Eine Gruppe Kinder und eine junge Frau sitzen auf einer Wiese.

Ab in den Wald BGW magazin - 1/2024

Wald-Kitas sind beliebt. Vieles ist anders als in "klassischen" Kinder­tages­einrich­tungen. Der Aufenthalt in der Natur ermöglicht Freiheiten, muss aber auch sicher und gesund gestaltet werden.

 

Ist es eine Wald-Kita oder eine Kita im Wald? Eine Frage, die sich Kathleen Bösing und Arne Schröder oft stellen, wenn sie Kindertageseinrichtungen beraten. Bösing ist Präventionsberaterin in der BGW-Bezirksstelle Würzburg. Schröder ist für die Kommunale Unfallversicherung in Bayern (KUVB) als Aufsichtsperson unterwegs.

Wald-Kitas begegnen sie immer häufiger. Ihre Zahl hat insgesamt stark zugenommen, sagt Bösing. Allerdings handelt es sich manchmal eher um eine normale Kita, die eben im Wald gelegen ist und dessen Möglichkeiten nutzt. Bedeutsam ist das mit Blick auf die recht­lichen Anforderungen, die für die jeweilige Variante gelten.

Wie viel Schutz durch Gebäude?

Früher standen meist Elterninitiativen hinter dem Wunsch nach mehr Nähe zur Natur. Das Konzept stößt heute auf breites Interesse – auch über diejenigen hinaus, die sich in erster Linie aus Überzeugung für das Draußensein engagieren. Der Anspruch auf einen Kindergartenplatz und die Nachfrage nach Ganztagsbetreuung haben einiges bewegt, berichtet Arne Schröder. Unter anderem könnten mit Wald-Kitas oder Wald-Gruppen ohne größere Investitionen mehr Betreuungsplätze angeboten werden.

Eine Gruppe Kinder und eine junge Frau sitzen auf einer Wiese.

Im Sommer draußen zu sein, macht besonderen Spaß – an den Sonnenschutz für Kinder und Personal muss aber gedacht werden.

Gerade beim ganztägigen Aufenthalt im Freien erhalten Aufwärmmöglichkeiten dann meist einen höheren Stellenwert, so Schröder weiter. Die Grenze zwischen „echten“ Wald-Kitas, die einfache Schutzräume oder Bauwagen nutzen, und Gebäuden im Wald mit Merkmalen herkömmlicher Kitas ist oft fließend, beobachten er und seine BGW-Kollegin. Aber spätestens, wenn es innenliegende Toiletten, Strom, Gruppenräume, womöglich eine Küche gibt, ist klar, dass die Unfallverhütungsvorschrift (UVV) 82 ‚Kindertageseinrichtungen‘ greift.

Die UVV gilt dagegen nicht in gleicher Weise für Kitas, bei denen die Kinder sich ausschließlich in der freien Natur aufhalten und nicht an ein festes Gebäude gebunden sind. Doch das ist kein Freibrief, betont Schröder: Eine Verpflichtung zum Schutz der Kinder und der Beschäftigten vor Gefährdungen besteht immer. Die UVV kann, je nach Thema, durchaus zur Orientierung herangezogen werden. Darüber hinaus geht die DGUV Information 202-074 „Mit Kindern im Wald“ detailliert auf Waldkindergärten ein, nimmt aber vorwiegend die Sicherheit und Gesundheit der Kinder in den Blick.

Wenig Unfälle

Vom pädagogischen Konzept der Wald-Kitas ist Kathleen Bösing jedenfalls überzeugt. Sie sind zum Beispiel super, um Bewegungsmangel bei Kindern vorzubeugen. Ihr Augenmerk gilt aber nicht nur den Kindern, sondern insbesondere auch der Sicherheit und Gesundheit des pädagogischen Personals. Spannend ist, dass es in Wald-Kitas keine Häufung von Unfällen gibt, wie man vielleicht denken könnte. Stattdessen passiert weniger als in klassischen Kitas.

Kleines Kind klettert auf einem Ast herum.

