Collage: Eine Person wird frisiert, eine andere Person hält sich das Knie.

100 Jahre Schutz und Wandel BGW magazin 2/2025

Die gesetzliche Unfallversicherung deckt nicht nur Unfälle bei der Arbeit ab. Seit nunmehr 100 Jahren stehen auch Wegeunfälle sowie Berufskrankheiten unter ihrem Schutz. Die Arbeitswelt hat sich seitdem stark verändert. Was auch bei heutigen Herausforderungen wie der Covid-19-Pandemie oder neuen Formen der Mobilität geblieben ist: Wenn etwas passiert, setzen sich Berufsgenossenschaften und Unfallkassen mit allen geeigneten Mitteln dafür ein, ihre Versicherten wieder ins Berufs- und Sozialleben zu integrieren.

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Was ist eine Berufskrankheit?

Bei einem Unfall lässt sich häufig rasch klären, ob er sich bei einer beruflichen Tätigkeit ereignet hat. Dann handelt es sich um einen Arbeitsunfall. Bei Berufskrankheiten sind dagegen oft erst umfangreiche Ermittlungen nötig, um die berufliche Ursache zu bestätigen. Die Berufskrankheiten-Liste führt auf, welche Erkrankungen grundsätzlich als Berufskrankheit anerkannt werden können. "Wie eine Berufskrankheit" behandelt werden Erkrankungen, bei denen die gesetzlichen Voraussetzungen für die Aufnahme in die Liste vorliegen.

85 Erkrankungen umfasst die Berufskrankheiten-Liste (Anlage 1 der Berufskrankheiten-Verordnung) aktuell. Als "Wie-Berufskrankheit" hat das Bundessozialgericht zum Beispiel 2023 eine posttraumatische Belastungsstörung bei einem Rettungssanitäter anerkannt.

 

Eine kleine Zeitreise: Meilensteine der Unfallversicherung

Meilensteine im 19. und 20. Jahrhundert (I)

Mit der "Kaiserlichen Botschaft" begründet Kaiser Wilhelm I. die Sozialversicherung.

12. Mai 1925: Ausweitung auf Berufskrankheiten

Die erste Berufskrankheiten-Verordnung berücksichtigt vor allem Schädigungen, die durch chemische Stoffe wie Arsen, Blei, Quecksilber, Benzol und Phosphor verursacht werden. Auch Strahlenschäden durch Röntgenapparate werden einbezogen.

14. Juli 1925: Ausweitung auf Wegeunfälle

Der Weg zwischen Wohnung und Arbeitsstelle wird in den gesetzlichen Versicherungsschutz einbezogen.

Erstmals taucht auch das Prinzip "Reha vor Rente" in der Unfallversicherung auf – das heißt, der Vorrang der beruflichen und medizinischen Rehabilitation vor der Gewährung von Rentenleistungen. Leistungen der Berufsfürsorge – später: Berufshilfe, heute: Maß­nahmen zur Teilhabe am Arbeits­leben – sollen es Menschen nach Arbeitsunfällen und Berufskrankheiten ermöglichen, ins Berufs­leben zurückzukehren.

Meilensteine (II)

Der Versicherungsschutz wird auf Beschäftigte in Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege ausgeweitet.

Meilensteine (III)

Das Arbeitsschutzgesetz verpflichtet Unternehmen zur Gefährdungsbeurteilung und zu daraus abgeleiteten Schutzmaßnahmen.

 

Häufige Berufskrankheiten im Wandel der Zeit

Von Silikose bis Asbest

Von Silikose bei Covid: Berufskrankheiten im Überblick

BGW-Schwerpunktthema: Hautkrankheiten

Bild vergrößern Eine Person frisiert eine andere Person

Einblick in einen Friseursalon, 1973

In den 1950er-Jahren geht die Zahl der Hauterkrankungen bei der BGW steil nach oben. Das hat vor allem mit der Aufnahme der Friseurbetriebe in den Kreis der versicherten Unternehmen im Jahr 1951 zu tun. Teilweise werden bis zu zwei Drittel aller Fälle pro Jahr von ihnen gemeldet. Zu den Ursachen zählen der häufige Kontakt mit Wasser und Chemikalien. Die BGW leistet kontinuierlich Aufklärungsarbeit und startet 1989 ein umfassendes Präventionskonzept: Detaillierte Informationen, neue Arbeitsschutzvorschriften und die Thematisierung in den Berufsschulen machen Schutzhandschuhe, regelmäßige Hautpflege und veränderte Arbeitsabläufe "salonfähig". Zudem verschwinden schädliche Präparate – auch auf Betreiben der BGW – vom Markt. 

Die Zahl der Hauterkrankungen geht nach 1991 deutlich zurück. Darüber hinaus wird hauterkrankten Versicherten mit Angeboten zur Individualprävention der Verbleib im Beruf ermöglicht, sodass weniger Umschulungen nötig sind.

Illustration: Figur in gebückter Haltung, auf Höhe des Rückens sechs orangene Pfeile

BGW-Schwerpunktthema: Rückenerkrankungen

Erkrankungen der Wirbelsäule machen schon einige Jahre nach ihrer Aufnahme in die Liste der Berufskrankheiten (1993) rund ein Fünftel der jährlich bei der BGW eingehenden Verdachtsmeldungen aus. Mit Forschung sowie verzahnten Präventions- und Rehabilitationsmaßnahmen steuert die BGW gegen. Ein Beispiel ist das "Rückenkolleg", ein dreiwöchiges Programm in Kooperation mit berufsgenossenschaftlichen Kliniken. Es unterstützt Versicherte dabei, mit berufsbedingten Belastungen ihres Muskel-Skelett-Systems umzugehen.

