Was muss sich in unseren Kliniken ändern, Dr. Cornelius Weiß? #67 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
In dieser Folge startet unser neues Format: „Inspirierende Menschen im Berufsalltag“! Hier geben Personen aus dem Gesundheitswesen Einblicke in ihren beruflichen und privaten Alltag.
Vor welchen Herausforderungen stehen sie? Was war ihr schönster Moment auf der Arbeit? Und welche Anekdoten aus dem Berufsalltag können sie erzählen? Unsere erste Branchenpersönlichkeit ist Dr. Cornelius Weiß, Facharzt für Innere Medizin, Gründer des Bündnisses junger Internisten und Mitglied im Bündnis Junge Ärzte.
Gemeinsam mit Moderator Ralf Podszus bespricht er, was sich für Assistenzärztinnen und -ärzte unbedingt ändern muss, warum ihm seine berufspolitischen Engagements so wichtig sind und wie er es schafft, nach der Arbeit abzuschalten.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Moderator: Mit dieser Folge startet unser neues Format „Inspirierende Menschen im Berufsalltag“. Wir laden Personen ein, die für ihren Beruf brennen, ja, eine Inspiration für viele sind und faszinierende Geschichten erzählen. Den Anfang macht Doktor Cornelius Weiß. Er ist Facharzt für Innere Medizin und sagt über seinen Beruf:
Dr. Cornelius Weiß: Ja, also ich bin der Cornelius Weiß und die Innere Medizin ist meine große Leidenschaft und aktuell bilde ich mich aber noch weiter in der Arbeitsmedizin – strebe dort noch den zweiten Facharzt an.
Moderator: Und damit willkommen zur neuen Folge. Ich bin Ralf Podszus.
(Opener)
Moderator: In der letzten Folge da haben wir über die gesundheitliche Situation von Ärztinnen und Ärzten in Kliniken und Krankenhäusern gesprochen. Ja, hört gerne nochmal rein, falls ihr die Folge noch nicht kennt. Ich fand es krass, wie lange dort Überstunden geschoben werden und dass sich viele auch krank zur Arbeit schleppen, damit die anderen nicht noch länger in der Klinik sein müssen. Heute tauchen wir noch tiefer ein in das Thema gesundheitliche Situation von Ärztinnen und Ärzten, und zwar mit Dr. Cornelius Weiß. Der Facharzt für Innere Medizin erlebt jeden Tag die spannendsten und die skurrilsten Situationen in seiner Praxis hautnah mit. Heute teilt er seine Erfahrungen mit uns. Hallo Cornelius.
Dr. Cornelius Weiß: Hallo und vielen Dank, dass ich heute hier sein darf.
Moderator: Du engagierst dich ja in vielen Bereichen. Wo bist du genau aktiv, was machst du alles, ja, und wie geht es denn Assistenzärztinnen und -ärzten aktuell?
Dr. Cornelius Weiß: Ja, tatsächlich. Also die Berufspolitik ist auch eine große Leidenschaft und Passion von mir. Ich bin mit im Vorstand vom Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten und Delegierter der Ärztekammer Hessen und setze mich sehr für die Bedürfnisse von den jungen Kolleginnen und Kollegen ein und bringe die Ansichten auch in verschiedenen Gremien mit ein auch im Bündnis Junger Ärzte, was ein Zusammenschluss von vielen großen Berufsverbänden ist, beziehungsweise den jeweils jungen Vertretern davon. Was wir erleben, ist ja, dass die Klinik- und die Praxiswelt sich in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark verändert haben. Nicht nur die Arbeitsbedingungen an sich, sondern eben auch die Bedürfnisse der jungen Kolleginnen und Kollegen und auch die Idee vom eigenen Leben.
