
Was ist versichert? Fallbeispiele und Urteile zum Versicherungsschutz
Ist ein Unfall im Homeoffice versichert? Gilt der Schutz für Wegeunfälle auch, wenn unterwegs noch schnell private Post eingeworfen wird? Bin ich beim Probearbeiten versichert?
Hier stellen wir in loser Folge Gerichtsurteile vor und geben Hintergrundinformationen.
Versicherungsschutz
Urteile: Versicherungsfälle
Wer die Personaltoiletten zur Verrichtung der Notdurft aufsucht, steht dort nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Mit diesem Urteil ist das Landessozialgericht Stuttgart der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts gefolgt. Die Klägerin war auf nassem Boden zwischen Waschraum und Toilettenkabinen ausgerutscht. Das Verrichten der Notdurft und der damit verbundene Aufenthalt in den entsprechenden Räumlichkeiten zählen zur persönlichen, eigenwirtschaftlichen Sphäre – sie sind nicht Teil der versicherten Tätigkeit. Anders ist es mit dem Weg bis zur Außentür der Toilettenanlage: Dieser steht ausnahmsweise unter Versicherungsschutz, da er sich aus den betrieblichen Umständen der Tätigkeit ergibt. Im konkreten Fall hatte auch der nasse Fußboden keinen Einfluss auf das Urteil. In Toilettenräumen ist das nämlich nicht als besondere Betriebsgefahr anzusehen (30.4.2020, L 10 U 2537/18).
Wer auf dem Weg zur Arbeit oder zurück tankt, ist dabei nicht versichert. Das stellte das Bundessozialgericht klar. Die Klägerin fuhr regelmäßig die 75 Kilometer zwischen ihrer Wohnung und dem Arbeitsplatz. Auf dem Heimweg reichte ihre Tankfüllung nicht mehr aus. Beim Tanken stürzte sie und brach sich das Sprunggelenk. Zwar steht die Fahrt unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, beim Tankvorgang überwiegt aber das privatwirtschaftliche Interesse, entschied das Gericht. Das gilt auch, wenn der versicherte Arbeitsweg nur mit Tanken beendet werden kann. Schließlich treffe jede Person für sich selbst die Entscheidung, wann oder wie vorausschauend getankt wird (30.01.2020, B 2 U 9/18 R).
Ein Entsorgungsunternehmen einigte sich mit einem Bewerber auf einen unentgeltlichen "Probetag". Dabei stürzte der Kläger vom Lkw, den er fahren sollte. Das Bundessozialgericht urteilte, dass er dabei unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stand. Er war zwar kein Beschäftigter, übernahm aber eine Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert für das Unternehmen. Dieses wollte eine geeignete Arbeitskraft finden und ließ ihn eine Tätigkeit verrichten, die üblicherweise von Beschäftigten erbracht wird. Der Bewerber war deshalb als "Wie-Beschäftigter" anzusehen (27.08.2019, Az. B 2 U 1/18 R).
Die Entscheidung macht deutlich, dass es beim Probearbeiten auf die konkreten Tätigkeiten ankommt. Häufig geht es nur um ein unverbindliches Kennenlernen, ganz ohne Verpflichtungen oder Einbindung in tatsächliche Arbeitsabläufe. Dann besteht in der Regel kein Schutz über die gesetzliche Unfallversicherung. Denn wie ein Vorstellungsgespräch fällt das gegenseitige "Beschnuppern" in den eigenwirtschaftlichen Bereich, der nicht versichert ist. Arbeitet jemand am Probetag aktiv mit und unterliegt somit auch den Weisungen des Unternehmens, kann dagegen Versicherungsschutz bestehen.
Ein freiwillig versicherter Werkstattbesitzer stolperte bei der Arbeit über seinen Hund. Der biss zu. Während der Stolperunfall an sich ein Versicherungsfall sein kann, stehen die Folgen des Hundebisses nicht unter Versicherungsschutz, entschied das Landessozialgericht Baden-Württemberg. Beim Biss überwogen die privaten Ursachen – der Unternehmer hatte durch die Anwesenheit seines eigenen Hundes das Risiko überhaupt erst geschaffen (21.03.2019, Az. L 6 U 3979/18).
Ein Gesundheitsrisiko im Homeoffice, das von der eigenen Vogelzucht ausgeht, ist nicht durch die gesetzliche Unfallversicherung abgedeckt. Das Landessozialgericht Mecklenburg-Vorpommern wies eine Berufung gegen eine entsprechende Entscheidung der Vorinstanz als unbegründet ab. Der Kläger hatte wöchentlich jeweils mehrere Stunden in einem Raum seines Hauses gearbeitet, in dem Vögel in Volieren gehalten wurden. Er entwickelt eine allergisch bedingte Entzündung des Lungengewebes und beantragte eine Anerkennung als Berufskrankheit. Da im Homeoffice aber nicht generell von einer Gefährdung durch Vögel auszugehen ist, wurde sein Antrag abgewiesen. Berufskrankheiten seien Krankheiten, die Versicherte aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit erleiden, so das Gericht. (03.07.2019, Az. L 5 U 29/18)
Die Teilnahme an einer Abendveranstaltung auf einem Volksfest gehört nicht mehr zum versicherten Teil einer betrieblichen Fortbildung, entschied das Landessozialgericht Erfurt. Der Kläger nahm an einer Fortbildung in der Nähe von Stuttgart teil. Abends stand ein gemeinsamer Besuch der Cannstatter Wasn auf dem Programm, bei dem er stürzte. Auch wenn der Arbeitgeber die Kosten für die Abendveranstaltung übernommen habe und sie in der Einladung zur Fortbildung angekündigt wurde, falle sie in den eigenwirtschaftlichen Bereich, so das Gericht. Aus dem Programm und den Gesamtumständen werde deutlich, dass der Volksfestbesuch allein dem geselligen Zusammensein diente. Es handele sich nicht um eine betriebliche Gemeinschaftsveranstaltung wie zum Beispiel ein Betriebsfest oder eine Weihnachtsfeier. (21.11.2019, Az. L 1 U 1590/18)
Hält sich jemand länger an einem anderen Ort als zu Hause auf, steht der Weg von dort zur Arbeitsstätte generell unter Versicherungsschutz, stellte das Bundessozialgericht in zwei Urteilen fest und änderte damit seine bisherige Rechtsprechung.
