Chlorgasflaschen mit Schildern "voll" vor einer Wand

Restdrucksicherung in Chlorgasanlagen  Sicherheitsgewinn oder Gefährdung?

Die sogenannte Restdrucksicherung in Chlorgasdosieranlagen wurde in der Neuauflage der DIN 19606 als Option in die technischen Anforderungen an Chlorgasanlagen aufgenommen. Seither wird die Anforderung der Norm unter Badbetreibern, Abfüllern, Anlagenbauern und Fachverbänden fortlaufend diskutiert. 

Offensichtlich besteht ein Widerspruch zwischen der Anforderung des Schutzes der Chlorgasbehälter vor Schäden durch eindringende Fremdstoffe und dem Schutz der Beschäftigten vor einer Chlorgasexposition. Ist die Anforderung der Norm verbindlich umzusetzen? Wäre ein Betrieb ohne Restdrucksicherung rechtssicher möglich?

Die Betreiber von Schwimmbädern sind verunsichert. Das Sachgebiet Bäder des Fachbereiches Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege der DGUV hat dies zum Anlass genommen unter Beteiligung von Bäderbetrieben, Herstellern und Abfüllern die Gefährdungen der Beschäftigten im Badebetrieb zu untersuchen und eine Handlungshilfe zur Erfüllung der Betreiberpflicht zu erstellen.

Funktion der Restdrucksicherung

Die Restdrucksicherung soll als technische Maßnahme den Schutz des Druckgasbehälters sicherstellen. Das Restdruckventil schließt den Druckgasbehälter beim Erreichen eines Innendruckes oberhalb des Atmosphärendruckes, um so durch Überdruck das Eindringen von Fremdstoffen zu verhindern. Dadurch kann der Chlorgasbehälter nicht in den Unterdruck entleert werden. Dies dient dem Schutz des Behälters vor Korrosion und dem Schutz des Flascheninhalts vor Verunreinigung.

Das Restdruckventil ist zwischen Flaschenventil und Vakuumregelventil angeordnet oder im Vakuumregelventil integriert. In der Anschlussleitung zwischen dem Flaschenventil und dem Restdruckventil herrscht immer ein Überdruck. Eine Evakuierung dieses Bereiches ist nicht möglich.

Sicherheitstechnische Anforderungen an Chlorgasanlagen

Chlorgas ist ein Atemgift. Mit der Verwendung von Chlorgas entsteht insbesondere beim Behälterwechsel die Gefahr der Chlorgasfreisetzung. Die Gefahr ist abhängig von der Chlorgasmenge und vom Druck im System. Für alle Betriebszustände von Chlorgasdosieranlagen ist der ausschließliche Betrieb im Vollvakuum der anerkannte Stand der Technik. (TRGS 460)

Durch den Unterdruck im Vollvakuumsystem und das Evakuieren der Anschlussleitung vor dem Öffnen der Leitung beim Behälterwechsel wird das Austreten von Chlorgas wirksam verhindert.

Gesetze, Vorschriften und Regeln der Technik

Für den Anlagenbetreiber ist zunächst das gesetzliche Vorschriftenwerk verbindlich.

Das Arbeitsschutzgesetz und die DGUV Vorschrift 1 verpflichten den Unternehmer, die Arbeit für die Beschäftigten so zu gestalten, dass alle Gefahren für die körperliche Unversehrtheit auf das absolute Minimum reduziert werden. Dazu ist betriebsspezifisch für jede Betriebsstätte eine Gefährdungsbeurteilung durchzuführen.

Für den Umgang mit Gefahrstoffen legt die Gefahrstoffverordnung (GefStoffV) den gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen fest. Danach hat der Arbeitgeber festzustellen, ob bei Tätigkeiten Gefahrstoffe freigesetzt werden können. Ist dies der Fall, so hat er alle hiervon ausgehenden Gefährdungen nach den gefährlichen Eigenschaften der Stoffe, den Arbeitsbedingungen und Verfahren sowie der sich ergebene Art und dem Ausmaß einer möglichen Exposition zu beurteilen. Jede Gefährdung der Gesundheit und der Sicherheit der Beschäftigten bei Tätigkeiten mit Gefahrstoffen ist auszuschließen.

Technische Regeln konkretisieren Gesetze und Verordnungen zum Arbeitsschutz. Sie enthalten Empfehlungen und technische Vorschläge dafür, auf welche Art und Weise die jeweiligen Forderungen umgesetzt werden können. Sie geben zum Zeitpunkt der Bekanntgabe den Stand der Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene sowie sonstige gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse wieder. Sie werden von staatlichen Ausschüssen aufgestellt und der Entwicklung entsprechend angepasst.

Der Arbeitgeber kann unter der Voraussetzung, dass der allgemeine Fall auf die betriebsspezifischen Zustände anwendbar ist, bei Einhaltung der Technischen Regeln davon ausgehen, dass die zugrundeliegenden Forderungen der Gesetze und Verordnungen erfüllt sind (sogenannte Vermutungswirkung).

Dennoch ist zu prüfen, ob im betriebsspezifischen Einzelfall die allgemein gültigen Bedingungen der Regeln anwendbar und geeignet sind. Dies gilt insbesondere, wenn optional eine oder mehrere konkrete Maßnahmen zur Erreichung eines Schutzziels genannt werden.

