Lärm ist ein Dauerbrenner im betrieblichen Arbeitsschutz. Wie kommen Unternehmen der tatsächlichen Lärmbelastung auf die Spur? Welche Rolle spielt Gehörschutz bei der Prävention?
Lärmbedingte Gehörschäden stehen in der Statistik der anerkannten Berufskrankheiten weit oben. Ursächlich für diese Schwerhörigkeiten sind langjährige sehr hohe Lärmeinwirkungen, wie sie zum Beispiel in der Holz- oder Metallverarbeitung, auf Baustellen oder im Garten- und Landschaftsbau vorkommen.
Doch auch schon in deutlich leiserer Umgebung kann Lärm das Wohlbefinden sowie die Leistungsfähigkeit beeinträchtigen, den Blutdruck erhöhen, Magengeschwüre oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen begünstigen und sogar ein erhöhtes Herzinfarktrisiko bewirken. Viele gute Gründe, das Thema Lärm am Arbeitsplatz aufzugreifen – und zwar nicht nur dort, wo es besonders laut ist.
Abbildung 1: Die blaue Hörschwellenlinie gibt an, ab welchem Schalldruckpegel die jeweilige Frequenz hörbar ist. Bei Personen mit leichten, mittleren oder schweren Hörverlusten ist die blaue Linie in Richtung der roten, höheren Hörschwellenlinien verschoben – für sie klingt vieles nicht mehr so gut.
Was hören wir eigentlich nicht?
Das menschliche Ohr kann Schall im Frequenzbereich von etwa 16 bis 16.000 Hertz (Hz) wahrnehmen. Abbildung 1 zeigt, wie sich das Hörfeld bei Hörverlust verkleinert – die Hörschwelle steigt, Musik oder sogar Sprache werden nicht mehr im gleichen Maße wie bei einem jungen, gesunden Menschen wahrgenommen. Durch die Verschiebung bedingte blecherne Klänge beim Hören von Musik sind oft eher hinnehmbar als kommunikative Einschränkungen. Ist der Sprachbereich betroffen, sind Hörgeschädigte – vor allem bei Nebengeräuschen oder wenn mehrere Personen gleichzeitig reden – von Gesprächen ausgeschlossen.
Egal ob im Beruf oder in der Freizeit: Schützen Sie sich vor zu hohen Lärmeinwirkungen. Gönnen Sie Ihrem Gehör unbedingt Ruhepausen, damit sich die Haarzellen im Innenohr erholen können. Denn Haarzellschäden und damit einhergehende Hörschwellenverschiebungen sind nicht heilbar!
Ralf Niggeloh
BGW-Experte
Wann drohen Gehörschäden?
Die individuelle Beeinträchtigung hängt davon ab, wie intensiv die Einwirkung von Lärm, das heißt die Lärmexposition, ist. Betrachtet werden dabei unter anderem die Tages-Lärmexpositionspegel, gemessen als energetische Durchschnittswerte über acht Stunden. Das Risiko einer lärmbedingten Gehörschädigung tragen insbesondere Personen, die langjährig Tages-Lärmexpositionspegeln von mindestens 85 dB(A) ausgesetzt waren. Schalldruckpegel, kurz: Schallpegel, werden in dB(A), sprich „Dezibel A“ angegeben. Das A steht für einen Filter im Messgerät, der Schallpegel an das Hörvermögen des menschlichen Ohres anpasst. Gehörschäden nach langjähriger hoher Exposition können als Berufskrankheit anerkannt werden, wenn auch der medizinische Befund eine Lärmschwerhörigkeit bestätigt.
Spitzenschallpegel von mindestens 150 dB(C) (mit C-Filter gemessen) können außerdem unmittelbar auftretende Gehörschäden verursachen. Bei solchen Knallereignissen handelt es sich gegebenenfalls um einen Arbeitsunfall. In Mitgliedsbetrieben der BGW kommen sie aber selten vor. Derart laut sind beispielsweise weder direkt am Gehör platzende Luftballons noch Stanzvorgänge oder Nagelschussapparate.
Messen und Maßnahmen ergreifen
Was ist zu tun, damit es am Arbeitsplatz keine gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch Lärm gibt? Entsprechend der Gefährdungsbeurteilung nach dem Arbeitsschutzgesetz und der zugeordneten Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung sind Maßnahmen nach dem TOP-Prinzip erforderlich: vorrangig technische (T), darüber hinaus organisatorische (O) und schließlich personenbezogene (P) Maßnahmen (siehe Infokasten am Ende der Seite).
Zum Beispiel müssen Unternehmen bereits ab einem Tages-Lärmexpositionspegel von 80 dB(A) Gehörschutz zur Verfügung stellen, für Unterweisungen sorgen sowie arbeitsmedizinische Vorsorgen anbieten. Ab 85 dB(A) gilt:
Benutzung des Gehörschutzes durchsetzen
arbeitsmedizinische Vorsorge gewährleisten – sie ist Pflicht
Lärmbereiche kennzeichnen, abgrenzen und Zugänge beschränken
ein Lärmminderungsprogramm aufstellen und umsetzen
Am besten beteiligen die Unternehmen beim Thema Lärm von Anfang an ihre Fachkraft für Arbeitssicherheit oder ihre Betriebsärztin beziehungsweise ihren Betriebsarzt.
Letztendlich läuft alles auf eine Frage hinaus: Welche Geräte werden in welchem Umfang eingesetzt und wie laut sind sie? Lässt sich am Arbeitsplatz nicht sicher ermitteln, ob die sogenannten Auslösewerte von 80 dB(A) oder 85 dB(A) eingehalten werden, sind Messungen erforderlich.