In einem Fall hatte der Kläger in der Wohnung seiner Freundin übernachtet, die deutlich weiter entfernt von seiner Arbeitsstätte lag (30.01.2020, Az. B 2 U 2/18 R). Im anderen Fall fuhr der Kläger von der Wohnung eines Freundes zur Arbeit (30.01.2020, Az. B 2 U 20/18 R). Das Gericht stellte klar, dass die Entfernung zur Arbeitsstätte keine Rolle spielt. Ausschlaggebend sei vielmehr die Handlungstendenz – also das Ziel, die Arbeit aufzunehmen. Ausgangspunkt des Arbeitsweges könne damit anstelle des eigenen häuslichen Bereichs auch ein "dritter Ort" sein, sofern der Aufenthalt dort länger als zwei Stunden gedauert habe.
Ist die Ablenkung durch private Handynutzung wesentliche Ursache für einen Unfall auf dem Arbeitsweg, besteht kein Versicherungsschutz, so ein Urteil des Sozialgerichts Frankfurt. Die Klägerin war nach Hause unterwegs und telefonierte, während sie einen unbeschrankten Bahnübergang überquerte. Sie wurde von einer U-Bahn erfasst und schwer verletzt. Zwar handelte es sich um einen versicherten Weg, doch das gleichzeitige private und damit unversicherte Telefonieren habe ein zusätzliches, erhebliches Risiko geschaffen und maßgeblich zu dem Unfall geführt. (18.10.2018, Az. S 8 U 207/16)
Eine Beschäftigte war auf einer Messe und wurde gebeten, ihren Geschäftsführer anzurufen. Dazu kehrte sie nach Hause zurück und stürzte, als sie die Treppe zum im Keller gelegenen Büro hinunterging. Das Bundessozialgericht erkannte dies als Arbeitsunfall an. Sie hatte eine dienstliche Weisung erhalten und es bestehe kein Zweifel an der objektiven Handlungstendenz (27.11.2018, Az. B 2 U 28/17 R).
Der Kläger verließ das Firmengebäude für einen Spaziergang. Er stolperte und verletzte sich. Er gab an, dass die Pause aufgrund seiner Arbeitsbelastung zum Weiterarbeiten erforderlich gewesen wäre. Das Hessische Landessozialgericht lehnte seine Klage ab. Spazierengehen sei eine eigenwirtschaftliche Verrichtung. Eine besondere betriebliche Belastung, die ausnahmsweise einen Versicherungsschutz hätte begründen können, wurde nicht festgestellt. Eine Revision wurde nicht zugelassen (14.6.2019, Az. L 9 U 208/17).
Der Kläger ging zu seinem Pkw, um zur Arbeit zu fahren. Er legte seine Tasche hinein, lief dann aber erst noch zur Straße, um die Fahrbahn auf Glätte zu prüfen. Auf dem Rückweg zum Auto stürzte er. Das Bundessozialgericht entschied, dass kein Arbeitsunfall vorliegt. Versichert sei der unmittelbare Weg zur Arbeit. Diesen habe der Kläger auch angetreten, als er das Haus verließ. Allerdings habe er ihn erkennbar unterbrochen. Das Prüfen des Straßenbelags auf Eisglätte sei rein privatwirtschaftlich begründet und weder notwendig noch rechtlich geboten. Es hätte genügt, vorsichtig loszufahren und gegebenenfalls eine Bremsprobe durchzuführen (23.1.2018, Az. B 2 U 3/16 R).
Wer vom direkten Arbeitsweg abweicht, um Persönliches zu erledigen, ist nicht versichert, bekräftigte das Bundessozialgericht anhand eines konkreten Falls. Die Klägerin hatte auf dem Nachhauseweg das Auto angehalten, um einen privaten Brief einzuwerfen. Beim Aussteigen verletzte sie sich. Sie habe dabei rein privatwirtschaftlich ge-handelt und die versicherte Fortbewegung auf dem Arbeitsweg deutlich unterbrochen, entschied das Gericht. Es stellte aber auch klar, dass der Versicherungsschutz mit dem Fortsetzen der Fahrt wieder gelte. Hätte die Beschäftigte den Brief "im Vorbeigehen" oder "ganz nebenbei" eingeworfen, wäre auch dies versichert, so das Gericht weiter (7.5.2019, Az. B 2 U 31/17 R).
Versicherungsschutz