Umgang mit Aggression und Gewalt gegen Pflegekräfte #02 BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben"
Gewalt gegen Beschäftigte am Arbeitsplatz ist ein weitverbreitetes Problem, das in sehr unterschiedlichen Formen auftritt. Entsprechend vielfältig sind auch die Folgen für die Betroffenen und die Unternehmen.
Wie kann die Gefahr vermindert und wie betroffenen Menschen geholfen werden? Wie unterstützt die BGW bei der Gewaltprävention und Nachsorge?
Zum Vorbeugen von Gewalt gegen Beschäftigte sind technische, organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen notwendig. Welche das sind und welche weiteren Maßnahmen sich anbieten, erfahren Sie in dieser Podcast-Folge.
Hier kommen Sie zum Transkript dieser Folge
Block 01: Begrüßung und Einleitung
Moderator: Hallo, hier ist Ralf Podszus vom Podcast Herzschlag für ein gesundes Berufsleben. Das ist der Podcast der BGW, der Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege. Wie entstehen Aggressionen und Gewalt gegen Pflegekräfte und wie können solche Gefahren verhindert werden? Darüber sprechen wir in dieser Podcastfolge. Dafür haben wir uns unter anderem mit Hannah unterhalten. Sie ist Altenpflegerin und hat bereits mit Aggressionen und Gewalt am Arbeitsplatz zu tun gehabt.
Hannah: In der Altenpflege passiert ganz viel, wenn die Menschen durcheinander sind oder wenn sie hilflos sind, werden die dann ganz oft brutal, schlagen mit dem Stock nach den Mitarbeitern, kneifen, schreien. Das ist ganz furchtbar, auch für die Mitarbeiter, die den Menschen ja was Gutes tun wollen.
Moderator: So wie Hanna geht es vielen Menschen in Pflegeberufen in Deutschland. Sie haben Aggressionen oder Gewalt am Arbeitsplatz erfahren. Ein großes Problem mit teilweise gravierenden Folgen für die Betroffenen. Und darüber sprechen wir in dieser Folge mit einer Expertin der BGW. Sie sagt uns, wie Betroffene nach Gewaltvorfällen geholfen werden kann und wir stellen vor, wie die BGW bei der Gewaltprävention und Nachsorge unterstützt.
Block 02: Interview mit Hannah und Claudia Vaupel
Moderator: Hannah ist seit über dreißig Jahren in der Pflege tätig. Sie hat schon viele Situationen erlebt, in denen Aggressionen und Gewalt eine Rolle spielten und darum möchte Hannah auch nicht mit ihrem richtigen Namen in diesem Podcast genannt werden. Der Redaktion ist ihr Name bekannt.
Hannah: Heute bin ich in der Altenpflege tätig und die Mitarbeiter müssen Tag für Tag mit Gewalt umgehen. Und was man auch nicht vergessen darf ist die verbale Gewalt, die Schimpfworte, die da fallen. Dieses wenig Wertschätzende dem Mitarbeiter gegenüber. Also ich glaube, Gewalt ist leider ein Thema, das uns immer begleiten wird.
Moderator: In einer Studie der BGW und eines Forschungsinstituts des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf gaben knapp achtzig Prozent der rund zweitausend befragten Beschäftigten aus Altenpflege, Krankenhäusern und Behindertenhilfe an, in den vorangegangenen zwölf Monaten am Arbeitsplatz Gewalt erlebt zu haben. Hannah meint deshalb, dass sich etwas ändern muss.
Hannah: Ich glaube, es ist Zeit, dass wir uns was Anderes überlegen und dass wir auch einsehen, dass so ein Mitarbeiter eine Psychohygiene braucht. Ein Mitarbeiter muss das verkraften und verarbeiten. Und wenn Sie sich jetzt vorstellen, Sie werden an Ihrem Arbeitsplatz beschimpft, Sie haben immer das Gefühl, Sie werden der Sache nicht gerecht, geben Sie irgendwann auf. Und da gilt es einzuschreiten.