Die Normung dient originär der Wirtschaft und Gesellschaft zur Stärkung, Gestaltung und Erschließung regionaler und globaler Märkte durch einheitliche und harmonisierte Produktnormen. Normen sind eine wesentliche Voraussetzung für freie Marktzugänge und bieten Investitionssicherheit. Normen werden von sogenannten "interessierten Kreisen" (Hersteller, Handel, Industrie, Wissenschaft, Verbraucher, Prüfinstitute und Behörden) im Konsensverfahren erarbeitet.

Trotz ihrer Bedeutung können Normen nicht unbedingt als alleiniger Maßstab für die Einhaltung von Arbeitsschutzanforderungen herangezogen werden. Das staatliche Vorschriften- und Regelwerk hat im betrieblichen Arbeitsschutz Vorrang vor Normen. Entsprechendes gilt für Vorschriften und Regeln der gesetzlichen Unfallversicherungsträger.

Forderung nach Restdrucksicherung

Die Technische Regel für Betriebssicherheit/ Gefahrstoffe TRBS 3145 / TRGS 745 "Ortsbewegliche Druckgasbehälter – Füllen, Bereithalten, innerbetriebliche Beförderung, Entleeren" formuliert die Anforderung, dass beim Entleeren von Druckgasbehältern das Rückströmen von Fremdstoffen zu vermeiden ist. Im Behälter darf keine Flüssigkeit in solcher Menge enthalten sein, dass sie gefährliche Korrosion auslösen kann.

Als geeignete Maßnahmen werden in der TRBS 3145/TRGS 745 z. B. Aufheizen, Entleeren, Evakuieren, Wiegen oder technische Einrichtungen (z. B. Restdruckventile) aufgeführt.

Auswirkung einer Restdrucksicherung auf die Gefährdung durch austretendes Chlorgas

Beim Flaschenwechsel muss der Anschluss zwischen Flaschenventil und Vakuumregelventil geöffnet werden. Durch vorheriges Evakuieren der Anschlussleitung bei Chlorgasdosieranlagen ohne Restdrucksicherung wird ein Freisetzen von Chlorgas wirksam verhindert. Ein bis in den Unterdruck entleerter Behälter stellt eine zusätzliche Sicherheit dar.

Durch den Einbau einer Restdrucksicherung zwischen Flaschenventil und Vakuumregelventil bzw. integriert im Vakuumregelventil kann die zu öffnende Leitung vor dem Flaschenwechsel nicht evakuiert werden. Die Anschlussleitung wird immer im Überdruck gehalten.

Der als Stand der Technik etablierte Schutz des Vollvakuumbetriebs wird für die Anschlussleitung zwischen Behälterventil und Vakuumregelventil somit aufgegeben. Beim Öffnen der Überwurfmutter tritt in jedem Fall Chlorgas aus. Dies widerspricht dem Minimierungsgebot der Gefahrstoffverordnung (§ 7 (4) GefStoffV). Insbesondere beim Wechseln mehrerer Chlorgasbehälter kann eine Überschreitung der Alarmschwellen der Chlorgaswarngeräte nicht ausgeschlossen werden. Undichtigkeiten des Flaschenventils können durch den Ammoniaktest nicht mehr verlässlich erkannt werden.

Das Tragen von Atemschutz wird zur notwendigen Schutzmaßnahme. Bei jedem Behälterwechsel wird der Atemschutzfilter mit Chlorgas beaufschlagt. Es ergeben sich reduzierte Standzeiten. Der Filter muss rechtzeitig und regelmäßig vor dem Erreichen der Gebrauchsdauer ersetzt werden.

Fazit

  • Mit dem Einsatz einer sogenannten Restdrucksicherung kann die Anschlussleitung zwischen Flaschenventil und Restdruckventil nicht evakuiert werden. Ein Chlorgasaustritt beim Flaschenwechsel ist daher unvermeidlich. Dies widerspricht dem gesetzlichen Minimierungsgebot aus der Gefahrstoffverordnung (§ 7 (4) GefStoffV).
  • Der als Stand der Technik etablierte Schutz des Vollvakuumbetriebs wird für die Anschlussleitung somit aufgegeben. 
  • Der Wechsel von Chlorgasbehältern sollte immer im Unterdruck stattfinden.
  • Es sollten nur vollständig entleerte Flaschen gewechselt werden.
  •  Bei jeder Änderung an der Chlorgasdosieranlage muss bereits bei deren Planung eine Gefährdungsbeurteilung durch den Betreiber durchgeführt werden. Die Verantwortung für das Senken des Risikos und die Wahl der dazu erforderlichen Maßnahmen hat der Betreiber. (§ 3 ff ArbSchG, § 3 ff DGUV Vorschrift 1)
  • Der Betrieb einer Chlorgasanlage ohne Restdrucksicherung ist zulässig.

Das DGUV Sachgebiet Bäder hat das Ergebnis der Gefährdungsbeurteilung beim Flaschenwechsel in der Reihe Fachbereich AKTUELL als FBWoGes-004 "Die Gefahr eines Chlorgasaustrittes bei einem Flaschenwechsel in Bäderbetrieben" veröffentlicht.

Von: Dipl.-Ing. Alexandra Brecht-Klintworth und Dipl.-Ing. Franz Stefan Schlageter