Natur entdecken, auf Bäume klettern – in der Wald-Kita gibt es viele Möglichkeiten, aktiv zu spielen. 

Den Eindruck bestätigt Arne Schröder von der KUVB, wo Auswertungen für die Kinder zum gleichen Ergebnis kamen. Beide führen das darauf zurück, dass draußen viel mehr auf den unebenen Boden und die Umgebung geachtet wird. Achtsamer zu sein, entspricht dem pädagogischen Konzept, sagt Bösing. Und im Wald fehlen potenziell unfallträchtige Spielgeräte und Ähnliches.

Das Instrument, mit dem Kindertageseinrichtungen Risiken für die Sicherheit und Gesundheit auf die Spur kommen, ist überall dasselbe: die Gefährdungsbeurteilung. Mit ihrer Hilfe können geeignete Schutzmaßnahmen festgelegt werden. Dabei müssen zum Beispiel besondere Gefährdungen des Betreuungsortes Wald berücksichtigt werden.

Wetterschutz: Mehr als nur Aufwärmen

Zentrales Thema in Wald-Kitas sind die Witterungseinflüsse, vor allem Kälte, Nässe und UV-Strahlung. Sie sind in jedem Fall in der Gefährdungsbeurteilung zu betrachten. Schutzräume oder Bauwagen kommen zwar als Ausweich- oder Aufwärmmöglichkeiten zum Einsatz. Das Konzept reiner Wald-Kitas sieht aber in der Regel den Daueraufenthalt in der Natur vor. Deshalb geht es beispielsweise auch um geeignete Kleidung, die Schutz vor Wettereinflüssen bietet, erläutert Kathleen Bösing. Selbst wenn Bäume Schatten bieten, darf der UV-Schutz nicht vernachlässigt werden, macht Arne Schröder klar. Bei den Kindern wird das leider eher bedacht als beim Personal. Die Langzeitfolgen der UV-Strahlung können aber gravierend sein, bis hin zum Hautkrebs. Der UV-Schutz ist deshalb ein Thema für die arbeitsmedizinische Vorsorge, die Beschäftigten in diesem Zusammenhang angeboten werden muss.

Blick von hinten: Zwei Erwachsene und sechs Kinder laufen in Winterkleidung durch einen verschneiten Wald

Es gibt kein schlechtes Wetter – allenfalls falsche Kleidung.

Der Betreuungsort Wald bietet da­rüber hinaus ganz eigene Heraus­forderungen. Bäume, Gewässer, Felsen, Pflanzen – auch die natürlichen Gegebenheiten sind ein Thema für die Gefährdungsbeurteilung. Mit Blick auf den Baumbestand und insbesondere den Hauptaufenthaltsort der Wald-Kita sollten die Einrichtungen und Träger engen Kontakt mit denjenigen suchen, denen der Wald gehört, empfiehlt Arne Schröder. Kathleen Bösing ergänzt: Wenn es gestürmt hat, bietet sich eine Besichtigung mit dem Förster oder der Försterin an. Mit ihrer Fachkenntnis können sie Risiken am besten einschätzen.

Herausforderung Aufsicht

Die Erzieherinnen und Erzieher selbst sind meist auf die Kinder und deren Sicherheit fokussiert: Wo können sie herumklettern, ohne dass etwas passiert? Welche Pflanzen sind womöglich giftig? Was ist in der Nähe von Gewässern zu beachten? Diese Verantwortung kann eine besondere Belastung der Beschäftigten mit sich bringen, weiß Schröder: Aufsichtführen ist in der klassischen Kita anders. Dort gibt es ein fest umgrenztes Gelände, das keine unbekannten Gefahren aufweisen sollte und das kein Kind unbemerkt verlassen kann. Im Wald müssen die pädagogischen Fachkräfte dagegen ständig im Blick haben, wo Risiken bestehen könnten. Das braucht Expertise. Erziehende müssen immer wieder neu Entscheidungen treffen und diese auch für sich und für andere begründen können.