Moderator: Auch das zeigt, Gewalt am Arbeitsplatz ist kein Einzelfall, sondern ein weit verbreitetes Problem, das in sehr unterschiedlichen Formen auftritt. Entsprechend vielfältig sind auch die Folgen für die Betroffenen und die Unternehmen. Pflegekräfte in einem Altenheim, welche zum Beispiel einen Menschen mit einer Demenzerkrankung behandeln, sind anderen Risiken ausgesetzt als beispielsweise Beschäftigte in der Jugendhilfe, die einen jungen, wilden, körperlich starken Menschen zu betreuen haben. Claudia Vaupel von der BGW ist Psycho-Traumatologin. Sie beschäftigt sich seit fast zwei Jahrzehnten mit den Themen Aggression und Gewalt am Arbeitsplatz und deren Folgen.
Claudia Vaupel: Arbeitsbereiche, die besonders anfällig für Gewalt sind, sind alle die, die mit direkter Not von Menschen halt eben zu tun haben. Das kann im Krankenhaus eine Notaufnahme sein, wo Patienten kommen, die halt einfach große Ängste und Sorgen um ihr eigenes Leben haben. Oder aber in psychiatrischen Kliniken. Da gehört bei vielen Störungen Aggression mit zum Störungsbild aber unsere Untersuchungen durch Studien haben auch gezeigt, dass sich diese Vorkommnis-Zahlen durch alle Bereiche des Gesundheitswesens ziehen – also auch geriatrische Einrichtungen und Behinderten-Einrichtungen.
Moderator: Vorherrschend sind hier allerdings nicht Gewalt unter Kollegen sondern Übergriffe durch beispielsweise Betreute, Kunden, Patienten, deren Angehörige oder Schüler.Studien zeigen, dass sich zwei Drittel der Betroffenen von Gewalterfahrungen am Arbeitsplatz psychisch belastet fühlen, ein Drittel sogar sehr stark. Die Auswirkungen von Aggressionen und Gewalt sind dramatisch.
Claudia Vaupel: Erkrankungen, die als Folge von Gewalterfahrungen auftreten sind nicht nur körperliche Verletzungen, sondern vor allem auch seelische Verletzungen. Unsere Studien haben da eine Vielzahl von Reaktionen ergeben, also Selbstzweifel, Schuld, Scham, starke Verunsicherung bis hin zu Wut, Ärger und einer Resignation. Es kann aber auch zu einer Vielzahl von ernsthaften behandlungsbedürftigen psychischen Störungen kommen und da halt auch das ganze Spektrum von der Depression bis hin zur posttraumatischen Belastungsstörung. Und diese Störungen sind einhergehend häufig auch mit körperlichen Symptomen wie Schlaflosigkeit und Bluthochdruck durch eben diese ständige Wachsamkeit oder Übererregung. Also es geht tatsächlich um sehr weitreichende Folgen und auch komplexe Störungsbilder.
Moderator: Nach einem Gewalterlebnis hat die persönliche Sicherheit der Betroffenen höchste Priorität. Es ist wichtig, dass die Betriebe für eine angstfreie Atmosphäre sorgen. Sollte eine ärztliche Behandlung notwendig sein, erfolgt diese beim Durchgangsarzt oder der Durchgangsärztin, da es sich in der Regel um einen Arbeitsunfall handelt. Wichtig ist, jeder Übergriff muss im Betrieb dokumentiert werden und das aus mehreren Gründen. Zum Beispiel, um auch kleinere Vorfälle nachweisen zu können, wenn sich bei dem Betroffenen erst später Behandlungsbedarf zeigt und es dann um den Versicherungsschutz geht. Weiter hilft die Dokumentation von Gewaltvorfällen beim Weiterentwickeln der Präventionsarbeit vor Ort. Und deshalb ist es zusammengefasst wichtig, dass die Beschäftigten und die Betriebe solche Vorfälle ernst nehmen, denn die möglichen Folgen eines Gewalterlebnisses sind weitreichend, sagt Claudia Vaupel.