Wo kommen Tages-Lärmexpositionspegel über 85 dB(A) vor?
Möglich ist das zum Beispiel in diesen Arbeitsbereichen:
Holzverarbeitung
Metallverarbeitung
Garten- und Landschaftsbau
Baugewerbe
Trotz stressiger und unangenehmer Geräusche ist es nicht zu erwarten in diesen Bereichen:
Kitas
zahnärztliche Praxen
Richtig messen
Einfache Schallpegelmessgeräte kosten nicht viel. Auch Smart Watches und Mobiltelefone können mithilfe eingebauter Mikrofone und entsprechender Apps Schallpegel messen. Die Messungen hängen jedoch von vielen äußeren Einflüssen ab, zum Beispiel wie das Gerät in der Hand gehalten wird und wie weit es vom Körper entfernt ist. Ebenso wirken sich Luftbewegungen an Mikrofonen maßgeblich auf das angezeigte Ergebnis aus. Das führt in all diesen Beispielen zu Messunsicherheiten bei den ermittelten Werten, daher sind solche Geräte nicht empfehlenswert.
Professionelle Schallpegelmessgeräte können dagegen vor und nach jeder Messung kalibriert werden. Sofern die messende Person die nötige Fachkunde besitzt, erfassen sie die Schallpegel sehr genau. Messungen lassen sich ortsbezogen durchführen, zum Beispiel um Lärmbereiche zu ermitteln. Oder es wird die Exposition eines Mitarbeiters, einer Mitarbeiterin bei unterschiedlichen Tätigkeiten ermittelt.
Der Tages-Lärmexpositionspegel berechnet sich aus den Schallpegeln für alle Tätigkeitsabschnitte eines Arbeitstags. Daher sind auch kurzzeitige Aufenthalte in Lärmbereichen nicht zu unterschätzen. Als Faustregel gilt: 3 dB mehr entsprechen einer doppelten Schallenergie oder einer Halbierung der Zeit, in der es zur selben Lärmgefährdung für das Gehör kommt (siehe Abbildung 2).
Abbildung 2: Ein um 3 dB(A) höherer Schallpegel verdoppelt die Schallenergie und erhöht die Gehörgefährdung. Die entsprechend mögliche Einwirkungszeit wird also halbiert. Somit sind 85 dB(A) über 8 Stunden gleich gefährdend wie 88 dB(A) über 4 Stunden. Auf dieselbe Belastung kommen beispielsweise auch 100 dB(A) über 15 Minuten.
So klappt es mit dem Gehörschutz
Zur Auswahl des geeigneten Gehörschutzes müssen qualifizierte Schallpegelmessungen durchgeführt werden. Anhand der Herstellerangaben zum Dämmwert des Gehörschutzes lässt sich dann herausfinden, welches Modell infrage kommt. Ziel ist ein Tages-Lärmexpositionspegel im Bereich von 70 bis 80 dB(A). Geringere Werte als 70 dB(A) deuten auf eine Überprotektion hin – Warngeräusche werden womöglich nicht mehr wahrgenommen und die Sprachverständigung ist beeinträchtigt. Mitarbeitende müssen wissen und üben, wie sie den Gehörschutz richtig nutzen. Sind sie nicht ausreichend zu dessen fachgerechter Benutzung unterwiesen, müssen je nach Art des Gehörschutzes Korrekturwerte von bis zu 9 dB vom Dämmwert abgezogen werden. Genauere Informationen bietet die DGUV Information 112-194.
Was ist bei der Auswahl des Gehörschutzes noch zu beachten? Zum Beispiel die Arbeitsplatzumgebung: Stöpsel, die in den Gehörgang eingeführt werden, sind an staubreichen Arbeitsplätzen nicht geeignet. Das trifft unter anderem auf Schleifarbeiten in Metallbereichen oder in der Holzverarbeitung zu. Im Gehörgang befindliche Staubpartikel werden so weit hinein zum Trommelfell geschoben. Bei Kapselgehörschutz ist wichtig, dass er direkt am Ohr aufliegt. Er darf beispielsweise nicht über einer Kapuze getragen werden. Auch Brillenbügel können die Dämmwirkung reduzieren. Die aktuell sehr beliebten Noise-Cancelling-Kopfhörer sind übrigens nicht zu empfehlen. Sie löschen den in das Ohr eindringenden Schall durch ebenso lauten Gegenschall aus. Dabei wird jedoch der Schalleintrag über die Knochenleitung – also über den Schädelknochen direkt neben dem Ohr – nicht reduziert.
Beispiele für Maßnahmen gegen Lärm (T-O-P)
Beispiele für Maßnahmen gegen Lärm
Technische Maßnahmen (T)
Maschinen kapseln
Benzinbetriebene Geräte gegen akkubetriebene tauschen
Schallabstrahlende Oberflächen ändern
Lärmgeminderte Druckluftdüsen, Trennscheiben oder Sägeblätter einsetzen
Laute Maschinen vom Untergrund entkoppeln, um die Körperschallübertragung zu reduzieren
Organisatorische Maßnahmen (O)
Lärmpausen und Job-Rotation einplanen
Wartungspläne und Betriebsanweisungen erstellen
Arbeitsmedizinische Vorsorge planen
Personenbezogene Maßnahmen (P)
Unterweisungen durchführen
Geeigneten Gehörschutz zur Verfügung stellen und Nutzung durchsetzen