrift 1. Es geht darum, Arbeits- und Wegeunfälle sowie Berufskrankheiten zu vermeiden – ebenso wie arbeitsbedingte Gesundheitsgefahren. Wer seiner Pflicht nachkommt, schafft gute, gesunde Arbeitsbedingungen. Das hat eine hohe Planungssicherheit zur Folge und einen wirtschaftlichen Nutzen. Mitarbeitende fallen seltener aus. Ein gutes Betriebsklima entsteht, wenn die Belegschaft die Wertschätzung ihrer Sicherheit und Gesundheit erkennt. Das spricht sich oft herum, verbessert das Image des Unternehmens und zieht potenzielle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an.

Wer sich um den Arbeitsschutz kümmert, kann also das Betriebsklima positiv beeinflussen?

Stab: Aber ja! Den Arbeitsschutz systematisch anzugehen, schafft Sicherheit und Transparenz auf vielen Ebenen. Beschäftigte und Führungskräfte spüren das. Sie sind motivierter und zufriedener mit ihrer Arbeit.

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Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit sind Führungsaufgaben

  • Gefährdungsbeurteilung erstellen und nutzen
  • Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz im Betrieb organisieren
  • Persönliche Schutzausrüstung (PSA) bereitstellen
  • Team beteiligen
  • Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz verantwortlich gestalten
  • Passendes Team zusammenstellen
  • Beschäftigte unterweisen
  • Für sichere Geräte und Anlagen sorgen

Wo fängt die Unternehmensleitung an?

Stab: Zuerst geht es um die Arbeitsschutzorganisation: Wie will ich meinen Betrieb aufstellen? In kleinen Betrieben ist das auch eine Frage der eigenen Motivation und der Ressourcen. Was mache ich alleine? Ansonsten suche ich mir von Anfang an Fachleute, die mich umfassend beraten. Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Betriebsärztinnen und Betriebsärzte bringen das Know-how mit, wie man vorgehen muss. Oft denken Unternehmerinnen und Unternehmer: "Das kann ich selbst". Sie besuchen eine Schulung, aber machen dann nichts weiter. Damit sind sie weder rechtssicher aufgestellt, noch bringt es etwas für den Betrieb und die Beschäftigten. Bei fehlenden Ressourcen ist es besser, sich gleich an Fachleute zu wenden.

Die Rolle der Gefährdungsbeurteilung

Ist die Gefährdungsbeurteilung der nächste Schritt?

Stab: Richtig, sie ist das zentrale Instrument im Arbeitsschutz. Hier muss man Zeit investieren, aber es lohnt sich. Und es ist erfahrungsgemäß hilfreich, Unterstützung zu haben.

Wie lange dauert es, Gefährdungen zu betrachten und Maßnahmen zu entwickeln?

Stab: Wenn Arbeitsschutz gelebt wird, ist dieser Prozess nie beendet. Der Weg ist das Ziel! Aufgaben, Arbeitsprozesse, Arbeitsmittel und damit einhergehende Gefährdungen ändern sich laufend. Hinzu kommen personelle Wechsel. Es ist gewinnbringender, den Arbeitsschutz kontinuierlich im Blick zu haben und dafür fortlaufende Formate zu nutzen. Ein gutes Beispiel ist der Arbeitsschutzausschuss. In großen Unternehmen muss er einmal im Quartal tagen. Das ist gesetzlich so vorgesehen. Alle wichtigen Akteurinnen und Akteure sprechen dort regelmäßig über Arbeitsschutzthemen. Auch kleinen Unternehmen rate ich, etwas Ähnliches in abgespecktem Format zu etablieren. Das kann ein fester Tagesordnungspunkt in der Dienstbesprechung sein. Es muss nichts extra aufgesattelt werden. 

Zwei junge Friseure in Schürzen. Sie stehen eng hintereinander und verschränken beide entspannt die Arme.

Ihr Tipp für einen kleinen Friseursalon wäre beispielsweise: Starten Sie dienstags mit einer kleinen Austauschrunde und sprechen Sie dabei auch die Gesundheit bei der Arbeit an?

Stab: Ja, so etwas könnte eine gute Lösung sein. Unternehmensleitungen und Führungskräfte fragen sich oft, wie sie die vielen Themen aus der Gefährdungsbeurteilung aufgreifen sollen. Schon wieder ein halber Tag für eine Unterweisung? Einzelne Unterweisungsthemen können auch so einfließen. Dann sind es vielleicht fünf bis zehn Minuten oder mal eine halbe Stunde. Es verteilt sich besser – und die Mitarbeitenden stöhnen nicht, weil sie einen halben Tag einen Vortrag zum Arbeitsschutz hören müssen. Kommen Sie mit den Leuten ins Gespräch, gestalten Sie die Unterweisungen abwechslungsreich und lebendig! Dann werden Arbeitsschutzthemen nicht als störend empfunden, sondern als nützlich.

Gilt das auch für die Gefährdungsbeurteilung?

Stab: Es macht immer Sinn, die Mitarbeitenden zu beteiligen und Themen nach und nach anzugehen. Nehmen wir das große Thema psychische Belastung. Da rollen viele mit den Augen. Dabei tangiert es zum Beispiel die Arbeitsabläufe und dort gibt es ständig Veränderungen. Bleibt man mit den Mitarbeitenden im Gespräch, bringt das viel. Dann braucht es womöglich nicht alle paar Jahre eine große Befragung. Mitarbeitende wissen: Erfahrungen dürfen jederzeit eingebracht werden. Das schafft eine andere Kultur.