Und hier hat man einen großen Generationenkonflikt, dass eben ein ganz anderer Approach für Work-Life-Balance und auch eine andere Idee von Idealismus mit ins eigene Leben, ins eigene Arbeitsleben getragen wird und eben eine Arbeitssituation, ein System, was man vorfindet, was eben vielleicht für die letzten 50 Jahre funktioniert hat, aber man immerhin merkt, dass es eben einfach nicht kompatibel ist mit der neuen Ärztegeneration. Und nicht deshalb, weil diese neue Ärztegeneration – wie ja die älteren Generationen so ein bisschen vorwerfen –, weil wir vielleicht irgendwie arbeitsscheu seien oder möglicherweise nicht die richtigen Ideale haben, sondern weil man einfach eine ganz andere Ansicht hat, wie man sein Leben eben verbringen soll.
Und das auf der einen Seite und auf der anderen Seite hat sich aber auch faktisch ganz viel verändert. Die Taktung im Krankenhaus ist sehr viel schneller geworden. Was dazu geführt hat, dass der eigentliche Kern ärztlicher Tätigkeit. Und lange Rede kurzer Sinn, man hat also tatsächlich einen Generationenkonflikt, der auf ein System trifft, was wirklich überarbeitet werden muss, was wirklich modernisiert werden muss. Nicht nur, damit die Arbeitskraft der jungen Kolleginnen und Kollegen überhaupt erhalten werden kann, sondern auch mit Hinblick auf die Versorgungsqualität der Bevölkerung. Und dass das alles mehr ist als einfach nur die Befürchtungen einer als möglicherweise faul stigmatisierten, jungen verweichlichten Ärztegeneration ist, das zeigen auch Studien, die wir gemeinsam mit dem BDI und auch der BGW gemeinsam durchgeführt haben. Und dort sieht man, das hat man ja auch im letzten Podcast wurde das ja auch schon angedeutet, also wirklich verheerende Ergebnisse für die Gesundheit der jungen Kolleginnen und Kollegen in der Klinik.
Eines der absolut krassesten Ergebnisse wie ich fand, was mich selber auch erschreckt hat, obwohl ich um die Umstände wusste und obwohl wir auch schon zuvor Studien durchgeführt haben, war, dass 20 Prozent der jungen Kolleginnen und Kollegen Medikamente nehmen, um überhaupt über ihren Alltag zu kommen. Das heißt, wenn ich morgens die Klinik betrete und auf dem Weg ins Arztzimmer, wenn das irgendwie im zweiten oder dritten Stock ist, und ich nehme die Treppe, dann habe ich schon ein paar Kollegen gesehen, nämlich jeden fünften, der Medikamente nehmen muss, damit er überhaupt über seinen Alltag kommt. 50 Prozent der Kollegen haben ...
Moderator: Das heißt, wenn man jetzt deren Kreditkarten checken würde, einige haben da so einen weißen Rand, vielleicht auch durchaus.
Dr. Cornelius Weiß: (lacht) Also das hast du jetzt gesagt. Also, ob das jetzt diese Art von Medikamenten ist, das weiß ich jetzt natürlich nicht. Das kann ja auch in Anführungszeichen „nur“ Betablocker sein, aber die Botschaft ist doch die ...
Moderator: Das ist schon krass. Das heißt also, die machen den Schrank auf, schon damit die halt einfach durch einen sehr langen Arbeitstag für ihre Patientinnen und Patienten und Kolleginnen und Kollegen kommen.
Dr. Cornelius Weiß: Genau, also die Botschaft ist ja eigentlich die: Wie kann es sein, dass die Personen, deren Ideal es ist, die ihr Leben dem Verschreiben, anderen zu helfen, wie kann es sein, dass sie das nur machen können, wenn sie schon selber über ihre Grenzen leben und über ihre Grenzen nur das leisten können, wenn sie sich chemische Hilfe holen. Das ist ja absolut alarmierend.
Und was wir auch gesehen haben, da komme ich wieder zu meinem Anfangspunkt, ist, dass einer der entscheidendsten Punkte war, ob es dazu kommt, dass jemand eben Burnout-Symptome entwickelt oder eben seine eigene Gesundheit als sehr schlecht einschätzt, ist, wenn er das Gefühl hat, dass die Versorgungsqualität der Patienten nicht gewährleistet ist. Das heißt, wir haben auf der einen Seite einen extremen Hang dazu, etwas zu geben. Und wenn ich aber etwas bekomme, nämlich die Befriedigung dadurch, dass meine Patienten gut versorgt sind, dann bin ich bereit, diesen ganzen Stress auch zu ertragen und meine Resilienz scheint in irgendeiner Art und Weise damit zusammenzuhängen.