Vorbereitet für den Notfall

Stichwort Organisation: Was tun, wenn …? Werden typische Fälle im Vorfeld durchgespielt und Lösungen gefunden, entlastet das auch das Personal. Geklärt werden müssen zudem die Strukturen und das Handeln in Ex­tremsituationen. Wie können beispielsweise Kinder und Personal bei einem plötzlich auftretenden Unwetter schnell evakuiert werden? Wie erreichen Rettungskräfte nach einem Unfall die Gruppe?

Blick von oben auf sechs Kinder, die im Kreis mit dem Gesichtern zur Mitte auf einem Waldboden liegen und gut gelaunt sind.

Zusammen spielen, lernen und Blödsinn machen – mitten in der Natur ist das ein besonderes Abenteuer. 

Manche Fragen erscheinen eher „klein“, sind aber genauso bedeutsam für Kinder, Eltern und pädagogische Fachkräfte: zum Beispiel der Umgang mit Zeckenstichen. Viele sind verunsichert, haben womöglich gehört, dass es sogar unterlassene Hilfeleistung wäre, wenn die Erziehenden eine Zecke beim Kind nicht entfernen. Das stimmt so nicht!, hebt Arne Schröder hervor. Trotzdem sollte zwischen Einrichtung und Eltern geklärt sein, wie und durch wen Zecken schnellstmöglich entfernt werden. Das entlastet alle Seiten.

Zeckenstiche sind auch beim pädagogischen Fachpersonal ein Thema. Kathleen Bösing verweist wieder auf die Gefährdungsbeurteilung: Die kann ergeben, dass bei Tätigkeit im freien Gelände und in Wäldern Schutzmaßnahmen erforderlich sind. Gegebenenfalls müssen Arbeitgebende für die Beschäftigten eine arbeitsmedizinische Pflichtvorsorge organisieren. In FSME-Risikogebieten geht es dann auch um die Möglichkeit der Impfung.

Die Natur so nah zu erleben, bringt einige Risiken mit sich. Doch mit guter Vorbereitung lassen sich diese minimieren. Ich bin oft begeistert, was Wald-Kitas alles möglich machen – bis hin zu Feuerstellen im Tipi, an denen die Kinder den Umgang mit Feuer lernen können, erzählt Bösing. Schutzmaßnahmen werden auch hier in der Gefährdungsbeurteilung betrachtet: Ist das Tipi überhaupt fürs Feuermachen geeignet? Wie zieht der Rauch ab? Wie kann im Notfall gelöscht werden? Was ist je nach Wetterlage zu beachten?

Bewusst planen – Kinder einbeziehen

Die BGW-Präventionsberaterin hat die Erfahrung gemacht, dass Wald-Kitas besonders gut auf solche Fragen vorbereitet sind, wenn alle hinter dem Konzept stehen. Es zahlt sich aus, wenn der Aufenthalt im Wald bewusst erfolgt und von Trägern, Kita-Team und weiteren Beteiligten nicht als Ausweichlösung betrachtet wird. Ihr Tipp ist auch: Trauen Sie den Kindern etwas zu! Wenn sie einbezogen werden, trägt das zur Sicherheit und Gesundheit von allen bei. Bei Fragen zu Ge­fährdungen und Schutzmaßnahmen könne man sich an die gesetz­liche Unfallversicherung wenden.

Bei der BGW sind vor allem die Beschäftigten in nichtstaatlichen Kindertageseinrichtungen versichert. Die Unfallkassen – darunter die Kommunale Unfallversicherung in Bayern (KUVB) – versichern in der Regel die Kinder. Sie sind zudem für das pädagogische Personal im kommunalen Bereich zuständig. Wir arbeiten bei Kita-Themen mit der BGW zusammen, betont Arne Schröder von der KUVB. Sie können daher nicht nur Kathleen Bösing, sondern auch mich auf den diesjährigen Kongressen der Reihe ‚BGW forum‘ für die pädagogische Arbeit treffen.

Von: Anja Hanssen