Claudia Vaupel: Die Folgen sind vielfältig. Wir beobachten häufig, dass immer wieder unterschätzt wird, dass in pflegerischen oder helfenden Berufen die Tendenz besteht, diese Gewaltereignisse nicht zu melden und auch für sich zu bagatellisieren. Die Beschäftigten denken dann „Hätte ich das richtige pädagogische Konzept angewandt, wäre das nicht passiert“ oder sie empfinden das als ihr eigenes Versagen. Das führt dann dazu, dass sie quasi still leiden und das führt dann häufig zu so einer innerlichen Distanzierung von der eigenen Tätigkeit, so eine Art innere Kündigung und dann verschlechtert sich natürlich das Verhältnis zu den zu Betreuenden. Deswegen ist das sehr wichtig, dass das jedem bewusst ist, dass bereits auch verbale Gewalt und Bedrohung in einer Verschlechterung der Arbeitsbeziehung sich auswirken können und insgesamt in der Qualität der Arbeit. Und somit ist es auch ein nicht nur individuelles Problem, sondern auch ein gesellschaftliches.
Moderator: Wenn es einen Übergriff im Arbeitsleben gegeben hat, darf dieser nicht einfach hingenommen oder verschwiegen werden. Ein aktives Vorgehen dagegen und auch die Nachsorge sind extrem wichtig.
Claudia Vaupel: Kein Arbeitnehmer und keine Arbeitnehmerin muss Gewalt und Übergriffe und Beleidigungen hinnehmen. Wie für alle anderen arbeitsbedingten Gefährdungen und Belastungen gilt auch hier: Beschäftigte haben einen Anspruch auf den Schutz ihrer Gesundheit am Arbeitsplatz und auch auf eine Gestaltung der Arbeit, die sich am Menschen orientiert. Und das heißt halt auch, ohne Gefühle von Angst zum Beispiel arbeiten zu können. Der Dreh- und Angelpunkt ist der Aufbau eines systematischen Gewalt-Präventionsmanagements in den Betrieben und dazu ist die psychische Gefährdungsbeurteilung das zentrale Instrument und wenn Gewaltereignisse nicht auszuschließen sind, dann entsteht daraus ein Handlungsbedarf. Und aus diesen Überlegungen heraus entscheidet dann der Betrieb, welche Maßnahmen sie zum Schutz ihrer Beschäftigten ergreifen müssen. Und das ist je nach Einrichtung halt unterschiedlich, weil die betrieblichen Rahmenbedingungen unterschiedlich sind. Also es gibt stationäre Settings oder eben ein ambulanter Dienst, wo man zum Patienten nach Hause fährt, und deshalb müssen die Maßnahmen da auch passgenau sein. Am besten ist es tatsächlich die Beschäftigten mit einzubinden, weil die am ehesten wissen, wie sich Ereignisse verhindern lassen.
Moderator: Auch die BGW unterstützt ihre Versicherten nach einem Gewaltvorfall, zum Beispiel durch eine schnelle Vermittlung von psychotherapeutischen Gesprächen und der Möglichkeit einer anschließenden Kurzzeittherapie, um die Geschehnisse verarbeiten zu können.
Claudia Vaupel: Wir als BGW können nur helfen, wenn wir das gemeldet bekommen und wir vermitteln dann über unser Netzwerk qualifizierte Psychotherapeuten mit einer spezifischen Trauma-Ausbildung und dann können die Betroffenen entweder so eine telefonisch-psychologische Beratung oder aber probatorische Sitzungen vor Ort bei einem Psychotherapeuten wahrnehmen. Die Termine werden von uns sehr schnell arrangiert, meist innerhalb von einer Woche und damit sollen einfach die Belastungen reduziert werden und die Ressourcen der Betroffenen wieder aktiviert werden.
Moderator: Das oberste Ziel: Gefährdung erst gar nicht entstehen lassen. Deshalb sind Präventionsmaßnahmen wichtig. Sie reduzieren die Gefahr von Aggressionen und Gewalt am Arbeitsplatz. Studien haben gezeigt, dass sich Beschäftigte deutlich weniger stark belastet fühlen, wenn ein Betrieb bereits VOR einem Vorfall Konzepte zum Umgang mit Aggression und Gewalt gegen Beschäftigte entwickelt und umgesetzt hat. Seit mehreren Jahren unternimmt die BGW deshalb große Anstrengungen, um Betriebe durch Qualifizierungsprogramme, Fortbildungen und mit Informationsmaterial für das Thema zu sensibilisieren. Das Ziel: Betriebe und Beschäftigte präventiv vor Gewalt schützen.