Also Resilienz heißt, die Fähigkeit auch schwierige Situation psychisch gut durchzustehen. Und in dem Moment, wo ich aber das Gefühl habe, dass meine Patienten nicht mehr gut versorgt sind, aus welchem Grund auch immer, wahrscheinlich, weil ich das nicht mehr leisten kann oder das System mich davon abhält, jetzt die perfekte Versorgung zu gewährleisten, dann haben wir gesehen, dass die Werte für die Kolleginnen und Kollegen extrem schlecht geworden sind.
Das heißt, das ist die eigentliche Währung, wie das System funktioniert. Die eigene Überzeugung, dass ich meine Patientinnen und Patienten gut versorgen kann. Wenn ich das nicht mehr kann, dann fällt auch meine eigene Arbeitskraft langfristig weg, weil ich dann selber eine schlechtere Gesundheit habe, selber anfange Burnout-Symptome zu entwickeln. Und das kann ja nicht das System sein, dass wir jetzt die nächsten 50 / 60 / 70 Jahre betreiben wollen. Man muss auch dazu sagen: Das ganze System in der Medizin und in der Pflege ist ja in den Arbeitsabläufen und ich sag mal in der Ressourcenverteilung so gestaltet, dass sie das schlechte Gewissen und das über die eigenen Grenzen, aufgrund von moralischen Gründen direkt miteinpreist. Das heißt, ohne das schlechte Gewissen der Leute, das quasi wie so eine Art Kleister ist, was in all diese defizitären Ritzen läuft und das System zusammenhält, würde das alles überhaupt nicht funktionieren.
Das heißt, würden nicht die Personen, die wir in unserem Gesundheitssystem haben, das kann man schon so sagen, nicht über einen doch sehr idealen und, doch auch wenn das Wort ein bisschen alt ist, edlen Charakter verfügen, dass sie sagen, sie können es selber nicht verantworten, dass ihre Leute nicht perfekt versorgt sind, dann würde das System, wenn alle Dienst nach Vorschrift machen würden, innerhalb von einem Tag auseinanderbrechen.
Moderator: Wir haben’s ja auch in den Medien schon mitbekommen, es gibt dann Fälle, dass durch vollkommene Überlastung oder weil eine Person sich um viel zu viele Patientinnen und Patienten kümmern musste, da dann tatsächlich auch die Gesundheit von denen bedroht ist und Abteilungen auch mal dicht gemacht werden, weil dann auf einmal das Chaos komplett ausgebrochen ist. Und das lief über Wochen oder Monate so, dass wirklich dann eine Person viel zu viel machen muss. Und das ist dieses Helfersyndrom, was du vielleicht angesprochen hast. Man hat den edlen Charakter, man weiß, es ist überhaupt nicht gut für mich, für die anderen, die hier versorgt werden müssen, aber es muss ja gemacht werden und ich muss ja helfen.
Dr. Cornelius Weiß: Ja, ich glaube, es ist auch immer ein großer Unterschied, ob man jetzt einfach jemand ist, der weit entfernt hinter einem Schreibtisch sitzt und über irgendwelche Dinge theoretisch entscheidet und eine Idee davon hat, wie möge denn die Versorgung vor Ort wohl aussehen und wo könnte man denn Prozesse noch weiter optimieren, oder ob man derjenige ist, der in jedem einzelnen Patientenzimmer ist, jedem einzelnen Patienten in die Augen schaut und letztendlich jeden einzelnen Patienten und Patientin versorgt.
