Konflikte lösen - Mobbing verhindern BGW magazin - 2/2021
Es kann jeden und jede treffen: Mobbing findet in allen Branchen statt, geht von Menschen aller Bildungsgrade und Hierarchieebenen aus. Die Folgen für Unternehmen und Beschäftigte sind gravierend: Das Betriebsklima leidet, vier von fünf Betroffenen verlassen den Arbeitsplatz. Die gute Nachricht: Mobbing und Mobbingursachen lassen sich bekämpfen. Eine Schlüsselrolle kommt dabei Führungskräften zu.
Zwei Mitarbeiterinnen geraten wiederholt aneinander, werfen sich lautstark Versäumnisse vor. Ist das Mobbing? Ein Beschäftigter vergisst ständig, die Kollegin über wichtige Entscheidungen zu informieren. Macht er das mit Absicht? Eine Leitungskraft zeigt deutlich, wen sie schätzt und wen nicht. Mobbt sie deshalb gleich alle, die sich missachtet fühlen?
Mobbing zeichnet sich aus durch:
- das systematische Vorgehen einer oder mehrerer Personen gegen jemanden
- regelmäßige Angriffe, mindestens einmal pro Woche, über ein halbes Jahr oder länger
- mehr oder weniger versteckte Handlungen wie Schikanen, Demütigungen, Intrigen oder Kränkungen
- Beeinträchtigungen der psychischen Befindlichkeit und Gesundheit
- kaum bis keine Chancen auf eine für beide Parteien zufriedenstellende Lösung
Ausgangspunkt sind häufig ungelöste Konflikte
Meist geht es in Meinungsverschiedenheiten um mehr als die bloße Deutungshoheit über Daten, Fakten, Argumente. Es geht um Gefühle: um Missachtung beispielsweise, fehlende Anerkennung oder Verletzungen, die nie angesprochen wurden. Nehmen solche "Beziehungsfragen" überhand und werden sie nicht geklärt, können sich daraus Mobbingprozesse entwickeln.
Die vier typischen Phasen von Mobbing:
- In Phase 1 vergiftet der ungelöste Konflikt mindestens eine Partei mit negativen Gefühlen und Gedanken – sie startet daraufhin erste persönliche Angriffe.
- In Phase 2 spielt der Ursprungs-Konflikt kaum noch eine Rolle. Es geht um die Person, die sich zunehmend gezielten Mobbinghandlungen ausgesetzt sieht.
- In Phase 3 werden Vorgesetzte aufmerksam und ziehen gegebenenfalls arbeitsrechtliche Konsequenzen. Die Leidtragenden sind jedoch oft die Betroffenen, nicht die Mobbing-Verursacherinnen und -Verursacher
- Phase 4 leitet den Ausschluss der betroffenen Person ein: Sie kündigt oder wird gekündigt.
Führungskräfte können mit konsequentem Konfliktmanagement verhindern, dass es so weit kommt: Zum einen sollten sie so früh wie möglich intervenieren, zum anderen liegt es an ihnen, sich kontinuierlich für die Prävention einzusetzen, sodass Konflikte gar nicht erst eskalieren.
Interventionsstrategien: Das 6-Schritte-Modell
Mobbing funktioniert über Ausgrenzung und Isolation. Diese zu überwinden ist Voraussetzung, um Konflikte zu lösen. Das 6-Schritte-Modell beschreibt ein erprobtes Vorgehen, an dem sich Vorgesetzte orientieren können.
Mobbing: 6-Schritte-Modell
Sobald Führungskräfte Kenntnis von einem Konflikt erhalten, den die Kontrahentinnen und Kontrahenten nicht aus eigener Kraft bewältigen können, sollten sie das vertrauliche Gespräch mit der betroffenen Person suchen, eventuell auch mit der Gegenseite. Ziel ist es, Lösungswege zu finden.
Spätestens nach vier Wochen sollte das vertrauliche Gespräch wiederholt werden. Zeigt sich keine Besserung, sollte mit beiden Parteien ein gemeinsames Konfliktgespräch vereinbart werden.
Die SAG-ES-Methode ermutigt beide Seiten, über ihre Wahrnehmung des Konflikts zu sprechen, ohne das Gegenüber zu verletzen. Das gelingt durch die konsequente Einhaltung der Ich-Perspektive. SAG-ES steht für:
- Sichtweise schildern:
Mir ist aufgefallen, dass …
Moderationsfrage: Was ist Ihnen aufgefallen? - Auswirkungen beschreiben:
Das bedeutet für mich, dass …
Moderationsfrage: Was bedeutet das für Sie? - Gefühle verdeutlichen:
Ich fühle mich …!
Moderationsfrage: Was fühlen Sie dabei? - Eigene Interessen formulieren:
Ich wünsche mir von Ihnen …
Moderationsfrage: Was wünschen Sie sich? - Sichtweise des anderen erfragen:
Mich interessiert, was du darüber denkst.
Moderationsfrage: Wie sehen Sie es?
Am Ende des Gesprächs liegen beide Sichtweisen offen auf dem Tisch. Das macht es möglich, gemeinsam nach Kompromissen zu suchen. Die vereinbarten Lösungen sollten schriftlich festgehalten und ein Folgetermin zur Reflexion der Fortschritte verabredet werden. Da es in dem Gespräch um tiefe Verletzungen, Verstörungen und Traumata gehen kann, setzt die Methode allerdings Mediations- und Moderationserfahrung voraus.