Claudia Vaupel: Da geht es darum zu überlegen, welche Maßnahmen sind geeignet, um halt Gewaltereignisse zu verhindern und das können zum Beispiel Überlegungen sein, wie oft gibt eine gefährliche Alleinarbeit, sind Personen in der Nachtschicht alleine auf einer Station, wo Patienten mit hohem Aggressionspotential untergebracht sind. Oder eben aber auch personenbezogene Schutzmaßnahmen, wie sicher sind denn die Beschäftigten im Umgang mit herausfordernden Klienten, denkt man auch an neue Praktikanten und Azubis, dass die entsprechend darüber geschult sind und sind Beschäftigte in Deeskalation ausgebildet? Das effektivste ist einfach, diese Maßnahmen ineinander zu verzahnen und ein Konzept zu erarbeiten, dass halt alle Aspekte also der Prävention, des Notfall-Managements, also das heißt, was mach ich im Falle, wenn was passiert ist und aber auch der Nachsorge – wer kümmert sich dann um die Mitarbeiter, wenn es ihnen nicht gutgeht – alles ineinander integriert.
Block 03: Verabschiedung
Moderator: Aggressionen und Gewalt sind kein schönes, aber ein wichtiges Thema, denn es ist ein weitverbreitetes Problem, das in sehr unterschiedlichen Formen auftritt. Entsprechend vielfältig sind auch die Folgen für die Betroffenen und die Unternehmen. Zur Vermeidung von Gewalt sind technische, organisatorische und persönliche Schutzmaßnahmen notwendig. Der Einsatz von ausgebildeten Deeskalationstrainerinnen und -trainern in besonders betroffenen Bereichen kann hilfreich sein. Die BGW bietet Betrieben vielfältige Unterstützung bei der Prävention. Für Opfer von psychischer und physischer Gewalt am Arbeitsplatz hat die gesetzliche Unfallversicherung in Deutschland ein spezielles Psychotherapeutenverfahren entwickelt. Weitere Informationen der BGW zum professionellen Umgang mit Gewalt und Aggressionen gegen Beschäftigte finden Sie auf der Internetseite www.bgw-online.de/gewalt. Vielleicht haben Sie bei sich im Unternehmen ja schon selber Erfahrungen mit diesem Thema gemacht und möchten uns davon berichten oder Sie haben einen Themenvorschlag für eine unserer nächsten Podcastfolgen auf. Dann melden Sie sich gerne bei uns. Wir freuen uns über Ihre Rückmeldung und Anregung und nehmen sie gerne in einer unserer nächsten Podcastfolgen auf. Schreiben Sie einfach eine Mail an podcast@bgw-online.de. Das war es für heute. Schön, dass sie dabei waren.
(Outro - Herzschlag, für ein gesundes Berufsleben. Der BGW-Podcast)
Die Interviewgäste
Claudia Vaupel
Dipl. Psychologin, Verkehrspsychologin (BDP), Notfallpsychologin und Traumapsychologin - BGW
Hannah (Name durch die Redaktion geändert)
Altenpflegerin
Für unseren BGW-Podcast "Herzschlag - Für ein gesundes Berufsleben" nutzen wir den Podcast-Hosting-Dienst Podigee des Anbieters Podigee GmbH, Schlesische Straße 20, 10997 Berlin, Deutschland. Die Podcasts werden dabei von Podigee geladen oder über Podigee übertragen.
Wenn Sie unseren Podcast anhören, erfolgt eine Datenverarbeitung auf Grundlage unserer berechtigten Interessen, d.h. Interesse an einer sicheren und effizienten Bereitstellung, Analyse sowie Optimierung unseres Podcastangebotes gem. Art. 6 Abs. 1 lit. f. DSGVO.
Podigee verarbeitet dann IP-Adressen und Geräteinformationen, um Podcast-Downloads/ Wiedergaben zu ermöglichen und statistische Daten, wie zum Beispiel Abrufzahlen zu ermitteln. Diese Daten werden vor der Speicherung in der Datenbank von Podigee anonymisiert oder pseudonymisiert, sofern Sie für die Bereitstellung der Podcasts nicht erforderlich sind.
Weitere Informationen und Widerspruchsmöglichkeiten finden sich in der Datenschutzerklärung von Podigee: podigee.com/de/about/privacy/.