Und da wir alles Menschen sind, ist es einfach automatisch so, dass man dann ein Pflicht- und Ehrgefühl entwickelt und eine Beziehung zu jedem aufbaut, auch wenn man den vielleicht jetzt erst eine Sekunde gesehen hat. Und das ist auch das, was ich ganz am Anfang schon gesagt habe. Das ist halt der Kern ärztlichen oder überhaupt auch pflegerischen Handelns ist eben die Beziehung von einer Person als Arzt oder Pfleger zu einer anderen Person, der des Patienten oder der Patientin. Und wenn man die einzelne Person betrachtet, dann funktioniert das System. Aber wenn man das System an sich übergeordnet betrachtet, dann funktioniert das eben nicht, weil dieser Umstand überhaupt nicht gewürdigt wird.
Ich hatte zum Beispiel – wir haben das mal ausgerechnet – haben wir ungefähr drei Minuten Zeit gehabt, um uns tatsächlich mit unseren Patienten zu beschäftigen. Der Rest waren irgendwelche anderen Tätigkeiten, die vielleicht rund um den Patienten waren, möglicherweise auch rund um überhaupt keinen Patienten, weil es einfach nur organisatorisches oder dokumentarisches war. Und das tatsächlich im Patientenzimmer sein, dem Patienten vielleicht die Hand halten, mit dem Sprechen, was zu erklären, ist in drei Minuten pro Tag pro Patient schon abgefrühstückt. Und das kann ja in einem System, wo wir sagen der Mensch ist im Zentrum, nicht unser Anspruch sein.
Moderator: Cornelius, was muss sich deiner Meinung nach für die jungen Kolleginnen und Kollegen ändern, für die ganzen Assistenzärzte?
Dr. Cornelius Weiß: Ja, die Frage ist natürlich nicht ganz leicht und eindimensional zu beantworten, aber wir müssen unser Leitbild wieder selbst gestalten und das, was ich jetzt – und deswegen wiederhole ich’s auch immer so gebetsmühlenhaft – der Patient und die Beziehung zum Patienten muss ins Zentrum und daraus folgt alles andere. Das bedeutet, wir brauchen eine Entbürokratisierung und wir brauchen mehr Personal und wir brauchen eine Flexibilisierung von Arbeitszeitmodellen.
Wir sehen, dass 80 Prozent der Absolventinnen und Absolventen von den Universitäten im Medizinstudiengang sind weiblich, und das ist ja nicht nur ein weibliches Phänomen, dass Lebensentwürfe jetzt anders sind, sondern es ist ein durchaus fortschrittliches Miteinander jetzt so, dass eben die Idee nicht mehr ist, dass man 50 / 60 Stunden in der Woche 40 Jahre durchmalocht, um dann sich auf seinen Lorbeeren quasi auszuruhen, sondern man muss jetzt schon ein System schaffen, wo Familie und Beruf irgendwie vereinbar sind, wo es auch möglich sein muss, dass beide arbeiten und wo es auch möglich sein muss, dass Frauen keinen massiven Karriereknick erleben, nur – in Anführungszeichen – weil sie halt derjenige Part sind, der eben die Kinder bekommt. Und dafür müssen Lösungen geschaffen werden, dafür müssen Arbeitszeitmodelle flexibilisiert werden und es kann auch nicht sein, dass in der Klinik, also ich kann das ja von mir selber auch erzählen, ich habe bestimmt 30 / 40 an manchen Tagen auch 50 Prozent der Zeit mit nichtärztlichen Tätigkeiten verbracht.
Und das war, also nicht nur wegen der Bürokratie an sich, die ja an sich auch viel zu hoch ist, sondern eben auch wegen einer fehlenden oder schlechten Digitalisierung. Ich habe zum Beispiel viel Zeit damit verbracht, neben Faxgeräten zu stehen, weil ein ganz wichtiges Dokument kommt oder selber Faxe aufzugeben, oder Pflegeheime selbst abzutelefonieren und und und. Und das sind alles Dinge, das müsste nicht sein oder irgendwelche Befunde abzutippen, die man eigentlich innerhalb von einer Sekunde hätte digital übertragen können. Und das sind eben die Hauptpunkte, die man alle angehen muss, damit eine belastbare Ärzteschaft auch die nächsten Jahrzehnte, die ja doch auch alternde Gesellschaft weiter versorgen kann.
