Zwei Gliederpuppen aus Holz sitzen sich auf Holzklötzen gegenüber. Im Hintergrund steht eine Pflanze und liegen Steine.

Auffanggespräche Persönliche Hilfe nach Gewalterlebnissen – Tipps für Führungskräfte

Stellen Sie sich folgende Situation vor: Eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter kommt nach einem tätlichen Angriff vollkommen aufgelöst zu Ihnen. Wie verhalten Sie sich? Oder: Jemand kehrt nach einem Übergriff erstmals wieder an den Arbeitsplatz zurück: Wie führen Sie das Gespräch? Die folgenden Tipps helfen Führungskräften, für solche Fälle vorbereitet zu sein.

Unmittelbar nach einem Übergriff

Nehmen Sie sich Zeit

Sie sind für das Opfer in der Regel der erste Ansprechpartner oder die erste Ansprechpartnerin. Ein einfühlsames Verhalten Ihrerseits kann den Schock und den Schmerz mildern und sogar posttraumatische Störungen verhindern. Bieten Sie einem Gewaltopfer ein solches Auffanggespräch immer an, selbst wenn die Person nicht um Hilfe bittet.

Diese ersten lindernden Worte sind sehr wichtig, können allerdings nicht das Gespräch mit einem Psychologen oder einer Psychologin ersetzen und sollten auch gar nicht diesen Anspruch haben. Wichtig ist, dass das Gespräch in einer ruhigen, angstfreien Atmosphäre stattfindet.

Raten Sie zu einem Arztbesuch

Das Opfer kann Verletzungen haben, die auf ersten Blick nicht zu erkennen sind, zum Beispiel Knochenbrüche oder innere Verletzungen. Eine Untersuchung beim Durchgangsarzt oder der Durchgangsärztin sorgt für eine sichere Diagnose.

Klären Sie die nächsten Schritte

Müssen weitere Personen informiert werden – in der Einrichtung oder im privaten Umfeld der Betroffenen? Wie kommt das Opfer nach Hause? Bieten Sie praktische Unterstützung für anstehende Fragen.

Hinweis:

In einigen Einrichtungen gibt es für die Erstbetreuung von Beschäftigten nach kritischen Situationen Unterstützung durch besonders geschulte "kollegiale Erstbetreuerinnen und Erstbetreuer". Sie wissen, wie sie die betroffene Person durch die akute Situation leiten: einschätzen und stabilisieren, Ruhe und Ansprache bieten, das weitere Vorgehen klären.

Sie leisten dabei keine psychologische Beratung – genausowenig wie die Führungskraft dies tun sollte! –, sondern konzentrieren sich auf das, was jetzt zu tun ist. Wo solche Helferinnen und Helfer aus dem Kreis der Mitarbeitenden vorhanden sind, sollten Führungskräfte sie in jedem Fall hinzuziehen.

Angemessene Gesprächsatmosphäre

Nehmen Sie Gefühle wahr

Versuchen Sie, die Gefühle des Opfers zu erfassen, beschreiben Sie Ihre Wahrnehmung in verständlichen Worten (Paraphrasieren). Zeigen Sie Verständnis für die emotionale Lage des Opfers und erklären Sie, dass solche Gefühle in dieser Extremsituation angemessen und normal sind.

Vermeiden Sie Bagatellisierungen

Spielen Sie nichts herunter. Auch wenn jemand physisch unverletzt ist, sagt dies nichts über die psychischen Verletzungen aus. Hüten Sie sich vor Äußerungen wie: "Ach, das ist ja gar nicht so schlimm!" oder "Das ist ja nur ein kleiner Kratzer!" Inwieweit jemand psychisch angegriffen und traumatisiert ist, lässt sich auf die Schnelle nicht beurteilen.

Frau sitzt verzweifelt vor einer anderen Person, die etwas aufschreibt.

Wichtig: Auffangespräche sind keine umfassenden Ermittlungen!

Kritisieren und tadeln Sie nicht

Selbst wenn Sie der Meinung sind, dass der oder die Betroffene vor und bei dem Übergriff anders hätte handeln können und Sie persönlich auch anders oder subjektiv besser gehandelt hätten – sagen Sie nichts. Kritik gehört nicht in ein Auffanggespräch. Das Opfer ist aufgrund der Ereignisse seelisch stark angeschlagen und kann in dieser Situation Kritik nicht oder zumindest schlecht verkraften.

Bleiben Sie ernst

Scherze, ironische oder gar zynische Bemerkungen haben in einem Auffanggespräch nichts zu suchen. Dem Opfer steht nicht der Sinn nach Scherzen oder doppelbödiger Ironie.

Widmen Sie sich dem Opfer voll und ganz

Seien Sie während des Auffanggespräches ganz für das Opfer da. Hören Sie mit allen, am besten mit geschärften Sinnen zu. Konzentrieren Sie sich nur auf Ihr Gegenüber, unterlassen Sie jegliche Nebenbeschäftigung.

Schweifen Sie nicht ab

Erzählen Sie keine ähnlichen oder gar "dramatischen" Geschichten, die Sie oder andere erlebt haben. Die angegriffene Person ist ausreichend mit der gerade erlebten Situation beschäftigt und nicht aufnahmefähig für anderes. Derartige Fremdgeschichten können sogar zu einer zusätzlichen Belastung führen.

Wenn die unmittelbare Krise überstanden ist

Für die Nachbearbeitung des Übergriffs sind noch viele weitere Fragen zu klären. Auch hierfür sollten sich Führungskräfte Zeit nehmen und in angemessener Atmosphäre gegebenenfalls in einem weiteren Gespräch mit der betroffenen Person genauer auf den Tathergang und den weiteren Umgang mit dem Erlebten eingehen.

Strukturieren Sie das Gespräch

Helfen Sie dem Opfer, die Ereignisse zu rekonstruieren. Fragen Sie einfühlsam nach und ordnen Sie die Geschehnisse in chronologischer Reihenfolge. Versichern Sie sich immer wieder, dass die entstehende Rekonstruktion den Tatsachen entspricht. Fassen Sie zum Schluss den Tathergang zusammen und filtern Sie dabei Beschimpfungen seitens des Opfers heraus ("Da haut dieser Blödmann einfach wie ein Idiot drauf.").

"Warum ist das passiert?" – Auch wenn Sie das Warum interessiert, unterlassen Sie diese Frage. Sie wird möglicherweise als Vorwurf aufgefasst. Ihre Fragen sollten lediglich den Tathergang betreffen: Was, wann, wie, wo etc.

Überlegen Sie gemeinsam das weitere Vorgehen

Überlegen Sie gemeinsam, welche Maßnahmen sinnvoll sind, zum Beispiel eine kurzzeitige Versetzung oder eine geänderte Zuständigkeit für betreute Personen (beispielsweise um zu vermeiden, dass der Angreifer oder die Angreiferin wieder betreut werden muss).