Kann der Konflikt durch das gemeinsame Gespräch nicht ausgeräumt werden, sind weitere Stellen einzubinden, beispielsweise die Personalabteilung oder eine externe Konfliktberatung.
Können auch Dritte nicht helfen, sollte zur professionellen Schlichtung eine externe Mediation eingeschaltet werden.
Mobbing entsteht aber nicht "einfach so". Es gedeiht, wo es auf förderliche Bedingungen im Betrieb trifft. Dazu zählen:
- hohe Arbeitsbelastung
- geringer Handlungsspielraum
- geringer Zeitspielraum bei hohen Kooperationserfordernissen
- Intransparenz von Entscheidungen
- schlechte Arbeitsorganisation
- Veränderungen in der Organisationsstruktur
- unzureichendes Führungsverhalten
- ungelöste, schwelende Konflikte
Präventionsstrategien: Mobbingfeste Strukturen im Betrieb verankern
Ungünstige Bedingungen im Betrieb bereiten den Nährboden für Mobbing. Umgekehrt heißt das aber auch, dass Unternehmen sich vor Mobbing schützen können, indem sie ihm die Basis entziehen. Es gibt viele Bausteine für eine "Anti-Mobbing-Kultur" – und Führungskräfte sind gefragt, diese aktiv mitzugestalten.
Mobbing: Bausteine Prävention
Wichtigstes Steuerungsinstrument in allen Betrieben ist die gesetzlich vorgeschriebene Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung. Mit ihrer Hilfe werden auch die Ursachen für die Entstehung von Konflikten und Mobbing analysiert und bewertet sowie Schutzmaßnahmen zur Beseitigung definiert, umgesetzt und auf ihre Wirksamkeit hin überprüft. Dabei sind unter anderem Arbeitsinhalte und -aufgaben sowie die Arbeitsorganisation in den Blick zu nehmen. Auch das betriebliche Miteinander – beispielsweise ein starker interner Wettbewerb – oder Umgebungsfaktoren wie Lärm können zu Mobbing beitragen.
Eine Betriebsvereinbarung macht allen unmissverständlich klar: Hier hat Mobbing nichts zu suchen. In der Vereinbarung wird definiert, was unter Mobbing zu verstehen ist, welche Handlungen dazu zählen und welche Konsequenzen Mobber und Mobberinnen zu erwarten haben. Zugleich beschreibt sie die Maßnahmen, die zur konkreten Bewältigung von Konflikten und zur Verbesserung des betrieblichen Klimas vorgesehen sind.
Führungskräfte aller Ebenen müssen sich ihrer Vorbildfunktion bewusst sein. Sie nehmen eine deutliche Haltung gegenüber Mobbing ein, indem sie den konstruktiven Umgang mit Konflikten vorleben, für eine offene und wertschätzende Dialog- und Fehlerkultur eintreten sowie Mitarbeitende in Entscheidungen einbinden. Sie sollten auch reflektieren, wie sich betriebliches Handeln oder Veränderungen jeweils auf das Team auswirken könnten.
Führungskräfte sind nicht allein – das Anti-Mobbing-Vorgehen ruht auf vielen Schultern. Unterstützung sollte insbesondere von Fachkräften für Arbeitssicherheit, betrieblichen Interessenvertretungen, Gleichstellungsbeauftragten sowie Betriebsärztinnen und -ärzten kommen. Auch interessierte Beschäftigte treiben das Thema voran.
Prävention wirkt durch Beteiligung: Je mehr Personen eingebunden werden und sich engagieren, desto weniger Raum bleibt für "schweigende Dritte", deren passives Verhalten sonst wesentlich dazu beitragen kann, dass Mobbingprozesse weiterlaufen.
Hilfe holen muss selbstverständlich sein. Möglich wird das mit niedrigschwelligen Beschwerdewegen und Unterstützungsangeboten, beispielsweise betriebsinternen Konflikt-Lotsinnen und -Lotsen oder einer Konfliktberatungsstelle. Solche Angebote ermutigen betroffene Personen wie auch unbeteiligte Zuschauerinnen und Zuschauer, etwas zu unternehmen. Je früher ein Konflikt bearbeitet wird, desto folgenloser lässt er sich lösen.
Mobbing lebt von Scham und Schweigen. Es verliert an Kraft, wenn Ursachen und Abläufe thematisiert und Hilfsangebote kommuniziert werden: zum Beispiel über Flyer und Broschüren, auf Betriebsversammlungen, im Intranet oder bei den jährlichen Personalgesprächen.
Die Wege zu einer konstruktiven Konfliktkultur im Betrieb sind verschieden. Doch mit den passenden Bausteinen lässt sich auch für den Fall vorsorgen, dass Führungskräfte selbst in Mobbingprozesse verstrickt sind.
So helfen insbesondere die Gefährdungsbeurteilung der psychischen Belastung, eine Betriebsvereinbarung und gemeinsame Spielregeln, Beschwerdestellen sowie das entschiedene Eingreifen der nächsthöheren Vorgesetzten, Mobbing im Keim zu ersticken
Von: Petra Bäurle