(Trenner)
Moderator: Du engagierst dich unter anderem beim Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten. Und das Bündnis Junger Internisten hast du sogar selbst gegründet. Warum ist dir so wichtig, dein Wissen und deine Erfahrungen weiterzugeben?
Dr. Cornelius Weiß: Ja, ich glaube, es ist unheimlich wichtig, dass man sich engagiert. Also ich habe schon gleich gemerkt, als ich angefangen habe zu arbeiten, das war für mich so der erste Reality Check. Dass so diese Ideale, die ich so hatte – also ich hatte schon so ein bisschen die Idee, so George Clooney, Doctor House, Grey‘s Anatomy mäßig –, da klar natürlich auch ein bisschen naiv, man hat ja auch studiert, formuliert und so. Da hat man auch schon viel mitbekommen, wie es dann echt so ist.
Moderator: Aber du hast ja auch gute Vorbilder gehabt, weil Doctor House oder auch Nurse Jackie sind auch alle Tablettenabhängig gewesen. Die haben schon die Richtung vorgegeben, ne?
Dr. Cornelius Weiß: (lacht) Ja, also den Aspekt habe ich jetzt natürlich nicht so gemeint, sondern man hat natürlich schon eine gewisse ideale, naive Idee davon und die ist auch ehrenwert und das soll auch so bleiben. Und ich habe natürlich schon auch damit gerechnet, dass der Arbeitsalltag sich natürlich nicht wie in einer Hollywood Serie oder so anfühlt.
Aber was ich dann tatsächlich erlebt, hat mich schon sehr erschüttert. Und auch wie die Kolleginnen und Kollegen eben in ihrem Gemütszustand drauf waren. Da war eben die Unzufriedenheit riesengroß und so soll es ja eigentlich nicht sein. Ich meine, wir haben als Ärztinnen und Ärzte das schon in der Schule gelernt, spätere Belohnung und Bedürfnisse nach hinten zu verschieben, um eben eine gewisse Leistung zu erbringen, damit man eben die Noten hat, damit man das studieren kann. Im Studium selber hat man dann auch noch mal mehr als bewiesen, dass man in der Lage dazu ist, auf Vergnügen im Hier und Jetzt zu verzichten, um dann eben später den Abschluss zu haben, weil so einfach macht sich das Medizinstudium ja auch nicht. Und das Ganze schafft man ja eigentlich nur, wenn man hohe Ideale hat und dann damit in der Klinik anfängt und diese Ideale treffen dann eben auf diesen Klinikalltag und da habe ich einfach gemerkt, dass die Unzufriedenheit riesengroß ist.
Und ich wollte nicht, dass man dem Ganzen so hilflos ausgeliefert ist und habe dann geschaut, was könnte man denn machen und habe angefangen, mich zu engagieren im Berufsverband und der Ärztekammer und das war für mich unheimlich positiv, und wir haben auch unheimlich viel schon geschafft. Wir haben es wirklich geschafft, der Ärzteschaft jetzt eine junge Stimme zu geben - auch bundesweit. Das war also richtig viel, was wir da erreicht haben. Und ich wünsche mir, das auch weitergeben zu können, dass junge Kolleginnen und Kollegen – die dürfen sich auch gerne bei mir direkt melden, also ganz unkompliziert via E-Mail oder Instagram oder was auch immer – und einfach mitmachen.
Weil eben in Deutschland haben wir eine Selbstverwaltung, das heißt, die Ärzteschaft ist mit daran beteiligt, bestimmte Versorgungsstrukturen und gesundheitspolitische Dinge mitzuentscheiden. Und diese Chance und dieses Geschenk sollten wir nutzen. Das ist anders, wie in anderen Ländern und es braucht eben junge Leute, die sich einbringen. Und das war meine Motivation und dafür brenne ich auch sehr. Das war quasi der Grund, warum ich mich überhaupt eingebracht habe.