Weitere Tipps für Führungskräfte

Wie unterstützen Fachkräfte für Arbeitssicherheit sowie Betriebsärztinnen und -ärzte?

Stab: Sie kennen die Pflichten und wissen, was zu tun ist. Welche Gefährdungen sollten in die Gefährdungsbeurteilung einfließen? Welche Maßnahmen kommen infrage? Welche Anlässe gibt es für die arbeitsmedizinische Vorsorge? Sie führen durch den Prozess. Bei Begehungen im Betrieb sollten sie dabei sein und auf Gefährdungen aufmerksam machen.

Welche Rolle haben nachgeordnete Führungskräfte?

Stab: Jede Führungskraft ist in ihrem Weisungsbereich in der Pflicht, im Arbeitsschutz mitzuwirken. Allerdings ist das "Wie" gesetzlich nicht weiter ausgeführt. Regeln Sie die Pflichtenübertragung in jedem Fall schriftlich, zum Beispiel in einem eigenen Dokument – ein Muster findet sich in der DGUV Regel "Grundsätze der Prävention". Es geht aber auch über die Stellenbeschreibung oder den Arbeitsvertrag.

Wichtig ist, dass die nachgeordnete Führungskraft weiß, was ihre konkreten Aufgaben sind. Soll sie bei der Gefährdungsbeurteilung für ihren Bereich mitwirken? Ist sie für die Unterweisung ihrer Mitarbeitenden zuständig? Führungskräfte müssen auch dafür qualifiziert werden, ihre Pflichten wahrzunehmen. Unsere BGW-Seminare können dabei helfen. Insbesondere sollten die Führungskräfte den Nutzen von Arbeitsschutz erkennen – und mitwirken wollen.

Kommen wir zum Zeitaufwand zurück. Womit müssen Führungskräfte und Leitungen rechnen?

Stab: Das hängt von der Betriebsgröße und -struktur ab und kann variieren. Führungskräfte in einem Klein- oder Kleinstbetrieb sollten – grob geschätzt – mit etwa einem halben Tag pro Monat rechnen. Für mittlere und größere Unternehmen ist es mehr – leider lässt es sich nicht pauschal sagen. Für die Leitung ist ebenfalls mehr erforderlich.

Es sollte auch ein Budget für Arbeitsschutz geben...

Stab: Das liegt mir am Herzen: Berücksichtigen Sie das Thema Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit unter anderem bei Budgetverhandlungen mit den Kostenträgern! Lassen Sie beispielsweise Deeskalationstrainings für Mitarbeitende nicht über das Fortbildungsbudget laufen. Arbeitsschutz gehört in jedem Unternehmen als eigener Posten in die Finanzplanung. Viele Maßnahmen für Mitarbeitende zahlen sich nicht zuletzt in der Qualität der Leistung für die Kundschaft oder Klientel aus.

Nutzen von Arbeitsschutz

Was sind Ihre Erfahrungen in den Unternehmen?

Stab: Es gibt viele gut aufgestellte Be­triebe, die den Arbeitsschutz ernst nehmen – wir sprechen gern von "starken Unternehmen". Die haben definitiv ihre nachgeordneten Führungskräfte im Boot. Es gibt regelmäßigen Austausch und verschiedene Fachthemen werden betrachtet. Kürzlich sprach mich ein großer Träger an, der schon vieles sehr gut umsetzt. Wir haben dann ein Inhouse-Seminar zur sexualisierten Gewalt organisiert. Jetzt integriert er das Thema in sein Gewalt­schutzkonzept. Das finde ich wirklich toll. Auch in kleinen Unter­nehmen können tolle Arbeitsschutz­strukturen etabliert sein. Dass die Mitarbeitenden einbezogen werden, zeigt sich, wenn man mit den Leuten über sicheres und gesundes Arbeiten spricht. Sie wissen sofort, worum es geht, und haben Maßnahmen im Kopf. Ich höre dann beispielsweise: "Das mache ich zum Schutz vor Gefahrstoffen!" In Betrieben, die nicht so gut aufgestellt sind, ist das oft überhaupt nicht klar.

Wie ist das mit dem Besuch von der BGW?

Stab: Davor muss niemand Angst haben. Wir beraten viel und stellen gute Unterstützungsangebote vor – zum Beispiel die BGW-Strategietage zu Themen wie Rücken oder Psyche. Ebenso bieten wir Organisationsberatung an, unter anderem zum Thema Gewalt. Wichtig ist, dass die Verantwortlichen sichere und gesunde Strukturen schaffen möchten. Erst wenn wir feststellen, dass der Nutzen von Arbeitsschutz überhaupt nicht gesehen wird, kann das Folgen für den Betrieb haben.

Was empfehlen Sie Leitungen, die wissen wollen, wie Ihr Betrieb aufgestellt ist?

Stab: Der BGW Orga-Check gibt Orientierung. Das ist ein kostenloses und frei verfügbares Online-Instrument. Und natürlich helfen die Aufsichtspersonen der BGW gern weiter.

Haben Sie noch einen Tipp für Führungskräfte?

Stab: Eher eine Feststellung, die Mut macht: Arbeitsschutz kann Spaß machen! Das sehe ich an den guten Betrieben, in denen mit Freude die guten, etablierten Strukturen weiter verbessert werden. Dort erlebe ich auch bei Mitarbeitenden nicht mehr die Einstellung "Ach, schon wieder Arbeitsschutz". Im Gegenteil: Sie machen gern mit.

Von: Anja Hanssen