Immer wichtiger: Individualprävention

Prävention, also Vorbeugung, und Rehabilitation, das heißt Unterstützung für Versicherte bei Erkrankung, sind kein "Entweder-oder". Bei der Individualprävention geht es darum, Versicherte bei berufsbedingten Beschwerden schon frühzeitig so zu unterstützen, dass sie weiter in ihrem Beruf arbeiten können. Die BGW bietet seit Langem insbesondere bei Haut- und Rückenerkrankungen entsprechende Programme an. Ziel ist es, einer Entstehung, einer Verschlimmerung oder dem erneuten Ausbruch der Krankheit entgegenzuwirken.

Covid-19 als Berufskrankheit: Monatlich gemeldete Verdachtsfälle

Die große Herausforderung: Covid-19

Die Covid-19-Pandemie stellt ab 2020 die gesetzliche Unfallversicherung und im Besonderen die BGW vor ihre bisher größte Herausforderung. Zuvor gingen jährlich etwa 1.000 Verdachtsmeldungen auf beruflich bedingte Infektionskrankheiten bei der BGW ein. In Hochphasen der Pandemie erreichen die BGW bis zu 8.000 Covid-19-Meldungen – pro Woche.

Diese Anzeigen des Verdachts auf eine Berufskrankheit gingen 2024 bei der BGW ein:

Bild vergrößern Tortengrafik "Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit": 29,87 % COVID-19: 4.475 (2023: 53.558), 7,59 % Weitere Infektionskrankheiten: 1.138 (2023: 989), 31,95 % Hauterkrankungen: 4.787 (2023: 5.104), 19,65 % Wirbelsäulenerkrankungen: 2.945 (2023: 3.100), 1,67 % Atemwegserkrankungen: 250 (2023: 217), 9,25 % Sonstige Krankheiten: 1.386 (2023: 1.783)

Diagramm: Anzeigen auf Verdacht einer Berufskrankheit 2024 im Vergleich zu 2023 (meldepflichtige Fälle)

  • Infektionen insgesamt: 5.613
    • darunter Covid-19: 4.475 (–91,6 % gegenüber Vorjahr)
  • Haut: 4.787
  • Wirbelsäule: 2.945
  • Atemwege: 250
  • Sonstige: 1.386

 

Wegeunfälle im Wandel

Illustration: Figur die hinfällt, auf Höhe des Steißes sechs orangene Pfeile

Schon Anfang der 1950er-Jahre beginnt mit der zunehmenden Motorisierung die Zahl der Unfälle auf dem Weg zur Arbeit und zurück zu steigen. Die BGW verzeichnet bis heute, umgerechnet auf die Zahl der Versicherten, etwas mehr Wegeunfälle als andere Berufsgenossenschaften und Unfallkassen.

Person auf E-Scooter

Wegeunfälle passieren eher zwischen 6 und 8 Uhr morgens und im Herbst und Winter.

Zusätzlich zur langjährigen Kooperation mit dem Deutschen Verkehrssicherheitsrat (DVR) verstärkt die BGW ab Anfang der 1990er-Jahre ihr Engagement in Sachen Verkehrs­sicherheit. Aktionen, Mobilitätstrainings und Handlungshilfen unterstützen Unternehmen dabei, Beschäftigte zu sensibilisieren und die betriebliche Mobilität sicher zu gestalten. Zunehmend rücken auch neue Themenfelder in den Mittelpunkt – bis hin zum Verzicht auf Handynutzung im Straßenverkehr oder zum Umgang mit E-Bikes und E-Scootern.

Im Jahr 2024 machten Wegeunfälle rund ein Drittel der Entschädigungsleistungen aus, die von der BGW für berufsbedingte Krankheiten und Unfälle gezahlt werden. Die Unfallmeldungen häufen sich vor allem im Herbst und Winter. Bei Nässe, Glätte und Dunkelheit kommt es auch zu vielen Unfällen ohne Beteiligung am Straßenverkehr, beispielsweise wenn jemand auf einem Weg ausrutscht oder auf einem privaten Parkplatz die Kontrolle über sein Fahrzeug verliert.

 

Wegeunfälle 2024 nach Art des Unfallgeschehens 1

  • Stolper-, Rutsch- und Sturzunfälle: 31,6 %
  • Unfälle beim Führen eines Kfz: 25,9 %
  • Unfälle beim Führen eines Fahrrads, E-Bikes, E-Scooters, Motorrads etc.: 23,0 %
  • Abstürzen, Abspringen: 2,4 %
  • Gewalt, Angriff, Bedrohung durch andere Personen: 0,3 %

Versicherungsfälle bei der BGW im Jahr 2024: insgesamt 130.079

  • 36.545 Wegeunfälle 2
  • 78.553 Arbeitsunfälle 2
  • 14.981 Berufskrankheiten 3

Mehr wissen: Zahlen zum Versicherungsgeschehen bei der BGW

 

Artikel mit Material aus „Für ein gesundes Berufsleben. Seit 75 Jahren Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege“. Hamburg, 2004.

 

Von: Anja Hanssen

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