Und dann hast du auch das Bündnis Junger Internisten erwähnt. Das ist halt eben so, dass die Entwicklung in der Medizin halt extrem spezialisiert ist. Es geht weiter in die Spezialisierung in die Sub-Spezialisierung und ich glaube, es ist ganz wichtig und ich komme wieder – ich glaube, das ist jetzt das vierte oder fünfte Mal oder so – wieder zum Kern zurück: Der Patient und der Mensch müssen ins Zentrum zurück. Und dieser Mensch und Patient, der besteht ja nicht nur aus einer Sub-Spezialisierung, sondern muss als Ganzes gesehen werden.
Und wir Ärzte tun gut daran, wenn wir uns bei der Hand nehmen von Spezialisierung zur nächsten Spezialisierung, denn wir brauchen die Spezialisierung ja. Das ärztliche Wissen, das medizinische Wissen verdoppelt sich ja so schnell, dass da keiner mehr nachkommen kann. Und deshalb ist es so wichtig, dass wir Ärzte uns auf unsere Wurzeln mitbesinnen. Also die Spezialisierungen sind die kleinen Ästchen und aber alle führen zum gleichen Stamm, zur gleichen Wurzel zurück. Und deswegen fand ich das so wichtig, dass wir das Bündnis Junger Internisten gründen, dass wir sagen, auch wir Sub-Spezialisierungen der Internisten gehören zu einer großen Familie und lassen uns quasi nicht spalten durch die Spezialisierung und haben am Ende des Tages auch noch den ganzen Menschen im Blick.
Moderator: Das Bündnis Junger Ärzte und Ärztinnen hat 2020 einen offenen Brief an die Bundesregierung geschrieben und da heißt es unter anderem:
(Infokasten)
“Schluss mit den endlosen Dokumentationen zur Begründung von medizinischen Selbstverständlichkeiten. Wir Ärztinnen und Ärzte benötigen Zeit für unsere Patienten.”
(Infokasten Ende)
Moderator: Was ist dir mit Blick auf die Zeit für Patientinnen und Patienten besonders wichtig?
Dr. Cornelius Weiß: Ja, also mir ist besonders wichtig, dass man den medizinischen Behandlungsprozess nicht als Aneinanderreihung von optimierbaren Prozessen begreift, so wie das ja aus der ökonomischen Sicht wäre. Sondern, dass man Medizin auch als eine gewisse Heilkunst begreift, die eben vom Individuum ausgeht. Und um das Individuum zu begreifen und dann die richtigen Maßnahmen zu ergreifen, muss ich es eben auch verstehen und um das zu verstehen, brauche ich Zeit. Und das ist in der Medizin eine der absolut essenziellsten Teile und die brauchen wir eben.
Moderator: Du befasst dich mit Psychoedukation also damit, wie man Patientinnen und Patienten und auch deren Angehörige am besten über eine Krankheit aufklären kann. Das war schon Thema deiner Doktorarbeit und darüber hast du auch ein Kapitel für ein Praxishandbuch geschrieben, warum liegt dir das Thema so am Herzen?
Dr. Cornelius Weiß: Ich glaube, im Behandlungsprozess darf man auch nicht nur isoliert den Erkrankten oder die Erkrankte sehen, sondern man ist ja immer Teil eines sozialen Komplexes, meistens eben einfach der Familie. Bei Personen, die eben eine sehr schwere Erkrankung haben, gibt es immer Angehörige, die eben auch mit betroffen sind. Einmal sind sie mit betroffen, weil sie auch zum Beispiel traurig sind oder eben auch Belastungen haben dadurch, dass der Betroffene erkrankt ist, aber sie helfen ja auch Ressourcen zu mobilisieren, um eben in den Heilungsprozess eben schneller voranzukommen. Und das ist ein kompliziertes Thema, für das wir wahrscheinlich auch einen eigenen Podcast Folge machen müssten.
Moderator: Sehr gerne immer.
Dr. Cornelius Weiß: Aber auch hier hat es eben auch philosophische Komponente, dass Krankheit halt eben einfach mehr ist als eine Dysfunktion an einer einzigen Stelle, sondern es ist eben auch das Individuum ist Teil eines Systems. Und genau, das klingt jetzt alles höchst wissenschaftlich, aber ich hab das zum Beispiel ganz konkret gemacht für die gesunden Geschwisterkinder von an Krebs erkrankten Kindern. Um das jetzt an einem ganz konkreten Beispiel mal zu illustrieren, weil in dem familiären System, wenn das eine Kind erkrankt ist und das andere Geschwisterkind ist gesund, dann gibt es so ziemlich für jeden aus der Familie Angebote, um ihn in dieser speziellen Situation abzuholen. Also für die Mutter gibt es natürlich ein seelsorgerisches Konzept.
Der Vater besinnt sich auf seine Aufgaben und wird aber auch abgeholt. Auch wenn es ein sehr traditionelles Verständnis ist, zeigt die Forschung, dass es aktuell immer noch so ist, dass die Mutter halt die emotionale Care-Arbeit übernimmt und der Vater versucht eben durch Job und Haushalt irgendwie alles irgendwie beieinander zu halten. Und wer eben so ein bisschen hinten immer herunterfällt, ist das Geschwisterkind das gesunde, weil das als einziger Teilnehmer der Familie immer funktionieren muss. Auch immer unter dem moralischen Damoklesschwert, dass es ihm ja gut gehe. Und wie könne es sich anmaßen quasi – ich überspitzt das jetzt selber – selber Bedürfnisse zu haben, wo es doch dem Geschwisterkind so schlecht ginge.
Und aus der Forschung wissen wir, dass auch diese gesunden Geschwisterkinder eine erhöhte Prädisposition – also Wahrscheinlichkeit – haben, an einer Depression zu erkranken und auch sogar für eine posttraumatische Belastungsstörung. Und für diese Kinder habe ich eben eine Maßnahme entwickelt, um mit der Erkrankung besser umzugehen, um zu lernen: Was ist denn Krebs? Was bedeutet das für mich? Wie wird das behandelt und wie kann ich in meiner Familie damit umgehen?
Moderator: Cornelius, du bist Facharzt, engagierst dich aktiv, übernimmst ein Ehrenamt für Demenzpatientinnen und -patienten und hast ein Buch geschrieben. Ja, dein Klinikalltag mit so 60 Stunden hat dich vielleicht konditioniert auf diese Zeit, du bist im Modus drinnen geblieben. Wie schaffst du das alles unter einen Hut zu bringen?
Dr. Cornelius Weiß: Ja, also es ist natürlich so, dass man ein gewisses Zeitmanagement braucht, aber was mir so ein bisschen zugutekommt, ist, dass ich ich bin wirklich extremer Frühaufsteher und ich habe morgens meine guten Stunden. Das heißt, ich habe, wenn ich so Projekte hab, die irgendwie sehr viel kognitive Ressourcen erfordern, wie jetzt zum Beispiel so ein Buch zu schreiben oder andere Dinge, dann habe ich die tatsächlich jetzt ganz oft und ganz lange immer vor der Arbeit gemacht, und da bin ich noch frisch. Weil am Nachmittag ist mit mir eigentlich nicht mehr so viel anzufangen und seit wir auch eine kleine Tochter haben, hat die natürlich auch alle Nachmittage und Wochenenden gepachtet und das ist auch gut so.
Und ja, also ich will auch gar nicht so tun, als ob das alles super einfach wäre, sondern man muss auf jeden Fall priorisieren und es gibt auch Tage, da klappt das auch alles überhaupt nicht, aber im Schnitt klappts ganz gut und ich glaube, wenn man so eine gewisse Leidenschaft für bestimmte Dinge hat, dann funktioniert das auch. Viel mehr so superclevere Tipps kann ich eigentlich gar nicht ausgeben, außer dass man ...
Moderator: Aber das sind doch schon einige Tipps.
Dr. Cornelius Weiß: ... einfach so viel Spaß daran haben muss, dass man es macht, ja.
Moderator: Du bist gut durchorganisiert. Wie schaltest du nach der Arbeit dann ab? So auch als Tipp für alle anderen.
Dr. Cornelius Weiß: Abschalten, also da kann ich auch nur aus grauen Vortagen erzählen, weil nach der Arbeit geht es dann erst richtig los mit Kindern und so. Aber das ist auch, muss ich sagen, das ist das größte Seelenbalsam, weil man dann erst versteht, wofür man das alles so eigentlich dann tatsächlich macht und um was es im Leben denn wirklich geht. Man müsste ja eigentlich meinen, dass wenn man im Krankenhaus arbeitet und Leben und Tod und Trauer und Schicksale alles auch an einem Arbeitstag gesehen hat, dass man so eine Idee davon hat, um was es im Leben geht – und das stimmt auch, dass man das im Kopf versteht. Aber zumindest bei mir ist es so, ich will da niemandem etwas absprechen, wenn es anders bei ihm ist. Aber bei mir war das so, dass ich auch erst durch eigene Kinder verstanden habe, also mit dem Herzen verstanden habe, um was es geht. Und das hilft mir so ein bisschen, meine Mitte zu wahren.
Moderator: Auf einmal nimmt man den Planeten bewusster wahr und sieht, wie endlich das doch alles ist. So, zum Abschluss würde ich gerne ein kleines Spiel mit dir spielen. Ich gebe dir einen Satz vor und den vervollständigst du dann. Magst du mitmachen?
Dr. Cornelius Weiß: Klar
Moderator: Dein Arbeitsalltag in drei Worten?
Dr. Cornelius Weiß: Viel, spannend, unerwartet.
Moderator: Dein Vorbild ist oder sind?
Dr. Cornelius Weiß: Ja, also das eine Vorbild habe ich jetzt nicht, was mich jetzt durch mein Leben irgendwie begleitet hat, außer natürlich die beeindruckenden Persönlichkeiten, die man aus der Familie natürlich kennt, aber da hat man natürlich einen gewissen Bias muss man sagen. Aber es waren immer mal wieder ganz spannende Zitate oder auch Persönlichkeiten, die mich nur einen Teil von meinem Leben begleitet haben. Was ein ganz, ganz cleveres Zitat war, was auch so ein bisschen eine Vorbildfunktion für mich hatte ist: „Zuhause ist da, wo man dich vermisst, wenn du nicht da bist“ oder in Abwandlung „Zuhause ist da, wo man merkt, wenn du nicht da bist“. Und so gab es ganz viele kleine Steine, die ich mir als Vorbild genommen habe.
Moderator: Ich gehe gerne zur Arbeit, weil ...
Dr. Cornelius Weiß: … man nie weiß, was passiert.
Moderator: Vielen Dank Dr.Cornelius Weiß, Facharzt für Innere Medizin. Das fand ich sehr interessant.
Dr. Cornelius Weiß: Vielen Dank für die Einladung und ich freue mich, wenn wir irgendwann wieder mal quatschen.
Moderator: Und weiterhin viel Erfolg beim Engagement für die jungen Ärztinnen und Ärzte.
Dr. Cornelius Weiß: Absolut.
(Trenner)
Moderator: Das war's mit dem zweiten Teil über die Gesundheitssituation von Ärztinnen und Ärzten. In den Show Notes findet ihr Links zum Thema, genauso wie auf der Website der BGW unter www.bgw-online.de/podcast. Dort gibt es auch alle weiteren Podcast Folgen. Überhaupt gibt es die überall, wo es Podcasts gibt. Alles Gute.
(Outro: Herzschlag für ein gesundes Berufsleben – der BGW Podcast)
Interviewgäste
Dr. Cornelius Weiß
Facharzt für Innere Medizin
Vorstandsmitglied im Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten
Delegierter der Ärztekammer Hessen (u.a. Stv. Vorsitzender Ausschuss ärztlicher Nachwuchs)
Mitgründer Bündnis Junger Internisten
Dr. Cornelius Weiß auf Instagram
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